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Demonstration gegen Industriegebiet am Weißen Weg in Alsfeld„Die Stickoxidbelastung und die Zerstörung der Natur sind nicht mehr zu schultern“

ALSFELD (ls). Es war der erste seiner Art und das bei nicht unbedingt bestem Wetter. Und trotzdem zog es rund 100 Menschen auf den Alsfelder Marktplatz, wo der erste Sonntagsspaziergang startete – gegen das geplante Industriegebiet am Weißen Weg und mit dystopischem Blick in das Jahr 2050.

Weder Wind noch Regen konnten sie davon abhalten, lautstark durch die Stadt zu ziehen, wenn auch das Wetter vermutlich dazu beitrug, dass nicht noch mehr Demonstranten auf dem Marktplatz erschienen, um gegen das geplante Industriegebiet am Weißen Weg zu protestieren. Doch die rund 100 Teilnehmer, die dabei waren, vertraten eine klare Meinung: Keine Flächenversiegelung, kein zusätzlicher Verkehr, nicht noch mehr Lärm und Abgase und kein neues Industriegebiet in Alsfeld – schon gar nicht mitten in der Natur.

Mitinitiator Tom Zeder begrüßte die anwesenden Menschen über das Megafon. Alle Fotos: ls

Eingeladen zum sogenannten Sonntagsspaziergang hatte die neugegründete Initiative „Acker bleibt! Alsfeld“, die sich aus unterschiedlichen Initiativen und interessierten Vogelsberger Bürgern zusammensetzt, die sich dabei vernetzen. Dabei sollen unterschiedliche Perspektiven aus den einzelnen Initiativen der Verkehrswende bis hin zur Regionalentwicklung ausgetauscht werden und die Möglichkeit bestehen, sich für die Region einzubringen. Das große Ziel ist dabei, dass nicht noch mehr „landwirtschaftlich nutzbare Fläche der Versieglung und dem maschinellen Warenverkehr zum Opfer fällt“.

Demozug durch die Stadt, Unterschriftenaktion am Marktplatz

„Die Sonntagsspaziergänge sind aus der A49-Gegenbewegung entstanden, aber wir haben viele Gründe hier zu sein – und vor allem jetzt das Industriegebiet“, erklärte Mitinitiator Tom Zeder vor dem Alsfelder Rathaus. Auch wenn der Spaziergang selbst an diesem Tag nicht zum Homberg ging und man stattdessen vom Marktplatz zum Ludwigsplatz in Richtung Goethepark und wieder zurück in Richtung Innenstadt laufe, habe man das dort geplante Industriegebiet immer im Hinterkopf.

Etwa 100 Teilnehmer waren es beim ersten Sonntagsspaziergang.

„Genaus deshalb sind wir vorrangig hier. 44 Hektar sollen dort versiegelt werden und zusammen wollen wir überlegen, was wir stattdessen in der Region besser machen können“, sagte Zeder, der durch sein Engagement gegen den Lückenschluss der A49 bekannt ist. Neben den Reden wurden Unterschriften für die private Initiative „Alsfeld – Region mit Zukunft“ und gegen den Bau des Industriegebiets gesammelt.

Der einzige Redner war Zeder nicht. Neben der musikalischen Umrahmung vom Lauterbacher Liedermacher Broder Braumüller, der kurzfristig am Vormittag noch ein paar Liedzeilen passend zur Situation in der Stadt umgedichtet hatte, stand mit Katharina Jacob eine weitere Lauterbacherin auf dem Alsfelder Marktplatz. Die Stadtverordnete der Links-Fraktion in der Lauterbacher Stadtverordnetenversammlung nahm die Anwesenden mit auf eine Zeitreise in das Jahr 2050 unter der Voraussetzung, dass es Alsfeld nicht gelungen sei „einen Eindringling wie DHL Widerstand zu leisten“.

Katharina Jacob von der Links-Fraktion im Lauterbacher Stadtparlament erzählte eine dystopische Geschichte.

Sie erzählte eine fiktive Geschichte, wie ein Wanderer auf dem Lutherweg, der am geplanten Industriegebiet in Alsfeld vorbei führt, aus dem Wald tritt und vor einem „20 Meter hohen und über 40 Hektar verteilten weißen Klotz“ steht. Eine Plakette verweise auf Bürgermeister Stephan Paule, der das 2022 möglich machte. Bei seiner Rast setze sich der Wanderer auf Bauschutt, trinke Coca Cola und esse ein Brötchen aus einer chinesischen Backmischung. Wasser könne er sich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr leisten, weil 80 Prozent der Quellen versiegt seien und das bisschen Ackerland, was noch übrig sei, reiche nicht mehr für das Vieh. Der Wanderer überlege, ob das etwas mit „übertriebener Flächenversiegelung zu tun haben könnte oder mit dem Wirtschaftswachstum, das letztendlich den Niedergang der Menschheit bedeutet“.

„Diese Dystopie können Sie noch verhindern; Sie verhindern sie bereits, indem Sie hier sind, indem Sie kritisch sind und die Augen geöffnet haben“, erklärte Jacob und wies daraufhin, dass man es noch effektiver verhindern könne, wenn man sich an das Ministerium wende und Einwendungen einreiche und dabei auf die 80 Prozent der versiegten Quellen und die Flächenversiegelung hinweise. „Die Zahlen sind kein Witz. Und auch die zerstörte Aussicht auf Alsfeld, der verhunzte Lutherweg an dieser Stelle sind kein Witz, sie sind Tatsache“, sagte Jacob.

Musikalisch umrahmte Liedermacher Broder Braumüller den Demozug. Hier bei einem Zwischenstop am Ludwigsplatz.

Stickoxidbelastung und Zerstörung der Natur seien nicht mehr zu schultern

Auch Eva, eine Sprecherin von einer weiteren Umweltinitiative, sagte, dass es in Zeiten des Klimawandels und der Verkehrswende fatal sei, den Bau eines neuen Industriegebiets voranzutreiben und an zehn Jahre alten Plänen festzuhalten – genauso verantwortungslos sei es, an den 40 Jahre alten Plänen der A49 festzuhalten. Die kommunalpolitischen Entscheidungen von heute würde man später als Rückschritt betrachten.

Industriegebiete und Verkehr würden nah beieinander liegen und meist gebe es keine alternativen Mobilitätsmöglichkeiten wie die Schienen. Stattdessen würde der Verkehr auf die umliegenden Dörfer ausweichen. In der A49 eine Lösung zu sehen sei falsch, denn selbst unter Fachleuten sei bekannt, dass die A49 mehr Schaden anrichte als Nutzen bringe. Sie bringe auch keine Verkehrsentlastung.

Nicht nur Erwachsene nahmen an der Demo teil, sondern auch Jugendliche. Hier Teilnehmer von Fridays for future.

„Vom geplanten Industriegebiet Weißer Weg werden die Bundesstraßen genommen und damit den umliegenden Dörfern Lebensqualität genommen. Die Stickoxidbelastung und die Zerstörung der Natur sind nicht mehr zu schultern und das alles für wenige Arbeitsplätze, die nicht lukrativ sind und bestimmt keine Familie nach Alsfeld bringen“, sagte sie. Das stehe in einem Widerspruch zu dem, womit die Stadt normalerweise punkten könne. Nun müsse generationsübergreifend und kreativ geplant werden.

Auch Zeder befürchtete, dass ein riesengroßes neues Verkehrsaufkommen auf Alsfeld zurollt. Bis jetzt sei noch nichts passiert und kein Spatenstich gesetzt, man könne solche Gebiete noch verhindern. „Wir brauchen in Zukunft nicht nur Lagerarbeiter zum Billiglohn. Wir brauchen eine lebenswerte Umwelt“, sagte er, während der Verkehr bei dem Zwischenstop am Ludwigsplatz vorbeirollte.

Erinnerungen an Alsfelds Problem mit schlechter Luft

An dieser Stelle, mit Blick auf den ehemaligen Messstandort und die neu sanierte Schellengasse, erinnerte auch Philipp Balles vom BUND Vogelsberg an die Zeit vor mittlerweile vier Jahren. 2018 wurde im Rahmen einer Initiative der Deutschen Umwelthilfe bei Stickoxidmessungen eine erhebliche Überschreitungen der Grenzwerte festgestellt, die auf das enorme Verkehrsaufkommen zurückzuführen war. „Wir sind eine von vielleicht 15 bis 20 Städten bundesweit in denen im Schnitt diese Stickoxidbelastung um 40 Mikrogramm pro Kubikmeter überschritten wurde“, erklärte Balles. Auch amtliche Messungen des HLNUG haben diese Werte später bestätigt.

Philipp Balles vom BUND Vogelsberg erinnerte an das ohnehin hohe Verkehrsaufkommen.

Die Antwort der Politik darauf habe ihn überrascht: Statt den Verkehr auf die Schiene zu verlegen, wie es beispielsweise in Österreich der Fall gewesen sei, sei die Antwort hier gewesen, dass der Asphalt mit etwas angereichert wurde, um Stickoxide zu minimieren. So habe man das Problem mit einer technischen Lösung geklärt.

„Das geht aktuell noch, allerdings sehen wir, dass nicht die Ursache angepackt wurde“, sagte Balles. Es brauche kurze Wege und faire Löhne und mehr Miteinander. An dieser Stelle am Ludwigsplatz erlebe er täglich so viel Verkehr, egal zu welcher Uhrzeit. „Aus diesem Grund stehe ich hier und deshalb ist der Protest für mich wichtig, damit nicht noch mehr Verkehr hier mitten in die Stadt kommt.“ Das wünsche er sich.

Weitere Eindrücke des „Sonntagsspaziergangs“

6 Gedanken zu “„Die Stickoxidbelastung und die Zerstörung der Natur sind nicht mehr zu schultern“

  1. Der Verkehr gehört auf die Autobahn oder die Schiene.
    Das ist richtig.
    Das bedauerliche ist nur dass es für manche zu schwer ist zu verstehen und zu begreifen ist dass dieser Schwerlast und Sprinter Verkehr ganz Alsfeld und alle Bundesstraßen betrifft.
    Da haben die Lobbyisten der Logistiger ganze Arbeit geleistet.
    Die Stadt will ja alle Zahlen die nicht der- Verschwiegenheit- unterliegen offenlegen. Genau da ist das Problem, was wird denn verschwiegen ????
    Warum gibt es überhaupt Sachen die der Verschwiegenheit unterliegen. Was sollen denn die Bürger von Alsfeld nicht wissen????

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    1. Die Bürger sollen sich halt mit dem beschäftigen, von dem sie Ahnung haben, und nicht wo sie jeden Satz mit vier Fragezeichen beenden 😉

      Was bringt es, wenn jeder sich mit allem beschäftigen möchte? Macht der Mauer um die Ecke jetzt auch Zahnoperation, weil der Zahnarzt nicht alles offenlegen will?

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      1. Na da bin ich aber froh das ein Mitbürger wie Sie @ MRH deutliche Grenzen aufweist was ein Bürger so wissen darf oder auch nicht.
        Sie qualifizieren sich doch tatsächlich als ein, uns Bürgern in die Schranken weisender Demokrat. 🙄😂

        Sicherlich sind die Hintergründe/ Fakten bezüglich dieses Themas fern ab jedem, welches dem gemeinen Mitbürger zu zu muten wäre !
        Dazu sind wir einfache Bürger ja nicht intellektuell fähig.
        P’s
        So weit ich denken kann ist dies nicht eine “ GEO – politische “ Geheimsache welche unter Verschluss stehen muss !

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    2. Man sollte erstmal warten bis Zahlen und Fakten auf dem Tisch liegen. Dann geht es auch nicht darum alles zu erfahren, sondern es geht darum, das zu erfahren was wichtig ist. Firmen haben ein Recht auf die Wahrung ihrer Betriebsgeheimnisse.

      Wichtig ist doch auch, sich mal mit den Ursachen zu befassen. Wenn die hässlichen Hallen nicht hier gebaut werden, dann wird anderswo die Fläche versiegelt und die Wege und damit der Verkehr vergrößert sich. Die kurzsichtige Denkweise bringt gar nichts. Der Grund dafür, dass so viele Hallen gebaut werden und der Güterverkehr so stark zugenommen hat ist in unserer Lebensweise zu suchen….

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      1. Marlene und die ACAB-Fraktion stehen mal wieder bereit.

        Immer wenn Kluge und in der Sache belesene Menschen nicht zu ihrem 0-8-15 Weltbild gelangen, fordern sie plötzlich einen Volksentscheid. Man ist das durchsichtig und schlecht 😂

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  2. Der Verkehr gehört auf die Autobahn oder die Schiene. Deshalb ist es richtig, die A49 fertig zu bauen und verkehrsintensive Gewerbe aus den Städten zu holen. Dadurch werden Schadstoff- und Lärmbelastung sinken.
    Die Autobahn wird fertiggebaut, weil der Verkehr ständig gestiegen ist.
    Wäre der Verkehr rückläufig, bräuchte es keine Autobahn. Wäre das Paketaufkommen zumindest konstant, bräuchte es kein Gewerbegebiet.

    Was macht Ihr eigentlich an Konstruktivem? Sich hinstellen und wie kleine Kinder nörgeln ist ein bisschen einfach.

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