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„Nichts“ von Janne Teller – Theateraufführung der Q3 der Albert-Schweitzer-Schule fragt nach dem Sinn des LebensBedeutungslosigkeit aushalten

ALSFELD (ol). Das Szenario ist bekannt und macht, laut Pressemeldung, auf den ersten Blick keinen so originellen Eindruck. Eine Schulklasse. Irgendwo in einem kleinen, ordentlichen Ort. Die Kinder, lauter 13- bis 14-Jährige, folgen Eltern und Lehrern auf dem Weg, „etwas und jemand zu werden.“ Einzig die scheinbar harmlose Musik und die Ankündigung der Erzählerin, dass in der zweiten Augustwoche etwas Schreckliches passieren würde, lässt aufhorchen.

Am Ende der Aufführung des Theaterstücks „Nichts. Was im Leben wichtig ist“, eine von dem DS-Kurs der Q3 unter der Leitung von Miriam Reus selbst adaptiere Bühnenversion des gleichnamigen Romans der dänischen Autorin Janne Teller, werde es eine ganz Reihe an Leib und Seele verletzter junger Menschen geben, einen Toten und die unaufgelöste Erkenntnis, dass offenbar wirklich nichts eine Bedeutung hat.

Dreimal hatte der Kurs der angehenden Abiturienten das beklemmende Stück kurz vor Halbjahresende in der Aula der Albert-Schweitzer-Schule in der Krebsbach aufgeführt und mit vielen Schülern, aber auch mit einem erwachsenem Publikum, die Frage nach dem Sinn des Lebens geteilt. In dem Stück stelle sie der Schüler Pierre Anthon, der sich eines Tages unversehens aus dem unkritischen Klassenverband erhebe, um festzustellen, dass nichts irgendetwas bedeute. Dass es sich daher auch nicht lohne, irgendetwas zu tun. Einzig Teil des Nichts zu werden, erscheine ihm sinnvoll, und er besetze einen Pflaumenbaum auf dem Schulweg, um fortan „Teil von nichts“ zu werden und den Schülern tagtäglich auf dem Schulweg seine verneinenden Sinnsprüche mitzugeben.

Ein Inhalt übers zweifeln, planen und erkennen

Mit der Zeit fresse sich der Zweifel in die Kinder: Sollte Pierre Anthon recht haben? Sie schmieden einen Plan: In einem stillgelegten Sägewerk errichten sie ihren „Berg der Bedeutung“, dessen Aufbau den Kritiker Pierre Anthon überzeugen soll. Jeder von ihnen soll etwas darauf opfern, was ihm wichtig ist. Schon bald erkennen die Jugendlichen jedoch selbst, dass eine alte Puppe, ein Kamm oder ein einst benutztes Gesangbuch nicht von jener Bedeutung sind, um die es Pierre Anthon geht. Mit nichts können sie den Nihilisten, zu deutsch: „Nichtsler“, beeindrucken, der nicht müde wird, seine destruktiven Erkenntnisse wie „In demselben Moment, in dem ihr geboren werdet, fangt ihr an zu sterben“ zu verbreiten.

Doch was hat angesichts solcher Aussagen eine Bedeutung? Wie widerlegt man sie und wo findet man das, was wirklich wichtig ist? Offenbar muss es wehtun, um zu wirken. Der erste von ihnen muss seine Boxhandschuhe opfern und legt damit auch ein Stück seiner selbst auf den Berg. Er darf den nächsten Opfernden benennen, und mit jeder empfundenen Schwere des Opfers wachsen die Anforderungen an das nächste. Bald zieren abgeschnittene Haare, tote Hamster, blutige Hundeköpfe oder ein ausgebuddelter Kindersarg den Berg. Was komme als nächstes dran, fragte sich das Publikum mittlerweile, und sei fast froh gewesen, als, nachdem ein Junge, der Pilot werden wollte und der sich nun ein Auge ausstechen muss, die Öffentlichkeit von dem düsteren Treiben Wind bekommt.

Die Aktion wird Aufreger in den Medien und hochbezahltes Kunstobjekt. Doch schenkt das irgendwem oder irgendeiner Sache eine Bedeutung? Im Gegenteil, befindet gegen Ende der Aufführung Pierre Anthon: Das mediale Interesse sei vorbei und wenn man selbst den „Berg der Bedeutung“ verkauft habe, dann könne er wohl kaum von Bedeutung gewesen sein. An diesem Tag im Sägewerk entlädt sich alles, der Schmerz, die Frustration und die Erkenntnis, dass Pierre Anthon offenbar recht hat, in einer einzigen hemmungslosen Schlägerei, an deren Ende Pierre Anthon leblos zurückbleibt und das alte Gebäude abbrennt.

Neuanfang und doch immer die selbe Frage: „Was ist schon von Bedeutung?“

Die Schüler werden auf andere Schulen im ganzen Land verteilt, sie versuchen, das Geschehene zu vergessen und ihre Mitschüler gleich mit. Doch natürlich werden sie diese Tage im August nicht los. Und was noch schlimmer sei: Sie fänden keine Antwort auf die Frage nach der Bedeutung. Auch später nicht.

Die Inszenierung des Kurses Q3 der Albert-Schweitzer-Schule wirkte trotz des beklemmenden Themas sehr lebendig, was vermutlich der Tatsache geschuldet gewesen sei, dass die Schüler das Stück selbst ausgewählt und die Theateradaption mit eigenen Themen variiert haben. Der Bühnenaufbau – mit Hochsitz als Pflaumenbaum im Publikumsbereich – sei trotz seiner Schlichtheit abwechslungsreich und ansprechend, die immer gleiche scheinbar harmlose Musik hatte als Gegenpart zur immer offensichtlicher werdenden Bedrohung gewirkt und untermauerte die Schwere des Stücks.

Auch die Kostüme der Darstellenden wandelten sich mit der Zeit: Die bunten Teile verschwanden nach der Opfergabe, Zeichen für die Trauer um die Opfer, die auf den „Berg der Bedeutung“ gebracht worden seien. Mit „Nichts. Was im Leben wichtig ist“ hatte der Kurs von Miriam Reus kein leichtes Stück ausgewählt, am Ende gab es keine Lösung. „Das hat die Schüler besonders gereizt, das fehlende Happy End“, erläuterte Reus, „und die Erkenntnis, dass man mit der Frage nach der Bedeutung, nach dem Sinn leben muss und ihre Schwere hin und wieder einfach auszuhalten hat.“

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