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Dr. Günther Hoegg referierte an der AvH über das kindliche Denken und darüber, wie man es versteht und nutzt„Die Erziehung eines Kindes ist wie das Angeln eines großen Fisches“

LAUTERBACH (ol). Mein Kind – das unbekannte Wesen. Nicht selten stehen Eltern, laut Pressemeldung, ihrem – vielleicht pubertierenden – Kind gegenüber und können nicht verstehen, was passiert. Vor einigen Monaten sei aus diesem Grund der Jurist, Lehrer und Psychologie-Experte Dr. Günther Hoegg an dem Lauterbacher Gymnasium – zu einer Lehrerfortbildung gewesen.

Die Veranstaltung sei allen Beteiligten jedoch so wichtig erschien, dass am Mittwochabend auch die Elternschaft zu einem Vortrag über das kindliche Denken und Handeln eingeladen war. Gut 200 Mütter und Väter waren dieser Einladung gefolgt. Kindliche Gehirne würden anders funktionieren, als erwachsene – Kinder ticken anders, denken anders, handeln anders. Habe man das verstanden, könne man Wege finden, auf Kinder zuzugehen, sie zu guten Schulleistungen führen und Konflikte vermeiden. Ein Ansinnen, das Eltern und Lehrer eine, wie Gitta Holloch, Schulleiterin der Alexander-von-Humboldt-Schule finde.

In die Köpfe der Kinder schauen

In ihrer kurzen Begrüßung unterstrich Holloch die Bedeutung, die Schulentwicklung an der Alexander-von-Humboldt-Schule habe. Die Eltern in Entscheidungen über Konzepte einzubinden, sei dabei wichtig, sagte die Schulleiterin, schließlich verfolgten Schule und Elternhaus dasselbe Ziel: die Kinder zu schulischem Erfolg und zu einem erfolgreichen Leben zu führen.

Dabei könne es hilfreich sein, „in die Köpfe der Kinder zu schauen“, führte Dr. Günther Hoegg aus. In einem 90-minütigen Vortrag nahm er die Eltern mit auf eine Reise in das kindliche Zeitgefühl, die Bedeutung von Belohnungen und auch Strafen sowie die Wichtigkeit elterlicher Konsequenz. Seinen Vortrag würzte er mit vielen Anekdoten aus dem eigenen Schulbetrieb und seiner eigenen Vita – selbst sein altes Zeugnis hatte er dabei: Im Jahr 1966 wurde er mit vier Fünfen und einer eher durchschnittlichen Beurteilung nicht versetzt. Erst an einem Internat mit klaren Regeln, Strukturen und Konsequenzen ging es schulisch für ihn bergauf. Eine Erfahrung, die der promovierte Jurist mit Schwerpunkt Schulrecht offenbar nicht missen möchte.

„Kinder sind keine kleinen Erwachsenen“, lautete die erste Klarstellung des Abends: Vor ihnen liege ihr ganzes Leben: Im Gegensatz zu dem Zeitgefühl von Erwachsenen, denen die Zeit immer schneller und schneller zu vergehen scheine, komme Kindern eine Woche wie ein Monat vor, ein Monat wie ein Jahr. So sei es kein Wunder, dass sie eine drohende Nichtversetzung in einem halben Jahr gar nicht ernst nehmen, führte Dr. Hoegg aus. Ebenso sei ihr kindliches Streben nicht auf schulischen Erfolg ausgerichtet, sondern darauf, den Freiheitsdrang zu befriedigen und auch darauf, die Eltern auszutricksen, Grenzen auszuprobieren und auszudehnen.

„Schön, dass du da bist“ statt „Wie war es in der Schule?“

Auch auf Lernprozesse sei der Pädagoge eingegangen: Bereits nach einer Woche blieben von etwas Erlerntem gerade noch 25 Prozent übrig, zeige die Statistik. Einzig Wiederholung brächte hier die gewünschten Erfolge. Auch Lob – sofern es ernstgemeint sei – diene dazu, die Leistung zu steigern. Wolle man bei einem Kind Interesse wecken, gelte es, zwei Schleusen zu öffnen: Die zu erwartende Information oder Erfahrung müsse zuerst als angenehm und dann als wichtig empfunden werden. Selbst für Erwachsene gelte dies – ein Grund, warum der Referent selbst an der Eingangstür zur Aula gestanden und einige persönlich willkommen geheißen hatte. Für den Umgang mit dem Kind bedeute dies, dass man es beim Nachhausekommen eben nicht mit der Frage überfalle „Wie war es in der Schule?“, sondern mit einem aufmunternden „Schön, dass du da bist.“ Darüber hinaus sei erwiesen, dass höhere Lebewesen ihr Gegenüber spiegelten: Man leide mit dem Referenten, wenn er in eine Zitrone beiße, man gähne mit dem Nachbarn, der offenbar furchtbar müde sei. Auch Kinder spiegeln das Verhalten ihrer Eltern und Lehrer wider. Das Fazit: „So wie man dem Kind gegenübertritt, so wird es sich verhalten.“

Interesse und Bedeutung wecken, Lob spenden, Inhalte wiederholen – neben alldem sei auch die Art des Lernens wichtig: Wer erinnere sich nicht an den Spruch „333 – Issos Keilerei“? Reime und sprachliche Bilder förderen den Lernerfolg ebenso wie die Ankündigung einer richtig hohen Anforderung. „Das ist doch ganz leicht“ bewirke jedoch Desinteresse bei Kindern, die in der Regel ständig gefordert werden wollten, sagte Dr. Hoegg. Auch für das Thema des Abends lieferte der Referent ein sprachliches Bild: „Das Erziehen eines Kindes ist wie das Angeln eines großen Fisches.“ Ziehe man zu fest, reiße die Leine, ziehe man zu wenig, habe man keinen Erfolg. Das Geheimnis bestehe aus dem richtigen Maß von Ziehen und Lassen, wobei man eben immer ein wenig mehr ziehen müsse.

Kinder wissen was sie wollen, aber nicht, was sie brauchen

Als wichtiges Instrument bei der Erziehung von Kindern machte der Experte die Konsequenz aus. „Kinder wissen zwar, was sie wollen, aber nicht, was sie brauchen.“ Es sei daher die Aufgabe von Eltern, auch einmal Nein zu sagen, wenn das Kind etwas möchte, das ihm nicht guttut. Noch besser als Nein, weil bestimmter, sei ein deutliches „Natürlich nicht.“ Der Experte habe an diesem Abend auch dabei geholfen, die kleinen Tricks schlauer Kinder, die ihre Wünsche durchsetzen wollten, zu verstehen. „Schnell noch dies tun (vor den Hausaufgaben), schnell noch das machen (vorm Zubettgehen)“ – wenn man da nicht schnell und konsequent gegensteure, habe man als Eltern schnell das Nachsehen. Sei den Kindern aber klar, dass ein Nein auch beim dritten, vierten, fünften Fragen ein Nein bliebe und dass nicht alles erklärt und ausdiskutiert werde, mache das auf Dauer allen das Leben leichter.

„Jeder Verstoß eines Kindes ist die unausgesprochene Frage ‚Wie weit kann ich gehen‘“, führte Dr. Hoegg weiter aus. Dabei sei es zum einen wichtig, dass Eltern sich nicht gegeneinander ausspielen ließen und dass ein disziplinarischer Ablauf – das auch mit Blick auf die anwesende Lehrerschaft – kurz sei: Schüler stört, Schüler wird ermahnt. Schüler stört weiter, Schüler wird sanktioniert (z. B. durch Umsetzen). „Jede weitere Ermahnung verzögert diesen Prozess und schwächt die vorhergehende.“ Wenn es zu Sanktionen kommen müsse, müssten diese schnell erfolgen, damit sie mit der Ursache gekoppelt blieben und eine erziehende Wirkung hätten.

Viele der anwesenden Eltern hatten an diesem Abend Situationen wiedererkannt und auch eigenes Handeln – vielleicht erfolgreiches, vielleicht weniger erfolgreiches. Das Thema Konsequenz mag dem einen oder anderen so bekannt wie unrealistisch erschienen sein – treffe im wahren Leben doch die Theorie auf die Praxis. Hochinteressant seien die dargestellten Zusammenhänge dennoch gewesen: Der Referent hatte Verständnis geweckt für die Denkweisen von Kindern und Möglichkeiten gegeben, wie man solche Muster knacke. Für Eltern wie Lehrer seien das wichtige Impulse gewesen, die, gemeinsam genutzt, zu einem guten schulischen Erfolg führen und Handwerkszeug für eine gute, konfliktärmere Erziehung sein könnten.

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