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Segeln: besonderer Freizeitspaß – Jessica fuhr bei einem erfahrenen "Seebären" mitDie große Freiheit auf dem kleinen See

SCHOTTEN. Das Segeln  gilt gemeinhin als Vergnügen an der Küste – weniger als Freizeitsport des Binnenlandes. Aber das stimmt ja nicht ganz. Es gibt schließlich Seen, auf denen viele Freizeitkapitäne schippern. Und was macht den Reiz aus? Jessica Haak lebt nahe einem See, dem Nidda-Stausee, sie wollte es wissen und fuhr mit in einer Jolle. Die 17-jährige OL-Autorin erlebte alles, was dazu gehört: kräftig Wind, Flaute und ein unfreiwilliges Bad im noch kalten Stausee, als das Boot kenterte. Ihr Erfahrungbericht:

Wer kennt dieses Gefühl nicht: Der Alltag ist erfüllt von Pflichten und Aufgaben und man sitzt inmitten großer Papierberge und möchte der ganzen Misere entfliehen. Man will raus in die große weite Welt und Dinge erleben, von denen andere Menschen nur träumen. Wenn man dann auch noch förmlich das Meer rufen hört, da liegt es nahe, die Segel zu setzten und durch große Wellen brechend, dem Sonnenuntergang entgegen zu fahren. Dass das jedoch nicht so leicht ist, wie gedacht, wurde mir schnell bei dem folgenden Interview und einem Selbstversuch klar. Jan Wilhelm, 18, kommt aus Schotten und hat neben dem örtlichen Stausee auch schon ganz andere Gewässer unsicher gemacht hat. Mit diesem erfahren Segler bin ich mitgefahren, und er kann berichten.

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Beliebtes Segelrevier: der Nidda-Stausee.

Wodurch kamst du zum Segeln?
Durch meinen Vater. Als ich 13 war, fragte er mich, ob ich wir nicht den Segelschein machen möchten und ich stimmte zu. Wir haben also gleichzeitig begonnen und segeln seitdem.

Ist es schwieriger einen Segelschein zu erlangen, als einen Führerschein?
Ich würde sagen nein. Damals gab es noch kein Multiplechoicefragen und so mussten man die Antworten auswendig lernen. Trotzdem würde ich nicht behaupten, dass das sonderlich schwerer war als beim normalen Führerschein. Es war sogar recht angenehm.

Wenn wir über das Segeln selbst reden: Was fasziniert dich daran?
Da gibt es mehrere Faktoren. Zum einen ist es faszinierend, dass man sich allein mit der Windenergie fortbewegen kann. Durch das richtige Zusammenspiel von Ruder, Segel und Wind kann man nahezu jeden Ort über den Wasserweg erreichen. Außerdem wird die Umwelt dabei nicht belastet. Besonders ist auch, dass man diesen Sport entweder im Team oder Einzeln ausüben kann. Wenn man alleine segeln möchte, nimmt man sich einfach ein kleineres Boot oder man segelt als Gruppe auf einem größeren Boot. Letzteres stärkt die Teamfähigkeit und macht unglaublich Spaß.

Der Stausee ist sicherlich nicht der einzige Ort, an dem du bist jetzt gesegelt bist. Wo warst du schon überall?
Meinen Segelschein habe ich auf der Bevertalsperre gemacht. Ansonsten bin ich natürlich einige Male auf dem Stausee gesegelt. Vor zwei Jahren habe ich mit meinem Vater außerdem ein recht großen Segeltörn unternommen. Da sind wir in vier Wochen von New Jersey, also dem Englischen Kanal, nach Lissabon gesegelt. Das war unglaublich spannend! Davor hatten wir unser Boot in Hamburg liegen und sind immer mal wieder auf der Nordsee gesegelt. Ein Jahr später haben wir es ans Ijsselmeer in Holland verlegt. Dort haben wir kleinere Fahrten auf der Nordsee unternehmen.

Was war dein absolutes Highlight?
Definitiv das Überqueren der Biskaya. Das war ein ganz besonderes Erlebnis mit unglaublich kontrastreichen Momenten. In einem Moment wird man in der Abenddämmerung bei wundervollem Wetter und dem Sonnenuntergang von Delphinen begleitet. Im nächsten Moment schlägt innerhalb von kürzester Zeit das Wetter um und man muss bei Regen, starkem Wellengang und in völliger Dunkelheit auf dem Vordeck rumturnen und die Segel reffen.

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Segel, Wasser und Himmel: mehr nicht. Das macht das freiheitliche Gefühl aus.

Wie fühlt man sich wenn man tagelang von Wasser umgeben ist?
Die längste Zeit, die ich auf dem Meer verbracht habe, ohne Land zu sehen, betrug drei Tage. Es ist ein merkwürdiges Gefühl und obwohl wir zu zweit gesegelt sind, fühlt man sich ein wenig allein. Man vermisst das Land dann doch nach gewisser Zeit und freut sich um so mehr, wenn man wieder welches sieht.
Geht man sich auf so einem engen Raum nicht irgendwann auf die Nerven?
Doch, das ist unvermeidlich! Trotz einiger Streitereien, habe ich es mir schlimmer vorgestellt. Es ging also ganz gut voran.

Planst du noch weitere, größere Segelfahrten?
Ich würde liebend gerne noch einmal einen längeren Trip auf dem Atlantik unternehmen wollen. Ansonsten wäre die Karibik ein weiteres Ziel. Das stelle ich mir mit dem warmen Wasser und den ganzen Inseln ziemlich cool vor.
Hast du beim Segeln etwas gelernt, was du auf dein Leben außerhalb des Wasser anwenden kannst?
Auf jeden Fall! Vor allem bei dem Überqueren der Biskaya – da war extrem viel Durchhaltevermögen gefragt. Außerdem wird das Selbstbewusstsein gestärkt. Wenn man so viele bremsliche Situationen erlebt, wo man nicht nur unter Stress, sondern auch unter Angstzuständen leidet und diese dann übersteht, ist man nur noch erleichtert und stolz auf sich. Natürlich wird auch Teamgeist und -fähigkeit enorm gefördert,

Vom Atlantik zum Stausee: Was findest du am Segeln im See besonders?
Die ständigen „Winddreher“. Das heißt, man muss sich jederzeit darauf einstellen, dass der Wind sich sekündlich verändert. Es gibt keine konstanten Verhältnisse. Wer hier segeln kann, der kann das eigentlich überall.

Zum Abschluss dieses Interviews fühlen sich einige Menschen vielleicht inspiriert und möchten sofort die Segel setzten. Hast du Einsteigertipps?
Ich schätze es ist gut, wenn man beginnt in einem Binnengewässer zu segeln. Es wäre ungünstig, als Einsteiger die Nordsee zu wählen. Das ist nicht nur anstrengend, sondern kompliziert. Hier muss viele Gegebenheiten wie die Tide oder Hoch- und Niedrigwasser beachten. Jedenfalls sollte man niemals aufgeben. Mit der richtigen Einstellung, kann man wortwörtlich jedes Ziel erreichen, wenn man will!

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Segelte auch schon auf dem Atlantik. Jan Wilhelm.

 

Wieso Worte nicht den Wind bändigen können

Auch ich fühlte mich inspiriert und durfte in einem Selbstversuch Worte in Taten umsetzten. Mit dem Wind im Rücken, dem Stausee vor der Nase und Jans Instruktionen, konnte das Experiment dann auch schon beginnen. Bei meinem ersten Segelversuch, zeigte sich der Wind bescheiden und so kamen wir nur langsam von der Stelle. Dennoch konnte ich darüber nicht klagen und genoss die schöne Aussicht. Inmitten des Sees und eingerahmt von Bäumen und der Staumauer, lag es natürlich auf der Hand, dass diese Idylle nicht lange halten würde. Auf die Frage wie man sich denn verhalten solle, wenn das Boot kentere und halben Diskussionen, waren wir prompt im Wasser. Klitschnass mussten wir einsehen, dass dieser Tag wohl nicht allzu geeignet war.
Bei 14 Grad Celsius Außentemperatur, relativ starkem Wind und dem Wunsch, diesmal nicht zu kentern, wurde der zweite Selbstversuch gestartet. Diesmal war tatsächlich alles ein wenig anders. Der Wind wechselte ständig die Richtung und so mussten wir öfters einmal wenden. Im Klartext hieß das für mich, abwechselnd an zwei Seilen (Vorschoten) zu ziehen, das Segel also dicht zu holen oder zu fieren und die Seiten zu wechseln. Dadurch soll der Winkel zwischen Segel und Schiffsaxe vergrößert oder reduziert werden. Soviel zu meinem Verständnis. Somit leistete ich den kleinstmöglichen Teil und überließ Jan den Rest – also alles. War ich doch schon mit den ganzen Instruktionen überfordert, die mit Fachworten gespickt waren. Ich hätte sogar besser mit rhetorischen Mitteln arbeiten können. Damit hätte sich der Wind vielleicht verbal bezwingen lassen.

Deutlich verständlicher fiel hingegen sehr oft das Wort „Kopf“, das uns beide davor retten sollte, einen heftigen Schlag, ausgehend vom Baum (dient zum Einstellen und Aufspannen des daran befestigten Segels, jedenfalls schwer und schmerzhaft),der permanent ausschwenkt, zu bekommen. Ein Versuch war es wert und so bekam ich bei meinem ersten, windstillen Selbstversuch, dezent auf den Hinterkopf. Ein Verlust von Gehirnzellen machte sich glücklicherweise nicht bemerkbar.
Jedenfalls kann ich vom Segeln unglaublich positive Erfahrungen verzeichnen. Das Gefühl schnell über den See zu „gleiten“ macht einfach Spaß. Auch wenn ich mich bei Schräglage stehend, öfter einmal schon fast im Wasser gesehen habe. Für die Gewichtsverlagerung ist daher ein Herauslehnen von Nöten. Dabei fühlt man sich, als würde man über das Wasser schweben und jede Welle höchstpersönlich brechen. Der Wind als stetiger Begleiter, spannt die Segel unter großem Getose – man erlebt ein Gefühl der Freiheit. Ein positiver Nebeneffekt ist außerdem der Perspektivenwechsel auf die wirklich schöne Landschaft. Gerne wieder!

Von Jessica Haak

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