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Wie eine Familie aus dem Vogelsberg versucht, mit den Corona-Regeln zurechtzukommenBesuchsverbot im Krankenhaus: „Er kämpft dort, wir kämpfen hier“

VOGELSBERG (akr). Seit mehreren Wochen sind Besuche in Hessischen Krankenhäusern nun schon verboten, eine schwierige Situation für alle Beteiligten. Wie kommt man damit zurecht, wenn man einem geliebten Menschen beim Kampf zurück ins Leben nicht persönlich zur Seite stehen kann? Ein Geschichte über eine Familie aus dem Vogelsberg zwischen Tränen, Sehnsucht, Sorge und Unverständnis.

10 Uhr, 15.30 Uhr und 21.30 Uhr: Diese Uhrzeiten sind seit einigen Wochen für Maria Schmidt und ihre Mutter Angelika, die beide in Wirklichkeit anders heißen, von ziemlich großer Bedeutung. Dann nämlich rufen sie im Krankenhaus an, um sich über den aktuellen gesundheitlichen Zustand von ihrem Ehemann und Vater Joachim Schmidt, auch seine Name wurde geändert, zu erkundigen. Seit dem 12. Mai liegt er bereits im Krankenhaus. Sieben Wochen sind seitdem vergangenen. Gesehen haben sie ihn lediglich ein einziges Mal, für fünf Minuten – trotz Besuchsverbots. „Die Situation ist einfach die Hölle auf Erden“, sagt Maria und kann ihre Tränen nicht mehr zurückhalten.

Der 12. Mai diesen Jahres war eigentlich ein Tag wie jeder andere. Pünktlich um 10 Uhr drehte Joachim seine Runde mit der gemeinsamen Hündin. Seine Frau Angelika saß auf dem Balkon. Plötzlich sah sie, wie ihr Mann anfing zu humpeln, sich die Leine um seine Beine wickelte. Langsam bewegte er sich in Richtung Zaun, verschwand aus ihrem Sichtfeld. „Er kam und kam nicht heim“, erinnert sich die 73-Jährige. Also schaute sie nach. Dort stand ihr Mann, den Blick starr nach vorne gerichtet, den Mund geöffnet, Spucke floss heraus. Sofort rief Angelika Schmidt den Notruf. Der Rettungsdienst kam, nahm ihren Mann mit. Diagnose: Schlaganfall.

Ins Krankenhaus begleiten durfte sie ihren Mann nicht. Sie konnte ihm nicht beistehen, seine Hand in dieser schwierigen Situation halten. Nur in Gedanken. Wegen der Corona-Pandemie sind Besuche in Hessischen Krankenhäusern verboten. Nur in wenigen Ausnahmefällen dürfen Angehörige ihre Lieben am Krankenbett besuchen, beispielsweise wenn es aus „ethisch-sozialen Gründe dringend geboten ist, insbesondere bei Geburten oder Personen im Sterbeprozess“. Um einen Besuch genehmigt zu bekommen, müsste man mit dem behandelnden Arzt beziehungsweise mit der Krankenhausleitung sprechen.

Fünf emotionale Minuten

Das machte die Familie auch. Mehrmals. Immer wieder griffen sie zum Hörer, um nach einem Besuchstermin zu fragen. Irgendwann hatte Marias Schwester Erfolg – trotz Verbots. Das gilt nämlich noch bis zum 16. August. „Nach über fünf Wochen durften wir ihn endlich sehen“, erzählt Maria Schmidt. Allerdings nur für ganz kurze Zeit. Genauer gesagt: für fünf Minuten – fünf sehr emotionale Minuten. Als erstes ging Mutter Angelika in das Zimmer ihres Ehemannes. Ängstlich. Es sollte das erste Mal sein, dass sie ihren Ehemann so krank sehen würde. Er liegt auf der Intensivstation, wird künstlich beatmet. „Nur sechs Tage, nachdem er eingeliefert wurde, hatte er wieder einen Schlaganfall“, erzählt Maria. Wieder laufen ihr die Tränen die Wange herunter.“Wir wussten, dass überall Schläuche sein werden. Wir hatten aber auch Angst vor seiner Reaktion. Würde er sie, würde er uns erkennen?“, erzählt sie.

Er erkannte sie sofort – trotz Mund-Nasen-Maske. „Er hat geweint vor Freude“, erzählt Maria. Und damit war er nicht alleine. Auch Maria, Angelika und ihre Schwester konnten ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. „Es war schon ein Schock, ihn da so hilflos liegen zu sehen“, erinnert sie sich. Das schlimmste an dem Besuch sei jedoch gewesen, dass sie ihn nach nur fünf Minuten wieder verlassen mussten, mit der Frage im Kopf, wann und ob sie ihn das nächste Mal sehen werden.

Für Maria Schmidt ist es ein Unding, dass über das Thema Besuchsverbot in Krankenhäusern nicht öffentlich gesprochen wird. „Mittlerweile wurden zwar die Besucherregelungen in Altenheimen gelockert, doch über das Thema Krankenhaus wird einfach nicht diskutiert“, sagt sie verärgert. Die Menschen in Altenheimen seien auch Risikopatienten und die dürfe man mittlerweile schließlich auch besuchen. Ihr Vater mache gerade die schwerste Zeit seines Lebens durch und niemand könne ihm beistehen.

Noch nie so lange voneinander getrennt

Dass Patienten und auch die Pfleger und Ärzte vor dem Virus geschützt werden müssen, das versteht sie, es steht für sie außer Frage. Sie ist keine Corona-Leugnerin. „Ich frage mich einfach, wieso es in Nordrhein-Westfalen möglich ist, es dort funktioniert, in Hessen aber nicht“, sagt Schmidt. Ihre Mutter stimmt ihr nickend zu. „Er fehlt mir. Wir waren in den 43 Jahren, in denen wir verheiratet sind, noch nie solange voneinander getrennt“, sagt die 73- Jährige und blickt traurig auf den Boden. „Jeden Abend haben wir uns einen Apfel geteilt. Seit dem 12. Mai habe ich keinen mehr gegessen.“

Es ist aber nicht nur die Sehnsucht, die die Familie Tag für Tag plagt. „Ich frage mich auch immer, was in seinem Kopf vorgehen muss, wie er mit dieser ganzen Situation zurecht kommt, wenn er da die ganze Zeit alleine liegt. Ich habe Angst, dass er irgendwann nicht mehr die Kraft hat, zu kämpfen“, erzählt Maria Schmidt besorgt. Das Ganze sei nicht nur für die Angehörigen, sondern auch für die Patienten eine psychische Belastung.

Wie können wir diese Krise menschlich überstehen, wenn wir in manchen Bereichen so unmenschlich handeln?Maria Schmidt

Angelika Schmidt erinnert sich daran, wie ihr Ehemann einen Tag vor dem Schlaganfall sagte, dass ihm die Menschen leid tun, die im Krankenhaus liegen und keinen Besuch empfangen dürfen. Nun ist er selbst einer von ihnen. Seit sieben Wochen schon – mit  Ausnahme von fünf Minuten. Kontakt gibt es lediglich über das Telefon. „Wir rufen jeden Tag an. Morgens, nachmittags und abends. Nachmittags halten die Schwestern ihn dann das Telefon ans Ohr, damit wir mit ihm sprechen können“, erzählt die Tochter. Ihr Vater selbst kann nicht sprechen. Sie weiß auch nicht, was er genau mitbekommt, denn momentan sieht es danach aus, dass ihr Vater, wenn er das Krankenhaus irgendwann wieder verlassen darf, ein schwerer Pflegefall sein wird.

Mittlerweile wird Joachim Schmidt so langsam vom Beatmungsgerät entwöhnt, doch fest steht bereits: er ist halbseitig gelähmt und wird noch lange Zeit im Krankenhaus bleiben müssen. Wird er jemals wieder sprechen können? Wird er sich jemals von den zwei Schlaganfällen erholen? Den beiden Frauen schwirren viele Fragen im Kopf herum. Alleine die Vorstellung, ihn wenn überhaupt erst in mehreren Wochen sehen zu können, sei unerträglich. „Wie können wir diese Krise menschlich überstehen, wenn wir in manchen Bereichen so unmenschlich handeln?“, fragt sich Maria Schmidt.

„Ihm beistehen, wenn er sich zurück ins Leben kämpft“

Sie kann es einfach nicht verstehen, dass Krankenhausbesuche in einigen Bundesländern erlaubt sind, in Hessen jedoch nicht. Sie betont erneut, dass sie es verstehen könne, dass man Patienten und Personal schützen wolle. „Aber mit Schutzkleidung sollte ein Besuch doch möglich sein. Ich ziehe auch zehn Masken auf und zehn Kittel an. Ich bezahle auch dafür. Ich will ihn einfach besuchen, für ihn da sein, ihm beistehen, wenn er sich zurück ins Leben kämpft“, betont die Tochter – und das eben nicht nur für fünf Minuten in sieben Wochen.

Schmidt ist nicht auf die Klinik sauer, das unterstreicht sie immer wieder. Die, so sagt sie, würde sich nur an die Regeln halten. Ihre Kritik richtet sich daher an die hessische Landesregierung, die diese Regeln macht. Von dort heißt es auf eine Interviewanfrage hin knapp, man suche nach Wegen, weitere Besuchsmöglichkeiten zu schaffen.

Würde es Corona nicht geben, sagt Maria Schmidt, dann wäre jeden Tag irgendein Familienmitglied bei ihrem Vater zu Besuch. Es sei doch schließlich so wichtig, jemanden in so einer schwierigen Zeit nicht alleine zu lassen, betont sie. „Jetzt muss man alleine in den Kampf gehen. Er kämpft dort, wir hier“.

Doch die Familie gibt die Hoffnung nicht auf, dass sie ihren geliebten Ehemann und Vater bald wieder in die Arme schließen kann. Er hat bald Geburtstag. Ein Anlass, auf weitere fünf Minuten Normalität zu hoffen? Bis dahin ist das Telefon das einzige, das ihnen bleibt. „Man denkt sich die ganze Zeit: hoffentlich ist es bald 10 Uhr, hoffentlich bald 15.30 Uhr, hoffentlich bald 21.30 Uhr“, erzählt Maria und versucht ein wenig zu lächeln. Knappe drei Stunden müssen sie sich aber noch gedulden. Dann wird eine Schwester wieder das Telefon an das Ohr ihres Vaters halten, damit sie ihm zumindest so Mut und Kraft zusprechen können.

8 Gedanken zu “Besuchsverbot im Krankenhaus: „Er kämpft dort, wir kämpfen hier“

  1. …sind diese ganzen Berichte und Erlebnisse. Das erinnert daran, dass unser ach so fürsorglicher Sozialstaat dem Thema „humanes Sterben“ nur wenig Bedeutung beimisst, nachdem er über Jahrzehnte zugesehen hat, wie auch in der Schwerstbehinderten-, Kranken und Altenpflege die Humanität gegenüber der Ökonomie Schritt für Schritt zurückgedrängt wurde. Wer sich um menschenwürdige Lebensbedingungen für die Armen, besonders Benachteiligten, Alten und Schwerstkranken schon wenig Gedanken macht, der reißt sich in der Endphase auch kein Bein mehr aus. Aber wir tragen alle eine gewisse Mitschuld. Jeder von uns muss sterben. Aber bis zuletzt wird verdrängt.

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  2. Es ist so unvorstellbar grausam und es ist so unnötig. Es gibt doch auch Schutzkleidung wie man sie auf Intensivstationen benutzt bei Menschen mit hochansteckenden Erkrankungen, die garantiert eine Infektion verhindern. Bei Ebola geht das doch auch. Und das Pflegepersonal darf doch auch zum Patienten,warum nicht die Angehörigen? Ausser dem Beruf gibt es keinen Unterschied zwischen Pflegekräften und Angehörigen. Wenn die Angst besteht dass die Angehörigen sich die Schutzkleidung runterreissen, dann eben unter Aufsicht. Was da passiert in Krankenhäusern und Pflegeheimen ist reine Schikane, verletzt die Grundrechte und Menschenrechte in schwerster Weise. Ich halte ist für ein Verbrechen vom Staat. Der Stast hat nicht das Recht Angehörige von Ihren schwerkranken Familienmitgliedern fernzuhalten. Warum lassen wir uns das gefallen??? Es gibt dafür keine stichhaltige, logische Begründung.

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  3. Hallo, ich bin im Moment in der gleichen Situation. Mein Mann wurde ins Krankenhaus Wolfenbüttel eingeliefert . Er wurde positiv getestet, also corona. Ich durfte jeden Tag anrufen, habe ich keinen erreicht, riefen sie zurück. Es ging ihm sehr sehr schlecht. Die Ärzte hatten zu dem Zeitpunkt kaum noch Hoffnung. Jetzt liegt er in lostau/ Magdeburg in der weaning-Station. Er ist seit 1/4 Jahr in den Krankenhäusern. Seit 5 Wochen in Lostau und es ist besuchsverbot. Seit 5 Wochen nicht gesehen, nicht gehört. Mein Mann will nicht mit mir telefonieren, keiner weiß warum. Ich zerbreche zu Hause. Die Krankenschwestern dürfen keine Auskunft geben. Ärzte möchte man nicht dauernd anrufen. Es ist im Moment sehr schwer für mich, weil man nicht weiß wie lange es noch andauert.

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  4. Die Familie tut mir wahnsinnig leid. Ich kann dem ganzen nachvollziehen wie es ist, da wir das selbe durchgemacht haben. Mein Lebensgefährte hat Krebs und wurde am 6.5. in Marburg operiert.Als ich am Abend anrief, hieß es er hat es gut überstanden und ich konnte gegen 20.00Uhr ihn persönlich anrufen über seinen Handy. Doch bis auf den Folge morgen ging er nicht an sein Handy, sodass ich um 9.00Uhr auf Station anrief. Sie sagten mir, :Bitte bleiben Sie jetzt ganz ruhig“. Im ersten Moment dachte ich er wäre gestorben, Angst und Kraftlosigkeit überkamen mich. Er musste in den Not OP da der Darm Inhalt in den Bauchraum gelang.. Stunden die mir vorkamen wie eine Ewigkeit voller Angst. Am Abend kam er auf Intensiv. Zudem kollabierte seine Lunge. Die Ärztin sagte mir am Telefon er arbeitet nicht mit.. Den Hörer an seinem Ohr konnte ich ihm ständig nur sagen, bitte mein Engel wir haben eine Zukunft vor uns, bitte bitte arbeite mit… Die Ärztin forderte mich auf, dass ich nur einmal täglich anrufen darf, da sie sonst mit ihrer Tätigkeit nicht hinterher kommt. Natürlich hatte ich auch dafür Verständnis, doch meine Angst, die Angst dass er aufgibt, Gedanken was er wohl denkt… Nun weiss ich, was er dachte… Er sah mein Gesicht vor sich und fing an zu kämpfen, aber es wäre ihm leichter gefallen, wenn ich nur seine Hand hatte halten dürfen, oder auch wenn es nur hinter einer Glasscheibe gewesen wäre, dass er weiss ich bin in seiner Nähe.
    Noch immer erzählt er unter ganz vielen Tränen von dieser Zeit, welche für ihn die Hölle war. Ganz zu schweigen von mir. Ich habe es nicht verkraftet und musste mich krank schreiben lassen. Nun hoffe ich das er weiter kämpft und den Krebs besiegen kann.
    Ich wünsche der Familie ganz viel Kraft und Gottes Segen

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    1. Frage mal nach bitte ob er Schlaftabletten bekommt und Psychopharmaka. Die Gabe hat meine Mama und ich (Schlaganfall 29.5.mit halbseitig er Lähmung) abgelehnt. Mama sagte mir auch das alle im Speiseraum schlafen und nicht essen.

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  5. Auch unsere Mutter kam ins KH, im Alter von 97Jahren, hatte eine starke Hör-Seh Einschränkung,pfand sich in fremder Umgebung allein nicht zurecht, wir Kinder durften sie nicht besuchen, riefen jeden Tag mehrmals im KH an um sich über Zustand zu erkundigen, am Sonntag verschlechte sich ihr Zustand, musste aber einen Termin vereinbaren mit dem KH um sie besuchen zu dürfen, meine Mutter verstarb aber in der Zwischenzeit, sicherlich ganz allein, durfte dann hin zum Abschied nehmen, ich finde das sehr traurig.

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  6. Die Familie „Schmidt „tut mir aufrichtig leid. Es ist grausam und unmenschlich in dieser schweren gesundheitlichen Krise so gnadenlos von seinem Angehörigen getrennt zu sein. Ich kann den Angehörigen nur raten sich nicht mit dem Besuchsverbot abzufinden. Mir ist ein Fall aus dem UKGM Marburg persönlich bekannt wo ein schwerkrankes Familienmitglied mit einer Sondergenehmigung jeden Tag Besuch von nahen Angehörigen empfangen durfte. Gerade bei einem Schlaganfall ist die persönliche Ansprache und die emotionale Zuwendung sehr wichtig. Bitte nicht aufgeben!

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