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Wie Brunolf und Heike Metzler den Mauerfall und seine Folgen erlebten und sehen - Film und Gespräch am 18. Oktober um 19 Uhr in Hutzdorf„Freiheit und Demokratie muss man sich immer erkämpfen“

SCHLITZ (ol). Am kommenden Freitag, den 18. Oktober lädt die Evangelische Kirchengemeinde Hutzdorf zu einem Film- und Gesprächsabend anlässlich des 30. Jahrestages des Mauerfalls ein. Mit Brunolf Metzler konnte dazu ein Zeitzeuge gewonnen werden, der jetzt in Schlitz lebt, seinerzeit jedoch in der DDR im Neuen Forum aktiv war.

Brunolf Metzler, Jahrgang 1940, geboren im sächsischen Merschwitz, war Tuchmacherlehrling, Schäfer, Buchhalter, Bankkaufmann und Heimerzieher. Das Malen brachte er sich autodidaktisch bei und studierte Kunsterziehung an der Hochschule Erfurt. Zum Kunststudium selbst wurde er mehrfach abgelehnt: Zu kritisch hatte er sich bereits Anfang der Siebzigerjahre geäußert, als er sich beispielsweise anlässlich der „Weltfestspiele der Jugend und Studenten“ vor dem bulgarischen Fernsehen unter die westdeutschen Diskutanten gemischt hatte und – umringt von „Blauhemden“ (Mitgliedern der FDJ) – Auskunft gab darüber, wie es in der DDR mit der Meinungs- und Glaubensfreiheit bestellt sei.

So hatte er deutliche Worte gefunden über die Drangsalierung einer Kollegin, die in der Kirche aktiv war. Von da an wurden er und seine Familie nicht nur von der Stasi beobachtet. Metzler erhielt auch das Angebot, als Informant für den Geheimdienst zu arbeiten. Er lehnte es ab, wurde mit Berufsverbot bedroht und verzichtete damit auf Ausbildungs- und Karrierechancen. „Ich wäre auch in die Landwirtschaft zurückgegangen“, sagt Metzler rückblickend. Am Ende durfte er zwar Kunsterzieher bleiben, aber er, der selbst in der Lehrerausbildung beschäftigt war, durfte nur noch Grundschüler unterrichten. Seine beiden älteren Töchter, die beide konfirmiert waren, durften nicht studieren. „Wir waren nicht mehr frei, wurden belästigt und überwacht – alles, was so üblich war“, schildert Heike Metzler, ebenfalls Lehrerin.

„Letztendlich war alles zu verkraften, nur dass Briefe, die wir schrieben und bekommen sollten, verschwanden, fanden wir wirklich sehr bedrückend.“ Und noch etwas fanden sie sehr schlimm: Dass überall Misstrauen gesät war, selbst in den Beziehungen. „Man wusste nicht mehr, wem man was erzählen konnte, es herrschte ein Klima von Misstrauen und Angst“, formuliert es Heike Metzler. Ihr Mann litt so sehr darunter, dass er krank wurde. Doch gemeinsam überwanden sie Krankheit und Misstrauen: „Wir hatten uns vorgenommen, und davon nicht vereinnahmen zu lassen.“ So lebten sie schließlich mit kleinen Fluchten in einem System, das sie einengte und bedrohte.

„Ein vereintes Deutschland fand ich komplett abwegig“

Bis zur Wende dauerte es da noch 15 Jahre. „Irgendwann hörte ich von Glasnost im Radio“, erinnert sich Brunolf Metzler. Und er hörte von einem Zusammenschluss von Menschen, die für eine Erneuerung der DDR eintraten. Zunächst noch zögerlich, öffneten ihm Geschehnisse im ganz privaten Bereich die Augen: Die älteste Tochter des Ehepaars hatte anlässlich der Kommunalwahl im Mai 1989 – die Einheitsliste der Nationalen Front erreichte nach offizieller Darstellung eine Zustimmung von 99 Prozent – still vor der Volkskammer demonstriert und dafür Schläge und Gefängnis kassiert.

Nun war klar, dass sie sich deutlicher positionieren mussten, Teil der Veränderung werden, die sich wünschten. „Wir wussten, dass etwas passieren muss, auch wenn wir das Ziel zu dieser Zeit noch gar nicht genau kannten“, gibt Brunolf Metzler zu bedenken. Im Neuen Forum sammelten sich alle Menschen, die etwas verändern wollten in ihrem Land: Christen, Atheisten, auch Sozialisten oder Revanchisten. Von der Abschaffung der DDR aber war man – zumindest in weiten Teilen – weit entfernt. „Wir haben eher zu Aktionen motiviert, waren Koordinatoren und Ansprechpartner. Und ganz klar: „Ein vereintes Deutschland fand ich komplett abwegig“, so Metzler, während seine Frau es sich schon habe vorstellen können.

Der Aufbruch auf der einen Seite bedeutete weitere Repressalien auf der anderen: „Nachbarn flehten uns an, ihre Kinder von Aktionen fernzuhalten“, blickt Heike Metzler zurück. Sie und ihr Mann selbst hatten mit Vertrauten schon ganz andere Abmachungen getroffen: Das Ehepaar stand auf einer Liste von Regimegegnern, für die eigens ein Lager errichtet werden sollte. „Wir hatten schon eine Nummer dafür, die wichtigsten Unterlagen schon in einer Kiste vergraben und unsere Kinder schon auf Bekannte verteilt.“ Dieser Alptraum wurde nicht wahr, da die Realität in Form der Wiedervereinigung ihn einholte. „Dass diese Wende bevorstand, ahnten wir nicht, und wir hatten große Angst damals, besonders um unsere Kinder.“

Der Tag des Mauerfalls

Am Tag des Mauerfalls war Brunolf Metzler zu einer politischen Veranstaltung in der Liebenwalder Kirche; viele Menschen waren dort, und als ein Zettel durch die Reihen ging, auf dem stand, dass die Mauer gefallen sei, konnte er erst nicht glauben. „Ich dachte, nun rennen alle raus und wollen es sehen und feiern und in den Westen gehen, aber alle blieben“, erinnert er sich. Bei Metzlers zuhause kam die Tochter mit der Nachricht, die sie im Westfernsehen gehört hatte. „Wir dachten erst, wir müssten schnell in den Westen, bevor die Mauer wieder zugeht. Nicht dass wir die einzigen gewesen wären, die dann noch in der DDR geblieben waren“, denkt Heike Metzler zurück.

Es kam anders, wie man weiß, die Mauer fiel dauerhaft, und Metzlers nutzten wie viele andere Ostdeutschen die neue Freiheit zum Reisen. Als kulturbegeisterte Menschen zog es sie zu allererst nach Frankreich ins Burgund, wo sie sich alte römische Kirchen anschauten, die sie vorher nur aus Büchern gekannt hatten. Metzler hatten große Hoffnungen im neuen Deutschland: „Natürlich hofften wir auf Freiheit und auf Demokratie. Während wir kurz vor der Wende noch auf einer Liste von Systemkritikern standen, waren unsere Ängste, auch die Sorgen um unsere Töchter auf einen Schlag so gut wie weg“, berichtet Heike Metzler. Nach der Wende stellte das Ehepaar einen Antrag auf Einblick in seine Stasi-Akte. „Die war aber geschreddert, und als sie endlich wiederhergestellt war, interessierte es uns nicht mehr“, so Metzler. Der Blick zurück hätte ja nichts verändert. Schon bald nach der Wiedervereinigung wurde Brunolf Metzler Gymnasiallehrer, eine späte Genugtuung, wie er sagt. Mit Freiheit und Demokratie haben sich ihre Hoffnungen, die sie mit der Wende hatten, erfüllt. „Die ersten freien Wahlen waren ein Erlebnis!“

„Ich bin sicher, dass Ost und West zusammenwachsen werden“

Heute leben beide in Schlitz im Vogelsberg, ganz in der Näher der Familie der jüngsten Tochter, die dort mit einem evangelischen Pfarrer verheiratet ist. Was sie in ihrer alten Heimat Ostdeutschland erkennen, ist, dass bei vielen Menschen die Leidenschaft und das Engagement für die Demokratie und ihre Werte bald nach der Wende zum Erliegen gekommen sind, schlimmer noch, dass die Demokratie für all das verantwortlich gemacht wird, was für Einzelne vielleicht enttäuschend und schwer war und immer noch ist. „Die Demokratie ist das kostbarste Gut, das uns gegeben wurde“, so Brunolf Metzler.

Warum es nun, 30 Jahre nach dem Mauerfall, immer noch so schwierig ist, dieses hohe Gut in den immer noch „neuen Bundesländern“ zu schätzen, liegt für die Metzlers in der DDR-Sozialisation und dem Leben dort: „In der DDR war letztlich für alle gesorgt – wie und warum auch immer. Danach sehnen sich viele Menschen immer noch. Aber Freiheit und Demokratie bedeuten auch Verantwortung, man muss immer dafür kämpfen. Diese Erkenntnis wünsche ich mir besonders für die Menschen in Ostdeutschland“, so Brunolf Metzler, und seine Frau fügt hinzu: „Viele Menschen im Osten Deutschlands sind unzufrieden – meiner Meinung nach völlig zu Unrecht. Den meisten geht es gut, und ich wünschte mir so sehr, dass sie mehr von ihren demokratischen Rechten Gebrauch machen.“ Dennoch ist sie hoffnungsvoll: „Ich bin sicher, dass Ost und West zusammenwachsen werden, aber es wird noch eine ganze Weile dauern.“

Am kommenden Freitag, dem 18. Oktober, spricht Brunolf Metzler im DGH in Hutzdorf. Dort zeigt die Evangelische Kirchengemeinde anlässlich des Mauerfall-Jubiläums einen Film über eine gewagte Flucht aus der DDR. Danach wird Brunolf Metzler über seine persönlichen Erlebnisse zur Wende-Zeit berichten. Der Abend beginnt um 19 Uhr.

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