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Kurzportraits zum Tag der Anerkennung der FreiwilligenVier Menschen, die etwas für die Gemeinschaft tun

ALSFELD. Ehrenamtlich, also freiwillig arbeiten, ist nicht selbstverständlich. Egal ob im Tierheim, im Pflegebereich, in der Kirche oder sogar in Läden: Überall gibt es Menschen, die sich engagieren, ohne dafür wirklich Geld zu bekommen. Heute, am Tag der Freiwilligen, ist es Zeit, einige von ihnen vorzustellen. Vier Kurzporträts über Alsfelder Helfer – von OL-Praktikantin Alina Kristin Roth. 

Wer sich ehrenamtlich engagiert, macht das ohne Bezahlung. Manchmal gibt es eine Aufwandsentschädigung, aber die ist meistens eher symbolisch. Mehr als 30 Millionen Menschen in Deutschland engagieren sich ehrenamtlich, das sind gut 40 Prozent der Bevölkerung. Im Vergleich zu anderen Ländern ist das ziemlich viel. Viele Ehrenamtliche bedeuten einen starken Zusammenhalt, eine solide Zivilgesellschaft. Und Forscher und Politiker sind sich darüber einig: Eine lebendige Demokratie ist ohne Ehrenamtliche nicht machbar. Unsere vier Kurzporträts über Menschen aus Alsfeld, die freiwillig etwas für andere tun.

Mathias Köhl, 51 Jahre, Alsfelder Tafel

Der Vorstandsvorsitzende Mathias Köhl hat immer viel zu tun. Foto: akr.

Die blaue Tür mit Sichtfenster ist leicht geöffnet. Mathias Köhl, der im fünften Jahr der erste Vorsitzende der Tafel in Alsfeld ist, steht in seinem Büro am Schreibtisch, mit einigen Papieren in den Händen. Als Vorsitzender ist er unter anderem für die Ausgabelisten, die Verwaltung der Kunden, Vorstandssitzungen, Mitarbeitergespräche oder auch für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit verantwortlich. Doch wenn es mal „eng am Mann“ sei, helfe er auch in anderen Bereichen, wie der Lebensmittelsortierung oder der Essenausgabe, aus. Vier Mal die Woche nach Feierabend kümmert er sich für zwei bis drei Stunden um diese Dinge. Hauptberuflich ist Köhl eigentlich Berufsfeuerwehrmann in Frankfurt. „Daher kommt wahrscheinlich auch meine soziale Ader“, sagt er lachend. Gelernter Koch ist er auch. Die Materie ist ihm deshalb nicht unbekannt.

„Für mich gab es keine Alternative“

Der 51-Jährige engagiert sich schon länger ehrenamtlich: Bevor er bei der Tafel anfing, war Köhl kommunalpolitisch aktiv. „Wenn man einmal was angefangen hat, kommt meist das nächste hinterher“, sagt er. Seit 2016 ist er auch Mitglied im Magistrat der Stadt Alsfeld. Bei der Tafel ist er seit 2014 ehrenamtlich tätig. Er habe zwar früher schon versucht, Kontakt zur Tafel aufzunehmen, um sich ehrenamtlich als Fahrer zu engagieren, allerdings habe er nie eine Rückmeldung bekommen. „Ich habe gelesen, dass die Tafel kurz vor der Schließung stand und dringend ein neuer Vorsitzender gesucht wurde. Und da wollte ich helfen“, erklärt er. Dabei sei er gewissermaßen ins kalte Wasser gesprungen, denn Erfahrungen mit der Vorstandsarbeit habe er keine gehabt.

Während er erzählt, kommen immer wieder Mitarbeiter in sein Büro, denen er mit einem freundlichen Lächeln entgegen blickt. Köhl pflegt ein freundschaftliches Verhältnis zu seinen Mitarbeitern. „Wenn ich sehe, wie glücklich meine Mitarbeiter sind, bin ich es auch“, sagt Köhl. Auch ein freundliches „Hallo“ von seinen Kunden zaubere ihm immer wieder ein Lächeln ins Gesicht. Manchmal bekommen sogar die Mitarbeiter von den Kunden Karten geschrieben oder gar einen Kuchen gebacken. „Gänsehautmomente“, wie er es beschreibt. Das gebe ihm Kraft für seine Arbeit und zeige, dass er alles richtig gemacht habe.

Stolz präsentiert Köhl seine neueste Errungenschaft: Allwetterjacken für die Fahrer. Foto: akr.

Die Arbeit in der Tafel lässt ihn über vieles anders denken, erzählt Köhl. Man erhalte viele Einblicke in Einzelschicksale, lerne viel über Menschen und nehme auch viel mit. Außerdem lerne man auch den Unterschied zwischen „nice to have“ und „must to have“ kennen.

Hildegard Maaß, Weltladen Alsfeld

Hildegard Maaß, Vorstandsvorsitzende des Alsfelder Weltladens e.V. Foto: akr.

Hildegard Maaß steht an der Kasse und kümmert sich freundlich um eine Kundin. Heute ist sie nämlich für die Arbeit im Laden eingeteilt, wo die Kunden durch den Kauf von unterschiedlichen Produkten den fairen Handel unterstützen können. Die Rentnerin im farblich aufeinander abgestimmten Outfit ist seit etwa neun Jahren die Vereinsvorsitzende des Weltladens ins Alsfeld. Ehrenamtlich tätig sei sie dort allerdings schon ein Jahr länger. Das Thema fairer Handel habe sie schon immer begleitet. Durch den Verkauf von Produkten im Weltladen können sie Menschen ärmeren Ländern eine Lebensgrundlage bieten. Diese Möglichkeit treibt Maaß an. „Ich möchte nicht nur kleinbegrenzt denken, ich möchte weltweit denken“, sagt sie etwas stolz.

Ideen zusammentragen und etwas Gutes schaffen

Mittlerweile engagiert sich die Rentnerin seit 34 Jahren ehrenamtlich. In die Gesellschaft einbringen will sie sich, um die Ideen Anderer mit ihren eigenen zusammenzubringen und etwas Gutes daraus zu machen. Ihr Ehrenamt halte die glücklich lächelnde Frau munter, durch die Verbindung zu den Menschen täte man nicht nur was für Andere, sondern auch für sich selbst, erklärt Hildegard.

Ihre Tätigkeiten im Verein „Weltladen Alsfeld e.V.“ sind sehr vielseitig. Sie arbeitet im Verkauf, so wie es heute der Fall ist, schreibt Einladungen, beantragt Zuschüsse und kümmert sich quasi um sämtliche Büroarbeit. Etwa sechs Stunden verbringt sie in der Woche im Weltladen. Das kann allerdings auch mal mehr sein. Wenn eine Kollegin beispielsweise erkranke oder verhindert sei, springe sie sehr gerne ein, einfach, weil es ihr sehr viel Spaß mache.

Hauptberuflich habe sie 30 Jahre beim Deutschen Gewerkschaftsbund gearbeitet. Dadurch habe sie auch Erfahrungen gesammelt, wie man beispielsweise Veranstaltungen plane und wie man sich im öffentlichen Bereich bewege. Durch ihr ehrenamtliches Engagement hat sich ihr Leben verändert. Früher hat sie Entscheidungen alleine treffen können, heute arbeitet sie im Team. Da geht es nicht immer nach der eigenen Nase. Rücksicht ist gefragt. „Entscheidungen nicht mehr allein treffen zu können ist für mich keine Einschränkung, sondern vielmehr eine Bereicherung“, erzählt Hildegard Maaß mit einem Lächeln im Gesicht.

Corinna Hoser, 33 Jahre, Tierheim Alsfeld

Die „Katzenflüsterin“ Corinna Hoser mit einem ihrer Schützlinge. Foto: akr.

Draußen strahlt die Sonne, überall bellen Hunde. Stille am Arbeitsplatz von Corinna Hoser ist eher selten. Die „Katzenflüsterin“, wie sie von ihren Kolleginnen liebevoll genannt wird, ist seit drei Jahren ehrenamtlich im Alsfelder Tierheim tätig – und das in Vollzeit. Etwa 35 Stunden in der Woche verbringt sie hier. Ohne die finanzielle Unterstützung ihres Mannes, sei dies allerdings nicht möglich. Um ihr Ehrenamt in Vollzeit ausführen zu können, hat sie Ende Dezember vergangenen Jahr ihre Tierkinesiologie Praxis, in der sie Tiere nach esoterischen Methoden behandelte,  aufgegeben. Ihr Beruf habe sie nicht mehr ausgefüllt, es habe sie immer mehr ins Tierheim gezogen.

Von der „Katzenstreichlerin“ zur „Katzenflüsterin“

„Eigentlich wollte ich nur eine Futterspende abgeben“, erzählt Corinna Hoser. Sie begann als Katzenstreichlerin und ist mittlerweile im Vorstand tätig. Als sie beginnt, von ihren Aufgaben zu erzählen, weiß sie gar nicht, wo sie anfangen soll. Sie schreibt Texte und macht Fotos für die Homepage, ist Initiatorin von Veranstaltungen, organisiert den Flohmarkt und vieles mehr. Eigentlich helfe sie da, wo sie gebraucht werde. Ihre Hauptaufgabe liegt allerdings in der Betreuung der Katzen. Dazu zählt auch vermittelte Tiere in ihrem neuen Zuhause nochmal zu besuchen. Ein kostenloser Service des Tierheims. Sie selbst bezeichnet sich als „absolute Katzenlady“, als „Bindeglied“ zwischen Tier und neuem Besitzer.

Betritt die 33-Jährige ein Katzenzimmer, kommen die meisten ihrer Schützlinge bereits auf sie zugelaufen. Sie kennt nicht nur alle Namen der fast 40 Katzen, sondern auch die jeweiligen charakterlichen Eigenschaften. Sie weiß also ganz genau, dass Kater Bobby mit einem „Nasenkuss“ begrüßt werden muss, da er sonst scheu reagiert.  Es gibt quasi mit jeder Katze ein eigenes „Begrüßungsritual“. Die Tiere vertrauen ihr. Stolz erzählt sie, dass sie es selbst geschafft hat, sehr scheue Tiere in Schmusekatzen zu verwandeln – nicht umsonst werde sie als die „Katzenflüsterin“ bezeichnet.

Natürlich dürfen Spieleinheiten nicht fehlen. Foto: akr.

„Ich bin mehr im Leben angekommen“

Sie verbringt viel Zeit mit den Tieren, um sie an den Menschen zu gewöhnen. Manchmal sei das allerdings sehr zeitaufwendig und man müsse viel Geduld mitbringen, doch am Ende lohne es sich, sich auch mal ein paar Kratzer einzufangen, erklärt sie grinsend. Durch die Arbeit im Tierheim ist sie mehr im Leben angekommen, denn ihr großer Wunsch sei es immer gewesen, mit Tieren zu arbeiten.

Karin Linker, 55 Jahre, Hospizverein Alsfeld

Karin Linker, ehrenamtliche Sterbe- und Trauerbegleiterin. Foto: akr.

Es ist Mittwochabend, Punkt 20 Uhr. Sie geht die kleinen Treppenstufen nach oben und klingelt. Es dauert, bis sich die alte Dame über die Sprechanlage meldet. Mit einem freundlichen „Ich bins, Karin“ antwortet die Ehrenamtliche. Es dauert wieder einige Zeit, bis es summt und sie reingehen kann. Zur Begrüßung umarmen sich beide sehr herzlich. „Was wollen wir heute trinken?“ fragt die ältere Dame. Es scheint, als sei es eine Art Ritual. Sie entscheiden sich für Wasser, anstatt Wein. Karin weiß, wo die Gläser und das Wasser stehen. Sie kennt sich in der Wohnung bestens aus. Beide gehen in das urig eingerichtete Wohnzimmer. An den Wänden hängen viele Malereien. Die Bilder hat die ältere Dame selbst gemalt, früher war sie Künstlerin.

Sie hat es sich in ihrem Sessel bequem gemacht, die Füße auf einen kleinen Hocker gelegt. Karin sitzt im Sessel gegenüber. Sie fangen an, über ihren Tag, ihre Woche zu reden. Immerhin sei es schon eine Woche her, dass die Zwei sich das letzte Mal gesehen haben. Einmal die Woche besucht Karin ihre Freundin. So bezeichnet sie die ältere Dame mit grauer, kurzer Dauerwelle. Aus ihren Unterhaltungen hört man raus, wie gut sie sich kennen. Karin kann die Sätze der älteren Dame beenden, wenn sie ins Stocken gerät. Fehlen ihr die Worte, springt sie ein. Wenn ihre Freundin am Erzählen ist, hört sie aufmerksam zu. Es herrscht ständiger Blickkontakt. Die Dame genießt es, zu reden. Karin genießt es, zuzuhören. „Horchen, Lauschen, Spüren, Wahrnehmen“, das sei wichtig, erzählt Karin. „Man soll in der Lage sein, zu erkennen, was sein Gegenüber braucht und soll versuchen, ihm das zugeben.“

Aufmerksam hört die Ehrenamtliche ihrer Begleitung zu. Foto: akr.

„Ich wollte vorbereitet sein“

Karin ist schon lange ehrenamtlich tätig. Seit 25 Jahren ist sie bei den Landfrauen. Vor fünf Jahren hat sie in Lauterbach die Ausbildung zur ehrenamtlichen Hospizhelferin gemacht. Letztes Jahr ging sie wieder ein halbes Jahr zur Schule, und nun darf sich die 55-Jährige Sterbe- und Trauerbegleiterin nennen. „Ich wollte aufgeklärt sein, wegen meines älteren Schwiegervaters und meiner Mutter“ erklärt Karin. Die Ehrenamtliche und die ältere Dame, die mittlerweile 85 Jahre alt ist, kennen sich über Bekannte schon eine Weile. Regelmäßig treffen sie sich aber erst seit ein paar Monaten. Wenn Karin ihre Freundin besucht, unterhalten sich die beiden über ihren Alltag, Wünsche, Ängste. Sie führen auch sehr tiefgründige, vertraute Gespräche. Als ehrenamtliche Sterbe- und Trauerbegleiterin ist Karin an die Schweigepflicht gebunden.

Karin ist voll berufstätig. Gemeinsam mit ihrem Mann gehört ihr der kleine Laden „Porzellan Linker“. Das ist auch der Grund, warum die Begleitungen meist abends stattfinden. In ihrem Ehrenamt kann sie flexibel sein. Vollzeitjob und Ehrenamt kann dadurch problemlos miteinander verbunden werden: „Ich teile mir die Zeit so ein, wie ich sie geben kann“, erklärt sie. Die Kraft für ihre Arbeit nimmt sie aus den Gesprächen, die sie mit ihren Begleitungen führt, aus den schönen Abenden, die sie miteinander verbringen. Jede Begleitung sei einzigartig.

Mittlerweile ist es 23 Uhr. Die beiden haben vor lauter Reden die Zeit vergessen. Sie stehen auf und gehen Richtung Haustür. Zum Abschied umarmen sich Karin und die ältere Dame sehr lange. „Ich begrüße und verabschiede so, als wäre es der letzte Tag“, erklärt Karin. Dabei schaut sie ihren Begleitungen immer tief in die Augen und prägt sich ihr Gesicht genau ein. Wer weiß, es sie es jemals wieder sieht.

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