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Wenn Corona irgendwann zu Geschichte wird: Ein Blick ins Alsfelder StadtarchivWie werden wir uns einst an die Pandemie erinnern?

ALSFELD (akr). Es scheint so, als würden Pandemien in einem 100-jährigen Rhythmus auftreten. Im Jahr 1720 war es die Pest, 1820 die Cholera und einhundert Jahre später die Spanische Grippe, die die Menschheit heimsuchte. Es sind Ereignisse, die Geschichte geschrieben haben. Auch die Corona-Pandemie ist ein historisches Ereignis – und als solches gehört es auch archiviert. Dieser Aufgabe wird sich das Alsfelder Stadtarchiv widmen – doch noch ist es dafür zu früh. Ein Blick hinter die Türen des Beinhauses.

Geschlossene Geschäfte, leere Straßen, Abstandsregeln, häusliche Quarantäne, Hamsterkäufe, Menschen mit Masken und Handschuhen – innerhalb kürzester Zeit hat sich das Leben der gesamten Menschheit vollkommen verändert – und das wird auch noch eine ganze Zeit lang so sein. Irgendwann wird aber auch diese Pandemie zur Zeitgeschichte gehören, Corona nur noch eine Erinnerung sein. Eine Erinnerung, die die Stadt Alsfeld bewahren und auch nachfolgenden Generationen nicht vorenthalten möchte. Um diese Aufgabe wird sich das Stadtarchiv kümmern – das historische Gedächtnis der Stadt.

Archivarbeit ist aber sehr zeitintensiv. Das wissen Norbert Hansen und Hans-Jürgen Stinder nur zu gut. Hansen ist seit 2005 ehrenamtlicher Stadtarchivar, Stinder seit 2012. „Wir sammeln, bewerten, archivieren und forschen“, fasst Hansen die aufwendige Arbeit eines Archivars kurz und knapp zusammen. Dazu gehört unter anderem das gesamte Schriftgut, das sich bei der Stadtverwaltung ansammelt. Aus dieser Ansammlung wird dann entschieden, was als Archivgut dauerhaft aufbewahrt wird.

Am 12. August 1983 wurde das Stadtarchiv im Beinhaus offiziell eröffnet. Zuvor war das Archiv unter anderem im Rathaus, Weinhaus oder oberhalb der Sakristei der Walpurgiskirche untergebracht. Foto: akr

Doch bis die Unterlagen ans Archiv gehen, dauert es eine Zeit lang, denn je nach Dokument muss die Stadtverwaltung die Unterlagen bei sich behalten. Rechnungen beispielsweise zehn Jahre. Künftig werden das aber nicht mehr nur Papierberge sein, denn seit ein paar Jahren arbeitet die Verwaltung mit einem sogenannten „Dokumentmanagement-System“, das die Aufgabe hat, alle elektronischen Dokumente digital und zentral zu archivieren. Das System begleitet dabei den gesamten Lebenszyklus eines Dokuments: Begonnen bei der Erstellung, über die Verteilung und Bearbeitung, bis hin zur Archivierung oder Löschung.

Die zentrale Anlaufstelle für alle Fragen zur Alsfelder Stadtgeschichte

Einmal in der Woche öffnet das Stadtarchiv im historischen Beinhaus für drei Stunden seine Pforten für die Öffentlichkeit, um Bürgern bei der Beantwortung von Fragen rund um die Alsfelder Stadtgeschichte behilflich zu sein. „Die Leute sind glücklich, wenn sie etwas erfahren haben, beispielsweise über ihre Vorfahren, und das ist auch der Sinn, die Hauptaufgabe unseres Archivs“, betont Hansen.

Seit 2005 ist Norbert Hansen ehrenamtlicher Stadtarchivar. Foto: akr

Das Stadtarchiv ist, wie es der Name auch schon verlauten lässt, eine städtische Einrichtung. Und es ist schon in gewisser Weise eine Besonderheit, dass die Kleinstadt Alsfeld ihr Gedächtnis direkt vor Ort hat. „Es gibt etliche Städte in Hessen, die gar keine Archive mehr haben, die ihren gesamten Bestand ins Staatsarchiv nach Darmstadt gegeben haben“, erklärt Hansen. In Alsfeld ist das eben nicht der Fall. Hier kann man sich noch direkt vor Ort informieren und in die Geschichte der Stadt eintauchen.

Es sind aber nicht nur Menschen aus Alsfeld oder Umgebung, die das Stadtarchiv aufsuchen und die Hilfe der Stadtgeschichtsdetektive in Anspruch nehmen. Die meisten Anfragen kommen tatsächlich von auswärts, oft per E-Mail. Aber oft nehmen die Menschen auch den persönlichen Weg auf sich, um ihren Fragen nachzugehen – sei es, um etwas über Vorfahren zu erfahren, für Forschungsarbeiten oder sonstige Angelegenheiten, die irgendwas mit dem historischen Städtchen zu tun haben. „Irgendwo im Haus steht die Antwort“, lächelt Hansen.

Drei Etagen voll Stadtgeschichte

Auf drei Etagen findet man nämlich alles, was für die Geschichte von Alsfeld relevant ist: Bürgerlisten, Protokolle von Käufen, Sitzungsprotokolle, Auswandererkarteien aus dem 1900 Jahrhundert mit über 10.000 Namen, Amstbücher, Unternehmensverträge, Urkunden, eine Archivbibliothek mit Lektüre aller Art zum Thema „Alsfeld“ und vieles mehr. Das älteste Dokument im Archiv ist übrigens eine Urkunde vom 12. März 1327.

Auch ein umfangreicher Bestand der Tageszeitung findet man in dem kleinen Archiv im Beinhaus. „Von 1950 bis 2014 haben wir die Oberhessische Zeitung vor Ort. Die Ausgaben vor 1950 befinden sich im Archiv Ehrenklau. Die Ausgaben nach 2014 haben wir digital“, erklärt Hansen. Die örtliche Presse sei nämlich ein wichtiges Instrument der Geschichte, weil über alle Ereignisse berichtet wird.

Hans-Jürgen Stinder ist nicht nur Stadtführer, sondern auch ehrenamtlicher Stadtarchivar. Foto: Stadt Alsfeld

Und genau diese Berichterstattung ist auch sehr hilfreich, wenn es um die Archivierung von Corona geht. „Meldungen über Infizierte, Erlebnisberichte, Schulschließungen – in der Presse ist das alles sehr gut dokumentiert und schnell abrufbar“, erklärt Hansen. Doch es gebe eben noch viele offene Fragen, was die Archivierung dieser ungewöhnlichen Zeit angeht – gerade im Bezug auf digitale Sachen wie Videoaufnahmen. Damit man die Dateien auch noch in 200 Jahren öffnen kann, müsse man schließlich auch die Software mit archivieren. „Da müssen wir uns noch Gedanken machen. Aber wir leben auch gerade mitten in der Zeit, es ist fast noch zu früh, das Ganze zu bewerten“, erklärt Hansen.

In Frankfurt hat das Historische Museum zum Beispiel die Bevölkerung dazu aufgerufen, gemeinsam Bilder, Videos, Audios, Texte oder Objekte zu sammeln, um in der Zukunft an die Corona-Krise in Frankfurt erinnern zu können. Museums- und Archivarbeit unterscheiden sich handwerklich ein bisschen. Ein Archiv muss anders als ein Museum nicht immer eine mögliche Ausstellung mitdenken, das reine Sammeln und Bewahren steht im Vordergrund. Der Alsfelder Stadtarchivar findet dennoch: Das in Frankfurt ist eine tolle Idee. Doch diese Aufgabe im Alsfelder Archiv umzusetzen sei zu zweit und einfach auch zeitlich nicht so leicht zu bewältigen, denn die beiden ehrenamtlichen Mitarbeiter haben so oder so schon alle Hände voll zu tun. „Da kommt zu der wöchentlichen Öffnungszeit von drei Stunden noch etliche dazu“, erklärt Hansen. Das mache ihm aber nichts aus, er hilft gerne – egal wie kniffelig die Anfrage auch ist. „Über Hürden zum Ziel kommen, das fasziniert mich“, lächelt er – und irgendwann, wenn die Zeit gekommen ist, werden auch sicherlich die Hürden der Corona-Archivierung überwunden werden.

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