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Einschulung auch für Flüchtlingskinder – Eine besondere Aufgabe für Lehrkräfte – Erfahrungen an der Stadtschule in AlsfeldAm Anfang geht es nur „mit Händen und Füßen“

ALSFELD (aep). Wenn am kommenden Dienstag an der Alsfelder Stadtschule der große Tag für die kleinen ABC-Schützen kommt, dann weiß Schulleiter Peter Schwärzel: Es werden 42 einheimische sein – und eine Reihe Flüchtlingskinder. Wie viele, ist derzeit nicht genau bekannt, denn die Zahl ändert sich ständig. Aber klar ist: Auf diese Kinder muss die Stadtschule sich besonders einstellen, weil sie ganz andere Voraussetzungen mitbringen. Die Kleinen müssen praktisch alles neu lernen – und vor allem die anderen Kinder helfen ihnen dabei.

 

Flüchtlingskinder sind gar nichts Neues an der Alsfelder Stadtschule, in deren Einzugsbereich die Asylbewerberheime an der Zeppelinstraße, in Altenburg und Flüchtlingswohnungen in der Soldan- sowie Curtmanstraße liegen. Ein Dutzend waren es zum Beispiel in der ersten Hälfte dieses Jahres, sie kamen aus dem Irak und Iran, aus Pakistan, Albanien und Mazedonien. Daher weiß man an der Schule auch, was nach den Sommerferien für eine Anforderung auf die Lehrerinnen zukommt: kleine Kinder, die die Sprache nicht verstehen, die sich bei Fremden in einem völlig fremden Umfeld bewegen. „Für diese Kinder ist alles unklar, ihnen ist alles fremd“, erklärt Schulleiter Peter Schwärzel. Mit der Situation seien die Lehrerinnen oftmals überfordert, zumal es eher sparsamen Sprachunterricht gebe.

Für die Kinder in den ersten drei Klassen kann die Schule sechs Stunden Sprachunterricht pro Woche anbieten – insgesamt, und er würde sich mehr wünschen, meint der Schulleiter. Die vierten Klassen können dann an der Sprach-Intensivklasse der Geschwister Scholl-Schule teilnehmen. Den eigenen Unterricht gestalten aber auch die eigenen Lehrkräfte, und da ist der Schulleiter dabei. Die Kommunikation beginnt ganz am Anfang: „freundlich und gestenreich“, beschreibt Peter Schwärzel, „und mit Händen und Füßen.“ Aber irgendwie muss man ja anfangen: „Sprache muss erst einmal sein. Sonst geht gar nichts!“

Manchmal erste Frage: Wie alt ist so ein Kind überhaupt?

Die Probleme sind vielschichtiger, beginnen manchmal mit der Frage: Wie alt ist so ein Kind überhaupt? Manche Eltern haben keine Papiere, erklären, sie wissen das Alter nicht oder machen falsche Angaben. Dann die Mentalität: Die sprichwörtliche deutsche Zuverlässigkeit sind die Weitgereisten häufig nicht gewohnt – etwa pünktlich um 8 Uhr den Unterricht zu beginnen. Auch hat die in Deutschland hoch angesiedelte Priorität für  Schulunterricht woanders einen anderen Stellenwert, was ebenfalls spürbar sei, wenn Kinder plötzlich mal nicht erscheinen.

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Wo kommende Woche wieder viel Leben herrscht: die Alsfelder Stadtschule.

Dass die Mühe an der Alsfelder Stadtschule für die Flüchtlingskinder manchmal eine vergebliche ist, hat aber vor allem einen anderen Grund, meint der Leiter: Die Eltern müssen weiter ziehen oder wollen weiter ziehen, weil sie woanders bessere Chancen vermuten. „Das ist dann für uns ärgerlich.“

Eine grundsätzliche Herausforderung: Die Kinder kommen aus einem weitaus raueren Umfeld, haben Gefahren und gefährliche Reisen hinter sich – da tritt im Unterrichtsalltag manches Problem zutage. „Fehlverhalten ist logische Folge“, erklärt Schwärzel. Weil solche Kinder mehr Aufmerksamkeit benötigen, leide manchmal die Klassenstruktur. Zumal auch das Autoritätsgefälle zwischen Mann und Frau oftmals in den Heimatländern ein anderes ist: Kinder oder Eltern tun sich schwer, Frauen als Lehrkräfte mit Autorität anzuerkennen. „Dann muss ich eingreifen“, sagt der Schulleiter – und dann klappe es dafür meist um so besser. Da wirkt denn das strengere Hierachie-Verständnis aus der Heimat anders herum.

„Flüchtlingskinder sind fast durchgängig robuster“

Hinzu kommt: Viele sind Analphabeten, können auch in einem Alter für die dritte Klasse noch nicht lesen oder schreiben. Aber es gebe auch andere Fälle, erklärt Schwärzel: Kinder, die weiter sind als ihre deutschen Mitschüler. Insgesamt, so sein Eindruck: „Die Flüchtlingskinder sind fast durchgängig robuster als unsere.“

Wie gut, dass die professionellen Pädagoginnen emsige Helfer haben: die deutschen Schüler. Denn auch an der Stadtschule beweist sich eine Weisheit: Kinder lernen Sprachen nicht nur erheblich schneller als Erwachsene, sie lernen sie auch am besten untereinander, weshalb darauf geachtet werde, dass sie möglichst viel zusammen sind. Ob im Unterricht oder beim Spielen auf dem Schulhof. „Unsere Kinder sind sehr bemüht, den Neuankömmlingen zu helfen.“ Wichtig sei, so Schwärzel: „Die müssen erst einmal ankommen. Ob so ein Kind dann gleich das dritte Schuljahr schafft, ist zweitrangig.“

So sieht man an der Stadtschule, aber auch an den anderen Vogelsberger Schulen, wo laut Kreisschulamt 91 Flüchtlingskinder eingeschult werden, dem kommenden Dienstag gespannt entgegen. Peter Schwärzel: „Wir lassen das auf uns zukommen. Im Improvisieren sind wir gut!“

 

 

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