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Die palästinensische Christin Faten Mukarker über das „Leben zwischen den Mauern“„Frieden im Nahen Osten geht nur gemeinsam“

BRAUERSCHWEND (ol). „In wenigen Tagen holen wir unser Friedenslicht aus Bethlehem für unser Weihnachtsfest. Doch wie sieht es dort aus, in Bethlehem, dem Geburtsort Jesu?“ Mit dieser Frage eröffnete Pfarrer Jürgen Pithan am Freitagabend einen Vortrag im Evangelischen Gemeindehaus in Brauerschwend. Eingeladen hatte er in Kooperation mit dem Fachgebiet Bildung und Ökumene des Evangelischen Dekanats Alsfeld die palästinensische Friedensaktivistin, Autorin und Reiseleiterin Faten Mukarker.

Am Abend zuvor war Faten Mukarker laut Pressemitteilung des Evangelischen Dekanats bereits in Kirtorf zu Gast und hatte dort wie in Brauerschwend über das Leben der Palästinensischen Bevölkerung in den von Israel errichteten Mauern gesprochen. „Salam“ – mit dem arabischen Gruß begrüßte Mukarker ihre Zuhörer, um gleich darauf in fließendem Deutsch zu berichten. Als Tochter arabischer Christen ist sie in Bonn aufgewachsen. Als Kind kam sie mit ihren Eltern dorthin, um ein Leben in zwei Kulturen zu führen: Tagsüber in der Schule ein deutsches Leben, zuhause ein arabisches, wie sie erzählte.

Als Friedensaktivistin nach Deutschland zurückgekehrt

Als sie anfing, sich mit dem freien Leben ihrer volljährig gewordenen Schulfreundinnen zu beschäftigen, war es für ihren Vater Zeit, sie zurückzuschicken nach Palästina und sie dort innerhalb einer Woche zu verheiraten. „Ich hatte Glück. Ich bekam einen guten, offenen Mann“, erzählte sie, einer, der es ihr gestattet, als Friedensaktivistin nach Deutschland zurückzukehren und für den Frieden in ihrem Land einzutreten. Mehr und mehr tut sie das auch für ihre Kinder und Enkelkinder und mehr und mehr merkt man ihr die Trauer darum an, dass sich für die Bevölkerung nichts zu ändern scheint – nicht zum Guten.

Dabei ist Faten Mukarker keineswegs verbittert, laut oder einseitig. Sie pflegt Freundschaften zu Isrealis und sie weiß, dass unter dem Konflikt zwischen ihren Bevölkerungsgruppen alle leiden. „Wir sind Täter und Opfer und sie sind Täter und Opfer“, bringt sie es auf den Punkt. Ihren Vortrag startete sie mit der Frage, was wohl noch nicht gesagt sei in diesem Konflikt, zu dieser Spirale aus Hass, Rache und Vergeltung. Ganz klar äußerte Mukarker schon zu Beginn des Abends eine Bitte: Sie bat um Hilfe für den Frieden.

„Wir schaffen es nicht allein, das kann man daran sehen, wie lange es schon dauert“, gab sie bedauernd zu und blickte erfreut auf ein Land wie Deutschland, in dem Besatzung, Militär, Checkpoints und Mauern überwunden sind. „Hier riecht es nach Freiheit und Menschenwürde“, sagte sie und betonte, dass genau danach sich alle Menschen in Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten sehnen.

Eine Friedenslösung müsse im europäischem Interesse liegen

„Wir sind der Nahe Osten“, sagte Mukarker, „weil wir nah sind“. Eine Friedenslösung in dieser Region müsse also auch in europäischem Interesse liegen, schloss die Rednerin darauf und führte als erste Maßnahme dahin die Einstellung von Waffenlieferungen dorthin ins Feld: „Alle Waffen, alle U-Boote der Welt können keinen Frieden garantieren.“ Und mit Blick auf die Flüchtlingssituation weltweit und in Deutschland ergänzte sie: „Wer Waffen sät, wird Flüchtlinge ernten.“

Sie habe Verständnis dafür, dass das deutsch-israelische Verhältnis etwas Besonderes sei, so die Aktivistin, gerade darum solle man auch von deutscher Seite aus die Israelis zum Frieden anhalten. Siedlungspolitik und Mauerbau seien keine friedensfördernden Methoden, sagte Mukarker, sie seien eines Volkes wie Israel nicht würdig. „Menschenwürde und Menschenrecht sind unteilbar“, sagte sie, und als Freund Israels hätten die Deutschen auch die Aufgabe, dies klar zu sagen. Sie zitierte dazu einen israelischen Freund, einen Holocaust-Überlebenden, der gesagt habe: „Würden die Deutschen uns wirklich lieben, würden sie nicht zuschauen, wie wir Besatzer sind. Das ist schlecht für die Demokratie und schlecht für die Jugend.“

Die Rednerin blickte auf die Staatsgründung Israels, die nach dem Zweiten Weltkrieg auch von den Alliierten vorangetrieben worden sei, weil diese selbst ein schlechtes Gewissen gegenüber den Juden gehabt hätten, die sie nicht genug geschützt hätten. Die Wahl fiel auf Palästina, das unter britischem Protektorat stand. Es wurde aufgeteilt in ein Gebiet, das fast zu gleichen Teilen dem israelischen Volk und dem palästinensischen zugesprochen wurden. Von Beginn an sei es heftig umkämpft gewesen: Die Palästinenser haben kein Land hergeben wollen, die Israelis waren bereit zu kämpfen für ihr neues Land, das ihnen Sicherheit und Schutz verhieß. Die Geburtsstunde eines immerwährenden Konflikts, in dessen Verlauf sich Israel immer mehr Gebiete holte und die palästinensische Bevölkerung in das Westjordanland und den Gazastreifen drängte, wo sich heute die Autonomiegebiete befinden.

Der Konflikt, begleitet von mehreren Kriegen, befeuert von Terror und Gegenterror, sei nicht an einem Abend erklärt, zumal Faten Mukarker bestrebt ist, Arabern und Israelis gerecht zu werden. Nichtsdestotrotz sehe sie ihr Leben und das ihrer Kinder und Enkel bestimmt von Repressalien – sichtbar gewordener Ausdruck ist eine Mauer, von Israel als Sperranlage und Schutz im Jahr 2002 und den darauffolgenden Jahren gebaut. Heute verläuft sie auf palästinensischem Gebiet im Westjordanland. Fünfmal so hoch wie ein Mensch, ist sie eine unüberwindbare Hürde, Ausdruck von Angst und Macht gleichermaßen, ebenso Symbol für die Missachtung der Menschenrechte der Palästinenser.

2004 habe der Internationale Gerichtshof in einem von der UN-Vollversammlung in Auftrag gegebenen Gutachten erklärt, dass Israel mit dem Bau der Anlagen gegen Völkerrecht verstoße. „Je mehr Zeit ins Land geht, frage ich mich, ob meine Enkelkinder jemals frei sein werden, ob sie jemals einfach so ans Meer können“, so Mukarker, die auch einen Blick auf die Siedlungspolitik warf, die von der Weltgemeinschaft ebenso hingenommen werde wie alles andere. Immer wieder habe es kleine Hoffnungsschimmer gegeben, erinnert sich die Rednerin, doch stets seien diese wieder erloschen.

Wie könnte eine Lösung aussehen?

Wie eine Lösung heute aussehen könne, wurde Faten Mukarker im Anschluss an ihren Vortrag gefragt. Ihre Antwort beklemmend: Mit Donald Trump als amerikanischem Präsidenten sei man davon so weit entfernt wie nie, da letztendlich nur die USA die Macht hätten, auf eine friedliche Lösung hinzuarbeiten. Israel werde einer Zweistaatenlösung ebenso wenig zustimmen wie einer Einstaatenlösung oder einem Vorschlag, der „Zwei Völker, eine Heimat“ heißt und beiden Völkern auf einem Territorium ihr Daseinsrecht zuspricht.

Dennoch: Zum Abschied forderte Faten Mukarker ihre Zuhörer auf, ihre Politiker anzuhalten, Partei zu ergreifen: „Es gibt einen Unterschied zwischen Israelkritik und Antisemitismus“, sagte sie und betonte: „Kritiklosigkeit hilft nur der extremen Regierung in Israel, nicht den jüdischen Menschen. Nicht den Menschen im Nahen Osten. Frieden schaffen wir nur gemeinsam.“ Wer sich für Faten Mukarkers Geschichte interessiert und für ihre Sicht auf ein Leben zwischen den Mauern, der kann dies nachlesen in ihrem Buch „Leben zwischen Grenzen“, das in der Edition Zeitzeugen erschienen ist.

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