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Nachtschicht auf dem 1. Polizeirevier in Frankfurt: Eva Goldbach und Corinna Offeneÿ von den hessischen Grünen wagten einen ungewöhnlichen SelbstversuchMenschliches aus Sicht der Menschen in Uniform

VOGELSBERGKREIS/FRANKFURT (ol). „Die Schutzweste ist schwer. Wie ein Panzer umschließt sie den Oberkörper. In wenigen Minuten sind die T-Shirts unter der Weste komplett durchgeschwitzt. Bereits in diesem Moment wächst unsere Achtung für die Beamtinnen und Beamten der Schutzpolizei immens.“ So beginnt die Vogelsberger Grünen-Landtagsabgeordnete Eva Goldbach ihren Bericht über einen ungewöhnlichen Selbstversuch, der ihr offensichtlich neue Eindrücke vermittelte.

Eva Goldbach, Landtagsabgeordnete Bündnis 90/Die Grünen und Mitglied im Innenausschuss sowie Corinna Offeneÿ, Leiterin des Wahlkreisbüros, wollten im Juli selbst erfahren, wie der Alltag bei der Polizei aussieht – und nahmen an einer Nachtschicht in Frankfurt teil. Anschließend verfassten sie einen Bericht, den wir für die Authentizität weitgehend im Wortlaut wiedergeben. Was die beiden Frauen erlebten: Alltag mit jungen Dieben, überhitzten Tieren, Gewalt in der Ehe, Drogen, Schläger, Lärmbelästigung – Menschliches aus Sicht der Menschen in Uniform.

„Im normalen täglichen Dienst schleppen sie mit ihrer Ausrüstung rund zehn Kilogramm zusätzliches Gewicht mit sich herum. Bei Einsätzen, beispielsweise auf Demos, erhöht sich diese Last auf das Doppelte. Auf sommerliche Hitze kann keine Rücksicht genommen werden.

Ein heißer Juliabend in der Frankfurter Innenstadt. Bei Außentemperaturen von über
30 Grad Celsius treten wir unseren Besuch bei der Nachtschicht auf dem 1. Revier an der Konstablerwache an. Vor dem Hintergrund der geplanten Einführung des sogenannten Schutzparagraphen 112 wollen wir uns einen Eindruck darüber verschaffen, was Polizeidienst in der Realität bedeutet. Welchen Anfeindungen, verbalen oder tätlichen Übergriffen sind die SchutzpolizistInnen auf Streife wirklich ausgesetzt? Wer hat heute überhaupt noch Respekt vor der Polizei? Was bringt der Einsatz von Bodycams?

 

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Am Anfang: Polizeioberkommissar Kirsch erklärt Eva Goldbach die Ausrüstung.

Um es gleich vorwegzunehmen: Leider – oder zum Glück – verlief die Nacht zumindest in dieser Hinsicht friedlich. Bei keinem der über zehn Einsätze gab es auch nur das geringste Anzeichen von Feindseligkeit oder Aggression gegenüber der Polizei. Im Gegenteil: Die allermeisten Personen bedankten sich bei den BeamtInnen oder entschuldigten sich für die Unannehmlichkeiten, die sie verursacht hatten.

Die 12-Stunden Schicht startet um 18:30. Im Einsatzwagen von Polizeioberkommissar (POK) Kirsch und Polizeioberkommissarin Wege ist genug Platz, so dass wir beide mitfahren können. Zunächst kommt jedoch kein Auftrag und für POK Kirsch bleibt noch Zeit, uns durch das Wachgebäude zu führen. Der Weg geht von der Zentrale, die nach den Krawallen zur EZB-Eröffnung im März jetzt endlich neue Fensterscheiben bekommen hat, über die Vernehmungszimmer bis hin zum Raum für die erkennungsdienstliche Behandlung und den voll gefliesten Ausnüchterungszellen im Keller.

Haben die Jugendlichen die Fahrräder gestohlen?

Kaum sind wir damit durch, geht es los: Am Opernplatz hat die Zivilstreife zwei Fahrradhehler auf frischer Tat ertappt und festgenommen. Ein zweiter Streifenwagen wird benötigt, um die Verdächtigen zur Wache zu transportieren. Als wir ankommen, bietet sich ein eher unspektakuläres Bild. Neben den sichergestellten Fahrrädern halten die zivilen Kollegen zwei Jugendliche in Handfesseln fest. Die Fahrt zur Wache verläuft schweigend. Die beiden mutmaßlichen Täter sind noch minderjährig, die Eltern werden informiert.

Einig sind sie sich in ihrer Aussage: Die Fahrräder wollen sie in einem Keller ihres Wohnhauses gefunden haben, niemand habe einen Besitzanspruch erhoben. Die Teenager geben an, die Räder aufgearbeitet und dann legal verkauft zu haben. Da das nicht gänzlich unglaubhaft klingt, beschließen die Zivilfahnder, sich den besagten Keller anzusehen. Glück gehabt hat der Eigentümer eines der gestohlenen Fahrräder: Die Polizei hat seinen Drahtesel eindeutig identifiziert und er kann ihn auf dem Revier abholen.

In einem Parkhaus soll ein Hund in einem Auto zurückgelassen worden sein. Als wir ankommen, ist es auf dem Parkdeck brütend heiß, die Lufttemperatur beträgt etwa 40 Grad. Wir machen uns eilig auf die Suche nach dem Tier und finden in einem aufgestylten Kleinwagen einen schwer hechelnden kleinen Hund. Wenigstens steht das Fenster einen Spalt auf. POK‘in Wege greift beherzt hinein und kann die Tür von innen öffnen. Das spürbar überhitzte Tier muss wohl schon länger in dem Wagen warten, denn als erstes erleichtert es sich ausgiebig. Vom Parkhausaufseher kommt der Tipp, die Besitzer in einem der anliegenden Clubs zu suchen. Wir hinterlassen eine Nachricht am Auto, nehmen das Hündchen an die Leine und begeben uns in den Club auf dem Dach in die Welt der vermeintlich Reichen und Schönen.

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Auf dem Weg durch die Wache bekommen die Besucherinnen Einrichtung aus Ausrüstung erklärt.

Zwei echte und zwei GelegenheitspolizistInnen und ein weißer Schoßhund sorgen bei den Gästen der Schickeria-Gaststätte für hochgezogene Augenbrauen und müdes Amüsement. Das Personal ist anfangs lediglich besorgt um den Ruf des Lokals („Das sieht aber nicht so gut für uns aus, wenn Sie da jetzt in Uniform durchgehen“), zeigt sich schließlich doch kooperativ. Sogar frisches Wasser bekommt der Vierbeiner. Hundehalter – Fehlanzeige.

Schon bereit, das Tier mit zur Wache zu nehmen und dem Tierschutz zu übergeben, treffen wir auf der Treppe doch noch Herrchen und Frauchen. Sie kommen unübersehbar von einer ausgiebigen Shoppingtour, die aus ihrer Sichtweise allerdings nur 15 Minuten gedauert haben soll. Zu diesem Zeitpunkt sind Polizisten und Praktikantinnen allerdings schon gut eine Stunde im Einsatz. Die Besitzer nehmen ihr Haustier dankbar entgegen und entschuldigen sich mehrfach. Wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass der kleine Hund nichts anderes ist als ein weiteres modisches Accessoire im Leben des perfekt gekleideten Paares. Allen Ausreden zum Trotz droht ihnen eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz.

Die Rechtschaffenheit des normalen Bürgers

Zurück auf der Wache, erwartet uns bereits der nächste Fall. Ein Ehepaar hat einen Mann, der an eine Hauswand uriniert haben soll, ermahnt und daraufhin angeblich Schläge angedroht bekommen. Jetzt soll die Polizei den Mann, „ca. 1,70 groß, dunkel gekleidet, deutschsprachig“, finden. Das Ehepaar fährt im Streifenwagen mit und wir machen uns in dem Gewirr der Gassen rund um die Konstablerwache auf die Suche. Ein aussichtsloses Unterfangen. Der Verdächtigte kann in jede beliebige Richtung gegangen oder mit der erstbesten U-Bahn direkt nach Hause gefahren sein. Vielleicht sitzt er auch in der nächsten Kneipe – wer weiß?

Wesentlich interessanter sind da schon die Aussagen des rechtschaffenen Bürgers. Dieser hätte den renitenten Toilettenverweigerer offensichtlich nicht nur mündlich ermahnen, sondern ihm zur Sicherheit „erstmal am liebsten eine geben müssen, dass er sich zweimal überschlagen würde“. Das erzählt er frei heraus und voller Überzeugung, im Recht zu sein. Es drängt sich durchaus die Frage auf, wer hier eigentlich gewaltbereit ist. Da der ominöse „Wildpinkler“ unauffindbar bleibt, stellen wir die Suche ein – und müssen direkt zum nächsten Einsatzort.

Auf dem Goetheplatz haben die Kollegen einen Fall von häuslicher Gewalt gemeldet. Der Täter soll seiner Ehefrau wiederholt mit der Faust ins Gesicht geschlagen haben. Der Beschuldigte sitzt bereits in Handfesseln sicher im Polizeifahrzeug, unsere Streife hat die Aufgabe, das Opfer zur Wache zu bringen. Die Frau macht einen relativ gefassten Eindruck und wirkt eher genervt als verstört. Auf der Wache haben die PolizistInnen einige Mühe, den sich heftig wehrenden Mann in eine Zelle zu verfrachten. Erfahrungsgemäß wird das Paar bereits in kurzer Zeit wieder zusammen sein und der Kreislauf der Gewalt von neuem beginnen, erklären uns die Beamten.

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Die Sicht der Praktikantinnen bei den Einsatzfahrten.

Eigentlich steht noch eine Routinekontrolle auf der Zeil an und Zeit für eine Pause wäre es auch. Daraus wird nichts. Der nächste Einsatz erfordert Eile. In der Nähe des Römerbergs soll sich eine angetrunkene und psychisch auffällige Person selbst Verletzungen zufügen und mit Suizid drohen. POK‘in Wege hat unseren Streifenwagen schon bisher virtuos durch die Straßen gesteuert, aber jetzt zeigt sie, was sie wirklich drauf hat. „Anschnallen“ kommt die knappe Ansage und dann geht es richtig los – mit Blaulicht und Martinshorn und in rasendem Tempo durch die City. Schlagartig sind wir hellwach. Ist der Weg blockiert, werden per Lautsprecher andere Verkehrsteilnehmer aufgefordert, den Weg freizugeben. Beifahrer POK Kirsch achtet auf den Verkehr und bedient gleichzeitig Funkgeräte und Handy.

Am Ziel ist der Krankenwagen schon vor uns da. Ein Mädchen mit einer heftig blutenden Kopfwunde liegt am Boden. Die Schmerzen scheint sie nicht zu spüren, aber sie ist zwanghaft überzeugt, dass ihre Begleiter sie jetzt hassen müssen. Die Begleiter sind zwei Jungs, fast noch Kinder, die mit der Situation sichtlich überfordert sind, sich aber rührend um ihre Freundin kümmern und die richtigen Schritte eingeleitet haben. Die Verletzte wird im Rettungswagen erstversorgt, während die KommissarInnen die Jugendlichen befragen, trösten und parallel versuchen, die Eltern der Verletzten zu erreichen. Letzteres tun die PolizistInnen übrigens mit ihren privaten Handys – mobile Diensttelefone gibt es nicht für alle. Unsere Streife begleitet den Krankentransport bis in die Klinik und wartet dort das Eintreffen der Eltern ab. Die BeamtInnen erweisen sich auch hier als souverän. Ihr sachlicher Gesprächston wirkt beruhigend auf das aufgeregte ältere Paar, das mit der Gesamtsituation sichtlich überfordert scheint. Auch dieser Einsatz endet mit Entschuldigungen und Dank.

„Laiendarstellerinnen in Polizeiwesten“

Im Anschluss finden wir tatsächlich die Zeit – diesmal in gemächlichem Tempo – eine Kontrollfahrt über die Zeil zu machen. Dort ist alles ruhig und so haben wir wenigstens Gelegenheit, uns etwas zu essen zu kaufen. Zwei Laiendarstellerinnen in Polizeiwesten amüsieren sich heimlich über die respektvollen Blicke der Gäste im Lokal, als wir zu viert durchmarschieren – bloß um unsere Pizzas abzuholen.

Auf der Wache essen wir schnell und fahren gleich wieder raus. POK‘in Wege zeigt uns die Drogenbrennpunkte im Bahnhofsviertel und erzählt von ihrer Arbeit im OSSIP-Programm (Offensive Sozialarbeit, Sicherheit, Intervention und Prävention). Sie war dort drei Jahre im Einsatz und kennt die Szene in- und auswendig. Die Junkies grüßen sie freundlich, das Verhältnis ist gut. Ein Ex-Musiker einer einstmals sehr bekannten Pop-Band hockt mit seinen Drücker-Kumpels in einem Hauseingang – er ist von ganz oben bis in die Gosse abgerutscht. Frankfurt hat viele Gesichter und nicht immer nur schöne.

Wir werden zurück zur Konstablerwache beordert. In einer Kneipe in der B-Ebene hat ein Altenpfleger zufällig einen Bewohner seiner Einrichtung entdeckt. Er weiß, der alte Herr ist herzkrank und darf keinen Alkohol trinken und bittet die Polizei um Hilfe. Die Gastwirtin bietet allerdings keinerlei Unterstützung an, sondern sieht den Polizeieinsatz eher kritisch. Also teilen wir uns in zwei Gruppen auf und suchen den Mann, der das Lokal mittlerweile mit unbekanntem Ziel verlassen hat. In der Zwischenzeit geht draußen ein Gewitter nieder, das die Straßen blitzschnell leerfegt und den U-Bahnhof mit Menschen füllt. Im Gewühl halten wir nach einem cirka 70-jährigen Mann mit Bart, brauner Hose und blauer Jacke Ausschau. Wie zu erwarten, erfolglos. Während wir noch zwischen Pendlern, Partygängern, Dealern und Betrunkenen herumirren, kommt über Funk die Nachricht, dass der Gesuchte auf dem Revier eingetroffen ist und nach Hause gebracht werden möchte.

Auf der Wache erwartet uns ein hagerer Greis, natürlich nicht in brauner Hose und blauer Jacke, sondern in grauen Shorts und weißem Achselhemd. So viel zu Personenbeschreibungen. Immerhin der Bart stimmt. Um den Hals und in den Ohrläppchen trägt er äußerst individuellen Schmuck und hat sich offenbar ganz prächtig auf dem Christopher-Street-Day amüsiert. Jetzt ist er müde und beschwipst und möchte nach Hause. Die Dienste der Polizei nimmt er so selbstverständlich in Anspruch, als hätte er gerade ein Taxi bestellt. Huldvoll lässt er sich in den Streifenwagen geleiten und erzählt auf der Fahrt zum Altenheim einiges aus seinem offensichtlich bewegten Leben.

Ein eloquenter älterer Herr – nur etwas beschwipst

Obwohl Chronologie und Inhalt einigermaßen zweifelhaft erscheinen, ist der alte Herr doch sehr eloquent und verfügt vor allem über einen reichen Schatz an Kraftausdrücken, die er extrem kreativ einsetzt. Einige seiner Wortschöpfungen finden direkt einen festen Platz im Sprachgebrauch unseres kleinen Teams. In seinem Wohnheim empfängt man ihn gelassen aber mit mildem Tadel wegen der nachlässigen Medikamenteneinnahme. So höflich wie er sich bei der Polizei bedankt hat, so energisch macht er der Pflegerin jetzt seinen Standpunkt klar. Wir wünschen ihm alles Gute und weiterhin viel Spaß.

Mitternacht ist längst vorbei und wir sind noch immer nicht müde. Die ständig wechselnden Eindrücke halten wach. Wir drehen noch eine Runde über die Zeil, wo immer noch alles friedlich ist und POK‘in Wege und POK Kirsch halten zwischendurch, so quasi im Vorbeifahren, eine Luxuskarosse zwecks allgemeiner Verkehrskontrolle an. Die Insassen, vier junge Männer unterschiedlicher Nationalität, sind zunächst wenig begeistert und lassen ein paar kesse Sprüche los. Letztlich werden sie doch kooperativ, zeigen brav ihre Papiere, albern mit uns herum und versuchen mit POK‘in Wege zu flirten.

Das dicke Auto, so stellt sich heraus, haben sie übers Wochenende ganz legal gemietet, um das Zuckerfest (Endes des Fastenmonats Ramadan) zu feiern und ein wenig Spaß zu haben. Außerdem muss – pardon – „darf“ einer der vier in nächster Zeit heiraten und scheint dringend noch ein letztes Mal in Freiheit Party machen zu müssen. Wir gönnen es ihm von Herzen. Als einer dann noch fragt, woran es liegt, dass POK Kirsch solch ein Glück habe, gleich mit drei Frauen unterwegs zu sein, klopfen wir auf die Motorhaube des Streifenwagens und sagen nur: „geiles Auto“. Schon klar – auch diese Begegnung endet mit Dankesbezeugungen und guten Wünschen.

Nach Mitternacht: die Phase der Ruhestörungen

Im Anschluss beginnt die Phase der nächtlichen Ruhestörungen. Gleich vier Bürger klagen über Lärmbelästigung. Wir fahren die ersten beiden Adressen an. Einmal hat ein neu eröffneter Club die Bässe zu weit aufgedreht und der etwas überfordert wirkende Inhaber verspricht umgehend Abhilfe zu schaffen. Am anderen Ort hallt die Musik aus einer Bar so ungünstig durch die Häuserschluchten, dass noch 500 Meter entfernt an Schlaf nicht zu denken ist. Hier nimmt man die Polizei offenbar nicht ganz ernst, so dass wir kurz darauf ein zweites Mal vorbeischauen müssen und POK Kirsch etwas deutlicher wird. Danach herrscht Ruhe. Währenddessen wird vom ersten Schauplatz Randale gemeldet. Also wieder Blaulicht und Sirene an und nichts wie hin. Vor Ort findet sich indessen keine Spur von Verwüstung, sondern friedliche Partygäste bei gedämpfter Musik.

POK‘in Wege schaltet einen Gang herunter und ermahnt auf der Weiterfahrt lediglich per Megaphon ein paar Falschparker und Straßenblockierer. Auf die fantasievollen Ausreden der Verkehrssünder reagiert sie gelassen, aber bestimmt. Da es weiterhin ruhig zu sein scheint, erbitten unsere netten KollegInnen die Erlaubnis für einen Kurzbesuch im Polizeipräsidium.

Das 2002 in Betrieb genommene Verwaltungsgebäude in der Adickesallee hat gigantische Ausmaße. Die nachts weitgehend leeren Gänge erinnern an einen Flughafen. Wir haben das Glück, die Einsatzzentrale besichtigen zu können. Dort laufen alle Notrufe, die aus dem Raum Frankfurt, Flughafen sowie von der Autobahn kommen, auf und werden weiterverteilt. Wir lassen uns die Arbeit der PolizistInnen dort erklären. Sie müssen die eingehenden Anrufe innerhalb kürzester Zeit richtig bewerten, zuordnen und die entsprechenden Maßnahmen einleiten.

Gerade sind wir wieder auf dem Weg zur Wache, als wir ans Mainufer gerufen werden. Dort hat ein Mann selbst den Rettungsdienst alarmiert und wird im Rettungswagen untersucht. Er weigert sich aber, mit ins Krankenhaus zu fahren. Vor Ort ist bereits eine fünfköpfige Polizeieinheit, ein Überfallkommando für härtere Fälle. Die „Jungs“ wirken sehr kompetent, kommen aber bei dem vermutlich unter dem Einfluss unbekannter Drogen stehenden Mann nicht weiter. Hier ist offensichtlich Diplomatie gefragt, doch selbst POK Wege scheitert zunächst und wird wüst beschimpft. Der Blutdruck des jungen Mannes hat mittlerweile einen lebensbedrohlichen Wert angenommen – er muss zum Arzt, ob er will oder nicht. Hier lernen wir den „Zehner HFEG“ (Hessisches Freiheitsentziehungsgesetz, § 10) kennen, einen Paragraphen, der die Polizei ermächtigt, Personen, die ihr eigenes Leben oder das anderer gefährden, zwangsweise in eine Klinik einzuweisen.

Beschimpfungen und ein Kreislauf kurz vor dem Kollaps

Während POK Kirsch noch beruhigend auf den Patienten einredet, zeigt sich um kurz nach vier der erste helle Schimmer am Horizont– ein seltsam schöner Moment in dieser spannenden Nacht. Schließlich hat Kirsch mit seiner beruhigenden Ansprache Erfolg. Ein zweites Mal begleitet unsere kleine Truppe die Sanitäter in eine Notaufnahme. Der Patient verabschiedet sich von POK Wege mit den Worten: „danke nochmal und ‚tschuldigung wegen vorhin, war nich‘ bös‘ gemeint“. Was will man mehr.

Inzwischen ist es taghell. Wir wollen uns in den letzten Stunden der Schicht in aller Ruhe mit ein paar Routinekontrollen befassen, als es noch einmal richtig zur Sache geht: Schlägerei am Börsenplatz! Mittlerweile haben wir fast so etwas wie Gelassenheit bei Fahrten mit Sondersignal entwickelt und vertrauen POK‘in Weges Fahrkünsten voll und ganz. Am Tatort sind unsere Freunde vom Überfallkommando auch schon wieder da und haben zwei absolut durchschnittlich aussehende Männer im Alter von cirka 30 Jahren festgesetzt. Auffallend ist lediglich das zerrissene T-Shirt des einen. Ein paar Schritte weiter hält eine junge Frau ihre Freundin im Arm. Diese hat einen Asthmaanfall und ringt panisch nach Luft. Zwischendurch klagt sie laut jammernd über Schmerzen im Brust- und Bauchraum und zeigt wiederholt auf einen der beiden mutmaßlichen Schläger.

Der Mann habe sie auf die Brust getreten, als sie schon am Boden lag, stößt sie immer wieder abgehackt hervor. Die Beschuldigten wirken sichtlich genervt, zucken wiederholt die Achseln und lachen sogar hin und wieder. Der Humor wirkt jedoch eher aufgesetzt. Die Sache ist kompliziert. Zwei vermeintliche Zeugen entpuppen sich als nutzlos, weil sie im entscheidenden Moment gar nicht vor Ort waren.

Die beschuldigten Männer geben freimütig zu, Alkohol getrunken zu haben, ein Atemalkoholtest ergibt Werte zwischen Fahruntüchtigkeit und verminderter Schuldfähigkeit. Beide wirken jedoch ziemlich nüchtern und ihre Sprechweise ist klar. Sie können sich präzise ausdrücken und wollen mit der Polizei kooperieren. Einer gibt sogar offen zu, die junge Frau „in den Arsch“ getreten zu haben, da sie ihn provoziert und übel beschimpft habe. Das Ganze scheint zunächst darauf hinauszulaufen, zu klären, wer angefangen hat. Der Fall könnte relativ banal sein, käme nicht aus dem Rettungswagen zwischenzeitlich die Nachricht, die Frau habe das Bewusstsein verloren. Mit Verdacht auf Schädel-Hirn-Verletzung wird sie in ein Krankenhaus gebracht – was weiter daraus wird, werden wir nie erfahren.

Jetzt neigt sich die Nachtschicht endgültig dem Ende zu. Wir fahren ein letztes Mal durch die langsam erwachende Innenstadt, POK‘in Wege und POK Kirsch schicken ein paar Spätheimkehrer auf den Weg, und nach knapp zwölf Stunden fast pausenlosem Einsatz treffen wir wieder auf dem 1. Revier ein. Wir schießen noch ein Abschiedsfoto mit unseren wunderbaren „Kolleginnen und Kollegen“ und machen uns nachdenklich und tief beeindruckt auf den Weg nach Hause.

Ein herzlicher Dank geht an das großartige Team vom 1. Polizeirevier Frankfurt! Sie haben uns diese hochinteressante Nacht ermöglicht und mit endloser Geduld und beeindruckender Kompetenz all unsere Fragen beantwortet. Die Beamtinnen und Beamten der Schutzpolizei riskieren Tag für Tag Gesundheit und Leben in ihren Einsätzen. Sie müssen körperlich und seelisch hoch belastbar sein. Sie sind Juristen, Psychologen, Sachbearbeiter, Seelsorger, Ersthelfer, Funktechniker, Rallyefahrer und noch vieles mehr in einer Person. Ihnen und ihrer Arbeit gilt unser allergrößter Respekt.“

Corinna Offeneÿ/Eva Goldbach

Ein Gedanke zu “Menschliches aus Sicht der Menschen in Uniform

  1. Und vor allen Dingen hilft es mittlerweile bei dieser Berufswahl ganz offensichtlich, gewisse „masochistische“ Tendenzen zu haben – zumindest, wenn man ahnt, was alles auf einen zukommen kann….
    Vielen Dank für diesen Bericht!

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