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Burg-Herzberg-Festival in Breitenbach: Zeitreise auf der PferdekoppelEin Festival, ein bisschen anders als die anderen

BREITENBACH AM HERZBERG. Einmal im Jahr verwandeln sich Pferdekoppeln und Äcker am Fuße der Burg Herzberg zu einer einzigen, großen Freilicht-Zeitmaschine. Für knapp eine Woche nimmt sie die Menschen mit, irgendwo in die Gegend kurz nach 1968. In eine Zeit, in der lange Haare beinahe als Verbrechen galten, Begriffe wie „freie Liebe“ alte Wertvorstellungen zum wanken brachten und fast eine ganze Generation gegen den Krieg und für den Frieden demonstrierte. 10 000 Menschen wagten dieses Jahr den Tripp und kamen zum Burg Herzberg-Festival – das rund um die Burg treffend nur Hippie-Festival genannt wird.



Es gibt einen ganzen Haufen Festivals in der Republik. Und mindestens genau so viele Reportagen dazu. Darin komprimiert findet sich einiges über die angeblich besondere Atmosphäre, das einzigartige dieses oder jenen Festivals, den speziellen Spirit, der genau diese eine Megaparty adelt. So etwas zu schreiben fällt nicht immer leicht, besonders, wenn sich der Autor aus Lokalpatriotismus, Angst, verrissen zu werden oder sonstigen Gründen das besondere Moment am Schreibtisch ausdenkt, ohne es tatsächlich gefühlt zu haben. Beim Hippie-Festival ist das anders. Einfach aufschreiben, was ist. Fertig ist der Artikel über ein einzigartiges Ereignis. Denn dieses Festival ist tatsächlich anders als andere. Die Menschen ticken besonders hier. Es ist eine faszinierende Mischung, die sich jährlich am Fuße der alten Burg zusammenbraut.

Da Luxuskarre, hier Ente und VW-Bus

Auf dem Zeltplatz parken nicht selten altersschwache Enten und grob zusammengeschweißte VW-Busse neben Luxuskarossen, die sonst nur den Asphalt in Münchener Nobelvierteln unter den Rädern spüren. Klischeehafte Dauer-Hippies, die seit 40 Jahren irgendwas mit Sozialpädagogik machen, treffen auf die Alt-68er, die bei Gericht arbeiten und bloß zum Herzberg-Festival den Zeitsprung in ihre Jugend wagen. Dazwischen ein paar Berufs-Festivalgänger, die sich durch die Attribute Student, in den Semesterferien, Bock auf Party und trinkfest auszeichnen. Ein bisschen öko sehen sie alle aus, an diesem Wochenende.

Bunte Mischung: Beim Burg-Herzberg-Festival kommen viele Menschen zusammen. Diese Familie ist aus Holland angereist.

Bunte Mischung: Beim Burg-Herzberg-Festival kommen viele Menschen zusammen. Diese Familie ist aus Holland angereist.

Frieden, Freundschaft, Gewaltverzicht. Auf dem Burg-Herzberg-Festival gibt es keine hochgerüstete Security, die die Eingänge und Bühnen bewacht. Ein paar Ordner in Warnwesten, mehr braucht es nicht. Probleme werden oft ausdiskutiert – gerne auch mal bis spät in die Nacht. Zählt man die aufgedeckten Verstöße gegen das Betäubungsmittel-Gesetz nicht mit, hat die Polizei, die vor Ort eine Wache eingerichtetet hat, traditionell wenig aufregendes zu tun.

Auf anderen Festivals zünden die Gäste auch mal die Dixi-Häuschen an, schmeißen sie um oder deponieren Chemikalien in den Tanks, die beim Kontakt mit Wasser zu einem festen Schaum explodieren. Ein ehemaliger Mitarbeiter der Firma, der neben dem Hippie-Festival noch etliche andere Events versorgt, erzählt: „Bei anderen Festivals gehen manchmal 20, 30 Toilettenhäuschen kaputt. Hier oben nicht eins“. Zudem seien er und seine Kollegen von den Herzberg-Besuchern stets mit Respekt behandelt worden. „Die danken dir, für die Arbeit, die du tust“. Anderenorts sei er ausgelacht und verspottet worden.

Spaß mit Klohäuschen mal anders. Oftmals werden die Dixis auf Festivals beschädigt oder sogar angezündet. Diese Jungs geben einfach ein spontanes Konzert in der Kabine.

Spaß mit Klohäuschen mal anders: Oftmals werden die Dixis auf Festivals beschädigt oder sogar angezündet. Diese Jungs geben einfach ein spontanes Konzert in der Kabine.

Goldständers Auftritt

Gesprächsthema Nummer eins beim Herzberg-Festival 2014 ist ein Mann, den viele nur „den Goldständer“ nennen. Er selbst findet diesen Titel geschmacklos, möchte lieber „der Goldmann“ genannt werden. Seinen echten Namen will er nicht verraten. Wo der Goldmann hinkommt, zücken die Leute die Smartphones. Was das rege Interesse an dem Herrn um die 65 – sein Alter möchte er auch nicht verraten – erklären könnte: Außer einer glitzernden Goldlack-Schicht trägt er nichts auf der Haut. Auch untenrum.

Ein Ordner verlangte die Tage von ihm, er solle sich etwas anziehen. Zumindest einen Lendenschutz. Doch der Goldmann dachte nicht daran. Er sei auf einer Mission. Sein Ziel: „Das innere Gold des Menschen zeigen“, erklärte der praktizierende Arzt sinngemäß gegenüber Oberhessen-live. In dem oben eingefügten Video kommt der Goldmann auch zu Wort.

Gefragter Gesprächspartner: Der "Goldene Mann" im Gespräch mit zwei Festival-Besucherinnen, die ihn in seiner Aktion unterstützen.

Gefragter Gesprächspartner: Der „Goldene Mann“ im Gespräch mit zwei Festival-Besucherinnen, die ihn in seiner Aktion unterstützen.

Noch bis Sonntag gehören die Koppeln den Festivalbesuchern. Danach übernehmen die Aufräumtrupps. In wenigen Wochen werden da, wo jetzt Zelte stehen und Fans ihren Bands zujubeln, wieder Pferde grasen. Dann ist es vorbei, das Festival, das tatsächlich ein bisschen anderes als die anderen ist.

 

Von Juri Auel – mehr über den Autor

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3 Gedanken zu “Ein Festival, ein bisschen anders als die anderen

  1. Wacken und Burg-Herzberg Festival, größer könnte der Kontrast wohl kaum sein. Und was heute am 4. August 2014 in der ZDF-Drehscheibe vor dem Mittagsmagazin darüber abging, war reine Schönfärberei und es fand keine Kritik an den Müllbergen und der Gröhl- und Saufmentalität statt. Das hätte aber sein müssen. Es war keine Vorzeigeveranstaltung zur Hochhaltung gesellschaftlich relevanter innerer Werte.
    Wie ganz anders ist das Burg Herzberg Festival. Das was den Menschen positiv ausmacht, kann man auch woanders finden, aber hier kommt ein so buntes Volk zusammen, das es eine Freude ist. Ein farbenfrohes Fest für alle Sinne mit philosophischem Hintergund. Ich habe in einer Mail der ZDF-Drehscheibe empfohlen, sich sich eher um das Burg-Herzberg Festival jedes Jahr zu kümmern, als um Wacken. Ich bin überzeigt davon, es würde uns allen als Zuschauer, Zuhörer und Festivalteilnehmer gut tun, auch denjenigen, die noch nie dabei waren.

  2. Nachdem ich am Samstag einfach „nur mal so“ über die B62 an der Strecke des Festivalgeländes und der dazugehörigen Parkplätze vorbeigefahren bin, bewundere ich die Festivalbesucher, wenn ich bedenke, welche Strecken die teilweise von ihrem Auto bis auf’s eigentliche Gelände zurücklegen (müssen)

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