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Hobby-Historiker Thorsten Rühl hat nach Spuren der Tempelritter gesucht„Es gibt keinen Beweis, aber viele Indizien, dass die Templer in Homberg waren“

HOMBERG (OHM). Die Tempelritter galten einst als Beschützer des Heiligen Grals. Den mystischen Ritterorden gab es wirklich, doch viele Geschichten um ihn herum sind Legenden und Verschwörungstheorien. Der Physiker Thorsten Rühl ist der Meinung, die edlen Herren residieren wohl einst auch auf dem Homberger Schloss. Doch wie kommt er darauf? Ein Interview über längst vergangene Zeiten.

Thorsten Rühl wollte schon früh wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält. Aus diesem Grund entschied er sich, Physik zu studieren. Seine Doktorarbeit beschäftigt sich mit Multisensorsystemen, auf deren Grundlage zum Beispiel Rauchmelder funktionieren. Doch bei einem Auslandsaufenthalt in den USA reifte in dem Wissenschaftler die Erkenntnis, dass es im Universum höchstwahrscheinlich Dinge gibt, die selbst die beste Technik im Labor nicht bis ins letzte Detail erklären kann. Sollte es tatsächlich einen Schöpfer, einen Gott geben, dem man mit Formeln und Experimenten allein nicht beikommt?

Als er sich diese spirituelle Frage stellte, stolperte Rühl irgendwann über Otto Rahn, einen deutschen Forscher und Schriftsteller, der sich der Suche nach dem Heiligen Gral verschrieben hatte, bevor er in die Forschungsgemeinschaft Ahnenerbe der SS aufgenommen wurde und unter anderem am Stammbaum von Reichsführer Heinrich Himmler mitarbeitete. Rahn trat später aus der SS aus, soll in Anti-Nazi-Kreisen verkehrt haben und kam unter mysteriösen Umständen zu Tode. Er gilt mit zahlreichen anderen Forschern zusammen als mögliche historische Vorlage für die Filmfigur des Indiana Jones – ein Archäologe und Abendteurer, der ebenfalls nach sagenumwobenen Gegenständen wie dem Heiligen Gral sucht.

Rühl verdient sein Geld heute als Vermögensverwalter und wohnt in Rockenberg in der Wetterau. Geschichte ist jedoch immer noch sein Hobby. In seiner Freizeit hat er herausgefunden, dass Rahn sich phasenweise in Homberg (Ohm) – seiner eigenen, alten Heimatstadt – aufgehalten hat. Aber warum? Rühls Theorie: Rahn war auf Spuren der Tempelritter unterwegs, die ihn dorthin geführt haben.

Am nächsten Freitag stellt Rühl seine Thesen ab 19 Uhr im Kaminsaal des Homberger Schlosses vor, der Eintritt ist frei. Im Interview mit Oberhessen-live verrät er schon jetzt, was für die Burg als Sitz des alten Ritterordens spricht, was die etablierte Geschichtswissenschaft dazu sagt – und ob auf dem Berg über der Stadt vielleicht noch ein großer Schatz vergraben liegt.

Oberhessen-live: Herr Rühl, bei Tempelrittern denken viele wohl an Geheimbünde, an Verschwörungstheorien und Mystisches. Was waren die Templer wirklich?

Dr. Thorsten Rühl: Offiziell hieß es damals, die Templer seien gegründet worden, um die Pilger nach dem ersten Kreuzzug auf ihrem Weg in Heilige Land zu beschützen. Diese Funktion haben sie sicherlich auch erfüllt. Der Orden hatte jedoch noch einen anderen Zweck. Und der war es meiner Auffassung nach, alte Denkweisen, wie sie lange vor den Templern zum Beispiel keltische Druiden gepflegt haben, weiter zu bewahren. Diese Denkweisen standen teilweise im Widerspruch zu den Lehren der Kirche und waren deshalb nur einem inneren Kreis bekannt, der aus Angst vor Verfolgung um Geheimhaltung bemüht war. Durch diese Verschlossenheit entstanden die Rätsel und Mythen um die Tempelritter, die in zahlreichen Filmen und Büchern wie „Sakrileg“ von Dan Brown aufgegriffen werden. Fakten und Fiktionen gehen da oftmals nahtlos ineinander über.

Einer dieser Mythen ist, dass die Templer im Besitz des Heiligen Grals waren. Dem Becher, mit dem angeblich das Blut Jesu Christi am Kreuz aufgefangen wurde, als man ihm eine Lanze in die Seite stach.

Ich denke, der Heilige Gral ist hier gar nicht als ein Gefäß zu verstehen. Sondern als eben dieses Wissen, eine Art Erkenntnis, die einem Gott näher bringt und als dessen Bewahrer die Templer fungiert haben sollen.

Thorsten Rühl mit seiner Familie im Homberger Schlossgarten. Foto: privat

Die Templer sind zwar mit den Kreuzzügen verbunden, sie waren jedoch auch an vielen Orten in Europa ansässig, insbesondere in Frankreich. Wie kommen Sie darauf, dass auch auf dem Homberger Schloss Mitglieder des Ordens residierten?

Lassen Sie mich vielleicht eines vorweg sagen: Es gibt keinen Beweis, aber viele Indizien, dass die Templer im Homberg waren.

Was genau meinen Sie damit?

Es ist bislang kein Dokument wie eine Rechnung oder ein Vertrag aus dieser Zeit bekannt, welches die Anwesenheit der Templer auf dem Schloss belegt. Historiker sprechen bei solchen Dokumenten von Urkunden. Jedoch gibt es Erwähnungen in Geschichtsberichten, die davon erzählen.

Und das reicht nicht als Beleg?

Echten Historikern ist das zu wenig. Denn die Geschichtsberichte stammen nicht aus der Zeit des Geschehens, sondern wurden mehrere hundert Jahre später verfasst. Die Historiker sagen auch: „Wenn die Templer in Homberg gewesen wären, dann wüssten wir das. Da wir nichts davon wissen, können sie nicht dagewesen sein“.

Aber Sie sehen das anders?

Ich finde, man muss sich die alten Berichte genau anschauen. Der Historiker Professor Dietrich Christoph von Rommel schreibt in seiner „Geschichte von Hessen“ aus dem Jahr 1823, Homberg sei als Hauptsitz der hessischen Tempelherren bezeichnet worden. Rommel arbeitet dabei mit einem Text aus dem Jahr 1311 über einen Vorfall bei einer Synode in Mainz, die im Mai 1310 stattfand. Alle relevanten Fakten daraus lassen sich mit anderen Quellen belegen, nur für den Teil mit Homberg fehlt der Beweis. Aber wenn alles andere stimmt – warum sollte ausgerechnet dieses eine Informationsstückchen dazuerfunden sein? Das erscheint mir unplausibel. Vielleicht sollte ich noch sagen: Ich verbinde bei meiner Forschung gerne verschiedene Vorgehensweisen.

Das müssen Sie erklären.

Das eine ist die faktenbasierte, wissenschaftliche Methodik. So, wie ich sie auch aus der Physik kenne. Das andere ist, ein stückweit auch seine Intuition einzusetzen. Schlüsse aus Indizien zu ziehen, und so zu einem Ergebnis zu kommen, auch wenn es dafür keinen harten Beweis gibt. So hat auch Rahn gearbeitet.

Zu meiner Kindheit hieß es übrigens, das Schloss sei früher mal eine Raubritterburg gewesen.

Was heißt das für die konkrete Frage, ob die Templer in Homberg waren?

Der Thüringer Landgraf Hermann I. hat nachweislich auch auf dem Homberger Schloss gewohnt. Auf seinem Hof auf der Wartburg beherbergte er Minnesänger, die dasselbe, alte Wissen wie die Tempelritter bewahrten. Außerdem entstand der Gralsepos Parzival in großen Teilen auf der Wartburg. Wenn Hermann I., der von 1155 bis 1217 lebte, mit diesen Themen also eng verbunden war und Minnesänger auf der Wartburg wohnen ließ, warum soll er dann nicht auch Templer auf dem Homberger Schloss beherbergt haben?

Gibt es so etwas denn häufiger? Dass Städte sich als Templersitz herausstellen, obwohl es keine Dokumente aus dieser Zeit darüber gibt?

Ja, es gibt tatsächlich Bauten, die mit einiger Wahrscheinlichkeit auf die Templer zurückgehen, für die es aber ebenfalls keine erhaltenen Urkunden mit Hinweis auf den Orden gibt. Die Grabkirche La Vera Cruz im spanischen Segovia ist ein Beispiel dafür. Insofern wäre der Fall Homberg nicht einmalig. In der Zeit nach der Auflösung des Ordens dürften zudem Dokumente verloren gegangen sein, entweder mit Absicht oder auch als Kollateralschaden des Dreißigjährigen Krieges. Denn in der „Topographia Hassiae“ von Matthäus Merian, die 1646, also noch vor Ende des Dreißigjährigen Krieges entstand, finden wir mit Bezug auf Templer in Homberg noch den Hinweis „wie aus alten Documentis erscheinet“. Dass heißt, solche Dokumente hat es sehr wahrscheinlich einmal gegeben. Nur weil die heute verschollen sind zu sagen, die Templer seien nie in Homberg gewesen, ist zu kurz gedacht. Osama bin Laden kann auch in einer Stadt gewesen sein, in der er nie im Melderegister stand.

Eines Ihrer Indizien ist auch die Überlieferung, wonach die Kirche auf dem Schloss bis ins späte 19. Jahrhundert hinein von den Hombergern „Tempelherrenkapelle“ genannt worden sein soll.

Ja, so ist es noch in den „Quartalblättern des Historischen Vereins für das Großherzogtum Hessen“ von 1874 zu lesen. Leider kann sich niemand, von dem ich in Homberg darüber gesprochen habe, mehr an diesen Ausdruck erinnern. Aber das ist ein wichtiger Mosaikstein. Zu meiner Kindheit hieß es übrigens, das Schloss sei früher mal eine Raubritterburg gewesen. Das ist schon lustig.

Die Templer galten als sehr wohlhabend, sie haben ein eigenes Banksystem betrieben. Ist auf dem Homberger Schloss vielleicht noch irgendwo ein Templer-Schatz vergraben?

Der legendäre Templerschatz gilt tatsächlich bis heute als verschollen. Etwaige materielle Schätze dürften aber – wenn überhaupt – in Südfrankreich unter der Erde liegen. In Homberg würde ich das eher nicht vermuten.

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