Gesellschaft0

Zweite Vortragsveranstaltung von Lokalhistoriker Ingfried StahlAngenrods Geschichte erlebbar gemacht

ANGENROD (ol). Es fühlte sich so an, wie bei einer Groß-Familie zu Gast zu sein, unter Freunden und Bekannten: die zweite Vortragsveranstaltung mit Angenrods Lokalhistoriker Ingfried Stahl, die kürzlich im Angenröder Dorfgemeinschaftshaus stattfand. Der Einheimische referierte vor fast 60 Zuhörern über weitere Aspekte und Highlights der örtlichen Geschichte seit Ersterwähnung des Dorfes vor 750 Jahren.

Das Event, wieder mustergültig vom Festausschuss und vielen Helfern vorbereitet, war aus Terminüberschneidungsgründen um eine Woche vorverlegt worden, was dem Interesse und der Beteiligung an der Veranstaltung aber keinen Abbruch trug. Verglichen mit der ersten Vortragsveranstaltung vor etwa dreieinhalb Monaten war das Auditorium sogar noch um über ein Dutzend Personen gewachsen.

Es war dieses Mal wieder eine doppelstündige Powerpoint-Präsentation mit einer Vielzahl von Slides und somit auch historischen Bildern Angenrods und Erläuterungen, die das Publikum von Anbeginn sichtbar in ihren Bann zogen. Auf Grund der Menge des ausgewählten Dokumentationsmaterials musste in der zweiten Stunde sogar noch ein „akademischer Nachschlag“ von einer Viertelstunde in Anspruch genommen werden. Zur Erleichterung der Vortragsverfolgung hatte der Referent dieses Mal den Besuchen auch zahlreiche Handouts zur Verfügung gestellt, in denen die Themenschwerpunkte und deren Abfolge gelistet waren.

Mit insbesondere der einleitenden Begrüßung mit „Liebe Angererer“, gefolgt von „liebe Angenröder und sehr geehrte Damen und Herren“, unterstrich der Vortragende sogleich das nachfolgende lokale Kolorit seines Rhetorik-Duktus: zwanglos und improvisiert und zumeist in der örtlichen Umgangssprache formuliert wie zum Beispiel bei der Formulierung für die „Judenschule“ als „Jirreschul“. Es sei trotzt der dem Referenten eigenen relativ hohen Sprechgeschwindigkeit insgesamt ein gut verständlicher Vortrag gewesen, so die übereinstimmende Beurteilung der Präsentation nach deren Ende. Er habe von viel Authentizität gezeugt.

Das Dorfgemeinschaftshaus war gut besucht. Fotos: Axel Möller

Aus der schier überwältigenden Zahl von historischen Ereignissen, die in dem dreiviertel Jahrtausend Angenröder Geschichte mit Archivalien und Tradierungen auch bereits mit drei großvolumigen Bildbänden und einer Reihe von weiteren geschichtlichen Beiträgen und Mitteilungen in historischen Fachzeitschriften und auch in der OZ-Heimatchronik dokumentiert werden, wählte Stahl exemplarisch diejenigen aus, die auch die Zuhörerschaft der Gegenwart besonders ansprechen sollte.

Das Hofgut Angenrod, die ursprüngliche Wasserburg

In der ersten Vortragsstunde befasste sich Ingfried Stahl zunächst mit dem die Geschichte Angenrods einleitenden und zentral an der Antreff gelegenen Hofgut Angenrods, der ursprünglichen Wasserburg aus dem 15. Jahrhundert. Er präsentierte dabei auch die ersten noch in der OZ erschienenen Veröffentlichungen zur alten Geschichte des jetzigen Alsfelder Stadtteils, zum einen 1951 von dem Ruhlkirchener Arzt Dr. Friedrich Wilhelm Kraus, der sich insbesondere auch mit dem Stammbaum der Niederadligen hier, derer von Wehrda genannt Noding, sowie auch der Waserburganlage befasste.

In Fortführung der Kraus´schen Arbeiten habe dann der Angenröder Richard Jung sich im Sommer 1961 ebenfalls der Geschichte seines Heimatortes zugewendet, weitere Aspekte wie das Schulwesen und die Kirchengeschichte bearbeitet und dann auch in der Zeitung und auch in der gelungenen Festschrift zum 50-jährigen Jubiläum des damaligen Männergesangvereins „Harmonie“ publiziert. Stahl hatte sogar ein Original-Exemplar dieser inzwischen sechzig Jahre alten Festschrift mitgebracht und zeigte sie den Anwesenden.

Der Nächste, der dann die örtliche Geschichte, insbesondere verstärkt nun nach seiner Hochschultätigkeit und somit im Ruhestand deren Aufarbeitung auf die Ebene der umfangreichen und sich über Jahre hinziehenden Recherchen in der Hessischen Staatsarchiven gehoben habe, sei er, der Vortragende, dann ab etwa 1980 selbst gewesen.

In der Präsentation im DGH wurde dann unter anderem die Erbenabfolge der von Wehrda genannt Noding vorgestellt, sowohl mit Staatsarchiv-Belegen als auch mit Online recherchierten Kirchenbucheintragungen via der kostenpflichtigen Plattform „Archion“.  So hätten sich aufgrund nicht  vorhandener Kirchenbuchseiten aus dem Dreißigjährigen Krieg zu den Noding keine zusätzlichen biographischen Daten mehr ermitteln lassen.

Wichtig war dem Vortragenden außerdem noch die Erwähnung der Belehnung der von Wehrda gen. Nodung mit dem Kirchsatz zu Gedörns und Zell, der Kollatur (Kirchenrechte). Diese hätten sie  bis zu deren Aussterben 1805 innegehabt. Lehensdonator sei 1450 das Stift Fulda, also der Abt des Klosters Fulda, gewesen. Die von Wehrda seien somit auch Patrone der Kirche auf dem Getürms gewesen, die vor ihrem Umbau auch  noch ein gesondertes Patronatsgestühl besessen hätten. Das sei dann auch von den nachfolgen Angenröder Herren wie den Freiherren von Bibra und zum Schluss von den Grafen von Bernstorff in Anspruch genommen worden.

Letzter der Niederadligen der Linie von Wehrda, darunter ein Major, ein Obrist-Wachtmeister und zwei Junker, also Niederadlige noch ohne Ritterschlag, sei dann Carl Reinhard von Wehrda gen. Noding gewesen (1721 – 1805). Er sei damals für „blödsinnig“ erklärt worden, da er 1775 in Wetzlar eine Ehe mit einer Nichtadligen, nämlich Catharina, eingegangen habe.

Die Ehe sei aber leider kinderlos geblieben. Catharina sei 1800 mit 69 Jahren verstorben. Mit ihrem sie überlebenden Gatten Carl Reinhard, der als Erb- und Gerichtsherr am 15. Oktober 1805 verstarb, sei dann diese Niederadligen-Linie endgültig erloschen. So sei es auch vom Pfarrer im Kirchenbuch festgehalten worden.

Viele Original-Scans

Der Referent unterlegte seine Erläuterungen mit auch zahlreichen Original-Scans aus den Kirchenbüchern, wobei der jeweilige Pfarrer auch als sehr zuverlässiger Chronist der örtlichen Geschichte fungierte. Viele Berufe  wie Schmied, Oberster- und Unterster Müller, Schneider, Ackermann, Gerichtsschöffe, Gemeindmann, Jäger, Schweinehirt, Schäfer und auch Opfermann seien dabei namentlich zugeordnet zu entnehmen. In diesem Detailreichtum sei dies leider in den Staatsarchiven nicht der Fall.

Der Vortragende gab auch  Einblick in seine historischen Forschungsarbeiten in den Archiven wie im Archiv der „Oberhessischen Zeitung“, den Hessischen Staatsarchiven und auch im Internationalen Dokumentationszentrum in Bad Arolsen. Im Vergleich zu seinen anfänglichen Nachforschungen sei dies durch breite Digitalisierung jetzt viel komfortabler möglich. Akten könnten seit etwa drei Jahren direkt auf Foto-Tischen mit der eigenen Digitalkamera abfotografiert und somit in Ruhe zu Hause am PC ausgewertet werden. Dies sei einem Beschluss der Hessischen Landesregierung zu verdanken.

Jüdische Gemeinde Angenrod

Weitere Themenschwerpunkte des Referats bildeten dann auch die Jüdische Gemeinde Angenrod mit exemplarischer Vorstellung des letzten Angenröder Parnass, des Viehhändlers Sally Wertheim, später mit den letzten acht im Haus Speier eingepferchten Israeliten dann auch Shoah-Opfer, die Grafen von Bernstorff, die einzelnen belegbaren Hofgutpächer, die Angenröder Gastwirtschaften mit insbesondere der mehrere Generationen umfassenden Linie der Bambeys, der von „Gosse“, und der von Zulauf und Joseph Wertheim an der Hauptstrasse. Präsentiert wurden auch die historischen Grußkarten, auf denen stets auch die Gastwirtschaften mit abgebildet worden seien.

In der viertelstündigen Pause konnten die Anwesenden dann auch wieder, bestens von  der heimischen Jugendfeuerwehr bedient, ein Getränk zu sich nehmen, aber auch Schmackhaftes wie frisch gebackene Brezeln verzehren.

Im zweiten Vortragspart war zunächst der Fokus gerichtet auf das Haus Speier und seine Renovierung als gut genutzte Gedenkstätte – auch deren Spiritus Rector, Konrad Rüssel, war als Gast beim Vortrag zugegen – , die Vorstellung von Angenrods letzten Bürgermeistern, die Präsentation der örtlichen historischen Gewerbebetriebe wie der beiden Mühlen, der Schmieden, der Schreinereien, der Möbelfabrik und auch der Läden. Zu allen Bereichen wurden auch die Bilder der jeweiligen Unternehmer vorgestellt, die noch dem einen oder anderen etwas sagten, weil sie diese noch persönlich kannten.

Dazu zähle auch er, sagte Stahl. An viele dieser Bereiche trage er selbst auch lebhafte, interessante und auch schöne Erinnerungen in sich mit. Auch auf das historische Bildungswesen ging der Referent ein. Opfermänner, also Küster in Personalunion mit Lehrer hätten noch lange Zeit das ausschließliche Privileg der Bildungsvermittlung mit Fokus auf die evangelische Christenlehre gehabt. Hier sei auf dem Gedörn neben der Kirche die gemeinsame Schule Angenrods mit Billertshausen gewesen, bis vor 1880, als dann die Volksschule Angenrod sowohl für die christlichen als auch jüdischen Kinder in Funktion getreten sei.

Bezug auf alte Vereine

Zudem wurde auch mit Bildern auf die alten Vereine Bezug genommen, darunter ein „Bürgerverein zu Angenrod“ 1849 mit einer Fahnenweihe nach den Zeiten der Aufklärung. Ein buntes Potpourri von historischen Fotos Angenrods sowie auch dann jüngeren mit dann auch eingehender Erläuterung der Angenröder seit dem zumeist 19. Jahrhundert geläufigen Dorfnamen.

Expressis verbis hob Stahl hier auch die engagierte örtlichen Familienrecherchen und auch die Dokumentation der Dorfnamen durch die Angenröderin Angelika Ziegler geb. Herrmann anerkennend hervor. Beispielhaft last er dann auch die Passage von Karl Müller vom Angenröder „Räschen“ hervor, die bei den Anwesenden mit der örtlichen Bezeichnung „Kil Kall“ natürlich auf große Heiterkeit stieß.

Mit ähnlicher Heiterkeit generierenden Begriffen und auch Berichten von Begebenheiten hatte die Vortragsveranstaltung dann auch die gebührende Abwechslung aufzubieten. Ein echter Höhepunkt war das Zitat aus dem Kirchenbuch, eingetragen in alter Schrift, mit Blick auf die Zeugung eines „unehelichen Kindes“. Die Mutter sei dabei „imprägniert“ worden. Und auch die Väter seien des Öfteren als „Thäter“ gebrandmarkt worden.

Zum Schluss seines Vortragsmarathons präsentierte Stahl auch noch die Fotos von zahlreichen seiner Zeitzeugen für die Publikationen, von denen leider nur noch die Angenröderin Herta Friedrich geb. Bernhard, mittlerweile 96 Jahre alt, lebt. Es folgte noch ein Foto aus dem Cockpit des Helikopters, aufgenommen beim Jubiläumsrundflug.

Für seinen langen Vortrag, endend mit „Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit. Bleiben Sie auch alle gesund und voller Lebensfreude und –optimismus, so schwer es derzeit auch fallen mag! Und vor allem: bleiben Sie Angenrod verbunden!“  erhielt der Referent reichen Beifall des Auditoriums.

Schreibe einen Kommentar

Bitte logge Dich ein, um als registrierter Leser zu kommentieren.

Einloggen Anonym kommentieren