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Kolumne von Jessica EngelBaden gehen, das schaffen wir!?

KOLUMNE|Während die Kanzlerin konstant in der Wanne vor sich hin schrumpelt, streiten die deutschen Parteien monatelang darum welcher Badezusatz verwendet werden soll. Sie merken kaum wie kalt das Wasser inzwischen geworden ist – und da sind wir in guter Gesellschaft findet Jessica Engel. In ihrer Kolumne schreibt sie in dieser Woche über das Chaos in der Politik, die Zukunft und ihren endlosen Optimismus.

Heute wollen meine beiden Jungs einen Kuchen für morgen, Sonntag backen. Es wird benötigt: Eine Schüssel? Oben im Eckschrank. Die Küchenwaage und der Mixer? Schubladenunterschrank 3. Lade von oben. Eier und Butter, logisch im Kühlschrank. Jetzt noch Mehl, Zucker und Kakaopulver. Alles da, es kann losgehen!

Die Zutaten werden abgewogen und in der Rührschüssel geparkt. Sobald es mechanisch brummt, wird es für Jungs sehr viel interessanter, der Mixer kommt zum Einsatz. Den Streit darum, wer ihn als erstes bedienen darf entscheidet mein Ältester für sich. Sekunden werden für den jüngeren Zuschauer zu Stunden. Nach kürzester Zeit bestimmt er, dass die Rührdauer des Bruders abgelaufen und er an der Reihe ist. Er wackelt am Bruder, zerrt ihn am Arm, denn er hat im Laufe seines jungen Lebens bereits gemerkt, dass schubsen helfen kann. Da passiert es. Das Rührgerät hebt aus der Schüssel ab. Kleine butterweiche Schokobröckchen verteilen sich in Sekundenschnelle gleichmäßig auf den Schranktüren, der Dunstabzugshaube, dem Waschbecken, dem Herd, der Tapete, der Zimmerdecke, den Fenstern.

Wenn Chaos manchmal einfach passiert

Drei Mal legen die sich drehenden Rührstäbe ihren Weg in die Schüssel und wieder aus der Schüssel heraus zurück bis ich die nötige Geistesgegenwärtigkeit besitze und den Stecker ziehen kann. Sechs Augen blicken sich schweigend bestürzt im Chaos um. Der Teig klebt an mir, an den Kindern, auf der Kleidung, in den Haaren einfach überall. Ich atme hörbar aus, wieder tief ein und gebe dann die Marschrichtung vor: „Ok, keine Panik. Wir schaffen das! Du rührst, du pinselst die Backform ein, danach werdet ihr gemeinsam und abwechselnd den Teig in die Form löffeln und wenn ich den Kuchen in den Ofen geschoben habe, helft ihr mir die Küche putzen. Anschließend geht es für alle in die Wanne.“

Es ist Samstag, Badetag in Oberhessen. Er wurde noch nie so zelebriert wie heute. Der Wunsch nach einem Sonntagskuchen ließ uns alte Traditionen wieder aufleben. Die Küche und die Kinder sind inzwischen sauber, der Kuchen ist gebacken und steht zum Auskühlen auf der blitzblanken Arbeitsplatte. Er ist etwas niedriger als sonst, doch sein bekannter Duft durchströmt das Haus. Als letztes bin ich an der Reihe. In einer warmen Wanne von wohlriechendem Badeschaum umgeben sitze ich und überlege zu welchem Zeitpunkt ich es hätte anders machen sollen. Ich hätte es selber machen können, alleine oder auch gar nicht. Wäre das die richtige Entscheidung gewesen? Ich komme zu dem Schluss, dass Chaos manchmal einfach passiert. Man will es nicht, man hätte es nur vielleicht vermeiden können. Das Ausmaß der Katastrophe ist überwältigend, doch die Türe hinter sich zu schließen und ins Grübeln zu verfallen würde nichts nützen, am wenigsten hätte es heute der Küche geholfen.

Ungewollt hat sich Angela Merkel ein Denkmal gesetzt

Hier in der Wanne lasse ich meine Gedanken zu weitaus größeren Problemen schweifen. Frau Merkel befindet sich seit Jahren mitten im Chaos. Ein neues Gefühl, ein großes Verständnis von Mutter zu Mutti, macht sich in mir breit. Ob sie sich das Ausmaß ihres Motivationsversuches „Wir schaffen das!“ vor fast drei Jahren hätte vorstellen können? Ungewollt hat sie sich ein Denkmal gesetzt. Für mich waren diese drei Worte die einzige Konsequenz raus aus dem Küchenwirrwarr. Es ärgert mich, dass ich diesen Satz meinen Kindern in der Küche nicht sagen konnte, ohne dass mir ein Herr Höcke im Kopfkino hämisch entgegengrinste. Mitten im Chaos hat mir keiner gefehlt, der mit dem Finger auf die Flecken zeigt und sagt: „Hier ist noch einer.“ Eine weitere Hand am Küchenschwamm wäre nützlich gewesen. Was hätte Mutti anders machen können?

Da höre ich die Besserwisser schon schreien. Natürlich hätte sie den Menschen an der Grenze sagen können:  „Es tut mir sehr leid, aber unsere Turnhallen sind schon vereinsintern belegt. Ich habe euch aber ein bisschen Farbe mitgebracht, damit könnt ihr euren Pappkarton in dem ihr nachts schlaft schön bunt anmalen.“ Das wäre nur eine andere Möglichkeit gewesen, ein anderes „vielleicht richtig“. Das Ergebnis will ich mir lieber nicht vorstellen. Dann hätten eben Leute wie ich besserwisserisch gerufen: „Das geht doch so nicht! Schaut wenigstens genauer hin. Wer schutzbedürftig ist hat sicher Integrationsfähigkeit im Handgepäck.“ Ich habe gut reden, in meinen demografisch geschwächten Ort verirrt sich kein Flüchtling. An Wohnraum würde es jedenfalls nicht mangeln.

Wie auch immer, die Zukunft kommt und die Vergangenheit lässt sich nicht ändern. Einer seit Jahren rumnörgelnden „Hätte, hätte Endlosschleife“ entgegne ich heute müde und lapidar: „Hinterher ist man immer schlauer!“ Ich versuche zukünftig die hämischen Lacher auszublenden, denn es widerstrebt mir einen Satz, der ein Aufraffen und Handeln zur Folge hat, derart lange ins lächerliche zu ziehen. Drei Jahre sind genug! Ein motivierter Versuch Probleme zu lösen scheint mir immer noch die bessere Alternative, als ein Fingerzeig auf Vergangenes. Doch die vorherrschende Kompromisslosigkeit und das fehlende Verständnis für Notwendigkeiten im deutschen Parlament sind Bremsklötze auf dem Weg in die Zukunft. Wer will es den Parteien verdenken, sie leben inzwischen von einer kompromisslosen Wählerschaft. Die FDP hat es lediglich in die Einsamkeit der Opposition getrieben. Die versöhnliche SPD hingegen treibt es fast in den Scheintod.

Die gähnende Leere der SPD mit Leben füllen

Ich bin über das Ende des Regierungszitterns froh. Neuwahlen? Was das wieder gekostet hätte! Um genau zu sein mindestens 95 Millionen, nach oben ist selbstverständlich noch Luft. 2017 war die bisher teuerste Wahl, begleitet von rund 650.000 Wahlhelfern. Bei uns im Dorf gehen die Wahlhelfer von ihrer Aufwandsentschädigung traditionell Schnitzel essen. Ich habe einen von ihnen gefragt, er würde auf sein Schnitzel verzichten können und es an die Essener Tafel spenden. Da gebe es praktischerweise noch nicht mal Gerangel mit Karim. Ich überlege weiter, wenn das im kleinen Dorf möglich ist, würden die Parteien ihr Wahlpartybuffet künftig auch spenden? Was ist mit den vielen Häppchen zwischendurch? So ein Wahlkampf erstreckt sich schließlich über einen langen Zeitraum.

Da frage ich mich, ob wir mit einer Monarchie nicht genauso gut vorankommen würden? Die Königin geht mit großen Tieren, darunter einige Haie zu Tisch, wirft virtuelle Softwareupdateknochen hinter sich und Helmut und Ilse streiten sich mit Salim und Ayasha um den letzten Fleischfetzen daran. Was für eine verrückte Welt. Man könnte auf die abstruse Idee kommen den Gürtel dort enger zu schnallen, wo er sowieso kaum mehr zugeht. Für mich war dafür immer die SPD zuständig. Ihr S am Anfang ist sozial, das D am Ende steht für Deutschland, die gähnende Leere dazwischen sollte dringend mit Leben gefüllt werden. Nun haben die Genossen erneut die Wahl, ihren Geist aufwecken und einsetzen oder zu einem erinnernden Stolperstein werden.

„Ich habe immer noch Hoffnung“

Ich habe immer noch Hoffnung, hörte ich doch kürzlich so etwas wie “I have a dream“ aus der zweiten Reihe der CDU. Ich war mir so gut wie sicher, diese Frau Bär hat großes mit uns vor. Bestimmt hält sie schon eine digitale Lösung für eine kostengünstige Bundestagswahl im Handtäschchen bereit. Dann würde ich 2021 mit einem barrierefreien E-mobilisierten Lufttaxi ins Wahllokal, am Fingerabdruckscanner vorbei direkt in die Kabine kutschiert werden. Sogar die Kulis könnte man sich sparen. Mein Kreuzchen liest mir der Wahlkampfaugenscanner von den selbigen ab. Vielleicht hätte ich sogar einen selbstgebackenen Kuchen für die Wahlhelfer dabei, die dieses Jahr großzügig auf ihr Schnitzel verzichten. So klingt Zukunftsmusik für mein Vogelsberger Dorf, dort wo laut Berlin nicht mal ein Glasfaserkabel für all das nötig ist. Ich glaube aufräumen geht anders.  Beginnen wir in allen Bereichen einfach mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner und bauen auf ihn die sozialverträglichen Ideen.

Leider scheint es mir als ginge die gesamte Führungsriege dieser Welt lieber im Chaos baden, als sich ans Aufräumen zu machen. Während die Kanzlerin konstant in der Wanne vor sich hin schrumpelt, streiten die deutschen Parteien monatelang darum welcher Badezusatz verwendet werden soll. Sie merken kaum wie kalt das Wasser inzwischen geworden ist. Wir sind in guter Gesellschaft. In Polen und Österreich badet man zukünftig lieber allein, der öffentliche Bäderbetrieb wurde eingestellt. Das große Britannien hat May den Stöpsel aus der Wanne gezogen. Den Handballen fest auf den Abfluss gedrückt versucht sie die Badezeit noch etwas zu verlängern. Putin beteuert allen sein Bad bereits beendet zu haben, die Flusen zwischen seinen Zehen sprechen eine andere Sprache. Trump pinkelt vom Rand aus ins Wasser, weil er heute mal nicht „first“ in der Wanne war, während Kim Jong-Un, der neben dem Hahn steht und Wasser in kleine bunte Luftballons füllt, belächelt wird. Er will ja nur spielen.

Berlin – alles da, es kann losgehen! Lass das Schubsen! Pack den Hammer aus! Es wird renoviert!Jessica Engel

Inständig hoffe ich, dass keiner den Leopard hinten in der Werkstatt findet und den Hammer nur zur Seite schiebt. Ich habe zwar keine Rheinmetallaktien im Portfolio aber eines ist sicher: Für kein Geld der Welt würde ich meinen Platz hier in der Wanne mit einem Politiker da draußen tauschen wollen. Solange das so ist, glaube ich daran, dass sie sich endlich zusammenraufen und es gemeinsam schaffen werden. Ich bin Optimist. Meine Motivation für einen stabilen Frieden besteht ebenfalls aus lediglich drei Wörtern: „Ich habe Söhne!“

Glückauf, eure Jessi

2 Gedanken zu “Baden gehen, das schaffen wir!?

  1. Also da bin ich jetzt auch etwas ratlos, auch wenn der Teaser einen Deutungsversuch anbietet, der mich aber überhaupt nicht „anteast“.
    >>Während die Kanzlerin konstant in der Wanne vor sich hin schrumpelt, streiten die deutschen Parteien monatelang darum, welcher Badezusatz verwendet werden soll.<< Hilfe, ich ertrinke neben der schrumpelnden Kanzlerin in einer Sprache mit allzu vielen Badezusätzen. "Sie [die Parteien] merken kaum, wie kalt das Wasser inzwischen geworden ist…". Mag ja sein, aber die sitzen ja auch nicht mit in der Wanne und können es infolgedessen auch gar nicht merken. "Und da sind wir in guter Gesellschaft findet Jessica Engel." Mit wem jetzt? Mit der schrumpelnden Kanzlerin, den Merknixparteien oder allen beiden? Der Kolumne hätte es gut getan, einen kleineren Ausschnitt des alltäglichen Lebens unter die Lupe zu nehmen. Das "Chaos in der Politik", die "Zukunft" und der "endlose Optimismus" der Kolumnistin… das ist alles ein bisschen viel. Und der Schlusssatz erscheint dann auch irgendwie übers Knie gebrochen. "Meine Motivation für den Frieden…". Tja, mein Gott!

  2. Ja wie denn jetzt? Erbarmen mit Merkel & Co., weil es ja doch immer anders kommt als erwartet? Oder weiter mit Kaiser Rotbart lobesam, der im Kyffhäuser auf seinen großen Auftritt als monarchischer Alleskönner wartet? Oder die Politik endlich in die Pflicht nehmen, um in dem Saftladen Berliner Republik mal richtig aufzuräumen? Bis die Kolumnistin zu Ende gebadet und eine Entscheidung getroffen hat, gehe ich erst mal Kuchen backen.

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