Gesellschaft4

Es würden keinerlei Beweise vorliegenFreispruch im Entführungsfall Würth

SCHLITZ/GIEßEN (ol). Vor etwa dreieinhalb Jahren wurde Markus Würth, Sohn des Milliardärs Reinhold Würth, vom Hofgut Sassen, einer integrativen Wohngruppe in Schlitz, entführt. Einen Tag später fand man ihn in einem Wald, angekettet an einen Baum. Angeklagter im Entführungs-Fall Würth war Nedzad A., der die Tat bis zum Schluss bestritt. Jetzt wurde er vor dem Gießener Landgericht freigesprochen.

Markus Würth, Sohn des baden-württembergischen Unternehmers Reinhold Würth, war 2015 in Schlitz vom Hofgut Sassen, einer integrativen Wohngruppe für behinderte und nicht-behinderte Menschen, entführt worden. Einen Tag später wurde Markus Würth unversehrt an einen Baum gekettet aufgefunden.

Wie die Süddeutsche berichtet, wurde der 48-jährige Angeklagte Nezda A., der im März diesen Jahres festgenommen wurde, vor dem Gießener Landgericht freigesprochen. Das Gericht sah es nicht als erwiesen an, dass der Mann an der Tat rund um die Verschleppung und die damit verbundene Lösegeldforderung von drei Millionen Euro beteiligt war. Das Gericht folgte also der Verteidigung, die auf Freispruch plädiert hatte, weil es kein einziges Indiz gebe, dass auf den Angeklagten hinweise. Die Staatsanwaltschaft hatte hingegen dreieinhalb Jahre Haft gefordert. Analysen einer Sprachaufnahme und von Handy-Daten sollen der Staatsanwaltschaft zufolge Nedzad A. als Täter identifizieren,

4 Gedanken zu “Freispruch im Entführungsfall Würth

  1. >> Wer je das zweifelhafte Vergnügen hatte, unschuldig in die Mühlen der Strafjustiz zu geraten, stößt auf Staatsanwält*innen und Richter*innen, die sich der Illusion hingeben, auf der Basis ihrer eigenständigen Wissenschaft, also dessen, was ihnen die juristische Ausbildung vermittelt hat, Recht/Gerechtigkeit „produzieren“ zu können. <<
    Die Arroganz dieser Juristenkaste, Rechtsanwälte mit eingerechnet, gründet sich auf eine Reihe von Privilegien, die aus dem Mittelalter zu stammen scheinen. Fachlich müssen Sie überhaupt nichts können. Hauptsache, die formalen Regeln werden eingehalten. Egal ob Straf- oder Zivilprozess bzw. familiengerichtliches Verfahren – der Anwalt verdient sich immer eine goldene Nase, wenn es um viel Geld (Streitwert) geht. Der Bundesgerichtshof hat zwar die anwaltlichen Pflichten klar definiert, inkl. Kenntnis der jeweils neuesten höchstrichterlichen Rechtsprechung, doch kümmert das in der Praxis niemanden. Der Richtervorbehalt schützt selbst den in der Verhandlung volltrunkenen oder geisteskranken Richter vor Regressforderungen und Strafverfolgung. Die Staatsanwälte werden gleich mit unter den "Schutzschirm" genommen, obwohl es hier kein "Richterprivileg" (https://www.youtube.com/watch?v=PHAsBMng1DY) geben dürfte.
    Und wenn sich ein Freispruch bei falscher Ermittlungen falscher Anklage und unfairer Verhandlungsführung partout nicht verhindern lässt oder höchstinstanzlich verfügt wird, sind die Herrschaften tödlich beleidigt, weil sie ja prinzipiell keine Fehler machen, und verfolgen selbst die Freigesprochenen noch mit Schikanen. Da werden vorgerichtliche Anwaltskosten trotz klarer gesetzlicher Regelung erst mal nicht erstattet, die Auszahlung von Haftentschädigungen wird bis zum St. Nimmerleinstag verzögert usw. Aus tatsächlichen Gründen Freigesprochene können damit rechnen, dass beim nächsten ähnlichen Fall in der näheren Umgebung ihres Wohnorts die Kripo vor der Tür steht, und gegen den unschuldig Verfolgten erneut ermittelt. Entschädigung für die materiellen Folgen von Justizirrtümern – oft verlieren die falsch Angeschuldigten die berufliche Existenz, erleiden erhebliche Vermögensschäden und die Ehen gehen kaputt – gibt es nicht. Verfahren gegen unfähige Gutachter (https://www.youtube.com/watch?v=ygsK7Bm8ZYE), lügende Zeugen und Falschbeschuldiger (https://www.zeit.de/2011/28/DOS-Justiz/komplettansicht) werden von denselben Staatsanwaltschaften, die vorher so übereifrig ermittelt und angeklagt haben, innerhalb kürzester Zeit eingestellt. Wer das je erleben musste, bleibt für sein Leben gezeichnet. Es ist ein Sumpf.

  2. @ „Ein Hoch auf Justizia“
    „Der Irrtum eines Managers kostet Geld. Der eines Strafrichters zerstört Leben. Und der Jurist erkennt seine Fehler nicht einmal“. Dieser Satz des von Ihnen zitierten Justizkritikers Prof Ulrich Sommer deutet an, dass die Willkür noch größer ist als Sie es andeuten. Das Hauptproblem besteht darin, dass entscheidungspsychologische Selbstverständlichkeiten im Strafprozess ignoriert werden. Die deutsche Strafprozessordnung stammt von 1877 und sieht nicht mal die Tonaufzeichnung des Prozessverlaufs vor, so dass einer willkürlichen „Interpretation“ aller Aussagen von Beschuldigten, Zeugen, Richtern, Staatsanwälten, Schöffen usw. Tür und Tor geöffnet sind. Welche psychologischen Faktoren den Prozessverlauf oder das richterliche Urteil unterschwellig bestimmen und verfälschen können, wollen die Juristen in ihrer Selbstherrlichkeit gar nicht wissen, sondern verlassen sich auf ihr „Bauchgefühl“, womit sie aber in höchstem Grade manipulierbar und ihre Entscheidungen unkalkulierbar werden.
    „Die Entscheidungsforschung“, schreibt Prof. Sommer, „hat mittlerweile die unterschiedlichsten Strukturen für das menschliche Entscheiden und damit auch für die Ursachen von Fehlentscheidungen ausgemacht. Wer einen gerechten modernen Strafprozess will, muss zumindest bereit sein, in einem ersten Schritt die Auswirkungen dieser Ergebnisse auf richterliches Handeln zu überprüfen.“
    Da man eine Reform des Strafprozesses auf hohem theoretischen Niveau scheut, hat man sich in den „Gutachterprozess“ geflüchtet, kommt damit aber vom Regen in die Traufe, weil es an qualifizierten Gutachtern generell fehlt und den Gutachtern von den Gerichten häufig eine Tendenz des in Auftrag gegebenen Gutachtens signalisiert wird (https://www.sueddeutsche.de/panorama/gerichtsverfahren-gerichte-geben-gutachtern-haeufig-tendenzen-vor-1.1881878). Ob überhaupt und welcher Gutachter zu Rate gezogen wird, liegt allein im Ermessen der Gerichte. Die „Unabhängigkeit“ und „Qualifikation“ des Gutachters sind in keiner Weise gewährleistet, parteiliche und dilettantische Gutachten häufig nur schwer nachzuweisen.

  3. Sehr gute/richtige Entscheidung des vorsitzenden Richters, HOCHACHTUNG/RESPEKT dafür.Die Staatsanwaltschaft Gießen hat wieder mal geschlampt und sehr miese „Arbeit“ geleistet, wie man es von ihnen nicht anders kennt und vom Richter eine ordentliche Schelte bekommen dafür. :))))

  4. Laut Angaben des Statistischen Bundesamts (veröffentl. 2015 auf Grundlage des Zahlenmaterials von 2012) liegt die Wahrscheinlichkeit, dass Tatverdächtige am Ende der polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen bzw. eines gerichtlichen Strafverfahrens auch verurteilt werden, nur bei ca. einem Drittel. Bei den tatverdächtigen Personen, gegen die ein strafgerichtliches Verfahren eröffnet wird, liegt die Verurteilungsquote dagegen bundesweit bei 81 Prozent (Hessen 86 Prozent). Nur bei etwa 16% der Abgeurteilten stellte das Strafgericht 2012 das Verfahren ein, weitere 3% der Abgeurteilten wurden freigesprochen.
    Offen bleibt, wie viele Freigesprochene die zur Last gelegte Tat tatsächlich begangen haben und wie viele Verurteilte tatsächlich unschuldig sind. Eine Statistik hierüber gibt es nicht. Doch sorgt das veraltete deutsche Strafprozessrecht nach Meinung des Kölner Strafverteidigers und Rechtsanwalts Prof. Dr. Ulrich Sommer (siehe https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/fehlurteile-strafprozess-richter-entscheidungspsychologie/) für eine hohe Zahl von Fehlurteilen, die weit über die der in den Medien publizierten Extremfälle (Horst Arnold, Bauer Rupp, Tatjana Gsell usw.) hinaus geht.
    Inwieweit der Bürger dem Strafrechts-System seines Landes noch vertraut, hängt stark davon ab, ob er selbst schon einmal mit dieser Justiz in Berührung gekommen ist (https://www.youtube.com/watch?v=NK-T1ygfNNM). Wer je das zweifelhafte Vergnügen hatte, unschuldig in die Mühlen der Strafjustiz zu geraten, stößt auf Staatsanält*innen und Richter*innen, die sich der Illusion hingeben, auf der Basis ihrer eigenständigen Wissenschaft, also dessen, was ihnen die juristische Ausbildung vermittelt hat, Recht/Gerechtigkeit „produzieren“ zu können. Dabei erweist sich gerade im praktischen Strafprozess, dass es erst in zweiter Linie um die Anwendung des Rechts geht, also das, was der Richter „gelernt“ hat. Im Mittelpunkt steht die Feststellung eines Sachverhalts. Die Regeln, nach der diese Feststellung zu erfolgen hat, sollten eigentlich durch das Gesetz vorgeben sein. Doch genau dies ist nicht der Fall.
    Schon die Anklageerhebung der Staatsanwaltschaft kann im Zweifelsfall gegen alle gesicherten Zeugenaussagen und logischen Tatumstände erfolgen (selbst so erlebt!). Die Deutung ambivalenter Sachverhalte obliegt dabei allein dem Staatsanwalt und später dem Strafrichter, der die Klage zulassen und den Strafprozess eröffnen muss. Prof. Dr. Sommer: „Alles was logisch möglich ist – so der BGH –, ist rechtens, selbst wenn es anderen lebensfremd erscheint. In ständiger Rechtsprechung heißt es aus Karlsruhe und Leipzig, dass die Aufgabe, sich auf der Grundlage der vorhandenen Beweismittel eine Überzeugung vom tatsächlichen Geschehen zu verschaffen, grundsätzlich allein dem Tatrichter obliegt. Seine Beweiswürdigung hat das Revisionsgericht regelmäßig hinzunehmen, es ist ihm verwehrt, sie durch eine eigene zu ersetzen.“
    Dementsprechend gilt für den Strafprozess von der Anklageerhebung bis zum Urteil nicht das Gerechtigkeits-, sondern das Willkür-Prinzip: „Auf hoher See und vor Gericht ist man in Gottes Hand!“ Dies sollte jeder wissen, bevor er sich über den obigen Freispruch aufregt.

Comments are closed.

Schreibe einen Kommentar

Bitte logge Dich ein, um als registrierter Leser zu kommentieren.

Einloggen Anonym kommentieren