Gesellschaft0

Kompass Leben e.V. über die Bedeutung des Spiels für die frühkindliche EntwicklungSpielend Lernen von Anfang an

ALSFELD (ol). Sofia und Elias sind am Spielen. Mit ganzer Leidenschaft und allen Sinnen entdecken, begreifen, tragen und fahren sie verschieden gefüllte Säckchen von A nach B. Dabei lernen sie spielerisch, dass die Säckchen unterschiedliche Farben, Formen und Füllungen haben und das ganz gezielt und unter pädagogischer Anleitung. Warum Spielen zur Erschließung der Lebenswelt so wichtig ist und welche Angebote es dazu im Vogelsberg gibt, erläutert Michael Volk, Leiter der Ambulanten Dienste von Kompass Leben e.V.

In der Pressemitteilung von Kompass Leben heißt es, „Bereits in den ersten 18 bis 24 Lebensmonaten werden nach neurologischen Erkenntnissen Grundbausteine für eine spätere Entwicklung und das Erlernen bestimmter Fähigkeiten im Gehirn angelegt. Was hier nicht stattfindet, kann später nicht mehr nachgeholt, sondern nur noch kompensiert werden“, erklärt Michael Volk, Leiter der Ambulanten Dienste von Kompass Leben. Neben dem Spielen zuhause und dem pädagogischen Angebot, das Erzieher in Kindertagestätten leisten, könne die qualifizierte Unterstützung durch das Fachpersonal der Frühförderstellen helfen, die Entwicklung im frühkindlichen und kindlichen Alter zu fördern, Entwicklungsschritte anzubahnen und Wahrnehmung zu schulen.

Volk plädiere dafür, eigene Beobachtungen bei der Entwicklung eines Kindes ernst zu nehmen, mit einem Kinderarzt seines Vertrauens zu besprechen und sich bei Bedarf auch Rat in der Frühförderstelle zu holen. So wie es Bärbel Listberger getan hat. Selbst Erzieherin, wollte sie ihren Zwillingen Elias und Sofia, die vor knapp drei Jahren fünfzehn Wochen zu früh zur Welt kamen, die bestmögliche Voraussetzung zur Entwicklung zukommen lassen und habe bei der Frühförderstelle aktiv um Rat gefragt.

Spielerisch und beobachtend die Entwicklung einschätzen

„In einem ersten Gespräch mit den Eltern geht es um Auffälligkeiten des Kindes, seine Stärken, die bisherige Entwicklung und Möglichkeiten“, erläutert Martina Lenth. Sie ist Heilpädagogin und arbeitet schon viele Jahre mit Kindern, die mehr oder weniger Unterstützung benötigen. Dabei werde der Schwerpunkt auf Ganzheitlichkeit und Ressourcenorientierung gelegt. „Nachdem wir mit den Eltern gesprochen haben, gibt es weitere Termine. Dabei wird spielerisch und beobachtend eine Entwicklungseinschätzung vorgenommen“, stellt Lenth das Procedere vor. Außerdem wird mit allen denjenigen Institutionen, beispielsweise Kinderarzt, Erzieherinnen und Therapeuten, Kontakt aufgenommen, die mit dem Kind zu tun haben.

Auch gemeinsam ein Buch anschauen gehört zum Angebot der Frühförderung. Fotos: Schlitt

Erst nach sorgsamer, gemeinsamer Abwägung werde entschieden, ob eine Frühförderung zu empfehlen ist. Diese findet dann je nach Möglichkeiten und Absprachen zuhause, in unterschiedlichen Erfahrungs- und Erlebnisräumen oder in den Räumen der Frühförderung statt. Alles habe seine Vorteile. So erspart ein Besuch zuhause einer Familie die Anfahrt und zeigt Möglichkeiten des Spiels im eigenen Lebensumfeld auf. Währenddessen bietet die Frühförderung in den Räumen von Kompass Leben e.V. viel Abwechslung und anregende Bewegungsmöglichkeiten mit hohem Aufforderungscharakter.

Individuell die Stärken betrachten

Im Fall von Sofia und Elias sei eine Frühförderung empfohlen worden, wobei der Bruder schon länger dabei sei als seine Schwester. „Wir schauen immer sehr individuell, was Stärken der Kinder sind, wie man diese verstärken und vermeintliche Schwächen ausgleichen kann“, sagt Lenth, die im Fall der Zwillinge schaut, dass jeder von ihnen auch einmal allein zum Zuge kommt. Das Angebot an die Kinder sieht sowohl freies als auch angeleitetes Spiel vor. „Zum einen möchten wir den Kindern die Möglichkeit geben, selbst kreativ zu werden und ihr eigenes Spiel zu entwickeln, zum anderen möchten wir aber auch die Entwicklungsbereiche mit gezieltem Einsatz von Spielen ansprechen.“

Sofia und Elias bauen ein Haus aus großen Schaumstoff-Bausteinen und erforschen, was man damit alles tun kann: Die Entdecker stapeln, klettern auf wackeligen Untergrund, verstecken sich darin und finden viele verschiedene Varianten das angebotene Material zu nutzen. Aus einem Springseil wird plötzlich eine Schlange herbeigezaubert, die das Haus einstürzen lässt, sodass man es hier oder dort wieder neu aufbauen muss. „Man sieht, wie auch die Fantasie angeregt wird, wie die Kinder eigene Geschichten erfinden“, freuen sich sowohl Martina Lenth als auch Bärbel Listberger.

Bauen mit so großen Steinen macht Spaß und bahnt viele Erfahrungen an.

Die Frühförderstunde selbst ist abwechslungsreich und holt die Kinder immer wieder ab, um neue Bereiche anzugehen: Es wird gesungen, gebastelt, gebaut, gefühlt, gesprochen, vorgelesen und gespielt. Interessiert schauen sich die Geschwister mit der Frühförderin ein Bilderbuch an. Beim Suchen von Schätzen im Bohnenbad sind die Kinder mit großem Eifer dabei. Es gibt viel zu tun für die Kleinen, die spielerisch ihre Entwicklung vorantreiben.

Spielen als Voraussetzung für erfolgreiche Lernprozesse

Im Spiel setzen sich Kinder aktiv und intensiv mit sich selbst und ihrer Umwelt auseinander. Spielen sei damit Voraussetzung für erfolgreiche Lernprozesse. Mit ein Grund für die Notwendigkeit, Spiel als therapeutischen Ansatz anzubieten, sieht Michael Volk auch in veränderten Lebensverhältnissen: „Spiel ist keine Errungenschaft der Neuzeit. Schon immer wurde mit irgendwas gespielt. Und wenn früher die Oma das Kind auf den Schoß nahm und ‚Hoppe, hoppe, Reiter‘ oder ‚Hast einen Taler‘ gespielt hat, wurde ganz viel Bindungsarbeit geleistet. Heute finden solche Dinge weniger statt, auch die Spielkompetenz vieler Eltern hat sich verändert.“

Umso wichtiger sei es genau hinzuschauen, ob ein Kind für seine Entwicklung alles hat, was es braucht. Kompetente Ansprechpartner seien hier neben den Kinderärzten auch die Fachkräfte in den Kitas und Frühen Hilfen, die kreisweit in sehr gutem Austausch mit der Frühförderstelle stehen. „Wenn die Notwendigkeit einer Frühförderung anerkannt ist, ist unser Angebot für die Eltern kostenfrei“, ergänzt der Leiter der Frühförderstelle, der aber auch unterstreicht, dass Frühförderung vor allem auch Elternarbeit sei, denn es werden dabei wichtige Impulse für das häusliche Umfeld gegeben. Durch den häufigen intensiven Kontakt bildet sich ein enges Vertrauensverhältnis – Eltern haben für die Dauer der Förderung also immer eine geschulte Person mit viel Expertise an der Hand, mit der sie Fragen und Probleme ohne große Termine oder lange Wege besprechen können. Das schafft auch für die Eltern Sicherheit, die normalerweise keine Erfahrung mit Entwicklungsstörungen oder -verzögerungen haben.

Elias ist seit etwas mehr als einem Jahr in der Frühförderung. „Er hat sich wahnsinnig gut entwickelt“, freue sich seine Mutter. „Er ist sprachlich viel besser geworden und auch seine Feinmotorik und seine Wahrnehmung haben sich sehr verbessert. All das hat ihm auch viel Selbstbewusstsein gegeben. Und damit behauptet er sich nun auch besser gegen seine Schwester.“ Sie ist erst seit einem halben Jahr dabei und sammelt ihre eigenen Erfahrungen. Für ihren Bruder läuft die Frühförderung nun bald aus, eine neue wird nicht beantragt. „Elias ist auf einem guten Weg – er wird sicher auch in der Kita mit der dortigen Förderung seine Fortschritte machen.“ Bärbel Listberger ist froh, dass sie mit ihren Kindern den Schritt in die Frühförderung gemacht hat: „Frühförderung in Anspruch zu nehmen, sollte bei Bedarf selbstverständlich sein. Sie steht für viele Menschen offen und sollte genutzt werden, um möglichst allen Kindern mit ‚Besonderheiten‘ einen guten Start und eine gute Entwicklung zu ermöglichen.“

Schreibe einen Kommentar

Bitte logge Dich ein, um als registrierter Leser zu kommentieren.

Einloggen Anonym kommentieren