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Die Geburtenstation des Alsfelder Kreiskrankenhauses schließt - die Alsfelder bleiben ratlos zurückAus für Geburtshilfe: Fragen und Antworten

ALSFELD (ls). Die Geburtenstation des Alsfelder Kreiskrankenhauses wird dicht gemacht. Die Nachricht hat viele Alsfelder geschockt – und ratlos zurück gelassen. Was passiert jetzt mit dem Personal? Was sagt die Politik dazu? Und wie weit müssen Schwangere zukünftig fahren, um ihr Baby auf die Welt zu bringen? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Zur Erinnerung: Die drei auf der Alsfelder Geburtenstation tätigen Gynäkologen sind sogenannte Belegärzte – das heißt sie arbeiten zwar im Krankenhaus, betreiben aber hauptsächlich ihre eigene Praxis. Das übrige Personal sowie die medizinischen Geräte besorgt und finanziert das Krankenhaus.

Wieso wird die Geburtenstation des Alsfelder Krankenhauses Ende des Jahres schließen müssen?

„Dass die Geburtenstation Ende des Jahres schließen wird, ist das Ende einer ganz langen Entwicklung“, bestätigt Dr. Stefan Schindler, einer der Gynäkologen, in einem persönlichen Gespräch gegenüber Oberhessen-Live. Die Kosten für spezielle Haftpflichtversicherungen seien in den letzten Jahren massiv angestiegen – über 500 Prozent – und zum Jahreswechsel sei nochmals mit einem Anstieg um 80 Prozent zu rechnen. Das sei auf lange Sicht nicht mehr tragbar.

Außerdem seien die Rahmenbedingungen „intern und extern nicht mehr gut gewesen.“ Eine offizielle Geburtsstation sei aktuell auch gar nicht vorhanden. Sie teile sich auf zwei kleinere Stationen auf. „Eine Geburtenstation als Identifikation gibt es nicht wirklich“, sagt Schindler. Die drei Gynäkologen im Haus seien es ihren Patienten schuldig, in „ruhiger Lage zu handeln“ – und das sei mittlerweile im Kreiskrankenhaus nicht mehr möglich.

Gab es Seitens des Kreises Angebote für eine finanzielle Unterstützung?

Ja. Der Kreis habe für das kommende Jahr seine Unterstützung zugesagt, allerdings seien die Verhandlungen darüber „schwierig und aufreibend“ gewesen, sagte Schindler. Da eine Besserung der Situation nicht in Sicht gewesen sei, habe man sich dazu entschieden, aufzuhören.

„Wir wollten ein Ende mit einem sauberen Schnitt und das haben wir hiermit getan. Irgendwann wird der Kreis nicht mehr in der Lage sein dies zu stemmen. Wir wollten kein Sterben auf Raten und das wäre es gewesen“, so Schindler. Auch Landrat Manfred Görig und Bürgermeister Stephan Paule bestätigten bereits, dass Geldmangel nicht der Grund für die Schließung sei.

Versicherungen immer teurer

Stimmt es, dass der Kreis den Gynäkologen angeboten hat, die scheinbar immer höher werdenden Versicherungsbeiträge zu übernehmen?

Das stimmt, die Gynäkologen haben allerdings abgelehnt. Der Grund: Schon die dieses Jahr dafür gezahlten 500.000 Euro haben nicht ausgereicht, die Versicherungskosten zu decken.

Was wird mit dem Personal passieren? Wird es Kündigungen geben?

Dazu konnte Oberhessen-Live zum derzeitigen Moment keine direkte Stellungnahme des Krankenhauses oder des Landrats  bekommen. Die Leiterin von ver.di Osthessen, Angelika Kappe, geht allerdings davon aus, dass bei dem aktuellen Pflegenotstand, die dort beschäftigten Pflegekräfte auf andere Stationen verteilt werden können.

Wohin können sich die schwangeren Frauen für eine Geburt wenden? Werden die Fahrten in andere Krankenhäuser rückerstattet?

Auch dazu gab es keine Antwort seitens des Landrats oder des Krankenhauses.

Gibt es noch einen Plan B, die Station doch zu behalten? Wäre es beispielsweise denkbar, dass das Krankenhaus – und damit der Kreis – die Geburtenstation selbst betreibt und diesbezüglich Ärzte für die Station einstellt, obwohl die Station nicht wirtschaftlich rentabel ist?

Die ALA weist bereits darauf hin, dass die Möglichkeit bestehe, andere Gynäkologen für die die Station zu begeistern – diese Alternative würde allerdings sehr viel Geld kosten und erscheint aus diesem Grund eher unwahrscheinlich.

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Blick in einen OP des Alsfelder Krankenhauses

 

 

Was ist mit der ambulanten Geburtsvorbereitung und der Nachsorge durch Hebammen?

In ihrer Pressemitteilung erklärten die drei Gynäkologen, dass sie ihre Zeit nun vermehrt auf die Patienten ihrer Praxis richten können, um die örtliche Versorgung weiterhin sicher zu stellen.

Was passiert bei Komplikationen? Wenn eine Frau beispielsweise eine Sturzgeburt erleidet?

„Ziegenhain ist räumlich gesehen am nähesten. Bei Notfällen kann das natürlich auch mal knapp werden“, so Schindler. Bei Notfällen müsse eine Klinik in der Nähe aufgesucht werden.

Wo gibt es die nächsten Geburtshilfen in der Umgebung? 

Die Krankenhäuser in Marburg, Ziegenhain, Fulda, Gießen und Bad Hersfeld bieten einen solchen Service beispielsweise an

Fallen Angebote wie beispielsweise Storchencafé, Babys in Bewegung oder Vatertreffen etc. ebenfalls weg?

„Wenn Interesse für das Vatertreffen bei den jungen Vätern unserer Praxis besteht, wird es sich sicherlich einrichten lassen, dieses auch weiterhin ein bis zwei Mal im Jahr durchzuführen. Da sind wir durchaus bereit dafür und freuen uns darauf. Wir wollen natürlich, dass Schwangere und werdende Väter weiterhin gut betreut werden durch unsere Praxis“, erklärt der Gynäkologe. Was mit dem Storchencafé sei, konnte er allerdings nicht sagen, da dies vom Krankenhaus organisiert wird. Das Krankenhaus gab auch zu dieser Frage keine Antwort.

OPs weiter in Alsfeld möglich

Was ist mit gynäkologischen Operationen? Es wird erzählt, dass die Ärzte bereits in anderen Kliniken operieren, stimmt das? Und wenn ja, müssen wir damit rechnen, dass auch die gynäkologische Versorgung bald nicht mehr möglich ist?

Gynäkologische Operationen werden voraussichtlich weiter in Alsfeld stattfinden. „Gegen weitere gynäkologische Operationen spricht eigentlich nichts. In weiteren Verhandlungen werden wir versuchen, für diese Alsfeld als Standort sicher zu stellen und hoffen eine auf eine gute Lösung“, so Schindler.

Was passiert mit der Station 4B? Was passiert mit den schönen Räumen des Kreissaals?

Bislang liegen Oberhessen-Live darüber keine Informationen vor.

Wäre es möglich, dass die Station nach einer Schließung wieder eröffnet werden kann wie es beispielsweise in Ziegenhain der Fall war?

Möglich wäre das – in Ziegenhain hatte die Geburtenstation auch bereits einmal geschlossen und wieder eröffnet.

Wie reagiert die Politik auf die Schließung der Geburtenstation?

Ungeachtet der Gründe des bisher leitenden Ärzteteams der Station für diesen drastischen Schnitt, müsse der Landrat und die Kreiskoalition weitere Alternativen finden, um die Geburtshilfe am Krankenhaus Alsfeld zu erhalten, erklärt Michael Riese von der ALA. Die Station mit 500.000 Euro jährlich zu erhalten, wie von der CDU und der SPD vereinbart, ließe schon nichts Gutes erahnen, da dieser Betrag allein nicht ausreichend sei.

„Die Bekenntnis des Landrates und der SPD zum Erhalt der Geburtshilfe war auch nie Herzenssache oder gar Überzeugung, sondern Rücksicht auf den damaligen grünen Koalitionspartner“, so Riese weiter. Der Kreis können nun dafür sorgen, dass andere Frauenärzte der Region die Aufgaben der Geburtenstation übernehmen, allerdings sei die beste Lösung – aber auch die teuerste Lösung – dass der Kreis eine gynäkologische Abteilung mit angestellten Ärzten schaffe. Gemessen an dem entstandenen Imageschaden für den Kreis und für das Alsfelder Krankenhaus, sei dies jedoch ein notwendiger Schritt.

Die Grünen: 

Enttäuschend findet auch Udo Ornik, der Kreisvorsitzende der Grünen, die Schließung der Geburtenstation im Kreiskrankenhaus. „Vor der Wahl wurden noch große Versprechungen – auch vom Landrat“, beteuert er. Die Partei lasse die überprüfen, ob die nicht mehr bezahlbaren Versicherungen dem Landrat bekannt seien und stelle entsprechend in der kommenden Kreistagssitzung einen Dringlichkeitsantrag, um ihren Willen zum Erhalt der Station zu bekräftigen.

Die AfD:

Unverständnis zeigt sich auf der Seite der AfD, deren Fraktionssprecher Gerhard Wahl zwar die wirtschaftlichen Gründe durch zu geringe Geburtenzahlen und unverhältnismäßig hohe Kosten versteht, die Schließung trotzdem auf das Schärfste verurteilt. „Der Vogelsbergkreis hat seinen guten Willen gezeigt und sich für weitere finanzielle Unterstützung der Abteilung bereiterklärt. Unsere Landes- und Bundespolitiker sind die Totengräber einer bürgerfreundlichen Politik“, so Wahl weiter.

Für alles sei Geld da, nur nicht für die Bürger, welche es erwirtschaften – mit dieser Politik erreiche man keine Steigerung der Geburtenzahlen in Deutschland. Auch den freien Hebammen werde es durch unverhältnismäßig hohe Haftpflichtversicherungen unmöglich gemacht, weiterhin ihren Beruf auszuführen.

Freie Wähler 

Überrascht zeigte sich Friedel Kopp von den Freien Wählern, der diese Nachricht noch nicht richtig einzuordnen weiß. „Momentan wissen wir noch nicht, ob dies ein politischer Schachzug der Kreiskoalition darstellt?“, merkt Kopp an. Die Freien Wähler hätten nach den Sondierungsgesprächen nach der Kreiswahl 2016 klar signalisiert, dass sie zumindest mittelfristig die einzige Geburtenstation im Vogelsbergkreis erhalten wollen – gegebenenfalls sogar mit Subventionen des Landkreises. Warum die aktuelle Entwicklung sich so schnell verändert hat sei bislang nicht bekannt.

Was sagen Landrat Manfred Görig und der Erste Kreisbeigeordnete Dr. Jens Mischak darüber?

Sowohl der Landrat, als auch der Erste Kreisbeigeordnete Dr. Jens Mischak bedauern die Schließung der Geburtenstation des Kreiskrankenhauses sehr. „Der Landkreis als Eigentümer hat zusammen mit den Ärzten alles unternommen, um die Geburtshilfliche Abteilung aufrechtzuerhalten“, so der Aufsichtsratsvorsitzende und Landrat Manfred Göring in einer Pressemitteilung. Jens Mischak hebt dabei nochmals hervor, dass die Entscheidung mit den drastisch gestiegene Rahmenbedingungen im Hinblick auf die gestiegenen Beiträge zu den Berufs-Haftpflichtversicherungen zu tun habe.

Von rund 72.000 Euro seien diese auf rund 130.000 Euro ab Oktober angestiegen – eine ähnlich fatale Entwicklung wie bei den Hebammen, die ebenfalls unter starkem wirtschaftlichen Druck stehen.

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Bürgermeister Paule und Landrand Manfred Görig: „Am Geld hat es nicht gelegen“.

Das hessische Sozialministerium hatte einer Modernisierung des Hauses zugestimmt. Für die nächsten fünf Jahre seien überdies 500.000 Euro im Haushalt des Vogelsbergkreises extra dafür vorgesehen, die Geburtshilfeabteilung zu erhalten, weshalb der Landrat von einer Erhaltung von mindestens fünf Jahren ausgegangen sei.

Gynäkologie als solche bleibe in Alsfeld bestehen, sagte der Landrat. Er verwies dazu auf Richtlinien, die besagen, dass beispielsweise Mehrlingsgeburten schon jetzt von Alsfeld an besser ausgestattete Krankenhäuser weitergeleitet werden müssten.

Was sagt Bürgermeister Stephan Paule über die Entscheidung?

Bürgermeister Stephan Paule, ebenfalls Fraktionsvorsitzender im Kreistag bei der CDU äußerte sich bereits gestern Abend zu der Entscheidung der Ärzte. Betroffen erklärte er: „Ich habe in den letzten Wochen einem Gespräch der betroffenen Ärzte beigewohnt und es selbst geführt und dabei gehofft, dass sie sich für ein Weitermachen entscheiden.

Die Entscheidung nun sei ein herber Schlag, trotz allem sei er froh, dass die behandelnden Gynäkologen ihre Praxis weiter betreiben und somit eine ärztliche Versorgung der Familien vor Ort sicher gestellt ist.

Was sagen Schwangere aus der Region dazu?

Schon gestern wurden viele Stimmen von betroffenen Frauen in Alsfeld über die Schließung der Geburtenstation des Alsfelder Kreiskrankenhauses vernommen. Wut, Empörung und Sprachlosigkeit lagen in der Lust. Eine junge Mutter, die für das nächste Jahr ihr zweites Kind erwartet meldete sich diesbezüglich bei Oberhessen-Live. Geschockt habe sie den Artikel über die Schließung der Entbindungsstation gelesen. Ihre erste Tochter habe sie in Alsfeld entbunden und sich da sehr gut betreut gefühlt, weshalb sie sich dazu entschloss auch ihr zweites Kind dort zu entbinden.

„Und jetzt weiß ich wirklich nicht was ich sagen soll“, bestätigt sie ratlos. Schon länger habe sie Gerüchte über eine mögliche Schließung vernommen – selbst bei den Ärzten im Gespräch mit einer Arzthelferin selbst, doch glaubte sie nicht wirklich, dass es wirklich so kommen würde – oder sie wollte es nicht glauben.

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Die Geburtenstation schließt, Schwangere sind empört.

„Eine Hebamme für die Nachsorge zu finden, welche nicht nur wie die Hebamme aus dem Krankenhaus ein- bis zweimal im frühen Wochenbett Zuhause vorbei kommt, ist schon extrem schwierig“, erklärt sie aus Erfahrung. Mittlerweile müsse man sich direkt nach einem positiven Schwangerschaftstest für jemanden entscheiden. Nicht zu wissen wo man sein Kind auf die Welt bringen kann, sei allerdings noch viel schlimmer.

Was sagen die Arbeitgebervertreter zur Schließung?

Angelika Kappe, die Geschäftsführerin von ver.di Osthessen gibt der Politik die Schuld an dem Aus der Station. „Es handelt sich um Belegärzte, die Dienstleistungen ausführen und das Krankenhaus beziehungsweise der Träger (der Vogelsbergkreis) möchte die Dienstleistung nicht mehr zahlen. Die Belegärzte können für den Preis nicht arbeiten“, sagte sie.

Das Pflegepersonal müsse sich bei dem aktuellen Pflegenotstand aus ihrer Sicht überhaupt keine Sorgen um ihre Arbeitsplätze machen. Sie würden innerhalb des Krankenhauses weiterbeschäftigt oder in unmittelbarer Wohnortnähe genügend Jobs angeboten bekommen können.

3 Gedanken zu “Aus für Geburtshilfe: Fragen und Antworten

  1. Die sogenannten „Volksparteien“ sind doch schon lange keine Parteien mehr fürs Volk. Wer das noch immer nicht gemerkt hat tut mir leid.

  2. Meiner Meinung nach gehört so etwas wie Gesundheit immer noch in staatliche Hände und auch Versicherungen im Gesundheitswesen müssen staatlich sein! Wenn das der Fall wäre dann würden wir das Problem nicht haben das in ganz Deutschland so viele Stationen geschlossen werden. Ich kann nur für mich persönlich sagen das ich es unverantwortlich halte die Station in Alsfeld zu schließen.

  3. Es ist eine Schande, wie die Politik als Vorreiter für die Versicherungen mit den Bürgern umgeht. Die Kassen der Versicherungen werden immer voller und der Bürger wird geschröpft und hat keine Möglichkeit dagegen vor zu gehen. Und unsere gewählten Politiker unterstützen sich nur selbst und gehen nicht auf die geschröpften Wähler ein. Ich bin für die Volksparteien aber hier muss viel geschehen

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