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Aufgeschreckt aus dem Stress des Alltags: Gedanken einer Schülerin zur WeihnachtszeitIn diesem Jahr wünsche ich mir Zeit

VOGELSBERGKREIS. Es war ein Freitag, da wurde ich von einem Phänomen der etwas direkten Art überrascht: Der Realität. Inmitten großer Berge von Mitschriften, Lektürenhilfen und Nervennahrung, beschloss ich mein Fenster zu öffnen, um den ein oder anderen verbrauchten Gedanken in meine Umwelt zu entlassen. Eine eisige Brise begrüßte mich und ich schloss es wieder – so war ich doch felsenfest davon überzeugt, im Sommer wäre Schnee ausgeschlossen. Völlig irritiert starrte ich auf mein Handy. Neben der vorangeschrittenen Uhrzeit, fiel mir das Datum auf: Mitte Dezember und ich hing gedanklich irgendwo im nirgendwo.

Völlig schockiert, begann ich den Hügel systematisch durcheinander zu werfen, riss unverbrauchte Papierbögen hervor, schrieb fleißig meterlange Geschenkelisten. In wenigen Tagen würde das Christkind vor der Tür stehen und ich hinter ihm, wenn es so weitergehen würde. Nachdem ich mich gedanklich ein wenig sortiert hatte, fiel mir das Nicht-vorhanden-Sein meines Wunsches auf und ich fing an, hektisch, darüber nachzudenken. Plötzlich erreichte mich ein Erleuchtung, die mit der Lichtintensität unserer Straße vergleichbar war. In diesem Jahr würde ich mir Zeit – eine Menge Zeit – wünschen.

„Uns wird klar: Wir haben keine Zeit“

Mehrere Tage vergehen und ich werde mir der Notwendigkeit meines Wunsches immer weiter bewusst. Während „Driving home for Christmas“ pausenlos im Radio tönt, vollbringe ich das Gegenteil dieses Titels und fahre zur Schule – wie besinnlich. Ich setze mich zu meinen Stufenkameradinnen und lasse die „12er-Mentalität“ über mich walten. In Absprache darüber, welche Dutzend Klausuren in den nächsten Tagen geschrieben werden, versucht sich jede für uns, ihre Kraft für das richtige Fach aufzusparen. Schließlich wäre es sinnlos, auf ein falsches Pferd zu setzen. In Abwägung, dessen, ob es effizienter sei sich eher auf die Freitags– oder auf die Samstagsklausur vorzubereiten, entbrennt eine große Diskussion. Jeder von uns kippt förmlich Öl in das Lauffeuer und uns wird klar – wir haben keine Zeit.

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Die nächsten Stunden setzte ich mich mit einer möglichst ergiebigen Tagesplanung auseinander. Meine Fahrgemeinschaft und ich, fahren nach Hause und der Weihnachtsliedermarathon geht weiter. Während „Last Christmas“ die Welt verbal in Puderzucker taucht, denke ich daran, dass ich vier Tage vor dem letztjährigen Weihnachten eine Klausur geschrieben hab. Mir fällt auf, dass hier etwas gewaltig schiefläuft. Nachdenklich, beginne ich an einem Lösungsverfahren zu arbeiten – schwerer als in der Mathematik kann dies wohl kaum sein.

Jeder von uns muss in seinem gesamten Leben viele Wege gehen – jeder muss abbiegen, muss umdrehen, muss Wege erneut gehen, um anschließend den richtigen zu finden. Wir müssen diese Wege nicht immer alleine gehen und können uns von anderen helfen lassen. Trotzdem bedarf jeder Mensch eine gewisse Zeit, um seinen Weg zu gehen. Manche sind hierbei schneller und manche langsamer. Der Schlüssel liegt in der Erkenntnis, dass viele Wege zum Ziel führen, wenn wir sie konsequent gehen. Das heißt aber auch, dass wir andere nicht drängen, ihre Wege genauso schnell zu gehen, wie wir unsere Wege gegangen sind. Wir können sie begleiten, können sie motivieren, aber wir dürfen sie nicht zwingen. Im Prinzip müssen wir anderen gegenübertreten, wie wir es selbst von ihnen verlangen. Wenn wir um Zeit bitten, müssen wir ihnen Zeit geben.

„Die Welt wäre eintönig, würden wir alle Prinz Pi oder Helene Fischer hören“

Jeder Mensch hat bestimmte Stärken und Schwächen. Was des einen Kochkünste sind, das ist des anderen Beredsamkeit, und was des einen Handwerkszeug ist, das ist des anderen Grüner Daumen. Ebenso hat jeder von uns einen ganz individuellen Charakter und das müssen wir akzeptieren. Die Welt wäre so unglaublich eintönig, würden wir alle Prinz Pi oder Helene Fischer hören, Mittwochs fleißig Grey’s Anatomy gucken und mit 30 Stundenkilometer über die Landstraße fahren würden. Eintönigkeit wäre nicht mal das richtige Wort für dieses Desaster: Es wäre nervig, langweilig und nicht lebenswert.
Schließlich wüssten wir bereits alles von einander und jegliche Form von Kommunikation wäre unnötig. Die Zeit verhält sich wie Charaktereigenschaften – jeder beansprucht unterschiedlich viele oder wenige.

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Einsichten einer Jung-Autorin

Jessica Haak ist 16 Jahren die jüngste Autorin im Team von Oberhessen-live.
Die Schülerin am Laubach-Kolleg lebt in Schotten und sinniert gerne über das Leben – mit erstaunlichen Ergebnissen, die sie bereits in mehreren lesenswerten Beiträgen veröffentlicht hat.

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Ein Weg benötigt manchmal ein paar Minuten. Ein Erkenntnis bedarf manchmal ein paar Stunden und eine Entwicklung kann sich über Jahre hin fortziehen. Wir können grob planen, was wir in den nächsten Tagen und Monaten zu erledigen haben, aber das Schicksal wird uns in jedem Falle einen Schritt voraus sein. Wir planen Fehler nicht ein und das ist unmenschlich. Häufig versuchen wir, uns bestimmte Taten zu erzwingen und nehmen absolut keine Rücksicht auf unser Wohlbefinden. Es ist objektiv sicherlich nicht falsch immer vom Positiven auszugehen, aber es kann jeder Zeit etwas dazwischen kommen. Das heißt nicht, dass wir uns in unsere Häuser verschließen sollten, da wir uns zukünftig vor jeder Neuerung fürchten werden. Im Gegenteil – wir müssen der Welt mit offenen Augen entgegensehen und das bedeutet eben auch, dass wir Rückschläge hinnehmen müssen, wenn sie passieren.

„Wir lassen die Schönheit des Lebens außer Acht“

Wir Menschen sind Perfektionistin und das ist ein Problem. Wir wollen alles perfekt machen, wollen alles wissen und auf alles vorbereitet sein. Das Leben läuft an uns vorbei und wir haben nur ein bestimmtes Ziel im Kopf. Wir realisieren gar nicht mehr, in welcher Jahreszeit wir uns befinden und lassen die Schönheit des Lebens außer Acht. Das mag im ersten Moment ein wenig kitschig und dramatisch klingen, aber das Leben steckt voller wunderbarer Gegebenheiten, die wir dank unserer Einstellung einfach ignorieren. Wir nehmen uns keine Zeit mehr und setzten unsere Prioritäten einfach falsch. Wieso gehen wir nicht einfach ins Freie, genießen die Luft – gehen öfters feiern und nehmen uns einfach zwei Minuten zum Durchatmen?

Immer reden wir davon, dass wir eine gute Zukunft haben wollen. Wir möchten einen guten Schulabschluss, einen guten Beruf und das bedeutet für uns, dass wir bereits jetzt vorarbeiten. Im eigentlichen Sinne ist Ehrgeiz und Planung sicherlich nicht zu verachten – was jedoch zu viel ist, ist zu viel. Später wird ein jeder von uns nachdenklich dasitzen und sich fragen, womit er die letzten Jahre zugebracht hat. Natürlich wird man auf Erfolge zurückblicken können, die aus dem hartnäckigen Ehrgeiz und seiner Arbeit resultieren – man wird sich jedoch ebenso fragen, was aus den ganzen Momenten geworden wäre, die man einst vernachlässigt oder nicht wahrgenommen hat. Man wird nachdenklich, fängt an sich Vorwürfe zu machen und wünscht sich, die Zeit am liebsten zurückzudrehen.

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„Wir sollten jeden Moment auskosten“

Wir können die Zeit jedoch nicht zurückdrehen und das ist gut so. Wir sollen unser Leben jetzt genießen, denn wir leben nur einmal. Wir sollten jeden Moment auskosten. Natürlich werden wir dafür Opfer tragen müssen, aber es steht jedem zu seine Prioritäten in seiner Art und Weise zu setzten. Wir sollten aus jedem Tag das beste machen. Der Zauber des Lebens liegt definitiv nicht darin, einen genauen Zeitplan zu haben und alles bis in kleinste Detail zu organisieren. Der Zauber des Lebens liegt im Leben selbst. Vielleicht sollten wir auch nicht ständig nach der Uhrzeit fragen, denn schließlich genügt der Gedanke, dass wir noch Zeit haben. Wenn die Sonne in einem Teil der Erde untergeht, geht sie in einem anderen Teil wieder auf und bietet den Menschen die wunderbar Chance, das beste aus den nächsten Stunden zu machen. Wir müssen uns nicht ständig darüber versichern, ob wir alles richtig machen und ob wir die Zeit einhalten. Es ist wichtig Fehler zu machen und es ist ebenso wichtig zu wissen, dass es uns nicht zusteht einen Zeitplan fürs Leben zu machen. Das Leben macht sich selbst seinen Plan und daran können und müssen wir nichts ändern.

Zukünftig werde ich jedenfalls keine Auskunft mehr über die Zeit geben. „Weißt du wie viel Uhr es ist?“, und ich werde sagen „Nein, aber nimm dir Zeit“!

Jessica Haak

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