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Kritik an Göttinger Studie, die die Wirkung der blauen Elemente anzweifelt„Wildwarnreflektoren sind das beste Mittel“

VOGELSBERG (akr). Manche Autofahrer haben sie bestimmt schon gesehen: Blaue Reflektoren an Straßenpfählen. Auch im Vogelsbergkreis sind sie mittlerweile weit verbreitet. Sogenannte Wildwarnreflektoren sollen angeblich Wildtiere von der Straße fernhalten. Doch jetzt kommt eine Studie zu dem Schluss: Das bringt überhaupt nichts. Aber kann man das auch für den Vogelsberg behaupten?

Die Idee an und für sich klingt super. Weil Wildtiere die Farbe blau besonders gut sehen und somit am besten dadurch abgeschreckt werden können, sollen blaue Reflektoren am Straßenrand vor Unfällen mit den Tieren schützen, indem sie sie von der Straße fernhalten. Deswegen blitzt es seit drei Jahren auch am Rand Vogelsberger Straßen Straßen immer wieder blau wenn es dämmert. Doch eine Untersuchung der Universität Göttingen auf 150 Teststrecken in Niedersachen, Nordrhein-Westfalen und Hessen ergab, dass der Trick wohl doch nicht funktioniert. Die Wissenschaftler haben keine Reduzierung der Wildunfälle durch die Reflektoren feststellen und statistisch nachweisen können. Entstanden ist ihre Studie im Auftrag der Unfallforschung der Versicherer (UDV).

Die Studie der Göttinger Forscher

Gemeinsam mit Kollegen von der Universität Zürich haben die Göttinger Forscher rund 10.000 Stunden Videomaterial ausgewertet. Aufgenommen wurden die Videos mit Infrarotkameras an den zwei Kilometer langen Teststrecken. Laut dem Göttinger Waldökologen Christian Ammer sind dabei etwa 1600 Begegnungen zwischen Tieren und Fahrzeugen dokumentiert worden. Ihm zufolge spielt es für das Verhalten der Tiere keine Rolle, ob es am Straßenrand blau funkelt oder nicht.

Im Vogelsbergkreis sei das allerdings anders. Hier würden die Reflektoren Wirkung zeigen, sagt Barbara Bausch, Vorstandsmitglied des Vereins Tier- und Naturschutz unterer Vogelsberg und Initiatorin des Großprojektes „Wildwarnreflektoren im Vogelsberg“. „Wildwarnreflektoren (WWR)  sind, dort, wo sie ihre Wirkung entfalten können, derzeit das beste Mittel gegen nächtliche Wildunfälle. Und die funktionieren auch wie erwartet.“

Rund 6000 Wildwarnreflektoren sind im Vogelsbergkreis an vielen Bundes- und Landstraßen zu finden. Um die zu erwartende Wirkung zu erzielen – sprich das Licht der Autos zu reflektieren und somit das Wild fernzuhalten – müssen die Reflektoren auch die Möglichkeit haben, einige Meter weit zu strahlen. Wird die Reflexion in Waldgebieten von Bäumen unterbrochen, ist ein Hang zu steil oder befindet sich die Stelle, wo Wild die Straße überquert in einer sehr steilen Kurve, dann sei die Wirkung sehr gering, bis gar nicht gegeben, sagt Bausch. Deswegen habe man bei der Montage genau darauf geachtet, die Reflektoren richtig zu installieren.

Wildwarnreflektoren sind sehr wirkungsvoll

Seit der Anbringung vor rund drei Jahren sei die Anzahl der Wildunfälle gesunken: „Diejenigen, die wir persönlich fragen können, verzeichnen Unfallrückgänge zwischen 50 und 80 Prozent. Anderorts schwanken die Unfallzahlen vereinzelt, was viele Ursachen haben kann“, sagt Bausch. So gebe es eben manchmal mehr Verkehr und manchmal weniger, genauso wie es manchmal mehr und manchmal weniger Wildtiere gebe. Ist eine Strecke mit Reflektoren gesperrt und die Autos müssen eine Umleitung nehmen, schwanken die Ergebnisse ebenfalls.

Zum Teil würden sich auch die Unfälle an Strecken mit den Reflektoren von der Nacht in den Tag verschieben. Damit sei die Wirkung der Reflektoren zwar ebenfalls belegt, das Problem der Unfälle aber Bausch zufolge nicht zufriedenstellend gelöst. Denn die gibt es ja immer noch – nur eben zu anderen Zeiten, in denen die blauen Rechtecke weniger wirken.

Nicht nur Bausch bestätigt die Wirkung der blauen Reflektoren, sondern auch Hans-Jürgen Rupp, Leiter des Forstamts Romrod: “ Die Aussage, Wildunfälle haben zugenommen, kann man so nicht stehen lassen. Klar haben sie zugenommen, wenn man weiß, dass sich der Schwarzwildbestand in den letzten 50 Jahren veracht- bis verzehntfacht hat“, sagt er.  Auch beim Reh- und Rotwild sollen die Bestände zugenommen haben. Trotzdem würden in den Bereichen der Reflektoren nach Aussagen der zuständigen Revierleiter weniger Wildunfälle zu verzeichnen sein.

Stellten damals die blauen Reflektoren vor: Barbara Bausch (r.) und die Vorsitzende Anke Feil. Foto: aep

Dass die Reflektoren funktionieren, das hat bereits das Ergebnis einer Studie aus dem Jahr 2016 gezeigt, die vom Wildinstitut herausgegeben wurde. Über einen Zeitraum von vier Jahren wurden in Schleswig-Holstein an 28 Teststrecken Mittel zur Vermeidung von Wildunfällen auf ihre Wirksamkeit getestet. Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass durch die blauen Reflektoren die Anzahl der Wildunfälle im Vergleich zu den Vorjahren um rund 63 Prozent gesunken sei.

Bausch ist überzeugt, dass die Reflektoren derzeit das beste Mittel gegen Wildunfälle sind – wenn sie an Stellen angebracht sind, an denen sie ihre Wirkung richtig entfalten können.

Bei der Technik könnten sich kaum Gewöhnungseffekte einstellen, da kaum ein Tier zur gleichen Zeit am gleichen Ort – und vor allem regelmäßig – auf ein Auto treffe. Ein großer Vorteil zu anderen Wegen Unfälle, zu vermeiden, meint Bausch – und nennt Duftzäune als ein Beispiel. Diese seien immer an einem Fleck und mit keiner reellen Gefahr für die Tiere verbunden. Anders als die Reflektoren, die, werden sie missachtet, mit Schmerzen oder gar dem Tod für das Tier verbunden sind.

Und anders als Wildschutzzäune würden Reflektoren die natürlichen Wechsel der Tiere nicht durchbrechen. Sie hindern sie also nicht, ihre gewohnten Strecken zu gehen. Allenfalls würden die Tiere für einen kurzen Moment gestoppt, könnten dann aber ungehindert weiterziehen.

Ergebnis dem Versuchsablauf verschuldet

Wie lässt es sich dann aber erklären, dass die neue Studie zu dem Ergebnis kommt, die Reflektoren würden nichts bringen, wenn im Vogelsberg doch das Gegenteil der Fall zu sein scheint? Bausch begründet das zum Beispiel mit dem Versuchsablauf der Studie. „Soweit mir bekannt ist, waren die Teststrecken nicht so sorgfältig ausgewählt, sprich: stark kurvige Stücke, stark bewaldete, nahe Steilhängen etc. wurden durchaus auch eingebunden“, sagt Bausch. Anschließend habe man die Hälfte der Strecken mit Reflektoren ausgestattet, die andere beobachtete man ein Jahr ohne – und nach nur einem Jahr habe man die Reflektoren der Hälfte A abgeschraubt und damit die Straßen der Hälfte B ausgestattet. Dann beobachtete man wieder. So gab es der Bausch zufolge lediglich ein Jahr, in dem die Reflektoren ihre Wirkung zeigen konnten. „Und das ist schlichtweg zu wenig, zieht man wechselnde Futtermöglichkeiten am Straßenrand, wechselnde Wilddichten, sich ändernde Verkehrsverhältnisse und mehr mit ein“, sagt sie.

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