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Wohnungsnotfallhilfe bietet durch das Raster gefallen Menschen ZufluchtLetzte Auffangstation La Strada

ALSFELD (cdl). Wenn alle sozialen Sicherungssysteme des Staates versagen, bietet die La Strada Wohnungsnotfallhilfe in Alsfeld Menschen die letzte Zuflucht. Es sind Menschen am Rande der Gesellschaft, die nur wenig Beachtung finden.

Im Gegensatz zur großen Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung bei medialen Großereignissen wie Naturkatastrophen oder der Flüchtlingswelle werden die Hilfsbedürftigen direkt vor Ort gerne vergessen. Und wer bei La Strada gelandet ist, ist bereits bei sämtlichen Institutionen durchgefallen. Somit nimmt sich die Wohnungsnotfallhilfe den schwierigsten Fällen überhaupt an. „Diejenigen, die zuvor beim Jugendamt oder dem Amt für soziale Sicherung gelandet sind, haben die Kurve vielleicht noch bekommen“, so der Leiter der Wohnungsnotfallhilfe Andreas Wiedenhöft.

Die La Strada Wohnungsnotfallhilfe, eine Einrichtung des Diakonischen Werks Vogelsberg, fängt durch das Raster gefallene Menschen auf. Sie versucht mit viel Geduld den Menschen in Not, eine Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Im besten Fall steht die Wiedereingliederung in die Gesellschaft und den ersten Arbeitsmarkt. „In den meisten Fällen ist es aber bereits ein großer Erfolg, wenn die Menschen fit für den zweiten Arbeitsmarkt gemacht werden und selbstständig ihren Alltag bestreiten können“, gibt Wiedenhöft unumwunden zu.

Der Einstieg in die bürgerliche Normalwelt mit Heiraten, Kind, Auto und festem Job komme höchstens bei zwei Prozent aller Klienten vor, da müsse man ganz realistisch sein. In erster Linie müssten die Leute mit ihrem Geld zurechtkommen, einen festen Wohnsitz haben und sich um ihren Gesundheitszustand kümmern. Wenn das alles klappe, habe man eine erfolgreiche Arbeit geleistet.

Veränderte Klientel der Hilfesuchenden in der Wohnungsnotfallhilfe

Wiedenhöfts größte Sorge ist derzeit, die sich verändernde Klientel, die die Wohnungsnotfallhilfe aufsucht. Waren es früher meist Clochards (Landstreicher), wie sie in der Einrichtung beinahe romantisierend bezeichnet werden, sind es heute vermehrt junge Erwachsene. Sie seien zumeist in sozial erbärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Von etwa 50 bis 60 Menschen, die von La Strada betreut werden, sind mittlerweile 18 Personen unter 25 Jahre alt, so der Leiter der Einrichtung.

Die Hilfesuchenden kommen entweder direkt selbst zu La Strada oder werden teilweise von der Polizei der Wohnungsnotfallhilfe übergeben. Das Haus selbst dient zunächst als erste Auffangstation. Das kann durchaus eine Schutzmaßnahme sein. Beispielsweise fanden schon Zwangsprostituierte aus Osteuropa in der Wohnungsnotfallhilfe Unterschlupf. Andere wurden aufgrund von häuslicher Gewalt zu ihrem Schutz bei La Strada untergebracht, berichtete Wiedenhöft.

„Demnächst wird die Wohnungsnotfallhilfe unbegleitete minderjährige Flüchtlinge aufnehmen müssen“, ist sich Pfarrer Walter Bernbeck aus Billertshausen sicher. Wer es alleine von Afghanistan hierher geschafft habe, sei mit Allerei Kriminalität in Verbindung gekommen. Daher werde es nicht ausbleiben, dass einige bei La Strada stranden würden. Somit werde die Anzahl an jungen Menschen in der Einrichtung in den kommenden Jahren weiter ansteigen.

Gewalt gehört zum Alltag der Hilfsbedürftigen

„Auf der Straße bei den jungen Leuten sind es gewaltgeprägte Subkulturen. Das ist nichts Neues. Darüber hinaus sind die Frauen früh schwanger“, so Wiedenhöft und weiter: „Wir haben auch verwirrte Leute, die gar nicht hier hergehören, sondern in die Psychiatrie. Aber wenn in unserer offenen Gesellschaft einige Menschen die psychiatrische Behandlung und Medikamente ablehnen, dann kommen sie zu uns. Das ist aber nur zu einem gewissen Grad machbar, wir mussten auch schon Menschen mit akuten Störungen ablehnen.“

Generell sei zunächst der Kreis für die Leute zuständig, wie etwa das Jugendamt oder andere Einrichtungen. Falls aber Menschen mit einer psychischen Erkrankung oder Behinderung laut Personalausweis nicht aus dem Vogelsbergkreis stammen, sei der Kreis juristisch nicht zuständig. Daher müsse die La Strada aus humanistischen Gründen auch für diese Menschen da sein und sie aufnehmen. Das sei eine ganze Menge an weiteren Klienten in der Wohnungsnotfallhilfe.

Gewaltverzicht als erste Lektion

Im Haus gibt es nur eine klare Regel: „Gewalt ist absolut tabu. Wer Gewalt anwendet, fliegt sofort raus“, erklärt Wiedenhöft. Diese Menschen kennen aus ihrem sozialen Milieu oft gar nichts anderes als Gewalt, um sich durchzusetzen, ansonsten würden sie selbst zum Opfer werden. Daher ist absoluter Gewaltverzicht der aller erste Schritt, den die meisten lernen müssen, so Wiedenhöft. „Ansonsten werden alle Hilfesuchenden aufgenommen, ganz egal was sie angestellt haben, ob Junkie, Alkoholiker, offene Haftstrafen ausstehen, oder ob jemand schwanger ist. Das spielt alles keine Rolle.“

Je nach Fall wird nach einiger Zeit entschieden, ob der Wohnungslose für ein betreutes Wohnen in einer eigenen Unterkunft infrage kommt. Dabei unterstützt La Strada bei der Wohnungssuche und hilft beim Anmieten. Im Anschluss schauen die Sozialarbeiter regelmäßig in den Wohnungen vorbei und unterstützen die Bewohner. Ebenso werden 80 Prozent der Menschen bei sämtlichen Behördengängen begleitet, weil es für die meisten unmöglich ist, diese Hürde selbstständig zu meistern.

In der Einrichtung selbst müssen die Aufgenommenen aktiv mitarbeiten und den Alltag organisieren. Wer verantwortungsvoll arbeitet und sich als verlässlich erweist, wird an der Pforte eingesetzt. „Unsere Einrichtung muss sieben Tage die Woche, 24 Stunden an 365 Tagen im Jahr offen sein, damit wir ständig Zuflucht bieten können. Das geht nur durch die Mithilfe unserer Bewohner“, berichtet Wiedenhöft. Die Arbeit an der Pforte wird vom Sozialamt unterstützt und die Klienten werden für ihren Einsatz honoriert. Die Tätigkeit gilt somit als Arbeitsmaßnahme.

Die Arbeit in der Wohungsnotfallhilfe

„Wir gehen mittlerweile nicht mehr über die Diagnose, wenn es überhaupt eine gibt, sondern über die Geschichte der Menschen an die Sache heran. Das ist für uns viel spannender, weil die Szenen, aus der Leute zu uns kommen, meist aus gewaltgeprägten Szenen, wie Junkieszene oder Wohnungslosenszene stammen“, erklärte Wiedenhöft.

Man brauche bei der Arbeit einen langen Atem. Nach drei bis sechs Monaten sei die Arbeit nicht getan. „Das betreute Wohnen ist auf zwei Jahre ausgelegt, mit einem halben Jahr Vorlauf und es kann ein weiteres halbes Jahr verlängert werden.“ Somit könne die Betreuung eines Klienten bis zu drei Jahren dauern. Beim betreuten Wohnen handele es sich um Einzelwohnen, wobei der Klient ganz offiziell Mieter ist.

Bei der Wohnungsnotfallhilfe gibt es verschiedene Abteilungen wie die Fachberatungsstelle als Anlaufstelle, Sozialarbeiter für das betreute Wohnen, den Tagesaufenthalt sowie das Übergangswohnheim. Hinzu kommt eine Clearingstelle zur Koordination zwischen unterschiedlichen Institutionen intern und extern. Die Clearingstelle organisiert und schlichtet zwischen verschiedenen Institutionen, Trägern und Angeboten. Des Weiteren wird die Betreuung der Konten der Klienten über zehn Jahre hinweg übernommen. Das bedeutet für die Angestellten einen enormen buchhalterischen Aufwand, der von den Sozialarbeiten mit bearbeitet wird.

Der eigene Förderverein unterstützt die Arbeit der Wohnungsnotfallhilfe

„Wir treffen uns drei bis viermal im Jahr und haben einige Termine, bei denen wir das Haus unterstützen. Das ist zum einen das Sommerfest und das andere ist ein Winteressen, bei dem wir mit den Leuten in die Öffentlichkeit gehen“, beschreibt der Vorsitzende des Vereins zur Förderung von La Strada Josef Lichter die Tätigkeit. Gerade das Essen in der Öffentlichkeit soll ein Stück gesellschaftliche Teilhabe wiederbringen.

Früher sei man gemeinsam in das Gasthaus Roth nach Liederbach gegangen, und seit es geschlossen ist, sei der Kartoffelsack das gemeinsame Ausflugsziel. „Das hat bisher immer gut geklappt und es gab niemals Beschwerden von Gästen oder dem Restaurant. Essen gehen und Grillen ist für die Klienten etwas ganz besonders. Beim Grillen sind die Grillmeister Feuer und Flamme, das passt immer richtig gut“, so Lichter. Beim Sommerfest habe man aufpassen müssen, die Leute auseinanderzuhalten. Es seien heute keine Clochards mehr und man sehe den Menschen nicht direkt an, dass sie Probleme haben.

Die Mitglieder des Fördervereins zahlen einen Jahresbeitrag von 30 Euro, um die Wohnungsnotfallhilfe zu unterstützen. „Von dem Geld wird nie eine Leistung komplett übernommen, sondern lediglich bezuschusst. Beispielsweise eine neue Brille oder ein Krankenhausaufenthalt. Menschen die eine eigene Wohnung beziehen bekommen eine Art Starterset bestehend aus einer Schaufel, einem Besen und einer Flasche Spülmittel“, beschreibt Lichter die Unterstützung. Lediglich die beiden Feste stemme der Förderverein komplett. Der Förderverein sei dazu da, etwas Zusätzliches anzubieten. „Viel können wir nicht bewegen, aber wir versuchen was wir können“, so Lichter über die Arbeit des Fördervereins.

 

 

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