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Weisheiten und Einsichten eines ZweitsemestersBologna, Bier und Blumenwiesen

REGION. Das Sommersemester hat begonnen und mit ihm kommen Erinnerungen an bereits Erlebtes und Gelerntes auf. Von naiven Erstsemester-Annahmen bis hin zu Frankfurts Eigenarten: Die (Re)Kapitulation einer Studienanfängerin.

Wehmütig und glücklich schaue ich zurück – ein Jahr ist es her, als man uns die Abiturnoten in die Hand drückte. Damals zogen wir heldenhaft los, um das zu feiern, was wir noch gar nicht in den Taschen hatten. In unseren Köpfen webten wir große Netze aus Träumen, Visionen und Plänen. Nun bin ich hier, wohnhaft in Frankfurt oder dem Mittleren Rand von dieser kleinen Großstadt. Mittlerweile sind die Umzugskartons ausgepackt, die Wände bemalt und mit Bildern aus „alten“ Zeiten behangen. Der Schreibtisch füllt sich täglich mit Ordner und Blättern, die in den Ordnern ursprünglich ihren Platz finden sollten. Mein ausgewaschener Abipullover spricht noch immer vom großen „Uni’versum, in dem ich mich zuletzt noch reichlich verloren gefühlt habe. Das war letztes Semester.

Dieses Semester beginnt ähnlich: Ich verliere mich, um mich zu finden und dann wieder zu verlieren. Dass es den anderen mindestens genauso gehen muss, merke ich daran, dass einige erst in der dritten Woche dort landen, wo sie eigentlich auch hinwollten. Glaubte ich zunächst daran, gelassener zu sein – verwarf ich diese Behauptung schnell, als ich gestresst zum Drucker pilgerte und mir die dreihundert Seiten ausspucken ließ, die ich binnen weniger Tage lesen sollte. Dass mich das schlauer machen wird, weiß ich. Ich weiß auch, dass es neben diesem offiziellen Input, aber auch ganz andere Sachen gibt, die die junge Weisheit mit einem kleinen Tritt in die nächste Ebene befördern. Und da ich diese neu erworbenen Weisheiten,  frisch gebackenen Abiturienten, Kritikern, alten Studenten und allen anderen nicht vorenthalten kann, folgt nun eine (Re)Kapitulation des letzten Semesters.

Willkommen in der Unterwelt

Frankfurt ist nett. Frankfurt ist ehrlich. Frankfurt ist gruselig. Wo kann man diese drei Behauptungen besser bestätigen, als im öffentlich Nahverkehrsnetz? Wer von A nach B zu allen anderen Buchstaben des Alphabets pendelt, der lernt fürs Leben. Er lernt wie man höflich ist, indem man seinen Platz aufgibt und wie man vermeidet die Augen weit aufzureißen, wenn etwas die Schranken des eigenen Horizontes sprengt. Wer gelassen bleibt, wenn Hunde einmal wieder im Kinderwagen herumkutschiert werden – der ist es, weil er es jeden Tag sieht.

Die ganze Fahrerei führt nicht nur zu Anekdoten, sondern auch zu Lektionen. So kann man aus dem folgenden Geschehnis wohl zweierlei ableiten: Bedenke, jeder Mensch hat zwei Gesichter! Und: Lern Hessisch! Zur Geschichte: Eines sonnigen Tages saß eine herzallerliebste ältere Frau in der Bahn. Sie unterhielt die Menschen mit netten Geschichten über das Backen. Als sie ausstieg, folgte ein hessisches Wortgefecht mit einem Falschparker, der gar keiner war. Sukzessiv steigert sich die beiden von „Babbsack“ zu „Labbeduddel“, bis die Frau auf das Auto einhämmerte und der Mann genervt davonfuhr.

Bahnen sind ein Ort, an dem sich die unterschiedlichsten Menschen begegnen. Wer dem Ganzen mit Respekt gegenüber tritt, kann tolle Bekanntschaften machen. Allerdings empfehle ich dazu das Einnehmern eines sicheren Standes und wahlweise das Festhalten.  Außerdem kann es sein, dass die Bahn nicht fährt, wenn es zu sehr regnet, zu warm ist, schneit oder windet.  Wer die Unterwelt verlässt, denkt bitte an den Leitsatz: Rechts stehen, links gehen.

Willkommen in der Unterwelt? Oder vielleicht doch, am vielfältigsten Ort Frankfurts? Bilder: j.wilhelm

Interesse kommt von interessieren…

…und nicht von Bier oder von Bologna. Die Intention hinter Bologna war gut, die Ausführungen davon, für mich noch gar nicht wirklich absehbar. Dass diese Reform aber für Stundenpläne sorgt, die nach Luft und Liebe schreien – das merke ich jetzt schon. Nicht unbedingt an mir, aber an den zahlreichen Studenten, die ausschließlich auf der Jagd nach Credit-Points sind und dadurch regelrecht am Inhalt ihres Studium vorbeirennen. Damit platzt der Traum von regen Diskussionen zumindest in dem ein oder anderen Kurs. Stattdessen gibt es Referate, die sich zum Teil nicht wirklich von der Schule unterscheiden. Aber wo Schatten ist, da ist aus Licht: Zum einen sind das diejenigen, sie sich aus Passion dem Studium zuwenden und zum anderen sind es die, die in diese Leidenschaft hineinwachsen.

Daraus erwachsen dann die Diskurse, die man sich vielleicht erträumt hat: Die Auseinandersetzungen mit dem, für was sich dein Gegenüber auch interessiert – vielleicht aber auf eine andere Art und Weise. Denn eins kann man aus der Uni mitnehmen – man muss es aber nicht: Die unterschiedlichsten Stimmen, zu den unterschiedlichsten Themen. Die, wenn du es zulässt, dafür sorgen, dass die Erde viel greifbarer wird, als die Scheibe, als die sie sich manchmal darstellt.

Nicht jeder Dummschwätzer weiß alles

Wenn man die Sinuskurve der Launen durchläuft, befindet man sich häufig in der Uni. Ehrliche Motivation kann plötzlich in Trägheit umschlagen. Gründe gibt es viele, mindestens einer davon sind besondere Menschen, die dir sicherlich in jedem Studiengang begegnen. Mit besonderer Mitteilungsbedürfnis behaftet, erzählen sie dir ausgerechnet das, was du nicht wissen kannst. Wie kannst du auch nur? Und wenn sie dich etwas fragen, dann auch nur, um es selbst zu beantworten. Ihre Wortmeldungen bestehen aus einem geringen Eigenanteil und der großen Zusammenfassung des bereits Gesagten.

Darüber kann ich mittlerweile lachen. Anfangs sah das allerdings noch anders aus. Naiv wie ich war, schenkte ich diesen Kommentaren einen Funken zu viel Wahrheit und fühlte mich schlecht, weil ich mit der Intention gestartet war, zu lernen, was ich nicht wusste. Schließlich zerbrach ich mir den Kopf, wie ich all das nachholen könnte, wovon ich langsam glaubte, dass er mir fehlte. Als ich den selben Menschen jedoch häufiger begegnete, fiel mir auf, dass sie stets mit dem selben Thema in den gleichen Nuancen prahlten. Auf weiterführende Themen war ihre Strategie nie angelegt – und das tat mir leid. Schließlich feilen sie noch immer an der einen Stange – so ein Gedankengerüst besteht aber aus weitaus mehr.

Es gibt ein Leben nach und in der Prüfungsphase

Wenn man sonntags an die Uni trottet und vor der Bibliothek bereits in den Morgenstunden, unendlich große Menschentrauben erblickt, wird man dieser Überschrift wohl kaum glauben. Schließlich hat man nur ein Ziel: Lernen und Bestehen. Wie man diese Phase schlussendlich überlebt, weiß man nicht und will es auch nicht. Abstrakt hat dieses Überleben mit Schokolade, wenig Schlaf und viel Stress zu tun. Zu realisieren, dass es ein Leben außerhalb des Unitrotts gibt, ist aber gar nicht so unwichtig. Zum einen verschafft man sich einen klaren Kopf, zum anderen vermeidet man unangenehme Begegnungen mit Menschen, die ungefähr 120 Mal so viel gelernt haben, wie man selbst.

Ich empfehle in dieser Zeit dringend Kopfhörer, gute Musik und ein bisschen mehr Vertrauen in sich selbst.  Ich spreche aus Erfahrungen, dass dich zehn Stunden in der Bibliothek nicht nur dehydrieren, sondern auch verzweifeln lassen. Wenn du an den Punkt gelangst, sinnlos Seiten zu markieren, ist es Zeit zu gehen, das Kapitel zu beenden und am nächsten Tag neu anzufangen. Damit du dich diesen wunderbaren Erfahrungen auch aussetzen kannst, musst du dich allerdings zu allen Prüfungen anmelden – am besten rechtzeitig. Denn eins muss gesagt werden: Die Anmeldefristen sind schonungslos!

Tageslicht ist nur für Vampire schädlich

Noch immer existieren Hörsäle ohne Fenster. Das weiß jeder Frankfurter Student, den es mal nach Bockenheim verschlägt. Während man auf Betondecken starrt, gerät man häufig in eine Art Dämmerungszustand. Die Welt da draußen erblickt man nur, wenn man hastig zwischen den beiden Campi wechselt. Wenn man sich käseweiß dann doch dazu entscheidet, Frankfurt eine Chance zu geben, zeigen sich Parks und Flüsse von ihrer schönen Seite. Wer mit dem Fahrrad an der Nidda entlang fährt, die Sonne im Rücken und den Wind im Gesicht, stößt auf das ein oder andere Nutria, dass sich am Ufer wäscht. Im chinesischen Park  laden Blumenvielfalt, Wiesen und Bänke zum Denken und Verweilen ein. Wer noch mehr Artenvielfalt erleben möchte, der besucht am besten den Palmengarten. Und für laue Sommernächte bietet der Main den richtigen Schauplatz. Für diejenigen unter euch, die eine klare Sicht und leichte Wald-Brisen fernab des flachen Frankfurts präferieren, eignet sich eine kleine Wanderung zum Goethe-Turm.

Auch wenn die Stadt als solches vieles zu bieten hat, kann es unglaublich entspannend sein, Shopping-Meilen, Feierabendverkehr und die städtlichen Laster hinter sich zu lassen und der Seele, Auslauf im Grünen zu genehmigen.

Frankfurt zeigt seine schönen Seiten: Entlang der Nidda und im Chinesischen Garten.

Essen ist lebenswichtig, auch für Studenten

Studenten sind bekanntlich gehetzte Menschen. Weil sie viel zu tun haben und damit beschäftigt sind, darüber zu sprechen, dass sie viel zu tun haben. Dass bei derartig vielen Aktivitäten, die ein oder andere vernachlässigt wird, kommt daher nicht selten vor. Ich selbst bin in der glücklichen Situation eine zusammengewürfelte Küche zu haben, die mir allerlei Kochaktionen mit Jan ermöglicht. Blicke ich in mein Umfeld, bleibt der Herd allerdings häufig kalt.

Grund dafür sind häufig Wohnheimküchen, die vor der Betriebseinnahme den ein oder anderen Lappen und mit einem Klacks Priel sehen sollten.  Statt Spaghetti gibt es Tage lang Brötchen. Das nächste nahrhafte Mahl steht dann erst mit dem Besuch der Eltern an.  Wobei man an dieser Stelle klar sagen muss, dass Bier keine vollwertige Speise ersetzt und damit als weniger nahrhaft gesehen werden. Dabei sind Kantinen gar nicht so schlimm, wie ihr Ruf. Wenn ihr also wieder ununterbrochen in der Bibliothek sitzt und euer Magen lautstark mit euch kommuniziert, denkt dran: Essen ist gar nicht so unwichtig.

Mit seinen 43 Metern ragt der Goethe-Turm über den Stadtwald von Frankfurt-Sachsenhausen. Bilder: J.Wilhelm.

Ich kurble meine Leier stärker denn je..

Es mag wie die allbekannte Leier klingen, die ich am Ende meiner Texte kurbele. Eine Leier, die darauf hinweist, dass man die Menschen, die einen umgeben, schätzen und lieben sollte in ihrer Eigenart und Vielseitigkeit – und ich kurble noch immer, stärker, denn je.  Denn obwohl das Studium mit Ironie, Spaß und Interesse behaftet ist, ist es nicht immer leicht. Man hinterfragt sein Vorhaben und fragt sich nach der Richtigkeit seiner Entscheidung. Hinzu addieren sich die Tücken des Alltags, die neue Umgebung, Zukunftsängste und Selbstzweifel zu einer Summe, die ein Mensch allein nicht (aus)halten kann. Und da gibt es nicht besseres, als zu wissen: Jemand ist für dich da und man selbst ist da, für diesen jemand:

Seien es die neuen Freunde aus der Uni, mit denen man von Tag zu Tag vertrauter wird und vergangene Geschichten gemeinsam herzhaft belacht. Seien es deine alten Freunde, die dir immer ein Gefühl von Heimat vermitteln und dich aufnehmen, gleichgültig, wie lange du sie nicht mehr gesehen hast. Sei es deine Familie, die sich stets um dich sorgt, die dich zum Lachen und zum Weinen bringt und für dich da ist, wenn du plötzlich vor der Haustür stehst oder anrufst, weil du nicht weißt, in welche Richtung es geht. Sei es deine Mama, die, trotz der Entfernung daran denkt, dir immer „Gute Nacht“ zu schreiben, die dir ein Tutorial macht, wenn du dir deinen Fuß verstaucht hast und die weiß was los ist, ohne dass du es sagt. Sei es Jan, mit dem du Tag für Tag deine glücklichen und traurigen Momente teilst, mit dem du Reisepläne schmiedest und dem grauen Frankfurt den Rücken kehrst, der dich auffängt, wenn du fällst, wenn der Boden unter den Füßen wegbricht und der dich davon überzeugt, dass alles wieder gut wird.

 

von Jessica Haak

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