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Unterwegs auf einer AfD-Demo in Erfurt – Warum Heimatliebe keine Probleme löstAngst, Wut und Hetze am Fuße des dunklen Doms

ALSFELD/ERFURT. Es brodelt in Erfurt: Seit gut einem Monat folgen Mittwochs Tausende dem Aufruf der Thüringer AfD, um auf dem Domplatz der Landeshauptstadt gegen „Asylmissbrauch“, „Überfremdung“ und die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung zu demonstrieren. Parolen, Plakate und Publikum ähneln der Pegida-Bewegung. Unser Redakteur Juri Auel studiert in Erfurt und hat für uns eine Demonstration der AfD besucht. 

Der Erfurter Dom. Vor über 800 Jahren erbaut, thront er seitdem auf einem Berg über der Stadt. Nachts tauchen Scheinwerfer das altehrwürdige Wahrzeichen in warmes Licht. Ein Selfie vor dem beleuchteten Dom – Pflicht für alle Erfurt-Touristen. Doch an diesem Mittwoch bleibt der Dom dunkel. Das Gemäuer wird vom Schwarz der Nacht verschluckt, der dicke Nebel über der Stadt tut sein Übriges. Die sonst eindrucksvolle Kulisse ist nicht mehr als ein grauer Klumpen am Horizont.

Die Verdunklung hat Methode, ist Teil einer politischen Aktion: Mit dem Ziehen der Scheinwerfer-Stecker protestiert die Katholische Kirche gegen das, was sich seit einigen Wochen Mittwochs unterhalb des Doms abspielt. Die Teilnehmerzahlen schwanken, zwischen 4000 und 8000 Menschen folgen seit Ende September regelmäßig dem Aufruf der Thüringer AfD und versammeln sich zur Demonstration am Fuße des Gotteshauses.

Das Thema Flüchtlinge bestimmt derzeit die Agenda des gesamten Landes. Doch während bei Bürgerversammlungen im Vogelsberg sich die Leute vor allem hilfsbereit und verständnisvoll gezeigt haben, zieht es anderen Orts die Menschen zu Tausenden auf die Straße. Das Merkel’sche „wir schaffen das“ ist für sie Alptraum, Utopie und Lächerlichkeit in einem, so scheint es. Ihnen stehen zwar auch in Erfurt viele Gegendemonstranten gegenüber, dennoch scheint das Thema die Leute hier anders zu beschäftigen als in meiner Heimatregion. Alsfeld hat weder einen Mini-Pegida-Ableger noch gab es irgendwelche nennenswerten Proteste gegen die Umwandlung von vier Turnhallen in Notunterkünfte.

Ich studiere in Erfurt Staats- und Geschichtswissenschaften, alles mit dem Ziel, später mal als Journalist mein Geld zu verdienen. In der Uni besuche ich Seminare zu Themen wie Rechtspopulismus, Krisenmanagement oder Politikverdrossenheit. All das sensibilisiert und macht neugierig.

Demo von oben: Ein Blick auf den Erfurter Domplatz während der AfD-Kundgebung. Der sonst beleuchtete Dom blieb aus.

Demo von oben: Ein Blick auf den Erfurter Domplatz während der AfD-Kundgebung. Der sonst beleuchtete Dom blieb im Dunkeln. Foto: Anja Traute

„Ich muss da hin, ich muss mir selbst ein Bild von diesen Leuten machen. Das ist meine Pflicht – als angehender Journalist, als Politikstudent und als bekennender „Gutmensch“, sagte ich mir. Gleichwohl ob schon dutzende andere Reporter mit den „besorgten Bürgern“ gesprochen haben – oder es zumindest versuchten – es zog mich einfach auf den Domplatz.

Lagebesprechung am Moskauer Platz

Vergangenen Mittwoch, kurz nach fünf Uhr Abends in meiner Wohnung in der schick sanierten „Platte“ am Moskauer Platz. Lagebesprechung mit zwei guten Freunden: Linda Schmiedel und Chris Jakob. Wir gehen nochmal unseren Plan für diesen Abend durch, bevor wir uns auf den Weg in die Innenstadt machen. Dass ich mir Verstärkung geholt habe, hat mehrere Gründe: Zum einen soll an diesem Abend parallel zu diesem Text ein Video entstehen – und sich alleine mit der Kamera, einem Stativ und einem Mikro durch eine Demo zu wühlen, wenn man einen halbwegs vernünftigen Beitrag produzieren will, ist eher so mittel-gut.

Zum anderen ist es schlicht eine Frage der Sicherheit. Mehrfach berichteten Journalisten bereits, auf ähnlichen Veranstaltungen geschlagen oder getreten worden zu sein. Dagegen ist das Lügenpresse-Geschreihe und die Totalverweigerung von Interviews ja noch harmlos. Auf vorherigen Demos in Erfurt wurden zudem Vertreter der stramm rechten Szene gesichtet, die laut Aussage von Beobachtern auf Krawall aus sind. Begleitung kann da also nicht schaden.

Als wir eine Dreiviertelstunde vor Beginn der AfD-Demo eintreffen, hat die Polizei bereits Stellung bezogen. Wellenbrecher und ein Kette aus Mannschaftswagen teilen den Domplatz in zwei Hälften. Dort, wo später die Gegendemonstranten stehen werden, haben kreative Köpfe wie in der Woche zuvor den Asphalt mit Kreide bemalt. Mit Sprüchen wie „Nazis essen heimlich Döner“ veräppeln die Befürworter eins offenen Erfurts die andere Seite der Absperrung.

 

„Test, eins zwei, eins zwei“, schallt es uns vom anderen Platz entgegen. Während die Technik noch am Sound tüftelt, stehen die ersten Demonstranten auf der AfD-Seite bereits vor der Bühne. Die Umrisse von Flaggen an Stangen, die lässig auf Schultern liegen, sind durch den Nebel in der Ferne zu erkennen. Die Scheinwerfer der Kamerateams leuchten im Dunklen. Der Dom ist trotzdem nicht zu sehen.

Werden die Leute mit uns sprechen? Werden wir beschimpft, wird vielleicht sogar jemand hangreiflich? Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, ich sei nicht aufgeregt, als wir den Platz betreten und die Demonstranten ansteuern. Linda hat das Mirko in der Hand, sie wird heute Abend die Fragen stellen. Wenn ein nettes Mädel mit sächsischem Akzent freundlich auf die Thüringer Wutbürger zu geht, bekommen wir vielleicht am ehesten ein paar Antworten, dachten wir im Vorfeld – und kamen uns dabei schon ein wenig komisch vor.

Aber die Idee mit dem „Vertrauen schaffen“ scheint nicht die dümmste gewesen zu sein.  Es gibt sie zwar, die Leute, die flüchten, wenn unser Kameralicht sie trifft. Die uns des Lügens bezichtigen, den Kopf schütteln, sich rumdrehen, wenn man sie fragt, warum sie denn heute auf den Erfurter Domplatz gekommen sind.

Doch wir finden auch ein paar willige Gesprächspartner. Die Erklärung, wir seien Studenten, die für ein Online-Magazin berichteten und nicht für einen großen Fernsehsender, hilft, das anfängliche Bedenken der Menschen zu brechen.

Wut, Angst und Hass

Was wir zu hören bekommen, ist eine Mischung aus Wut und Angst. Manche der Argumente klingen nachvollziehbar, andere zeugen lediglich von Hass und Abscheu gegenüber dem Unbekannten. Die Leute haben Angst vor steigender Kriminalität und zu hohen Kosten. Angst, durch die Aufnahme von zu vielen Flüchtlingen etwas von ihrem eigenen Lebensstandard abgeben zu müssen. Angst, Deutschland werde sich verändern. Und Wut darüber, dass Politiker und die Medien das ignorieren und die Realität verleugnen würden.

Da ist zum Beispiel ein Mann, der vielleicht Anfang 60 ist. Er fürchte sich, in der Stadt, in der er aufgewachsen sei, plötzlich fremd zu sein, sagt er. Als Taxifahrer sei er 18 Jahre lang durch Erfurt gefahren. Nicht alle, aber einige Ausländer seien abgehauen ohne zu zahlen. Außerdem habe man ihm die Scheibe eingetreten und eine Pistole an den Kopf gehalten. Die Täter, Immigranten, habe man nie geschnappt.

"Ich habe Angst, meine Wohung zu verlieren", sagte dieser ehemalige Taxifahrer.

„Ich habe Angst, meine Wohung zu verlieren“, sagt dieser ehemalige Taxifahrer.

Er sieht noch ein ganz anderen Problem: Die ganzen Flüchtlinge müssten ja auch irgendwo hin – und Wohnraum sei nun mal knapp. „Unsere Regierung ist ein Rechtsstaat“, sagt er, „und da habe ich doch auch das Recht auf bezahlbaren Wohnraum.“ Zwei Mieterhöhungen habe er in der jüngsten Zeit schon verkraften müssen. Jetzt, habe er Angst, seine Wohnung ganz zu verlieren.

„Die kleinen Schleuser sperrt man ein und die großen Schleuser, die lässt man laufen, lässt sie sogar regieren, lässt sie unser schönes Land regieren“, echauffiert sich ein Herr mit einer großen Thüringenflagge über den Schultern. Jeder Ausländer müsste registriert werden, sagt er. Leute aus sicheren Drittstaaten solle man sofort „mit allen Mitteln abschieben. „Weil die haben hier nichts zu suchen“. Er habe Angst, auf die Straße zu gehen. Jederzeit könne irgendwo eine Bombe explodieren.

Fürchtet sich vor Bomben-Attentaten: "Ich habe Angst, auf sie Straße zu gehen", sagte dieser Mann zu uns.

Fürchtet sich vor Bomben-Attentaten: „Ich habe Angst, auf sie Straße zu gehen“, sagte dieser Mann zu uns.

„Der Islam ist auf den Fall eine feindliche Religion, die das Ziel hat, das Christum umzubringen“, sagt er weiter. Auf das Argument, viele der Menschen würden doch gerade vor dem islamistischen Terror hierher fliehen, antwortet der aufgebrachte Mann, Putin werde in Syrien „Ordnung machen und den Islamischen Staat bekämpfen“. Die Amerikaner und insbesondere die jüdische Bänkersfamilie Rothschild hätten die Terroristen lange genug unterstützt. Zumindest der letzte Teil seiner Behauptung lässt sich guten Gewissens als altbekannte Verschwörungstheorie bezeichnen.

Sieht man häufiger auf Pegida- und AfD-Demos: Die Widerstandsflagge. Sie sollte das Hakenkreuzbanner nach dem erfolgreichen Stauffenberg-Attentat ersetzen.

Sieht man häufiger auf Pegida- und AfD-Demos: Die Widerstandsflagge. Sie sollte das Hakenkreuzbanner nach dem erfolgreichen Stauffenberg-Attentat ersetzen.

Immer wieder tauchen Fahnen auf dem Platz auf, die uns unbekannt sind. „Entschuldigung, können Sie mir sagen, was das für eine Flagge ist?“, fragt Linda einen etwas kräftigeren, jungen Mann in schwarzer Jacke. Die Fahne, die um seine Stange gewickelt ist, zeigt ein schwarz-gelbes Kreuz auf rotem Grund. „Diese hier?“, entgegnet der Mann, „die Widerstandsflagge“.

Wäre 1944 das Stauffenberg-Attentat auf Hitler erfolgreich gewesen, hätte diese Flagge das Hakenkreuzbanner ersetzen sollen. Genau wie die Attentäter damals leisteten die Leute auf dem Domplatz Widerstand gegen den Staat, sagt der Mann. Die Grenzen müssten dicht gemacht werden, so könne es nicht weitergehen.

„Ich steh‘ für mein Land ein“, sagt eine Frau, nicht älter als 35 Jahre. Sie und ihr Begleiter haben mehrere Deutschlandfähnchen im Gepäck. Auf die Frage, welche Werte es denn zu verteidigen gelte, bekommen wir leider nur die etwas kryptische Antwort „deutsch!“ zu hören. Sie fühle sich in Gefahr, belästigt in ihrem eigenen Land, sagt die Frau etwas einsilbig.

„Das ist überhaupt nicht böse gemeint“

Natürlich seien wir verpflichtet zu helfen, sagt der Mann neben ihr. Doch alles habe seine Grenzen. Und das sei „auch überhaupt nicht böse gemeint“, unterstreicht er, doch wenn wir so weiter machen würden, dann gäbe es „uns“ in drei Generationen vielleicht nicht mehr. „Und das möchte ich einfach nicht, weil das steht glaube ich jedem Volk zu, einen gewissen Selbsterhalt auch als Schutz zu betreiben“, sagt er in freundlichem, aber bestimmtem Ton.

Mehrere Demonstranten sagen, das letzte Mal, dass sie auf die Straße gegangen sind, sei 1989 gewesen. Schon irgendwie interessant.

Der Platz hat sich gefüllt. Die studentische Initiative Crowd Counting, die sich mit dem Schätzen von Teilnehmerzahlen von Großveranstaltungen befasst, wird am Ende des Abends zwischen 3500 und 4500 Demonstranten auf der AfD-Seite gezählt haben. Die Anzahl der Gegendemonstranten schätzt die Polizei auf 2000.

Im Licht der Bühnenscheinwerfer recken die Demonstranten ihre Transparente in die Nacht. „Was geschieht mit unserer Heimat? Unseren Kindern? Unserer Zukunft? Stoppt den Asylwahnsinn bevor es zu spät ist“, ist dort zum Beispiel zu lesen. Ein anderes zeigt „Mutti Multikulti“ Angela Merkel mit Kopftuch. „Unsere Heimat bleibt deutsch!!!“ fordert jemand. Eine Frau zündet eine Friedenskerze an.

Die Forderungen Schwarz auf Gelb: Ein Plakat auf der Erfurter AfD-Demo.

Die Forderungen Schwarz auf Gelb: Ein Plakat auf der Erfurter AfD-Demo.

Ich bewege mich durch die Menschenmenge, als die ersten Redner das in schwarz-rot-gold gehüllte Pult betreten. Schon bald sind die von Pegida-Demos bekannten Slogans zu hören. „Wir sind das Volk!“, ruft die Masse. „Merkel muss weg!“ „Volksverräter!“ „Lü-gen-pres-se!“. Im Hintergrund lärmen derweil schon die Tröten und Pfeifen der Gegendemonstranten, die nach einem Marsch durch die Innenstadt an ihrer Hälfte des Domplatzes angekommen sind.

Begleitschutz für das Fernseh-Team

Ein Fernseh-Team wühlt sich vor mir durch die Demonstranten. Hinter den Journalisten trottet ein Muskelprotz mit Knopf im Ohr hinterher. Auch die Kollegen gehen also lieber auf Nummer sicher. Mir droht jemand „mit einer Beule“, falls ich Aufnahmen von ihm und seiner Gruppe veröffentlichen würde. Ansonsten lässt man mich an diesem Abend relativ in Ruhe meine Arbeit machen.

Immer wieder brandet Applaus auf, sind „Jawoll!“-Rufe zu hören, wenn der Redner aus Sicht einer Zuhörer einen Punkt gelandet hat. Wenn Wiebke Muhlsal, Vorsitzende der Jungen Alternative Thüringen, sich zum Beispiel zeitgleich über zu hohe Steuern für Familien auf der einen und zu hohe Sozialleistungen für die selben auf der anderen Seite beschwert. Letztes würde den Eindruck erwecken, die Familien „würden am Tropf der Solidargemeinschaft hängen.“ Der Staat soll also Familien weniger fördern, um sie zu unterstützen? Es gibt schlüssigere Argumentationsketten.

Schnappschuss im Dunkeln: Ein Beobachter fotografiert mit seinem Smartphone die Erfurter Demo.

Schnappschuss im Dunkeln: Ein Beobachter fotografiert mit seinem Smartphone die Erfurter Demo.

Dr. Christina Baum, Sprecherin des AfD-Kreisverbandes Main-Tauber, erzählt, sie sei damals selbst aus der DDR geflohen. Darf man als Flüchtling eigentlich gegen andere Flüchtlinge wettern? Zugegeben, die Frage ist böse. Aber sie blitzt nunmal auf, wenn man einen solchen Satz auf einer AfD-Demo zu hören bekommt. Sie sei wegen der Meinungsdiktatur geflohen, sagt Baum und fügt an, sich heute erneut in ihrer Meinungsfreiheit beengt zu fühlen. AfD-Mitglideer müssten Repressionen fürchten. Wer sich für Anliegen der Partei engagiere, könne seinen Job verlieren.

Markus Frohnmaier, Bundesvorsitzender der Jungen Alternative, ist als Gastredner eingeladen. Der 23-Jährige in brauner Jacke und grauem Kaputzen-Pulli wettert in einer besonders scharfen Wut-Rede gegen die Gegner der AfD-Politik. „Ich sage diesen linken Gesinnungsterroristen, diesem Parteienfilz ganz klar: Wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet, dann wird wieder Politik für das Volk und nur für das Volk gemacht – denn wir sind das Volk, liebe Freunde“. „Wir-sind-das-Volk“, tönt es mit Nachdruck danach über den Domplatz.

„Patriotismus ist Liebe zu den Seinen; Nationalismus ist Hass auf die anderen“, hat Ex-Bundespräsident Richard Freiherr von Weizsäcker mal gesagt. In Erfurt verschwimmt diese Grenze.

Will "aufräumen", wenn die AfD an die Macht kommt: Markus Frohnmaier, Bundesvorsitzender der der Jungen Alternative, der Jugendorganisation der AfD.

Will „aufräumen“, wenn die AfD an die Macht kommt: Markus Frohnmaier, Bundesvorsitzender der der Jungen Alternative, der Jugendorganisation der AfD.

Fahnen wehen, die Transparente wippen auf und ab.“ Höcke, Höcke, Höcke“, johlt die Menge. Björn Höcke, Fraktionsvorsitzender der AfD im Thüringer Landtag und Hauptredner des Abends, tritt an das Pult. Der rechtskonservative Politiker weiß genau Bescheid über die Macht der Bilder und der Provokation. Merkel spricht er stets mit „Frau unverehrte Bundeskanzlerin“ an.  Er weiß, dass ihm Sendezeit in den großen Nachrichten sicher ist, wenn er seine Zuhörer wöchentlich voller völkischem Pathos mit einem steigernden Dreiklang begrüßt: „Erfurter, Thüringer, Deutsche!“, ruft er. „Und Europäer“ fügt er an diesem Mittwoch noch an.

Er weiß, dass ihn diese Provokationen bekannt machen. Und er weiß auch, wie sehr ihn die Masse dafür feiert, wenn er im selben Moment die Reporter verspottet, weil die ja nur auf genau solche Zitate von ihm warten würden. Ob er denn auch in die Tagesschau käme, wenn er eine „staatsmännische Rede“ halten würde, fragt Höcke die Kameraleute spöttisch. Die Menge lacht, „Lü-gen-pre-se! Lü-gen-pres-se!“, schallt es wie auf Knopfdruck.

Ihn wollten die Erfurter hören: Björn Höcke, Chef der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag.

Ihn wollten die Erfurert hören: Björn Höcke, Chef der AfD-Fraktion im Thüringer Landtag.

Höcke gilt mittlerweile als Scharfmacher und äußerster Hardliner der Partei, der selbst einigen in der AfD zu weit rechts steht. Erst vor kurzem distanzierte sich Frauke Petry, Bundesvorsitzende der AfD, und selbst durch manch fremdenfeindlichen Spruch bekannt geworden, von ihrem Thüringer Abgeordneten. Höcke fehle es an Sachlichkeit, hieß es. Beobachter sprechen von einem Machtkampf.

Die Rede eines Klassensprechers

Die Performance seiner Rede am Mittwoch ist rhetorisch jedenfalls mit der eines Klassensprecher-Kandidaten vergleichbar. Die Pointen wirken künstlich und gezwungen. Ein fesselnder Redner ist Höcke nicht. Doch der Inhalt birgt durchaus politischen Sprengstoff. Das Grundrecht auf Asyl solle mit einer Obergrenze versehen werden, Merkels „politischer Amoklauf“ gefährde den gesamten aufgeklärten Kontinent, Afrika leide an einem „Geburtenüberschuss“, deswegen kämen so viele Flüchtlinge zu uns. Höcke nimmt weiter die bekannte Metapher des europäischen Hauses und vergleicht die Flüchtlingskrise mit einem Wasserrohrbruch, der das Haus zu fluten drohe. „Grenzen dicht und zwar sofort“, ruft der ehemalige Geschichtslehrer über den Platz. Applaus.

Wir machen uns auf den Weg. Die Gegendemo hat sich bereits zurückgezogen, doch am Anger, einem anderen zentralen Platz in Erfurt, finden wir noch ein paar Menschen fürs Video, die sagen, warum es für sie wichtig gewesen ist, der AfD die Stirn zu bieten. Man wolle diesen Leuten Erfurt nicht überlassen, sagen sie. Es sei wichtig, ein Zeichen zu setzen.

Hinter den Kulissen: Björn Höcke redet zu seinen Anhängern auf dem Domplatz.

Hinter den Kulissen: Björn Höcke redet zu seinen Anhängern auf dem Domplatz.

Mich selbst beschäftigen vor allem zwei Emotionen, als wir in die Straßenbahn nach Hause einsteigen. Es ist zum einen Freude. Freude, dass uns nichts passiert ist und wir wirklich ein paar Menschen gefunden haben, die offen mit uns sprechen wollten. Und dann, dann ist da noch die Sorge. Die Sorge, dass solche Demonstrationen mehr Zuspruch bekommen.

Das Management in der Flüchtlingskrise läuft alles andere als perfekt. Die Kommunen klagen über zu wenig Geld, es fehlt an Helfern, teilweise auch an Platz. Die Parolen der „besorgten Bürger“ bieten allerdings keine Lösungsansätze, die uns nicht dazu nötigen würden, das letzte bisschen Menschlichkeit der Moderne über Bord zu schmeißen.

Arme vs. Ärmere

Niemand sprach in Erfurt über Bauprogramme für neue Wohnungen. Das dauert Zeit, wäre aber ein praktikables Mittel, Platz zu schaffen. Nebenbei würde es unserer Wirtschaft gut tun. Kein Redner forderte von Ländern wie Ungarn oder Dänemark, die europäische Solidarität zu achten und mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Stattdessen wurden unter dem Deckmantel des Patriotismus lediglich die Armen gegen die Ärmeren aufgehetzt. „Nur wenn wir die Grenzen dicht machen, kann es diesem unseren Volk gut ergehen“, lautete die schlichte Botschaft der Redner. Was für ein Mumpitz!

Wollte ein Zeichen für ein weltoffenes Erfurt setzten: Ein Gegendemonstrant auf dem Erfurter Anger.

Wollte ein Zeichen für ein weltoffenes Erfurt setzten: Ein Gegendemonstrant auf dem Erfurter Anger.

Nein, die Menschen auf dem Erfurter Domplatz waren nicht alles Nazis. Und nein, nicht alle ihre Bedenken und Sorgen sollte man ignorieren. Doch rechter Populismus mit seinen einfachen Antworten, wie von der AfD propagiert, hat es eben schon einmal geschafft, Schande und Verderben über dieses Land zu bringen.

Deutschland ist ein Land mit besonderer Verantwortung

Deutschland ist ein Land mit besonderer Verantwortung und wird es immer sein. Wer sich heute bei uns hinstellt, Fahnen schwenkt und was von der Liebe zum eigenen Volk daher faselt, und Menschen, die vor Krieg und Terror fliehen, an der Grenze abweisen will, hat nichts aus der Geschichte gelernt. Es ist die verdammte, historische Pflicht dieses Landes, weltoffen, tolerant und ein sicherer Hafen für Schutzsuchende zu sein. Nicht für alle, aber das sagt ja auch keiner. Lediglich ein winziger Bruchteil der 60 Millionen Flüchtlinge auf der Welt will überhaupt nach Europa, geschweige denn nach Deutschland.

Probleme löst man mit cleveren Ideen, nicht mit Panikmache und schon gar nicht mit Hetze gegen Menschen, die bloß einen sicheren Ort zum Leben suchen. Erst wenn wir das schaffen, wenn wir auch in schwierigen Zeiten zeigen, dass unsere Werte wie Hilfsbereitschaft und Toleranz keine bloßen Floskeln sind, wenn wir keinen Hass mehr auf Flüchtlinge haben, die in unseren Turnhallen übernachten müssen, wenn wir ganz einfach Menschen sind, indem wir anderen Menschen in einer Notsituation helfen, erst dann wäre es vielleicht angebracht, stolz mit der Flagge unseres Landes auf dem Erfurter Domplatz zu stehen.

Von Juri Auel – mehr über den Autor 

3 Gedanken zu “Angst, Wut und Hetze am Fuße des dunklen Doms

  1. ErNi;
    „unsere Gesetze anwenden oder wenn und aber“
    Da traut sich jemand was, also Flüchtlingsstrom kplt. ohne wenn und aber des Landes verweisen bedeutet diese Aussage.

  2. Es ist so,
    wie im Kommentar geschrieben, die Menschen haben Ängste und diese wachsen immer weiter wenn keine konkrete Lösung kommt.Es wird in unserer Regierung um jeden Punkt „gepokert“, dabei haben wir bestehende Gesetze, man muß sie nur konsequent einhalten. Es kann doch nicht sein das eine Partei nur DIESES macht wenn die andere Partei JENES tut. Unsere Gesetze ohne WENN und ABER anwenden! !!!

  3. Ich habe in einer Internetzeitung mir mal Bilder aus den 60zigern und nach der Wiedervereinigung angeschaut. Sie ähneln den Bildern der heutigen Zeit. Der einzigste Unterschied ist, das die Asylanten kein Deutsch können und meist eine andere Religionsgemeinschaft angehören. Deshalb ist es sehr wichtig, das diese Menschen integriert werden und mit den Rechten und Pflichten des Deutschen Staates vertraut gemacht werden.
    – Da wird es noch sehr viel Arbeit geben, weil niemand Parallelgesellschaften haben will. Gerade dies sind die Ängste vieler Bürger, weil bisher Konzepte von der Politik noch nicht vorgestellt wurden.
    – Aber es wird ja wieder bald Wahlkampf in Deutschland geben und der wird dann nicht mehr so geräuschlos verlaufen wie in den vergangenen jahrzehnten, wie es auf den Fotos zu sehen ist.

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