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700 Anti-Pegida-Demonstranten am Gießener Bahnhof – und zwei junge OL-Autorinnen, die ihre Eindrücke von dem Erlebnis kommentierenBeeindruckt von der Kraft für das bunte Deutschland

GIESSEN. Am Sonntag trafen sich auch in Gießen Pegida-Anhänger. Doch das rief auch die Gegner der Bewegung auf den Plan: Ab 12 Uhr versammelten sich Gegendemonstranten am Vorplatz des Gießener Bahnhofs. Ausgestattet mit Plakaten und Slogans wie „Wirr ist das Volk“ und „Lieber Vielfalt als Einfalt“ setzten Jung und Alt ein eindeutiges Zeichen gegen die derzeitige Bewegung Pegida, die sich gegen die „Islamisierung des Abendlandes“ richtet. Unter den Gegen-Demonstranten waren auch zwei Autorinnen von Oberhessen-live: Jessica Haak (17) und Friederike Gerbig (20). Für beide war das ein eindrucksvoller Nachmittag.

 

Sowohl Vertreter von politischen Parteien, als auch die Gießener Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz (SPD) sprachen bei der Kundgebung und unterstützten die zahlreichen Teilnehmer. Im Gegensatz zu denen verloren sich die circa 30 Pegida-Anhänger auf dem abgesperrten Vorplatz fast, sogar die Polizei war zahlreicher vertreten – gewalttätige Ausschreitungen blieben zum Glück aus.

Beeindruckt von der Kraft dieses Gemeinsinns äußern sich Friedrike Gerbig und Jessica Haak in Kommentaren:

Wichtig: auf die Jugendlichen achten!

Von hört es überall: Zeitung, Radio, Fernsehen – Pegida ist momentan eines der großen Themen in den Nachrichten in Deutschland. Aus diesem Grund fand ich es sehr wichtig, meine persönliche Meinung zu diesem Thema deutlich zu machen: Gemeinsam mit Freunden machte ich mich sonntags auf den Weg nach Gießen, um dort am Bahnhof ein Zeichen zu setzen – für ein buntes und vielfältiges Deutschland, das offen ist für andere Kulturen und Religionen.

Ich denke, dass es besonders wichtig ist, darauf zu achten, was Jugendliche von dem Thema halten, denn sie sind die Zukunft und müssen noch viele Jahre mit den Konsequenzen von Entscheidungen leben, die heute getroffen werden. Ich fand es wahnsinnig beeindruckend, wie viele verschiedene Menschen sich versammelt haben – auf einmal ist da ein Gemeinschaftsgefühl mit Wildfremden. Ich glaube, dass genau das zeigt was wir fühlen: Dass wir alle Menschen sind und gemeinsam Großes erreichen können, dass wir voneinander lernen können und mit offenen Augen durch die Welt gehen sollten oder besser gesagt: Mit offenen Augen durch die Welt gehen müssen.
Friederike Gerbig

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Die Gießener Oberbürgermeisterin Dietlind Grabe-Bolz (SPD) spricht bei der Kundgebung der Anti-Pegida-Anhänger.

„Irgendwie desorientiert und unvorbereitet“

Man könnte meinen, es sei ein normaler Tag in Gießens Innenstadt: Die Straßen sind bedeckt von Schneematsch, es herrscht reger Verkehr, hin und wieder begegnet man ein paar Gesichtern und sieht Menschen Vollbremsungen auf Hauptstraße machen, um Passanten vorbeizulassen. Doch heute weht ein ganz anderer Wind durch Gießen. Plötzlich ein Polizeifahrzeug, dann zwei, drei – schließlich zwölf. Das hier ist kein schlechter amerikanischer Actionfilm – da ist die Realität, Fremdenhass vor einer willkürlichen Ausbreitung zu stoppen.

Heute stehen wir den Pegida-Anhängern entgegen und wollen ein Zeichen setzten. Wir, das sind die verschiedensten Charaktere – ob jung und alt, ob groß, ob klein, ob mit oder ohne Migrationshintergurnd – WIR das ist eine Gemeinschaft. An der „alten Post“ stehen sie bereits – die Gegendemonstranten. Ich bin erstaunt und zugleich begeistert über diese enthusiastischen Menschen, die Rassismus in unserem Land keinen Platz bieten wollen.

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Deutliches Zeichen: Plakaten gegen Pegida.

Die Atmosphäre ist friedlich. Ein Polizeibeamter wünscht uns viel Spaß – wir entgegnen das gleiche. Auf der Bühne herrscht reges Treiben – ein bisschen Ironie, viel Motivation und kreativer Optimismus. Die musikalische Darbietung weckt noch noch mehr Mut, noch mehr Tatendrang. Redner treten auf die Bühne, bestärken uns. Manche Worte schwinden, andere hallen die nächsten Stunden ununterbrochen in unseren Köpfen. Es geht darum, dass Ewiggestrige keinen Platz mehr haben und um Dialoge, in die wir treten müssen.

Es geht darum, dass Meinungsfreiheit nicht mit Recht-Haben gleichgesetzt werden kann und das Konservieren etwas nie Dagewesenen nicht möglich sei. Wir hören, applaudieren und sind auf der anderen Seite damit beschäftigt die zahlreichen Eindrücke einzuordnen. Wir malen Plakate, lesen, begreifen: „Keine Döner für Nazis und Deutschland bleibt bunt“ treffen auf „Pegida ist der Antisemitismus des 21. J.h.“ und „Wärt ihr das Volk, wäre ich Flüchtling! “ Wir entziehen uns den Reden und begeben uns zu der Kundgebung der Anti-Islam-Bewegung. Ich bin gespannt und zugleich angespannt – ich kann und will mir Menschen einfach nicht vorstellen, die öffentlich Hass propagieren.

„Meine Angespanntheit mündet in Irritation“

Meine Angespanntheit mündet in Irritation. Ich sehe große Massen an Gegendemonstranten, sehe Plakate – höre Sprüche. Schon bald realisiere ich, dass es nicht an meinen 1.60 Metern liegt, dass ich die angekündigten Hundert Demonstranten nicht sehe – bei Suchbildern war ich schließlich noch nie wirklich begabt. „Die in den Warnwesten?“ – Nicht einmal 25 unmotivierte Menschen stehen, fleißig Abstand haltend und von mindestens doppelten so vielen Polizeibeamten bewacht, mit ihrem Auto, dessen Nummernschild deutlich abgeklebt ist, vor dem Gießener Bahnhof.

Sie sehen irgendwie desorientiert und unvorbereitet aus, so als wüssten sie selbst nicht wieso sie denn nur hier seien. Genauso werden die Fragen , die von uns Gegendemonstranten gestellt werden, nun in der nächsten Stunde beantwortet – paradox. Die Anti-Islam-Anhänger seien kein Ableger der Pegida – vertreten im Endeffekt jedoch die selben Ziele. Einige Minuten vergehen, und sie bemerken, dass ihnen eigentlich keiner zuhören möchte. „Ihr könnt nach Hause gehen“ tönt es im Chor,. Wir singen mit. Schließlich holen die Pegida-Anhänger einen Banner hervor auf dem für eine gemeinsame Zukunft propagiert wird. Schnell wird klar, dass die Silbe “ ge “ wohl ein Missverständnis oder gar ein Schreibfehler sein muss. Ihr angestrebte Zukunft kann höchstens einsam, aber nicht gemeinsam enden. Gegendemonstranten nehmen sich die Worte der Redner zu Herzen und versuchen in einen Dialog zu treten.

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Bunt und witzig: einige der Plakate von Gegendemonstranten.

Ein Dialog endet in Sprachlosigkeit

Das Resultat ist nichtssagend. Fragen werden nicht beantwortet, es wird abgelenkt, Worte verdreht – die Wahrheit beschönigt. Einige Gegendemonstranten reagieren direkt, spucken. Hier wird Respektlosigkeit ohne Respekt begegnet, auch wenn dies sicherlich kein Lösungsansatz ist. Das ist Sprachlosigkeit – das ist Wut! Mittlerweile verhüllen sich die ersten Anhänger dieses Pegidaabklatsches. Ihre Weltanschauung scheint ihnen wohl selbst peinlich zu sein. Andere schneidern Grimassen – ein Bild der Verzweiflung.

Ohne den ernsten Sinn des heutigen Tages zu vergessen – diese “ Anti-Islam-Demonstraten “ werden langsam lächerlich. Schließlich stelle ich mich in keine beliebige Stadt und dies wohlgemerkt ohne Konzept, um mutwillig Steuergelder in Form von Polizeibeamten zu verschwenden. Immerhin treiben sie die Wirtschaft mit ihrem unsäglichen Zigarettenkonsum an. Eine Stunde vergeht und sie ziehen von dannen. Hier empfindet niemand Mitleid.

Wer immer „rechts“ geht, läuft auch nur im Kreis. Die Stimme der Gegendemonstranten – unsere Stimme hat gesprochen und damit ein klares Zeichen gesetzt. Deutschland ist und bleibt bunt und weltoffen. Dieses Gefühl ist unbeschreiblich motivierend, es ist positiv und zeichnet ein Bild der Hoffnung. Denn Pegida- Anhängern stehen stets Gegendemonstranten entgegen. Einem Zusammenschluss von Gruppen, die sich gegenseitig nur ausnutzen um den Bürger für ihre Zwecke zu instrumentalisieren steht stets das WIR entgegen – eine Gemeinschaft. In Deutschland und auf der ganzen weiten Welt, ist kein Platz für Rassismus und den wird es auch niemals geben. Wir sind nur gemeinsam existent und wer das nicht begreift, hat den Sinn des Lebens schon lange verspielt!

Jessica Haak

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