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INTERVIEW mit Stadtrat Heinrich Muhl nach der Übergabe der Urkunde anlässlich des Hessischen Demografie-Preises 2016„Der soziale Frieden war mein Beweggrund“

LIEDERBACH (cdl). Der „Runde Tisch Flüchtlingshilfe Liederbach“ hat am hessischen Demografie-Preis teilgenommen. In einer kleinen Feierstunde hat Bürgermeister Stephan Paule dem Stadtrat Heinrich Muhl die Teilnahmeurkunde vom Land Hessen überreicht.

Bei dem Hessischen Demografie-Preis werden Projekte ausgeschrieben, die besonders dazu dienen, das Zusammenleben in Gemeinschaften im ländlichen Raum über die Generationen und Kulturen hinweg zu verbessern. Muhl habe den „Runden Tisch Flüchtlingshilfe Liederbach“ vorgeschlagen, erzählte Paule. „Es hat sich schnell eine aktive Gemeinschaft gebildet, die sehr sehr schnell mit Rat und Tat beiseite gestanden hat“, so Paule. Ohne Berührungsängste hätten sich die Bürger vor Ort in der Flüchtlingsunterkunft informiert und hätten sofort ihre Hilfe angeboten.

Besonders bekannt sei die Mitfahrgelegenheit geworden. Die Flüchtlinge werden an bestimmten Stellen von den Liederbachern eingesammelt und mit nach Alsfeld genommen, damit sie ihre Besorgungen machen können.

Die Teilnahme am Hessischen Demografie-Preis hat sich dennoch gelohnt

„Wir sind zwar nicht in die Runde der Hauptpreise vorgestoßen, haben aber immerhin ein großes Lob vom Ministerium geerntet.“ Die Urkunde sei eine hohe Anerkennung „ein Titel ohne Mittel“. Staatsminister Wintermeyer habe die Urkunde persönlich ausgestellt.

Wie kein anderer im Magistrat der Stadt Alsfeld stehe Heinrich Muhl für das Thema Flüchtlingshilfe. Er sei stets überall vor Ort so auch in Liederbach. „Man kann sich natürlich fragen, was der Hessische Demografie-Preis mit Flüchtlingen zu tun hat. Es geht ja um demografische Entwicklung“, so Muhl. Man wolle Synergieeffekte erzielen. Die Flüchtlinge sollen sich in der Region wohlfühlen und zum Bleiben animiert werden. Die Bevölkerung werde immer älter und es bestehe besonderer Bedarf in den Pflegeberufen.

„Wenn es uns gelingt, unseren hier lebenden Flüchtlingen das Leben schmackhaft zu machen, wenn sie sich sicher fühlen, wenn sie sich wohlfühlen, dann verspüren sie auch Lust, hier zu bleiben. Das müsse die Region nutzen. Nicht nur bei der Mitfahrgelegenheit werde geholfen, auch bei Behördengängen, Arztbesuchen und bei vielen alltäglichen Dingen stehe man mit Rat und Tat zur Seite.

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Heinrich Muhl ist der festen Überzeugung, dass Menschen aufeinander zugehen müssen, um Ängste abzubauen.

Interview mit Stadtrat Heinrich Muhl

Oberhessen-live: Sie waren lange bei der Bundeswehr. Was war dort ihr Job?

Ich bin Stabsoffizier bei der Bundeswehr gewesen und als Oberst Leutnant im vergangenen Jahr pensioniert worden. Ich war in vielen Bereichen der Logistik tätig, bei der Artillerie, Instandsetzung und dann zur operativen Information für Fernsehen, Radio und Weiteres. Am Ende war ich bei der elektronischen Kampfführung.

Oberhessen-live: Wie wurden Sie im Anschluss zum „Flüchtlingskoordinator“ der Stadt Alsfeld ?

Kurz nach meiner Pensionierung kam die sogenannte Flüchtlingswelle und die Großsporthalle wurde bevölkert. Es stellte sich die Frage, wie werden wir der Sache gerecht. Es galt mit Hilfsorganisationen und dem Betreiber zu korrespondieren, aber auch Angebote für Flüchtlinge zu schaffen. Das war die Hauptintention. Es sollte die Angst genommen werden. Die Angst vor den flüchtigen Menschen und die Angst bei den Flüchtlingen vor den hiesigen Menschen.

Oberhessen-live: Konnten Sie bei der Koordination auf ihre Ausbildung bei der Bundeswehr zurückgreifen?

Wir hatten schnell erkannt, dass alles mit der Qualität der Dolmetscher steht und fällt. Am Anfang als die Landesregierung noch in der Großsporthalle zuständig war, haben wir das in bravouröser Art und Weise gelöst. Später musste leider gespart werden. Das haben wir dann zu spüren bekommen. Ausbaden mussten es die Angestellten vor Ort wie die Sozialarbeiter bis hin zum Hausmeister. Kurzfrist waren nur noch zwei Dolmetscher da, die unterschiedliche Sprachen konnten und sich abwechselten. Die meiste Zeit wurde niemand verstanden.

Ich habe dann vehement dagegen interveniert, weil ich gesehen habe, dass es nicht mehr funktioniert. Dann wurden Zwischenebenen eingezogen und es hat sich nichts verbessert. Immerhin waren jetzt die Dolmetscher wieder ausreichend. Wir sind dann auf die Vereine zugegangen und haben gemeinsame Angebote entwickelt. Mit selbsterklärenden Aushängen wurden die Angebote kommuniziert.

Ebenso wurden Begegnungsnachmittage geschafften mit der Caritas, in der evangelischen Kirche oder beim Café Online. Überall wo sich getroffen wird.

Oberhessen-live: Welche Rolle spielt die Kommunikation über digitale Medien für die Flüchtlinge?

Man muss den Leuten einen Zugang zum Internet ermöglichen. Gerade die jungen Menschen kennen es gar nicht mehr anders. So können sie auch mit ihren Leuten in der Heimat in Kontakt treten.

Oberhessen-live: Wie wird man vom Soldaten zum Flüchtlingskoordinator?

Ich bin schon lange in der Kommunalpolitik tätig. Da bekommt man einiges zugetragen. Ich habe viel Positives aber auch Negatives zugetragen bekommen. Ich habe gemerkt, dass eine ganz große Unsicherheit gespickt mit Vorurteilen besteht. Die Vorurteile kann man nur ausräumen, wenn man aufklärt und für Begegnungen sorgt. Man muss sich kennenlernen und die Angst voreinander verlieren. Sozialer Frieden war mein Beweggrund. Weder für unsere Bevölkerung noch für die geflüchteten Menschen darf er gefährdet sein. Die Akzeptanz beider Seiten zu erschaffen, um vertrauensvoll miteinander umzugehen, ist das Ziel meines Engagements.

Oberhessen-live: Wie wollen Sie das erreichen?

Das hat der heutige Tag gezeigt. Man muss auch die Chancen sehen. Wir unterliegen dem demografischen Wandel und sind auf Bevölkerungszuwachs von außen angewiesen. Man muss aufeinander zugehen. Wenn es gelingt, vernünftig deutsch zu lernen, können wir die Arbeitsmärkte wo Bedarf besteht öffnen und auch bedienen. Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass es viele geben wird, die dort ihre Chance sehen. Irgendwann sind sie nicht mehr der Flüchtlinge, die einst geholfen bekommen haben, sondern diejenigen, die den alten Menschen hier helfen. Ich wiederhole es nocheinmal. In aller erster Linie wurde ich vom sozialen Frieden getrieben. Ich will nicht, dass es Unruhe gibt und gegeneinander losgegangen wird. Es darf nicht gegeneinander marschiert werden. Wir haben genügend Kriege auf dieser Welt, da brauchen wir keinen in unserem Land.

 

 

Ein Gedanke zu “„Der soziale Frieden war mein Beweggrund“

  1. Ich dachte immer Soldaten beschützen das Land und deren Bevölkerung.
    In Bulgarien gibt es z.B. Selbsthilfegruppen bei der Grenzbewachung, wäre das nichts für Sie gewesen.
    Auf Flüchtlinge muss man zugehen, ein wahres Wort. Die Gürtelträger und Rucksackträger gehen auch immer auf die Leute zu, Beng…..!
    Heute schon N24 gelesen?
    Priester in der Normandie ?
    …der fühlte sich bestimmt bisher auch ganz sicher.

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