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Herausforderungen und Chancen: Ehrlicher Blick von Dr. Kneip auf den GelenkersatzMedizinischer Fortschritt versus Wirtschaft und Patient

ALSFELD (ol). „Ich nehme mit, dass der Gelenkersatz bei Knien gut läuft, Hüfte super ist, Schulter immer mehr kommt und dass die einzige Gefahr die Keime darstellen, durch die nach der OP Infektionen entstehen können…“ – fasste ein Zuschauer den Vortrag von Dr. Arno Kneip im Rahmen der jüngsten Patientenveranstaltungen des Fördervereins des Kreiskrankenhauses Alsfeld zusammen. 

Dies war die Antwort eines Zuhörers auf die kritische Frage aus dem Plenum, ob der Chefarzt der Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der Alsfelder Klinik von solchen Eingriffen, bei denen Gelenke durch Titan-, Kunststoff- oder Keramik-Elemente ausgetauscht werden, abrate. Dies teilte das Krankenhaus in einer Pressemeldung mit.

Große Fragerunde nach dem Vortrag

Die Frage kam auf, da der erfahrene Chirurg durchaus achtsam mit dem Thema umgehe. „Ich möchte keine Prothesen und auch keine Operationen verkaufen“, begründete Kneip seinen kritischen Blick. „Vorsorge und konventionelle Therapien sind natürlich immer besser. Aber wenn es nicht anders geht, der Patient permanente Schmerzen hat, ohne Schmerzmedikamente nicht mehr auskommt und keine Wegstrecken mehr zurücklegen kann, operiere ich auf Wunsch des Patienten. Er entscheidet.“

120 Prothesen setzt der Chefarzt jährlich im Alsfelder Krankenhaus ein, 80 Prothesen seine Oberärzte. Für seine Operationen an der Hüfte bei Schenkelhals- und Oberschenkelbrüchen sei seine Abteilung sogar mehrfach von den Krankenkassen mit den Bestnoten ausgezeichnet worden.

Ein aufmerksames Publikum beim Vortrag von Dr. Kneip Foto: kiri

Wirbelsäulenchirurgie, Hand- und Fußchirurgie und Endoprothetik

Vor 12 Jahren sei Arno Kneip mit seiner Familie nach Alsfeld gezogen und hatte im Krankenhaus die verantwortliche Position des Chefarztes der Unfall- und Wiederherstellungschirurgie eingenommen. In dem letzten Jahrzehnt hat er die Abteilung weiter aufbaut, Sektionen wie die Wirbelsäulenchirurgie oder die Hand- und Fußchirurgie installiert und die Endoprothetik auf einen hohen Qualitätsstandard gebracht.

Letzteres sei sein persönliches Steckenpferd. „Bereits als 15-Jähriger hatte ich den ersten Kontakt mit Endoprothesen“, erinnerte sich Kneip in seinem Vortrag und hatte auch einen Zeitungsausschnitt mitgebracht, der ihn damals in einem Technikfaltblatt auf das Thema aufmerksam gemacht. Ein Dr. Mittelmeier hatte darin eine zementfreie Verankerung beschrieben. „Später besuchte ich sogar Vorlesungen bei dem Professor und dienstags durfte ich bei einem ehemaligen Oberarzt von ihm immer „Haken halten““, so Kneips erste Erfahrungen, die schon einige Jahre zurückliegen.

Die Entwicklung von Endoprothetik von den Anfängen bis Heute

In seinem Vortrag ging Arno Kneip auf die verschiedenen Entwicklungen in der Endoprothetik ein. Er erzählte von den ersten Versuchen, den Weiterentwicklungen, Materialveränderungen und den jeweiligen Vor- und Rückschritten, die dadurch entstanden seien. „Oftmals war es so, dass man sich darauf konzentriert hat, ein Problem – wie beispielsweise den Abrieb – zu lösen, damit aber das nächste Problem schaffte, an das keiner gedacht hatte.“

Kneip blickte zurück auf die Operationen von Wanderchirurgen vor 1846. Die Chirurgie endete damals meist tödlich. Unter anderem auch, weil man sich der Infektionsgefahren noch nicht so bewusst gewesen sei. So fand Semmelweis vor 170 Jahren erst heraus, dass es Leichengifte gibt und Lister entwickelte 20 Jahre später erst antiseptische Methoden. Kneip: „Damals konnte man sich nicht in Hospitäler wagen, ohne sein Leben zu riskieren.“

Zunächst wurden Knochen einfach durchgesägt oder versteift, um Korrekturen durchzuführen. Später versuchte Themistocles Gluck Elfenbein einzusetzen. Nach dem zweiten Weltkrieg nahm die Entwicklung langsam ihren Lauf. Es wurden die ersten Versuche mit Metallimplantaten gemacht, der Unischlitten – einseitig Stütze am Kniegelenk – wurde entwickelt und 1976 probierten die Mediziner erstmals bewegliche Komponenten aus.

Dr. Kneip ist nicht nur als Chirurg erfolgreich, sondern auch ein gern gesehener Referent bei Vorträgen. In seinem letzten Vortrag stellte ich sich kritisch der Endoprothek – es war keine Verkaufsveranstaltung, sondern ein ehrlicher Blick auf die Entwicklung der Gelenkersatzchirurgie. Foto: kiri

Anschauungsmaterial im KKH Alsfeld kam nicht zu kurz

Arno Kneip zeigte zu den Entwicklungsstufen viele Bilder, die veranschaulichten, mit welchen Herausforderungen sowohl die Chirurgen als auch die Patienten zu kämpfen hatten. Lockerung der Prothesen, Abnutzung des Materials, Brüche der Keramik oder ähnliches gehörten genauso zu den nachträglichen Komplikationen wie Bewegungseinschränkungen, Entzündungen oder erneute Allergien. In seinen Ausführungen beleuchtete der Ärztliche Leiter auch das Zusammenspiel von Wirtschaft und Wissenschaft. Manch eine erfolgreiche Entwicklung oder Produkte „eingestampft“ worden, weil sie nicht den gewünschten Ertrag gebracht hätten.

Der erfahrene Chirurg erklärte den rund 50 Interessierten – teils bereits operiert, teils vor der OP stehend – wie er im Alsfelder Krankenhaus operiert und welche Prothesen er aus welchen Materialen benutze. Er bevorzuge die Prothesen die schon länger auf dem Markt seien, da er mit diesen sowohl was die Stabilität als auch die Verträglichkeit und das Einwachsen in den Knochen die besten Erfahrungen gemacht hätte. „Natürlich schaue ich auch, was individuell zu meinem Patienten passt!“, so Kneip. „Aber meistes benutze ich bei Hüftoperationen von Erwachsenen eine Pfanne aus Titan, einen Kunststoff- oder Keramik-Inlay und einen Keramik-Kopf.“

Keime – Die größte Gefahr bei solchen Operationen

„Die größte Gefahr bei solchen Operationen – und das wird in Zukunft vermutlich noch schlimmer – ist die Keim-Gefahr“, gab der Chirurg zu bedenken. Dabei ging es gar nicht mal um Keime, die bei einer Operation möglicherweise in die Wunde kommen könnten: „Das ist unwahrscheinlich. Wir operieren in einem Reinraum-OP, haben moderne Sterilisationsverfahren und eine hohe Qualitätssicherung. Außerdem geben wir vorsichtshalber ein Antibiotikum.“

Gerade letzteres sei aber ein Problem: „Dadurch, dass Antibiotika beispielsweise auch in der Landwirtschaft eingesetzt werden und so in unser Essen gelangt, sind viele Bakterien resistent gegen Antibiotika. Die Auswahl wird immer geringer, die Keime können sich immer mehr ausbreiten.“

Im Alsfelder Krankenhaus sei das kein Problem: „Wir haben eine gute Hygiene, haben extra Hygieneärzte und Hygienefachkräfte. Wir testen jeden stationär aufgenommenen Patienten auf MRSA und falls wir einen MRSA-Fall haben, operieren wir ihn nicht, sondern versuchen ihn zuerst zu sanieren“.

Zum Abschluss – nach einer ausführlichen Fragerunde – riet der Mediziner den Zuhörern, vorausschauend zu handeln: „Das Schlimmste für die Knochen ist Osteoporose. Nehmen sie Vitamin D, achten sie auf calciumreiche Ernährung – aber Vorsicht, nicht zu viel, sonst gibt es Nierensteine – und kommen sie in Bewegung, reduzieren sie Ihr Gewicht.“

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