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Rechtsanwältin Gesa Stückmann referierte in einem Webinar über die rechtliche Sicht auf die alltägliche Handynutzung – speziell bei Kindern und JugendlichenStrafbar und haftbar – auch als Jugendlicher

ALSFELD (ol). Tagtäglich gehen Millionen von Filmen, Bildern und Nachrichten von einem Handy zum anderen. Informationsfluss auf der einen Seite, Mobbing, Gewaltdarstellung, Pornographie auf der anderen Seite. Und das längst nicht nur auf Handys von Erwachsenen, wie die Erfahrungen aus Schule und Justiz zeigen. Rechtsanwältin Gesa Stückmann referierte in einem Webinar an Geschwister-Scholl-Schule und Albert-Schweitzer-Schule über die rechtliche Sicht auf die alltägliche Handynutzung – speziell bei Kindern und Jugendlichen.

„Wir statten unsere Kinder mit Technik für Erwachsene aus und wundern uns dann, wenn etwas schiefläuft.“ Mit diesen Worten begrüßte Christian Bolduan, stellvertretender Schulleiter der Albert-Schweitzer-Schule, in der vergangenen Woche gut 150 Eltern zum ersten Webinar der Schule in der Aula am Standort Schillerstraße. Eine Woche zuvor hatte es bereits einen gemeinsamen Termin zum gleichen Thema – dem verantwortungsbewussten Umgang mit dem Handy – an der Geschwister-Scholl-Schule gegeben – eine Kooperation, die ausbaufähig ist, wie Bolduan feststellte.

Weiter heißt es in der Pressemitteilung der Schule, die hohen Anmeldezahlen zeigten das große Interesse an dem Thema Handynutzung bei Kindern und Jugendlichen – die Brisanz dessen unterstrichen auch Schulseelsorgerin Katja Dörge und Dr. Katja Müller, Suchtpräventionsbeauftrage an der ASS, aus ihrer täglichen Praxis. Unterstützt und begleitet wurden beide Veranstaltungen von der Fachstelle für sexualisierte Gewalt des Vogelsbergkreises. Vladimira Kruskova und Dagmar Haß stellten an diesem Abend ihr Angebot vor und präsentierten sich als fachliche Anlaufstelle auch für Fragen zum Thema Mobbing.

Der wiederholte Rat: „Schauen Sie, was Ihre Kinder machen“

Neben der Albert-Schweitzer-Schule nahmen noch zwei Schulen aus Berlin und Nordrhein-Westfalen an dem Webinar teil – für viele der Anwesenden eine neue Veranstaltungserfahrung. Von ihrer Kanzlei in Rostock aus nahm die Referentin Gesa Stückmann ihre Zuhörerschaft live mit auf eine neue Reise zum Thema Mediennutzung: Die zivil- und strafrechtlichen Folgen waren im Fokus, denn oft sind sich weder Kinder und Jugendliche noch deren Eltern über die juristischen Konsequenzen des Handelns bewusst.

Zum Einstieg zeigte die Anwältin verstörende Fotos, die sie auf den Handys einer 6. Klasse gefunden hat: Szenen einer brutalen Köpfung hatte ein Junge an seine Mitschüler geschickt, pornografische Darstellungen ebenfalls. Stückmann wies darauf hin, dass sie diese expliziten, wenn auch teilweise geschwärzten Darstellungen nicht in den Webinaren für Kinder zeige, denn was solche Bilder und Filme mit jungen Menschen machen, könne man sich gar nicht vorstellen. Auch einen Fall von monatelangem Mobbing präsentierte sie den Zuschauern, schlimmste rassistische und sexualisierte Beleidigungen bis hin zu offenen Todesdrohungen.

Mehr als einmal schon haben solche Fälle zu Selbstmord geführt. Auch über absichtlich oder heimlich gemachte erotische Fotos sprach Stückmann in ihrem Vortrag. Diese Bilder, manchmal ohne große Gedanken gemacht, manchmal schon unter Druck entstanden, gerieten schneller ins Netz als man schauen könne – und von dort bekommt man sie nie wieder weg. Es ging um Verleumdung und Verunglimpfung – auch von Lehrkräften – und schließlich auch um Cyber-Grooming, also das Anmachen von Kindern und Jugendlichen durch Erwachsene auf Spiele-Plattformen, sowie um Computer-Down- und Uploads auf Plattformen wie Youtube und anderen. Stückmann, selbst Mutter zweier Kinder, arbeitete heraus, wie irreführend Freigaben für Spiele ab Null Jahren sind, da sich hier große Gefahren für Kinder verstecken.

Ihr wiederholter Rat: „Schauen Sie, was Ihre Kinder machen. Auf dem Computer und auf dem Handy. Lassen Sie sich die Kontakte Ihrer Kinder zeigen. Das ist Ihre Pflicht und auch Ihr Recht! Sprechen Sie mit Ihrem Kind. Und versuchen Sie auch, Handynutzungszeiten und -regeln durchzusetzen: Nicht bei Tisch und nicht im Bett. Und halten Sie sich auch selbst daran.“

Mobbing durch die Handynutzung grenzenloser

Das Mobbing selbst habe sich auf dem Weg vom analogen zum digitalen Alltag gewandelt: Heute kann es jeden treffen, in Gruppen entsteht ein Mitmachsog, die Mittel per Handy werden gemeiner, die Veröffentlichung grenzenlos, ebenso wie die Scham der Opfer. Und: Man kann sich zu keiner Zeit mehr entziehen. Dennoch ging es in dem Vortrag weniger um die lebenslangen Folgen von Mobbing für die Opfer, als vielmehr um die Konsequenzen für die Täter. Hochinteressant waren die rechtlichen Aspekte, die die Anwältin zu jedem der hier geschilderten Problemfälle darlegte: Sowohl zivilrechtlich als auch strafrechtlich könne man gegen viele Aktionen im Internet vorgehen: Bei einer Persönlichkeitsverletzung könne eine Abmahnung bis hin zu einem Anspruch auf Schmerzensgeld erwirkt werden.

Strafrechtlich handelt es sich in der Regel um Körperverletzung, Verleumdung, Beleidigung, Nötigung, Stalking. Um hier juristisch aktiv zu werden, müsse man Beweise sichern: Screenshots und die Speicherung ganzer WhatsApp-Chats auf einem Computer seien nötig, erklärte die Anwältin und zeigte auch gleich, wie es geht. In ihrem Vortrag warf die Expertin einen intensiven Blick auf die Täter: Sie erwarten Strafen, mitunter hohe, fünftstellige Beträge, die ein Opfer bis zu 30 Jahre lang einklagen kann, denn: Haftbar sind nicht die Eltern, sondern der Täter, auch wenn es sich um einen Jugendlichen handelt. Die Idee, man sei als Jugendlicher nicht angreifbar, stimme nicht.

Und darüber sollten sich Kinder, Jugendliche und die Eltern klar sein und man solle ein Bewusstsein dafür erlangen, was man alles nicht darf: Man darf keine Bilder von anderen verschicken – egal, welcher Art -, auch nicht, wenn die Person diese einem selbst zugeschickt hat. Man darf keine heimlichen Aufnahmen von jemandem machen, schon gar nicht im sogenannten „höchstpersönlichen Lebensbereich“. Besonders sensibel sind Nacktfotos, die im privaten Umfeld entstanden sein können und nach einer Trennung plötzlich im Netz kursieren.

Das Bearbeiten und Fotomontieren ist strafbar, führte die Anwältin aus, das Verbreiten von Gewaltdarstellungen ist strafbar, das Verbreiten von Pornografie, insbesondere von Kinder- und Jugendpornografie ist strafbar. Und nicht nur das Verbreiten: Wer ungewollt eine solche Datei erhält und auf seinem Handy behält, kann dafür zur Rechenschaft gezogen werden, beispielsweise wenn im Rahmen einer polizeilichen Ermittlung alle in einem Verteiler befindlichen Geräte konfisziert werden.

Handyverbot sei keine gute Lösung

Als Fazit konnten die Eltern vieles aus der Veranstaltung mitnehmen, das wichtigste war vielleicht, dass man mit einem Handy in der Tat strafbare Dinge tun kann, die geahndet werden und auch den Täter ein Leben lang verfolgen. „Wenn ich in einen Laden gehe, kann ich kaufen oder klauen. Ich kann mich entscheiden, ob ich etwas Legales oder Illegales tun möchte. Und wenn ich beim Klauen erwischt werde, muss ich mit den Konsequenzen leben. Bei der Handynutzung ist es genauso: Wenn ich die Persönlichkeitsrechte eines anderen verletze, wenn ich Filme und Bilder besitze und verbreite, die verboten sind, muss ich mit Konsequenzen rechnen.“ Darüber können sich auch schon Kinder und Jugendliche bewusst sein.

„Obwohl viele der Dinge, von denen wir heute gehört haben, außerhalb der Schule und der Schulzeit passieren, möchten wir uns gemeinsam mit Ihnen, den Eltern, den Herausforderungen stellen und gute Lösungen finden“, schloss Bolduan den Abend. „Handyverbot kann sicher keine sein, aber ein sensibler Umgang mit den Möglichkeiten dieser Technik durchaus.“ Eine Veranstaltung für Kinder und Jugendliche wird die Schule gemeinsam mit dem Schulelternbeirat planen und anbieten.

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