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Premiere des Dokumentarfilms "Eine Region lebt Demokratie" im Lichtspielhaus Lauterbach„Wir entscheiden, in welchem Land wir morgen leben wollen“

LAUTERBACH (tsz). Der Kinosaal ist gut gefüllt, ein vielfältiges Publikum aus jung und alt, männlich und weiblich, Städtern und Dörflern. Ein gemischtes Publikum, wie man es nur selten in einem Kinosaal erlebt. Doch am gestrigen Abend wurde kein typischer Kinofilm gezeigt. An diesem Abend ging es um Demokratie – nicht in Berlin, nicht in Brüssel, sondern hier im Vogelsberg.

Demokratie ist ein Grundpfeiler der Bundesrepublik Deutschland. Für viele Deutsche bedeutet Demokratie deswegen, alle vier Jahre von ihrem Wahlrecht gebrauch zu machen, und sich an der Bundestagswahl zu beteiligen. Damit habe man seine bürgerliche Pflicht getan und sich an der Gestaltung der Zukunft der Nation beteiligt. „Demokratie ist mehr, als nur die Wahl“: Mit diesem Statement eröffnet Dr. Jens Mischak seine kurze Rede, bevor der Filmprojektor anlief. Die Nachricht dahinter: Demokratie ist vielfältig und besteht nicht nur aus den Entscheidungen der Politiker auf Bundesebene, sondern fängt bereits im Kleinen an.

Dr. Jens Mischak am Rednerpult vor der Kinoleinwand.

Dr. Jens Mischak richtet einge Worte vor dem Start des Films an das Publikum. Alle Fotos: tsz

Und das zeigt der Dokumentarfilm „Eine Region lebt Demokratie“, der innerhalb des Projekts „Demokratie leben“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gedreht wurde. Der Film befasst sich, wie es der Titel schon vermuten lässt damit, wie Demokratie im Vogelsberg gelebt wird. Dafür hat sich der Berliner Regisseur Maximilian Benesch durch den Vogelsbergkreis gekämpft und sich in der Region auf die Spuren der Demokratie gemacht. Damit zeigt der Film, dass Demokratie im Kleinen beginnt und dabei viele verschiedene Facetten annehmen kann.

Der Vogelsberg lebt Demokratie

Organisationen wie das KJP, das Kinder- und Jugendparlament, sind dabei im Film wichtige Akteure, deren Vorhaben und Aktionen vorgestellt und genauer unter die Lupe genommen werden. In einem Zeitraum von über einem Jahr hat Benesch das KJP und verschiedene andere Organisationen verfolgt. Am Ende zeigt der Film nicht nur eine Momentaufnahme, sondern den ganzen Prozess wie aus Ideen ganze Aktionen werden.

Der Kinosaal vom Lichtspielhaus Lauterbach war gut gefüllt.

Der Kinosaal vom Lichtspielhaus Lauterbach war gut gefüllt.

Ein schönes Beispiel dazu ist die Graffitiwand des Kinder- und Jugendparlaments. Über den Film hinweg entwickelt in einer Art Nebenhandlung das KJP die Idee einer Graffitiwand, die bei Veranstaltungen mit Motive zum Thema Demokratie besprüht werden kann. Am Ende des Films werden die Kunstwerke dann gezeigt. Natürlich werden auch andere Aktionen und Organisationen im Film gezeigt, unter anderem der Verein Jüdische Geschichte Vogelsberg mit den Stolpersteinen oder das Dekanat Alsfeld mit Sprachkursen für Flüchtlinge.

Demokratie ist vielfältig und komplex

Denn wer sich mit dem Thema Demokratie beschäftigt, der stößt auch schnell auf weitere Themenfelder, wie die Flüchtlingskrise seit 2015, der Rechtsrutsch der Deutschen Bevölkerung oder das Zusammenleben verschiedener Religionen. Auch diese Themen werden im Film durch Interviews oder kleine Reportagen aufgegriffen. Eine Aktion ist das Politikercafé in Alsfeld, ein Treffpunkt, an dem sich Politiker und Bürger miteinander zu verschiedenen Themen austauschen konnten.

Das Publikum diskutiert im Kinosaal nach dem Film über Demokratie.

Der Film entfachte einige Diskussionen über die Wichtigkeit von Demokratie.

Im Ganzen macht der Film vieles richtig: Er zeigte, dass bereits vieles in der Region getan wird, um den Grundgedanken der Demokratie und damit verbundene Prinzipien wie Freiheit und Menschenwürde zu wahren. Allerdings zeigte er auch, dass der Vogelsbergkreis für die Zukunft weitere Demokraten braucht, um die demokratischen Grundgedanken für die Zukunft zu festigen. „Wir entscheiden, in welchem Land wir morgen leben wollen“, lautet das motivierende Statement am Ende des Films. Kurz darauf rollt der Abspann.

Statt aufzuspringen und zu ihren Fahrzeugen zu hechten verweilten die meisten Zuschauer noch im Kinosaal. Es entstanden Diskussionen über die Wichtigkeit von Demokratie, Vereinen und politischer Bildung. Der Film hat also sein Ziel erreicht: Diskussionen anzuregen.

9 Gedanken zu “„Wir entscheiden, in welchem Land wir morgen leben wollen“

  1. So wie das schiefe Bild vom Lauterbacher Lichtspielhaus es symbolisch ankündigt, wird bewusst ein schiefes Bild auch im übertragenen Sinne erzeugt. Beim Blick hinter die Fassaden wird schnell deutlich, dass es bei dem ganzen Getue um die angebliche Stärkung der Demokratie nur um das Aufstellen von Pappkameraden geht. Die Vorzeigeprojekte des Kreisausschusses dienen nur der Erzeugung eines Anscheins funktionierender Bürgerbeteiligung, der allein deshalb erzeugt werden muss, weil bestimmte Richtlinien der EU und des Bundes die Teilnahme an Förderprogrammen und vor allem die Fördermittelzuweisungen hiervon abhängig machen. Bei allen Demokratieprojekten, die da mit größtmöglichem Lärm (Hohle Nüsse klappern am lautesten!) öffentlich propagiert werden, stimmen Werbeaufkleber und Inhalt der „Packung“ nie überein. Aber es ist erstaunlich, wie leicht sich die übergeordneten Instanzen in der Landesregierung oder anderswo von dem ganzen Klaumauk täuschen lassen. So verstehe ich bis heute nicht, wie ein unsolides Gebilde wie der Kreis-Seniorenbeirat, der alles ist außer einer Interessenvertretung der älteren Menschen im Landkreis, mit großem Trara in den Landes-Seniorenbeirat aufgenommen werden konnte.

  2. @ Vogelsbürger
    Der Vergleich zwischen Griechenland (siehe https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-tagesgespraech/audio-griechenland—wie-haben-sie-die-krise-erlebt-100.html) und dem Vogelsbergkreis verstört mich etwas. Ganz so weit sind wir hier wohl noch nicht. Wahr ist allerdings, dass man den Mächtigen schon ständig auf die Finger schauen und notfalls auch hauen muss, damit es nicht so weit kommt wie derzeit in Kroatien, Rumänien oder eben in Griechenland. Aber setzen wir uns nur nicht aufs hohe Ross! Ich erinnere nur an die Flick-Affaire in den 1980er und die CDU-Parteispendenaffaire kurz nach der Jahrtausendwende, aus der deutsche Spitzenpolitiker auch nur dank zahlreicher Falschaussagen und einer äußerst rücksichtsvollen Justiz glimpflich davon kamen. Aber die „Mutter der Korruption“ ist und war immer die Kommunalpolitik, denn nirgends sonst ist der individuelle wirtschaftliche Vorteil so stark von den lokalen politischen Entscheidungen abhängig. Und auf der kommunalen Ebene kommen junge Menschen auch zu allererst mit dem politischen System unseres Landes in Kontakt und „lernen Demokratie“ – oder eben auch nicht.
    Wo die Amtsträger und lokalen Spitzenpolitiker durch den Bürger öffentlich kontrolliert werden sollen, bedarf es der Distanz zwischen den Mächtigen und den Bürgern. Was wir im Vogelsbergkreis beobachten können, ist aber das genaue Gegenteil. Von wenigen Bürgerinitiativen abgesehen (Windkraftgegner), die bezeichnenderweise von den „Oberen“ aus Politik und Verwaltung so gut wie nie gelobt werden, bestehen starke Tendenzen, Bürgerbeteiligung und ehrenamtliches Engagement in von oben „geförderte“ Institutionen und Projekte einzubinden, die in Presseerklärungen bei jeder sich bietenden Gelegenheit für jeden Pups und bis zur absoluten Peinlichkeit belobigt und anschließend durch irgendeinen Amtsträger geehrt und ausgezeichnet werden. Gönnerhaft fordert man den „beteiligten Bürger“ auf, ruhig auch einmal Kritik zu äußern. Vor allem die „Jugend“ wird ermutigt, auch einmal „frech“ zu sein. Selbst die Opposition im Kreistag muss sich vom Landrat sagen lassen, dass ihr handzahmes Verhalten ihn langweile. Doch ob GroKo-Übermacht oder fürsorgliche Belagerung durch Politik und Verwaltung – über dem ganzen Landkreis liegt ein alles erdrückender Schaumteppich des „Wir-Gefühls“ sowie verordneten Schönredens bzw. Herbeiredens vermeintlicher Standortvorteile. Wer kritisiert, schadet dem aufdringlichen und immer zu provinziellen Standortmarketing. Auch über die Kreisgrenzen hinaus hat sich eine Kultur des schamlosen Eigenlobs und übertriebenen Lobens anderer etabliert. Man überschlägt sich förmlich bei der gegenseitigen Anerkennung und leistet allseits Unterstützung, wenn von EU, Bund oder Land Fördermittel ausgelobt werden.
    Die gern verbreitete Maxime, dass man im Interesse der Selbst- und Fremdmotivation gar nicht genug loben könne, ist leider falsch. Sich durch überschwengliches Lob des potenziellen Kritikers selbst vor Kritik zu schützen, ist eine Strategie, die schnell durchschaut wird. Dasselbe gilt für die Umarmung, ja Umklammerung des Bürgers, dessen persönliche Eitelkeit so lange mit Lob und Ehrungen gefüttert wird, bis ihm jede kritische Distanz abhanden kommt.
    Übermäßiges Lob und übertriebene Aufmerksmkeit sind in der Erziehung ganz besonders schädlich (siehe https://www.express.de/ratgeber/familie/-super–mein-schatz—warum-es-kindern-sogar-schadet–wenn-wir-sie-zu-haeufig-loben-31080314). Zitat: „Kontrolle mit Zuckerguss – so nennt Rheta DeVriess, Pädagogikprofessorin an der Universität Iowa, den Hang von Eltern zur exzessiven Belobigung.“ Genau das ist das Problem der „Fachstelle Demokratie des Vogelsbergkreises“. Dem ganzen Projekt fehlt ein didaktisches Konzept. Demokratieförderung nach Art des kleinen Fritz, wie derzeit praktiziert, hält den kleinen Fritz klein. Innere Stärke und Unabhängigkeit, das psychische „Grundgerüst“ eines aufrechten Demokraten, erreicht man hierdurch gerade nicht!

  3. Habe gerade im Radio einen Bericht über die Zustände in Griechenland gehört. Dort berichtete ein deutscher Unternehmer, dass alle Vorschläge und Projekte, mit denen sich die Infrastruktur und die Einnahmesituation der verschiedenen Regionen verbessern ließe, von den Verwaltungen vor Ort blockiert bzw. Aufträge grundsätzlich an irgendwelche unqualifizierten Verwandten des Bürgermeisters oder anderer Lokalgrößen vergeben würden. Es gehe nur darum, irgendwelche EU-Fördermittel abzugreifen und in die eigene Tasche zu wirtschaften. Wieso fällt mir dabei der Vogelsbergkreis ein?

  4. Um „Demokratie zu leben“, wie es auf dem Werbe-Aufsteller (Foto) heißt, müsste man sie erstmal ERleben. Doch was ich seit vielen Jahren beobachte, sind hohle Phrasen von Bürgerbeteiligung in der Theorie und Bevormundung des Bürgers in der Praxis. Kritische Äußerungen von Bürgerseite sind schlicht unerwünscht. Stattdessen wird das Volk bespaßt mit Vogelsbergsong, Flashmob vorm Supermarkt, wo sich die Bevölkerung zu den Klängen der EU-finanzierten Vogelsberghymne „Wir sind die Kinder des Vulkans, nana na, nananana…“ zum Horst machen soll und Vogelsberg-Slogan-Wettbewerb, dessen lieb-bemühte Ergebnisse eher einschläfernd als inspirierend wirken. Die Super-Bürgerbeteiligungs-Ideen aus dem Hause Görig – wer erinnert sich nicht noch mit Rührung des Projekts „E-Partizipation“ über die Seite „Direkt zu Görig“, die die Bürgerfragen erst zu einem IT-Anbieter nach Berlin und anschließend zur zuständigen Abteilung der Kreisverwaltung lenkte? – geraten schneller aus der Mode als der jährliche „Sommerhit“. KJP und Kreisseniorenbeirat reihen sich da nahtlos ein. Nachhaltig ist nur der Eindruck, dass im Vogelsberg überkommene Autoritätsstrukturen aus der Ära Riedesel mit Schwindeletiketten überklebt werden. Demokratie leben heißt nicht, die Bürgerbeteiligung von oben zu organisieren und den Rest dickfellig auszusitzen.

  5. Speziell zum Thema Kinder- und Jugendparlament wurde kürzlich unter dem Leitsatz „Seit über 25 Jahren können [die Kinder und Jugendlichen im Vogelsbergkreis] ziemlich direkt mitbestimmen, was in ihrem Landkreis geschehen soll“ eine „Erfolgsbilanz“ dieser angeblich demokratiefördernden Institution veröffentlicht (https://www.oberhessen-live.de/2018/05/15/das-sind-die-erfolge-des-kjp-im-vogelsbergkreis/#more-142592):
    – Einführung von Clevercard und Schülerticket in Hessen bewirkt?
    Faktencheck: Da schmückt man sich nach altbewährter Kreis-Pressestellen-Tradition ganz unverschämt mit fremden Federn. Das KJP war an den entsprechenden Entscheidungen der Hessischen Landesregierung in keiner Weise beteiligt (https://www.hessen.de/pressearchiv/pressemitteilung/das-schuelerticket-hessen-kommt-0)
    – Kampf gegen Extremismus und für Demokratie
    Passt das unter die Überschrift „Das sind die größten Erfolge des KJP“? Nein. Was waren die konkreten Ergebnisse? Wurde der Extremismus im Vogelsbergkreis zurückgedrängt? Nein (siehe Eröffnung des AfD-Büros in Lauterbach). Gab es irgendwo ein Mehr an demokratischer Mitwirkung? Nein, nur mal wieder mehr Versuche, irgendeine Stärkung der Demokratie herbeizureden.
    – Vereinfachung für Rollstuhlfahrer?
    „Das KJP engagiert sich nicht nur für Jugendliche. 1999 brachten [wer?] die Abgeordneten die Stadt Lauterbach dazu, eine Selbstverpflichtung zu unterschreiben…“ Merkwürdiges Selbstverständnis. In Überschreitung seiner Aufgaben bringt man das Lauterbacher Stadtparlament, in dem man weder Antrags- noch Rederecht hat, dazu, für rollstuhlgeeignetere flache Bordsteine zu sorgen? Man wüsste gern, wie man das wohl gemacht hat.
    – 2015 kündigte das KJP an, sich mit dem leidigen Thema Datenschutz beschäftigen zu wollen.
    Ja, und außer dieser Ankündigung passierte dann wohl nicht mehr viel. Wurden die Jugendlichen im Kreis aufgeklärt, was man beim Posten und Liken auf Facebook, Youtube und anderen digitalen Kanälen beachten sollte? Man weiß es nicht. Ein toller Erfolg?
    – Initiative für Jugendräume
    „Seit seinem Bestehen hat sich das KJP stets für den Erhalt oder den Bau neuer Jugendräume eingesetzt – und dafür Geld gesammelt oder mit Politikern gesprochen.“ Neue Jugendräume wo, wie, wer, was? Fehlanzeige.
    Und damit endet die Liste der „größten Erfolge des KJP“ auch schon. Unterm Strich nur hohles Geschwätz und abenteuerliche Legendenbildung am äußersten Rand der Unseriosität und Fakenews.
    Ganz bezeichnend ist das Fazit des oben zitierten Beitrags über die größten Erfolge des KJP:
    „Konkrete Erfolge sind zwar wichtig, um von den jungen Wählern auch ernst genommen zu werden – aber oftmals ist beim KJP auch der Weg das Ziel. Schon allein das Jugendliche sich hinsetzen um sich gemeinsam Gedanken über ihre Heimat zu machen werten Politiker und Sozialarbeiter als Erfolg.“
    Da haben die „Politiker und Sozialarbeiter“ aber einen sehr, sehr niedrigen Erwartungshorizont. Und „konkrete Erfolge“ werden nur herbei fantasiert. Wer von den jungen Wählern das ernst nehmen soll, muss voll auf Drogen sein.

  6. Früh häkt sich, was ein Krümmchen werden will. In bestimmten Gesellschaftsschichten lernt man schon mit der Muttermilch, sich zu vernetzen und seine Netzwerke dann für den persönlichen Vorteil zu nutzen. Auch das bescheidenste „Engagement“ bringt einen u.U. in die Nähe der Mächtigen, und man lernt Leute kennen, die jemanden kennen, der einen „Wichtigen“ kennt. Man hinterlässt seine „Visitenkarte“ und wird zum gegebenen Zeitpunkt „gefördert“ oder kommt in Genuss einer Gefälligkeit. Natürlich muss man diese Gefälligkeit irgendwann mal zurückzahlen. Bei der Mafia lässt man es wie einen Unfall aussehen, aber im „normalen“ Leben heißt die Währung „Loyalität“. So funktioniert „Elite“, so funktionieren lokale Einfluss-Systeme, so funktionieren Parteien, so funktioniert die Herrschaft von Interessengruppen, für die „Demokratie“ bestenfalls ein Tarnnetz ist. Wer das nicht verstanden hat, hat gar nichts verstanden und weiß nicht, wie das Spiel seit eh und je gespielt wird. Und da macht es gar nichts, wenn die Jugend nur die Wände mit Demokratie-Grafitti besprüht und die Alten zuschauen dürfen, wie die Farbe trocknet. Denn es geht nicht darum, dass sich Demokratie „ereignet“, sondern darum, dass der Schein gewahrt wird und die Netzwerke hinter den demokratischen Strukturen nicht durch demokratischen Übereifer gestört werden.

  7. An den Schulen und Berufsschulen lässt man Kinder- und Jugendvertreter wählen, denn da können die „Wähler“ den Hintermännern und -frauen dieses „Aushängeschilds des Landkreises (sic!, siehe auch https://www.oberhessen-live.de/2017/09/11/kreisjugendparlament-als-in-aushaengeschild-des-kreises/#more-122236) nicht weglaufen. Entsprechend hoch ist die Wahlbeteiligung – so um die 80 Prozent. Und notfalls helfen die Damen von der „Jugendarbeit“ oder sogar der Landrat und der Kreisjugenddezernent persönlich beim Stimmen auszählen (https://www.oberhessen-live.de/wp-content/uploads/2018/05/KJP_Wahl_Auszaehlung.jpg). Und trotz dieser eher paternalistisch oder inklusiv wirkenden Betreuung und Beaufsichtigung fehlt es nicht an Aufforderungen aus Politikermund, „dem Kreisausschuss den Spiegel vor zu halten“, Anregungen zu geben, „wie es besser gehen“ könne, sich einzumischen und mit „forscher Energie die Themen zu uns“ [den Politikern] zu bringen.
    Beim Kreis-Seniorenbeirat geht es nicht ganz so forsch und engagiert zu. Hier sollten sich eigentlich die in den örtlichen Seniorenbeiräten gewählten Seniorenvertreter versammeln. Doch in ca. der Hälfte der Vogelsberger Städte und Gemeinden gibt es gar keine Seniorenbeiräte. Vom Landrat verdonnert, den Kreis-Seniorenbeirat gefälligst mit Vertretern zu beschicken, schickt man halt irgendwen. Da denkt man unwillkürlich an Bismarcks giftiges Bonmot über den Unterschied von Geschickten und Gesandten (gegenüber einem Diplomaten: „Sie sind ein Gesandter und kein geschickter!“). Aber auch im Kreisseniorenbeirat sollen die älteren Vogelsberger eigentlich ihre Interessen vertreten. Eigentlich.
    Weder KJP-Delegierte noch Kreis-Senioren verhalten sich allerdings in diesem Sinne „politisch“. Die Kinder- und Jugendparlamentarier müssten eigentlich zu allererst einmal fragen, wie es denn in ihren Schulen um die Schülervertretung steht und im Vogelsbergkreis um die Stadtjugendringe bzw. den Kreisjugendring, in dem die örtlichen Jugendorganisationen und Vereine organisiert sein sollen. Von diesen unabhängigen Gremien, die seit vielen Jahrzehnten bestehen und sozusagen zur demokratischen Erstausstattung der Bundesrepublik Deutschland gehören, hört und liest man überhaupt nichts. Gibt es die noch? Und warum werden die nicht mit entsprechendem Politikerauftrieb gewürdigt und gefördert? Und der Kreis-Seniorenbeirat? Sollte da nicht erst mal Ordnung im eigenen Haus geschaffen und dafür gesorgt werden, dass jede Gemeinde ihren Seniorenbeirat bekommt? Dafür ließe sich doch „forsch“ eintreten und gewaltig trommeln. Und auch die Senioren könnten doch dem Kreisausschuss mal den Spiegel vorhalten, in dem man dann viele potemkinsche Dörfer, aber keine Einrichtungen zur Entlastung pflegender Angehöriger oder Unterstützungsangebote für Senioren sehen würde, die so lange wie möglich in den eigenen vier Wänden selbständig leben möchten. Stattdessen wurde eine Initiative gegen die Vereinsamung alter Menschen (https://www.focus.de/regional/hessen/vogelsbergkreis-kreis-seniorenbeirat-nachbarschaftsquartiere-gegen-die-vereinsamung_id_7142913.html) zurück gezogen. Und pünktlich zur Landratswahl waren die „Fälle trauriger Vereinsamung“ plötzlich nicht mehr vorhanden und der Kreis-Seniorenbeirat meldete sich über die Kreispressestelle (https://www.vogelsbergkreis.de/Ansicht.1066.0.html?&tx_ttnews%5Btt_news%5D=7824&cHash=0e8fab496c0c9895cb49ae2377406321) mit dem Thema „Auch im Alter lässt es sich im Vogelsberg gut leben“ zu Wort.
    Was zeigen uns diese Beispiele? Die „Stärkung der Demokratie“ wird schnell ad absurdum geführt, wenn entsprechende „Projekte“ nur der Selbstaufwertung der Lokalpolitiker dienen und für deren Bestreben, sich im Amt zu halten, instrumentalisiert werden!

  8. Die Event-Demokratie lässt grüßen. Und die Kinder und Jugendlichen machen „Aktionen“, statt sich darüber zu verständigen, welche Forderungen im Interesse der Schüler und Auszubildenden an die Politik zu stellen wären. Hier schmücken sich die Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung gern mit angeblichen Beispielen gelebter Demokratie, brauchen aber selbst offensichtlich Nachhilfeunterricht zum Thema Demokratisierung der Gesellschaft. So sollte den jungen Menschen frühzeitig vermittelt werden, dass man die Strukturen der Gesellschaft verstehen muss, um wirkungsvoll politisch zu handeln. Und um die immer wieder neu entstehenden Probleme auf wirtschafts-, bildungs-, sozialpolitischem Gebiet usw. zu lösen, braucht man nicht nur eine Meinung, sondern Ahnung. Plätzchen backen für wohltätige Zwecke und ähnliche Aktionen sind lieb und nett. Mit politischer Bildung oder gar demokratischer Beteiligung hat das jedoch nicht viel zu tun.

  9. „Demokratie ist vielfältig und besteht nicht nur aus den Entscheidungen der Politiker auf Bundesebene, sondern fängt bereits im Kleinen an.“
    Angesichts des föderalen Aufbaus Deutschlands (Bundesstaat) und der Tatsache, dass in Hessen demnächst eine Landtagswahl stattfindet, von der kommunalen Selbstverwaltung einmal ganz abgesehen, rennt diese Botschaft allerdings offene Türen ein. Und es stellt sich angesichts der Mega-Demokratie-Institutionen, um die es in dem Film tatsächlich geht, nämlich Seniorenbeirat, Kinder- und Jugendparlament und dergleichen Kleinkram, die Frage, was es dort denn zu entscheiden gibt, so dass von Demokratie überhaupt die Rede sein kann. In einer repräsentativen Demokratie, in der der „Volksvertreter“ nicht dem Volk, sondern lediglich seinem individuellen Gewissen verpflichtet ist sowie der Partei, die ihn als Kandidaten aufgestellt hat, ist es noch schwerer zu vermitteln, dass irgendwelche Vertreter von Senioren, Kindern und Jugendlichen usw., die nicht einmal die Entscheidungsfreiheit haben, sich selbständig an die Öffentlichkeit zu wenden und ihre Meinung kund zu tun, geschweige denn über ihre Belange irgend eine wirksame Entscheidung zu fällen, sich bei ihrem Tun in unser demokratisches System einüben. Das Spielen mit dem Kaufmannsladen bringt auch keine Einzelhändler hervor. Und wer sein Spielzeugauto hin und her schiebt, bekommt dafür später keinen Führerschein. Statt Demokratie-Spielchen für Alt und Jung zu veranstalten, sollte man vielleicht einmal darüber nachdenken, wie man das Volk tatsächlich an wichtigen politischen Entscheidungen stärker beteiligen und den Einfluss der Parteien zurückdrängen kann. Schon die Herstellung maximaler Transparenz von politischen Entscheidungsprozessen wäre ein großer Gewinn. Wo es kaum noch möglich ist, den Volkswillen gegen massive Wirtschafts- oder sonstige Lobby-Interessen zur Geltung zu bringen und die Mächtigen zu kontrollieren, sollte man den Menschen nicht die Illusion einreden, es diene der Demokratie, sich in lächerlichen Pseudo-Gremien selber froh zu machen. Aber zum Glück geht ja nach der Kinovorführung wieder das Licht an und man wird in die Wirklichkeit entlassen.

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