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Hohe Gaspreise: Das sagt der Verbraucherschutz„Von eigenmächtigen Rechnungskürzungen kann man nur abraten“

VOGELSBERG (jal/ls). Bei einigen Verbraucher dürften sie schon angekommen sein: die Gasrechnungen – und genau die sorgen in diesem Jahr für Ärger. Der Gaspreis ist enorm gestiegen, die Rechnungen sind hoch. Die Gründe dafür sind vielfältig, wie Peter Lassek von der Verbraucherzentrale Hessen in einem OL-Interview erzählt.

Die Gaspreise sind mit dem Beginn des Jahres deutlich angestiegen, einige Kunden wurden sogar gar nicht mehr mit Gas beliefert und mussten dann in den meist teureren Grundtarif des Grundversorgers wechseln. Das Ergebnis wird auf hohen Rechnungen und Unmut bei den Verbrauchern deutlich.

Im Interview mit OL erklärt Peter Lassek von der hessischen Verbraucherzentrale, warum die Preise hoch sind, ob eine Trendwende in Sicht ist und was man tun sollte, wenn man Kunde bei einem Billig-Anbieter ist.

Oberhessen-live: Herr Lassek, der Aufschwung nach Corona, die Energiewende, die Inflation, die Krise in der Ukraine – lässt sich sagen, aus welchem Grund genau die Preise für Gaskunden nun so explodiert sind?

Peter Lassek: Es werden die unterschiedlichsten Gründe genannt, solche wie Sie selbst aufzählen. Die Gaspreise steigen derzeit besonders aufgrund des erhöhten Großhandelspreises. Außerdem erhebt die Regierung auch einen „CO2-Preis“, den die Energieversorger teilweise bereits an die VerbraucherInnen weitergeben. In den kommenden Jahren werden die Kosten pro Tonne CO2 schrittweise weiter steigen.

Wie stark sind die Preise in den Jahren zuvor gestiegen?

Der Gaspreis für Großhändler erreichte Mitte 2020 einen langjährigen Tiefstand von rund 0,9 Cent pro Kilowattstunde. Seither haben die Beschaffungspreise wieder angezogen und liegen seit Herbst 2021 auf einem sehr hohem Niveau.

Kurz vor Weihnachten erreichten die Preise einen neuen Höchststand: Wer kurzfristig Gas einkauft, zahlt mehr als 12 Cent pro Kilowattstunde; wer langfristig beschafft, zahlt ab 2023 noch mehr als 5 Cent pro Kilowattstunde – das ist immer noch das Dreifache dessen, was Erdgas viele Jahre gekostet hat. Aufgrund dieser hohen Beschaffungskosten werden sich die Preise für alle Verbraucher erhöhen oder wurden bereits erhöht.

Was raten Sie Betroffenen? Muss ich die teure Rechnung hinnehmen oder kann ich dagegen etwas tun – und wenn ja, was? Darf ich die Rechnung zum Beispiel selbst stunden oder kürzen, weil ich sie für überzogen halte?

Normalerweise sollten Verbraucher Preiserhöhungen zum Anlass nehmen, ihren Vertragsstatus zu überprüfen und Wechselmöglichkeiten in Betracht zu ziehen. Das kann der Wechsel zu einem anderen Tarif des bisherigen (lokalen) Versorgers sein oder der Wechsel zu einem alternativen Anbieter. Fakt ist allerdings, dass es für Verbraucher derzeit kaum attraktive Wechselmöglichkeiten gibt. Auch über die gängigen Vergleichsportale kommt man derzeit nicht weiter.

Das liegt vor allem an den hohen Einkaufspreisen an der Strom- und Gasbörse. Ende Dezember lag der Börsengaspreis bei 84,32 Euro pro Megawattstunde, Stand 31. Dezember. Aufgrund der Flüssiggaslieferung aus den USA an Europa ist der Großhandelspreis für Gas am Spotmarkt zuletzt spürbar zurückgegangen. Trotzdem bleibt der Einkaufspreis für Gas auf dem hohen Niveau von November. Am 22. Dezember 2021 erreichte der Preis für eine Megawattstunde Gas mit 211,50 Euro pro MWh den Höchststand und verdoppelte sich somit innerhalb von nur zwei Wochen.

Aufgrund der extrem dynamischen Situation am Gasmarkt kalkulieren viele Gasanbieter die Tarife neu. Deshalb ist auch die Tarifvielfalt in den Vergleichsportalen derzeit äußerst mager. Wir gehen aber davon aus, dass sich die Verfügbarkeiten wieder deutlich verbessern werden, wenn sich der Markt etwas beruhigt hat. Von eigenmächtigen Rechnungskürzungen kann man jedenfalls nur abraten.

Manche Kunden waren bei einem Billig-Anbieter, die nun wegen der hohen Gaspreise im Einkauf viele Verträge gekündigt haben. Muss ich das als Kunde hinnehmen?

Die Verbraucherzentrale Hessen verzeichnet derzeit außergewöhnlich viele Anfragen und Beschwerden rund um die Energieversorgung. Unterschiedliche Praktiken von Anbietern verursachen vielfältige Probleme. Mehrere Strom- und Gasanbieter haben teils drastische Preiserhöhungen ausgesprochen. Insbesondere bei Verträgen mit Preisgarantie können solche Erhöhungen unzulässig sein. Auch die Ankündigung überzogener Abschlagszahlungen sehen wir kritisch.

Hinzu kommt, dass einige Energieversorger trotz laufender Vertragsverhältnisse die Belieferung ihrer Kunden eingestellt oder ihren Kunden vor Ablauf der Vertragslaufzeit gekündigt haben. Beide Praktiken stellen nach unserer Auffassung in den meisten Fällen eine Vertragsverletzung dar. Betroffene können unter Umständen Schadenersatz fordern. Wer nach einer Kündigung durch seinen Versorger zurück in die Grundversorgung des örtlichen Anbieters fällt, wird dort als Neukunde behandelt und zahlt derzeit oft mehr als die Bestandskunden. Das hält die Verbraucherzentrale für unzulässig.

Betroffene sollten sich gegen überzogene Preis- beziehungsweise Abschlagserhöhungen oder die Einstellung der Versorgung wehren und möglicherweise Schadensersatzforderungen geltend machen. Sie sollten das Unternehmen schriftlich dazu auffordern, diese Praktiken abzustellen. Die Verbraucherzentrale Hessen unterstützt Betroffene mit Beratung und beim Verfassen von Beschwerdeschreiben. Musterbriefe bietet die Verbraucherzentrale auch auf ihrer Internetseite.

Raten Verbraucherschützer wie Sie in Anbetracht dieser Entwicklung nun von Billig-Anbietern auf dem Gasmarkt gänzlich ab oder war dieses Risiko schon immer bekannt?

Bei besonders billigen Angeboten sollte man immer kritisch sein. Aus Verbrauchersicht ist es immer wieder ärgerlich, wenn einzelne Anbieter Billig-Strategien mit Dumpingpreisen, Bonuszahlungen und versteckten Vorauszahlungen fahren und die Kunden anschließend im Regen stehen lassen.

Vielen noch gut in Erinnerung sind die Insolvenzen von Teldafax, Flexstrom, der Bayerischen Energieversorgung BEV & Co., die zur Verunsicherung vieler Verbraucher geführt hat. Hier hatten viele Verbraucher teils recht hohe Vorauszahlungen von mehreren tausend Euro geleistet. Und bis kurz vor Schluss fanden sich die Billiganbieter ganz oben in den Rankinglisten der vermeintlich seriösen Vergleichsportale. In solchen Fällen muss auch Bundesnetzagentur als Aufsichtsbehörde wachsam sein. Wir haben nach wie vor keine anbieterunabhängigen Vergleichsportale.

Für Verbraucher schwer nachvollziehbar ist es, dass zweifelhafte Energielieferanten oft wochenlang ganz oben in den Rankinglisten renommierter Vergleichsportale stehen. Hier fordern wir schon lange einen besseren Verbraucherschutz. Dieser könnte etwa dadurch herbeigeführt werden, wenn die Portale beim Ranking stärker berücksichtigen müssten, ob diese nur kurzfristig oder dauerhaft günstige Preise anbieten, wie lange der Anbieter seriös am Markt ist und ob und gegebenenfalls welche Beschwerden in Internetforen veröffentlicht sind.

Muss ich mir Sorgen machen, im Falle des Vertragsendes mit meinem Billig-Anbieter ohne Gas dazustehen oder fängt mich der Grundversorger immer auf – und wenn ja, zu welchen Konditionen?

Der Grundversorger fängt immer auf, zunächst in der so genannten Ersatzversorgung. Die Grundversorgung ist bislang meist die ungünstigste Variante gewesen. Aktuell kommt hinzu, dass die Grundversorger unterschiedliche Preismodelle anbieten, je nachdem ob es sich um Bestands- und Neukunden handelt.

Wie stehen die Chancen, dass die Preise wieder sinken werden?

Wie es mit dem Gaspreis weitergeht, liegt entscheidend an den Beschaffungskosten, den Netzentgelten und dem CO2-Preis auf Erdgas. Letzterer steigt die nächsten Jahre sukzessive. Sinken im Gegenzug nicht Netzentgelte oder die Beschaffungskosten von Erdgas, wird Erdgas immer teurer werden.

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