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17 Meter über den Boden: Tanja und Ralf Bohn hinterlassen Dokumente für die ZukunftVilla Raab: Zeitkapsel im Türmchendach versenkt

ALSFELD (kiri). Es regnete in Strömen, der Aufstieg war wackelig, die Bohlen rutschig. Trotzdem: Tanja und Ralf Bohn, die aktuellen Bauherren der Villa Raab, haben am Wochenende wie geplant eine Zeitkapsel in der 17 Meter hohen Turmspitze der alten Fabrikantenvilla versenkt – zur Erinnerung für die Nachwelt an die Geschichte und Sanierung des wunderbaren Bauwerks.

„Normalerweise ist es üblich, dass man bei der Grundsteinlegung eine Zeitkapsel mit in den Beton gießt – mit was Altem, was Neuem und etwas Aktuellem“, klärt Jochen Weppler, der für die denkmalgerechte Sanierung der Villa zuständige Architekt vom Büro WepplerJungermann, auf. „Da dies kein Neubau ist, versenken wir die Kapsel im Turm – im Boden des Laternenaufsatzes. Dies hat durchaus einen Vorteil: Jeder kann dran, da sie nicht fest in Stein gelassen ist.“

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Die Zeitkapsel ist graviert mit dem Namen der Bauherren – Tanja und Ralf Bohn – und mit der aktuellen Jahreszahl. Alle Fotos: Anja Kierblewski

Als Zeitpunkt für die bedeutungsvolle Aktion haben die Bauherren und das Architektur- und Ingenieurbüro den Abschluss der Dachsanierung ausgewählt. Samstagfrüh trafen sich der Architekt, seine Kollegin und Bauingenieurin Maike Jungermann, die zuständige Bauzeichnerin Katharina Runkel und die Bauherren Tanja und Ralf Bohn direkt an der Großbaustelle – mit festem Schuhwerk, Regenschirm und ein wenig Aufregung im Gepäck.

Festhalten: 3,88 Euro, ein USB-Stick und Dokumente der Vergangenheit

Alle hatten ein paar wichtige Details dabei, die sie dank der Zeitkapsel für die Ewigkeit sichern wollten: Eine Kopie der Originalpläne von 1902, aktuelle Sanierungspläne und -skizzen, eine Zeittafel und die Geschichte der Villa und deren Besitzer, die Fabrikantenfamilie Raab, sowie eine aktuelle Tageszeitung, ein Satz Euro-Münzen im Wert von genau 3,88 Euro und eine Urkunde vom Ereignis. Auf dieser steht in den Anfangszeilen: „Im Jahre 2016, in der Amtszeit von Joachim Gauck als Bundespräsident und Angela Merkel als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland, Volker Bouffier als Ministerpräsident des Landes Hessen und Bürgermeister Stephan Paule wurde der Laternenaufsatz der Villa saniert und fertiggestellt…“ und zum Schluss: „…möge die Sanierung der Villa Raab unfallfrei durchgeführt werden und alle Beteiligten und Gäste ein echter Wohlfühlort sein, damit auch noch erfolgter Sanierung Vergangenheit wieder eine Zukunft hat.“

Ralf Bohn unterschreibt die Urkunde, die mit in die Zeitkapsel gesteckt wird.

Ralf Bohn unterschreibt die Urkunde, die mit in die Zeitkapsel gesteckt wurde.

Im zweiten Stock, wo später die festlichen Räume für Hochzeiten, Familienfeiern oder Tagungen ihren Platz finden sollen, füllten die Fünf die Edelstahlkapsel für ihre Beständigkeit in der Zukunft, bevor sie verplombt wurde. Doch einfach die Dinge einrollen, einstecken und hoch aufs Dach war nicht – zu viele Erinnerungen, Anekdoten und gewonnenes Wissen kamen auf, die noch erzählt werden mussten. Beispielsweise von den alten Schulheften, die man unter den Fliesen fand, genauso wie von dem entdeckten Liebesbrief aus den 20er Jahren, der mit einer Skizze von einem Raben signiert war. Oder von Melitta Raab, die Ehefrau des letzten Fabrikantenbesitzers, die in Alsfeld als liebenswerte Rollschuhfahrerin bekannt war und vielen Kindern die Kunst beibrachte.

Mit Herzblut in jede Detailarbeit an der alten Fabrikantenvilla

Die drei Mitarbeiter des Alsfelder Architekturbüros – lange erfahren in denkmalgerechten Sanierungen – machten keinen Hehl daraus, dass sie selbst für das Objekt „brennen“. Die Bauchzeichnerin Katharina Runkel stecke laut ihres Chefs Herzblut in jedes kleinste Detail, was sie rekonstruieren darf, egal ob Balkonböden, Stuckwerk oder das wunderschöne Bleiglasfenster, das ein rheinisches Motiv zeigt, wie man von Fotoaufnahmen aus den 70er Jahren weiß.

Der Chef selbst, Jochen Weppler, schwärmt über die Bauweise und Handwerkskunst der damaligen Zeit und bezeichnet die Villa zudem als „Alleinstellungsmerkmal“: „So eine Jugendstilvilla findet man hier nicht ein zweites Mal. Sie ist typisch für Wiesbaden, das Rheinische und Bonn. Aber die Familie Raab hatte den Architekt Otto Leppin beauftragt, der ein Spezialist für solch wunderbare Fabrikantenvillen war.“

Und nicht zuletzt ist Maike Jungermann dankbar für den Auftrag, der ein Referenzobjekt ist und überall dort wo sie auftaucht für Gesprächsstoff sorgt.

Tanja Bohn verdeutlichte eindrücklich, wie viel sie durch die Sanierungsarbeiten gelernt hat – und während sie von Begegnungen mit Handwerkern, Denkmalschützern oder anderen Bauherren erzählte, gingen ihr mit Leichtigkeit Fachbegriffe über die Lippen, die klarmachten, sie liebt das Projekt und geht darin auf – trotz der vielen, ungeahnten Herausforderungen.

Gemeinsam für ein großes Projekt für die Region: Tanja und Ralf Bohn.

Gemeinsam für ein großes Projekt für die Region: Tanja und Ralf Bohn.

Gemeinsam mit ihrem Mann, Ralf Bohn – Unternehmer und Visionär – ließ sie die letzten Monate Revue passieren, angefangen mit dem Tag des Kaufes. „Die ganze Zeit war unglaublich spannend für uns – wir wussten ja selber nicht, was wir mit der Villa machen möchten, uns war nur klar, dass sie erhalten bleiben muss!“ Drin wohnen, wollten sie nicht, dazu liebten sie ihr Eigenheim zu sehr, in dem sie selbst viel Hand mit angelegt hatten. Nach und nach sei erst die Idee aufgekommen, aus der Villa ein öffentliches Gebäude in Form von Gastronomie zu machen – „glücklicherweise mit einem erfahrenen Team von Schloss Romrod an unserer Seite.“

Ein altes Gebäude einer modernen Nutzung „zuzuführen“ stelle allerdings eine riesige Herausforderung dar. „Hier müssen die Fachleute eng verzahnt miteinander arbeiten und viele Kompromisse schließen – beispielsweise der Denkmalschutz und der Brandschutz“, erläutert Bauingenieurin und Statikerin Maike Jungermann. Elektrik, Lüftungsanlagen, Küchen, Fahrstuhl für barrierefreie Zugänge, Feuerschutzwände und Fluchtwege – nur ein paar der vielen Dinge, die beachtet werden müssen. Es gibt eben viele Gesetze, Regelungen und Bestimmungen, die einzuhalten sind.

Es ist sehr aufwendig und anstregend ein Haus mit seinem Jugendstilcharakter ins 21. Jahrhundert zu holen. Aber es lohnt sich! Tanja Bohn

„Es ist sehr aufwendig und anstrengend ein Haus mit seinem Jugendstilcharakter ins 21. Jahrhundert zu holen – ja bestimmt. Aber es lohnt sich!“, versichert Tanja Bohn mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen, während sie vermutlich gedanklich schon dabei war, sich zu überlegen, welche Bilder sie an die Wand im Turmzimmer hängen möchte. Denn so banal, wie die Entscheidung aussehen mag, so etwas muss bereits heute schon festgelegt werden, damit in den nächsten Wochen entsprechend Wandheizung, Elektrik oder sonstige technische Details eingebaut werden können.

„Sie haben die Villa vor dem Verfall gerettet!“, betonte Weppler an dem Morgen. „Es waren große Wasserschäden hier, wir mussten viel ausbessern und austauschen – in ein paar Jahren wäre nichts mehr zu retten gewesen.“ Auch etwas, was für die Ewigkeit festgehalten werden muss.

Architekt Jochen Weppler, Bauherrin Tanja Bohn, Statikerin Maike Jungermann und Bauzeichnerin Katharina Runkel am Fuße der Turmspitze. Hier soll die Zeitkapsel ihren Platz finden. (v.l.n.r.)

Architekt Jochen Weppler, Bauherrin Tanja Bohn, Statikerin Maike Jungermann und Bauzeichnerin Katharina Runkel am Fuße der Turmspitze. Hier soll die Zeitkapsel ihren Platz finden. (v.l.n.r.)

Nachdem die Zeitkapsel fertig befüllt war, stiegen alle gemeinsam durch ein Fenster im Obergeschoss auf das noch stehende Gerüst, liefen – mal mehr, mal weniger souverän – in schwindelerregender Höhe über die Bohlen, kletterten noch zwei kleine Leitern hoch und waren endlich oben angekommen, direkt unter der Wetterfahne mit grandiosem Blick über die Stadt Alsfeld. Auf dem Boden des Laternenaufsatzes legten sie gemeinsam die Zeitkapsel ab, ein gravierter Kupferdeckel wird es verschließen.

Sicher wieder auf festem Boden im Turmzimmer der Villa, zogen Tanja und Ralf Bohn Sektflaschen aus einem mitgebrachten Korb – Zeit zum Anstoßen: „Die Außenarbeiten sind abgeschlossen, in den Wintermonaten kümmern wir uns um die Innenarbeiten. Danke, dass ihr uns dabei so unterstützt!“

Weitere Impressionen von dem historischen Ereignis der Zeitkapsel-Versenkung

2 Gedanken zu “Villa Raab: Zeitkapsel im Türmchendach versenkt

  1. Die Villa Raab wäre schon seit Jahren fertig renoviert, wenn der Denkmalschutz dem Vorbesitzer nicht untersagt hätte Kunststofffenster einzusetzen.

  2. Ohne Das besondere Engagement von Ralf und Tanja Bohn, wäre die Villa Raab dem Untergang geweiht gewesen. Jetzt bekommt Vergangenheit wieder eine Zukunft:-)

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