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Ein Leben zwischen Jobsuche, behindertem Kind und eigener Erkrankung: Die Geschichte einer alleinerziehenden MutterStark, alleinerziehend und krank

ATZENHAIN. Über eine schmale Straße kommt man zu einer kleinen abgelegenen Wohnsiedlung. Fast schon zu abgelegen. Dort, in einem kleinen, roten Holzhaus, wohnt seit Kurzem Gabriela Deneke mit ihren zwei Kindern. Abgetrennt durch ein kleines Tor steht sie bereits auf der vorderen Veranda und wartet ungeduldig. Gabriela Deneke, eine ganz normale 38-jährige Frau – so scheint es zumindest. Die alleinerziehende Mutter leidet unter Narkolepsie, einer heimtückschen Krankheit. 

Gabriela Deneke war einst eine junge, gesunde Frau. Ab und an fühlte sie sich müde und schlapp, aber welche Mutter von zwei Kindern tut das nicht? Alles schien normal. Bis vor vier Jahren, da diagnostizierten die Ärzte bei ihr Narkolepsie – eine seltene, unheilbare, neurologische Erkrankung, die im Volksmund gerne als Schlafkrankheit bezeichnet wird, was das Problem auf den Punkt bringt: Gabrielle Deneke droht permanent, vom Schlaf übermannt zu werden. Plötzlich und ohne Vorwarnung.

„Irgendwann stellten wir fest, dass ich starke Atemaussetzer im Schlaf habe und ließ mich untersuchen. Seitdem schlafe ich mit Sauerstoffmaske, aber gebessert hat sich bis jetzt noch nichts“, schildert die 38-Jährige die Anfänge ihrer Krankheit.

Die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern hat es wahrlich nicht leicht: sie selbst leidet unter Narkolepsie, ihre Tochter an Epilepsie und zudem findet sie keinen Job. Eine Situation, die sehr belastend ist für die kleine Familie. Foto: ls

Erst vor Kurzem zog die kleine Familie in das rote Holzhaus in eine abgelegene Gegend. Foto: ls

Medikamente nimmt Gabriela Deneke momentan noch nicht. Bevor nicht noch ein paar wichtige Tests gelaufen sind, möchte sie das Tablettenschlucken auf gut Glück vermeiden. Heilen kann man ihr Leiden sowieso nicht, aber man kann es kontrollieren. Dazu muss sich die alleinerziehende Mutter an strikte Ruhepausen halten, sonst schläft sie von jetzt auf gleich ein.

„Wenn ich arbeite und unter Stress stehe, merke ich keine Müdigkeit. Komme ich allerdings zu Ruhe, dann werde ich sehr schnell müde und drohe einfach in Sekundenschlaf zu fallen“, erzählt sie. Bisher hatte sie Glück im Unglück, bis auf einen leichten Autounfall ist noch nichts passiert. Damals dachte sie zunächst, sie sei von der Sonne geblendet worden. Jetzt weiß sie, dass sie womöglich eingeschlafen ist.

„Wenn es einen hart trifft, dann gleich richtig“

Als wäre das nicht schon belastend genug, trat ein paar Jahre nach der Diagnose eine weitere Folge der Krankheit auf: Kataplexie. Wenn Gabriele Deneke sich freut, ärgert oder wütend ist, erschlaffen ihre Muskeln und sie sackt bei vollem Bewusstsein zusammen. Gefährlich sei das nicht, allerdings eine erhebliche Einschränkung im Alltag. „Wenn es einen hart trifft, dann gleich richtig“, kommentiert sie ironisch ihre Situation.

Während des Gespräches öffnet sich plötzlich die Haustür und Denekes 18-jährige Tochter Larissa, die ihren kleinen schwarz-braunen Chiwawa Chanel auf dem Arm trägt, stößt dazu. Typisch für ein pubertierendes Mädchen hat sie vorher stundenlang im Bad gestanden und sich aufgeregt zurechtgemacht.

Immer wieder verlässt Larissa die Gesprächssituation und spielt mit ihren Tieren. Scheinbar ein normales, junges Mädchen, allerdings ist auch sie krank. Foto: ls

Immer wieder verlässt Larissa die Gesprächssituation und spielt mit ihren Tieren. Scheinbar ein gesundes, junges Mädchen, allerdings ist auch sie krank. Foto: ls

„Meine Tochter ist für mich keine Belastung, sondern eine Bereicherung“

Die Reporterin scheint für das Mädchen gar nicht da zu sein. Larissa sagt dem Besuch nicht ein mal „Hallo“. Larissa spricht nur ungern mit Fremden. Nicht aus Unhöflichkeit, sondern weil eine Krankheit sie dazu zwingt. Die Teenagerin hat das Pseudo-Lennox-Syndrom, eine seltene Form der Epilepsie, die eng verwandt ist mit dem Autismus – eine achtzigprozentige Behinderung, die man ihr nicht ansieht. Meist verläuft die Krankheit völlig unauffällig und bricht im Kindesalter aus, so auch bei Larissa. Mit vier Jahren wurden ihre Kindergärtner stutzig und rieten Gabriela Deneke dazu, ihre Tochter untersuchen zu lassen.

„Sie sagten mir, Larissa wäre ein bisschen zurück in ihrer Entwicklung, also wurde ich beim Sozialpädiatrischen Zentrum vorstellig. Dort wurden eine Menge Untersuchungen gemacht, mitunter auch ein Schlaf-EEG“, erinnerte sie sich an die schwere Zeit. Dabei wurde bei Larissa das Syndrom festgestellt, das seit dem viele unheilbare Schäden in ihrem Gehirn verursacht hat.

14 Jahre ist die erschreckende Diagnose nun her. Seitdem nimmt Larissa vier Tabletten täglich, die die epileptischen Anfälle unterdrücken sollen. Die Schäden im Kopf sind jedoch irreparabel. „Behindert ist für mich eine komische Aussage. Natürlich hat sie zu 80 Prozent diese Behinderung oder besser diese Krankheit, aber sie hilft mir genauso im Haushalt, wie jedes gesunde Kind auch und ist für mich eine große Entlastung“, beschreibt die Mutter die Hilfe ihrer Tochter. Für sie ist Larissa nicht behindert, sondern hat lediglich eine Krankheit, die einiges in ihrem Gehirn kaputt gemacht hat.

„Entweder wir werden akzeptiert oder wir werden nicht akzeptiert“

Das Verhalten ihrer Tochter bringt Gabriela Deneke oft in Erklärungsnot. „Viele sagen, dass ich es schwerer habe mit Larissa als mit einem Kind, das im Rollstuhl sitzt. Man sieht Larissa äußerlich nichts an, aber sie verhält sich nun mal anders“. Früher habe sie sich bei den Leuten für Larissas vermeintlich unerzogenes Verhalten entschuldigt, versucht zu erklären und zu rechtfertigen – damit sei aber jetzt Schluss.

Die Leute sollten nicht vorschnell urteilen, ohne das Kind und den Grund wirklich zu kennen.Gabriela Deneke über die vorurteilende Meinung der Menschen

Nicht alle in ihrem Umfeld können mit den Krankheiten der beiden Frauen umgehen. Viele Freunde wandten sich ab. Das gemeinsame Feiern mit ihnen vermisse sie nicht wirklich, sagt die Mutter. Auch mit einem gesunden Kind wäre sie abends zuhause geblieben. „Das ist normal für eine Mutter, schließlich trägt man Verantwortung, egal ob mit behindertem Kind oder nicht. Ich bin nun mal nicht alleine.“

Larissa scheue zudem große Menschenmassen und laute Musik. Letztes Jahr wurde ihre Mutter zur Lauterbacher Bierprinzessin gewählt. Das habe Larissa sehr gut gefallen, allerdings konnte sie nicht lange feiern. „Es wurde sehr voll und sie hört viele Sachen sehr viel intensiver als andere und dann wird es ihr irgendwann zu viel“, erklärt die Hausfrau.

Larissa spricht kaum mit fremden Menschen - mit ihren Tieren allerdings um so mehr: Tiere sind ihr Leben. Foto: ls

Larissa spricht kaum mit fremden Menschen – mit ihren Tieren allerdings um so mehr: Tiere sind ihr Leben. Foto: ls

Larissa fühlt sich in der Gesellschaft durch ihre Behinderung nicht wirklich anerkannt. Seit drei Monaten lernt sie zusammen mit ihrer Großmutter lesen und schreiben. Wenn es ihr schlecht geht, schickt sie bislang ihrer Mutter ein paar traurige Smileys via WhatsApp. Viele Freunde hat sie nicht, weil viele nicht verstehen können, wieso sie nicht redet. Larissas Freunde sind die Tiere – und davon hat die Familie einige.

Zwei eigene Hunde, einen Pflegehund, eine Katze und ab und an weitere Pflegehunde, um die sich Larissa aufopferungsvoll kümmert – selbst Mäuse und Maulwürfe bekommen von ihr Liebe und etwas zu essen. Durch die Tiere habe sich ihr Verhalten gebessert. Sie sind eine Art der Therapie.

Mit ihren Tieren blüht sie richtig auf.Gabriela Deneke über ihre Tochter

„Oft frage ich mich: Wofür mache ich das eigentlich?“

Arbeiten geht Gabriela Deneke momentan nicht. Sie lebt unfreiwillig von Hartz IV, womit sie schwer zu kämpfen hat. Sich aufgrund ihrer Krankheit für berufsunfähig erklären zu lassen kommt für sie nicht infrage. Mit 38 Jahren, so sagt sie, und dem starken Willen arbeiten gehen zu wollen, möchte sie nicht Tag für Tag Zuhause sitzen. „Ich möchte meinen Kindern was bieten und dafür möchte ich arbeiten gehen“, antwortet sie entschlossen. Ständig trägt sie ihre Sorgen und Nöte mit sich rum, die sie nachts nicht schlafen lassen und damit ihre sowieso bereits belastende Krankheit noch verstärken. Alles fing an vor fünf Jahren. Damals beendete sie gerade ihre Ausbildung zur Fachpflegerin in der Gerontopsychatrie, die sie mit Zertifikat abschloss.

„Ich bin beruflich in verschiedenen Heimen in Lauterbach, Schotten und Homberg/Ohm gewesen, aber jedes Mal wurde ich in der Probezeit gekündigt – ohne Begründung“, berichtet die junge Mutter. Sie fing an, die Schuld für die Kündigungen bei sich selbst zu suchen.

Verzweiflung kam auf. Über eine Zeitarbeitsfirma kam sie  erneut in verschiedenen Heimen unter – unter anderem auch wieder in Homberg/Ohm, in dem selben Heim, das sie vorher entlassen hatte. „Das wunderte mich – dann kann es nicht an meiner Arbeit gelegen haben, wenn sie mich wieder über die Zeitarbeitsfirma buchten“, schildert Deneke das Verhalten ihres Arbeitgebers. Eine Mischung aus Wut, Trauer und Verständnislosigkeit schwingt in ihrer Stimme mit.

Im April kam dann die Kündigung der Zeitarbeitsfirma. Obwohl die Arbeitsagentur ihr riet, ihre Narkolepsie zunächst in den Griff zu bekommen, suchte Deneke umgehend nach einem neuen Job – sie wollte sich und ihren Kindern etwas leisten, sagt sie heute. Gabriela Deneke hat noch einen gesunden Sohn. Lukas, 15 Jahre alt.

Bei ihrer Suche stieß sie auf eine Stelle als Rezeptionistin in einem Hotel in Schotten. „Ich habe mich beworben und wurde direkt eingeladen. An einem Sonntag bin ich spontan zum Probearbeiten für drei Tage angetreten. Alles verlief gut und ich wurde nach Einarbeitungszeit auf eine Dreiviertel-Stelle eingestellt“, so die gelernte Pflegerin.

Immer wieder wird Gabriela Deneke während unseres Gespräches angerufen. Ein weiterer Schicksalsschlag traf sie in dieser Woche: Auf der Pferdekoppel ihrer Freundin, auf der sich das ausrangierte Therapiepferd ihrer Tochter befindet, wurden sie und die Tiere mit Steinen beworfen. Foto: ls

Immer wieder wird Gabriela Deneke während unseres Gespräches angerufen. Ein weiterer Schicksalsschlag traf sie in dieser Woche: Auf der Pferdekoppel ihrer Freundin, auf der sich das ausrangierte Therapiepferd ihrer Tochter befindet, wurden sie und die Tiere mit Steinen beworfen. Foto: ls

Doch dann kam es, wie es kommen musste: Larissa bekam einen Anfall und wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Gabriela Deneke musste sich frei nehmen. „Ich spiele immer mit offenen Karten und sage von vorne rein, dass ich ein behindertes Kind habe und auch Mal ausfallen kann, wenn etwas ist.“ Das sei kein, Problem sei ihr gesagt worden. Letztendlich war es wohl doch ein Problem, denn als Gabriela Deneke wieder zur Arbeit kam, wurde sie gekündigt – dieses Mal mit Begründung.

„An meiner Arbeitsweise lag es nicht, erklärte meine Chefin mir, sondern weil ich ein behindertes Kind habe und sie bräuchten jemanden, der zu 100 Prozent hinter dem Hotel stehe. Da fiel mir nicht mehr viel ein. Ich habe nun einmal dieses Kind, kann es nicht ändern und möchte es auch gar nicht ändern.“

Das besagte Hotel möchte sich zu dem möglichen Kündigungsgrund und den Vorwürfen der alleinerziehenden Mutter nicht äußern und schweigt.

„Ich werde bestraft, weil ich alleinerziehende Mutter eines behinderten Kindes bin“

Wie ein roter Faden ziehen sich die Kündigungen bereits seit über drei Jahren durch das Leben von Gabriela Deneke, einer Frau, die unbedingt arbeiten möchte. Fünf Kündigungen in drei Jahren musste sie verkraften, die sie sich als Versagerin fühlen ließen und immer noch lassen. „Das Schlimme ist einfach, dass Larissa sich die Schuld daran gibt. Ich glaube, es gibt nichts Schmerzlicheres, als ein Kind, das sich Vorwürfe dafür macht, wie es ist“, offenbart sie traurig, den Kopf gesenkt. Nicht nur das bereitet ihr großen Kummer, sie fürchtet sich zudem davor, in der Gesellschaft als asozial abgestempelt zu werden.

Andere sammeln Briefmarken, ich sammle Kündigungen – traurig, aber wahr.Gabriela Deneke über ihren beruflichen Werdegang bisher

Kein Job, kein Geld und dass obwohl sie gerne arbeiten möchte und dafür alles versucht. „Oft frage ich mich: Wofür mache ich das eigentlich? Man kämpft und nichts kommt zurück. Das ist wirklich schwer und belastend.“ Doch aufgeben, das macht die junge Mutter unmissverständlich deutlich, aufgeben wird sie nicht.

Von Luisa Stock

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