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Prozessfortsetzung um den Mordfall Johanna Bohnacker – Rick J. weitere widersprüchliche Details bekannt„Die Eltern haben das Recht zu erfahren, was mit ihrer Tochter passiert ist“

GIEßEN (akr). 1999 wurde die damals achtjährige Johanna Bohnacker entführt, missbraucht und getötet. 2017 – 18 Jahre nach der Tat – wurde Rick J. als mutmaßlicher Täter festgenommen und muss sich seit April vor Gericht verantworten. „Die Eltern haben das Recht zu erfahren, was mit ihrer Tochter passiert ist“, soll er bei seiner Festnahme gesagt haben. Doch während der Verhandlung verstrickt Rick J. sich immer weiter in Widersprüche.

Punkt 10 Uhr am Dienstagvormittag im Landgericht Gießen. Der Prozess um Rick J., den Angeklagten im Mordfall um Johanna Bohnacker wird fortgesetzt. Sechs Zeugenaussagen stehen an – unter anderem die beiden aktiv Beteiligten Ermittler Kessler und Koch vom Polizeipräsidium Mittelhessen, die Rick J. Im Oktober festnahmen, sowie dessen ehemaliger Freund René A. Drei Tage werden bei ihren Aussagen eine besondere Rolle spiele: Der Tattag des 2. September 1999, der Tag der Festnahme am 25. Oktober 2017 und der 10. Januar 2018, als die zuständigen Ermittler und Staatsanwalt Thomas Hauburger den Beschuldigten in der Justizvollzugsanstalt in Gießen besuchten.

25. Oktober 2017: Die Festnahme

„Es klingt verrückt, aber es verlief einvernehmlich und harmonisch“, beschreibt Kessler den 25. Oktober des letzten Jahres. Gemeinsam mit seiner Kollegin, der Ermittlerin Koch, die als zweite Zeugin an diesem Tag geladen ist, nahm er Rick J. am besagten Mittwoch in seiner Wohnung in Friedrichdorf im Hochtaunuskreis fest. Als sie vor der Tür standen, sollen sie ihn angerufen, sich als Polizei zu erkennen gegeben und ihn gebeten haben, die Tür zu öffnen. Rick J. ließ die Beamten eintreten. Die Beamten legten ihm den Durchsuchungsbeschluss vor, schilderten den Tatverdacht und verkündeten schließlich, dass er festgenommen sei.

Auf diesen Schock hin habe sich Rick J., schwer atmend und am ganzen Körper zitternd erst einmal auf sein Bett gesetzt und sich eine Zigarette angesteckt. Die Beamten fragten ihn, wie er sich fühle. „Ich bin vernehmungsfähig“, soll er gesagt haben Rick. Er kenne sich aus. Schon öfter habe er Kontakt mit der Polizei gehabt. „Es wird ja wohl etwas länger dauern“, sagte der Angeklagte damals und packte ein paar Bücher und Zigaretten ein, ging noch einmal auf Toilette und kämmte sich die Haare. Anschließend ging es mit dem Transporter weiter zur rund 45 Minuten entfernten Dienststelle.

Im Vernehmungsraum angekommen, legten ihm die Ermittler die Spuren vor, die ihn als Tatverdächtigen überführt hatten. Der VW-Jetta, nachdem die Polizei gesucht hatte,  die Faserspur am Klebeband sowie der Fragment-Fingerabdruck. Dann folgte Stille. Mehrere Minuten habe der Angeklagte stillschweigend am Tisch gesessen, die Augen geschlossen, den Kopf auf der Hand abgestützt. „Ich möchte auf Toilette, dann mache ich eine Aussage“, sagte er als er den Kopf wieder hob. „Die Eltern haben das Recht zu erfahren, was mit ihrer Tochter passiert ist. Ja, sie haben recht, ich bin verantwortlich“, begann Rick J. seine Aussage. „Die Atmosphäre entsprach eher einem Kaffeekränzchen, das war sehr skurril“, ergänzt Koch bei ihrer Aussage.

Rick J. wurde mit Handschellen zum Prozessauftakt in der Gerichtssaal geführt.

10. Januar 2018: Der Besuch in der JVA

Monate später – Rick J. sitzt zu diesem Zeitpunkt bereit in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt in Gießen –  musste sich der Angeklagte erneut den Fragen der Ermittler, die ihn gemeinsam mit Staatsanwalt Thomas Hauburger besuchten, stellen. Nicht direkt den Anklagepunkt betreffend, wie Ermittlerin Koch im Zeugenstand sagt, sondern mit weiteren Details aus seinem Leben. Immer wieder wird der 41-Jährige in sexueller Hinsicht mit Jugendlichen in Verbindung gebracht. Für jede Frage hat Rick J. eine Erklärung parat – wenn auch eine widersprüchliche.

Bei der Wohnungsdurchsuchung wurde Kinderbekleidung für Mädchen gefunden, mit dabei eine Jacke eines kleinen Mädchens, die im Sommer 2008 von einem fremden Mann angesprochen wurde. Die Eltern des Mädchens haben das mitbekommen, der besagte Mann ging weg und nahm die Jacke mit – die Jacke, die bei Rick J. gefunden wurde. Der Angeklagte soll damals abgestritten haben, dass er dieser Mann gewesen sei. Er habe die Jacke zwar gefunden, ein Mädchen aber nie angesprochen.

2009 wurde die zur Tatzeit elfjährige Rosa vergewaltigt, meldete sich aber erst Jahre später bei der Polizei. Der Angeklagte war in Besitz von Filmmaterial, auf dem die kleine Rosa zu sehen ist. Ihr Gesicht könne man zwar auf den Aufnahmen nicht sehen. Sie habe sich aber selbst eindeutig auf den Aufnahmen erkannt, die silberne Steppjacke, der große 4You-Schulranzen. Auch in diesem Fall, erzählt Koch, stritt Rick J. die Vergewaltigung ab. Er habe sie gefilmt, weil sie Ähnlichkeit mit seiner damaligen Freundin hatte. Angerührt habe er sie aber nicht.

Immer wieder wurden sexuelle Handlungen mit Kindern aus dem Leben von Rick J. thematisiert, beispielsweise als er im Schwimmbad mit 19 Jahren sexuellen Kontakt mit einer Elfjährigen hatte. Das ist ihm zufolge aber einvernehmlich gewesen, so wie bei den Fesselspielen mit der 14-Jährigen in einem Maisfeld in der Wetterau. Koch erzählt, dass in der Wohnung des Angeklagten viele Kisten gefunden wurden, in denen er Notizen sammelte. Bereits im Alter von zehn bis zwölf Jahren habe er seine sexuellen Gedanken niedergeschrieben. In den Notizen tauchten immer wieder Namen von Mädchen auf – was es damit auf sich habe, sei noch unklar. Bei einem Namen gerieten die Ermittler allerdings ins Stutzen: Melli Frank. Das Mädchen Melanie Franke verschwand im Juni 1999 im Alter von 13 Jahren in Wiesbaden, zehn Jahre später wurde ihre Leiche an einem Waldgelände gefunden. Und wieder habe der Angeklagte gesagt, dass er damit nichts zu tun habe. Bei dem Namen auf dem Zettel soll es sich wahrscheinlich um eine Partybekanntschaft gehandelt haben. „Ich bin davon überzeugt, dass ich es nicht war“, soll Rick J. auf die Frage geantwortet habe, ob er auch dieses Verbrechen zu verantworten habe.

Neben diesen Notizen wurde auch ein alter Überweisungsschein gefunden, auf dem die Zahlen 02091999 geschrieben standen – das Datum, an dem Johanna Bohnacker verschwand und starb. Auch hier habe sich der Angeklagte versucht raus zu reden. Ihm zufolge handelte es sich dabei lediglich um einen Wiederherstellungscode für ein Online-Spiel.

2. September 1999: Der Tattag

Der letzte Zeuge des Verhandlungstags: René A, ein ehemaliger Freund des Angeklagten. Mit ihm soll Rick J. Drogen konsumiert und Partys gefeiert haben. Er schildert, wie er Rick 18 Tage nach der Tat, am 20. September, auf einem Parkplatz angetroffen habe. Der Angeklagte soll ihn um ein Alibi für den 2. September gebeten haben, weil er angeblich Probleme mit einer Drogengeschichte hatte. Von diesem besagten Alibi hört das Gericht zum ersten Mal.

Staatsanwalt Thomas Hauburger.

Kurz nach der Tat sei er schon von der Polizei angerufen worden. Damals sagte er aus, er sei in der Nacht vom 1. auf den 2. September mit Rick J. unterwegs gewesen. René A. verschafft seinen ehemaligen Freund kein Alibi. Hauburger wird stutzig: „Wieso haben Sie der Polizei nichts davon erzählt, dass Sie um ein Alibi gebeten wurden?“. Das wisse er nicht, sagt der Zeuge. Ob es sich bei diesem Zeugen um den Freund aus der Nacht vor der Tat handelt, von dem auch Rick J. erzählte, ist unklar. Dafür gibt es laut Hauburger noch keine Beweise. Seine ständig wechselnden Aussagen würden das nicht leichter machen.

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