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Christel Gabriel wurde von der Nikolaus-Einkraft Stiftung für ihren Einsatz für die Menschenwürde geehrtEine Frau, die Leben rettet

SCHWABENROD (mb). Bei ihren Patienten hatte es Christel Gabriel mit Vergewaltigung, Missbrauch und Suizid zu tun, aber auch mit eher gewöhnlichen Lebenskrisen. Für ihr langjähriges Engagement ist sie am Sonntag in Schwabenrod ausgezeichnet worden. Brunhilde Schierl überreichte ihr einen Scheck über 300 Euro sowie eine symbolische Rose im Auftrag der Nikolaus-Einkraft-Stiftung, die sie selbst ins Leben gerufen hat. Eine rührende Veranstaltung im Kreise der engsten Freunde und Seminarteilnehmer des therapeutischen Tanz- und Gestaltungszentrums am Rande von Schwabenrod.

„Ohne die Hilfe von wunderbaren Frauen,  stünde ich wohl heute nicht an meinem Platz“, so Schierl bei ihrer berührenden Rede, in der sie erzählte, wie sie Christel Gabriel kennenlernte und wie diese ihr einst aus einer tiefen Lebenskrise hinaushalf. Im Februar dieses Jahres rief Schierl ihre Stiftung offiziell ins Leben und zeichnete bereits Lea Ackermann mit dem Ehrenpreis für Frauen aus. „Frauen bekommen viel zu oft zu wenig Achtung und daher möchte ich vor allem Frauen würdigen.“ Gabriel hat am Sonntagnachmittag ihre Auszeichnung stellvertretend für alle Frauen bekommen. „Oft interessiert es gar nicht, was Frauen leisten. Sie sind die Heldinnen des Alltags und wissen es nicht einmal.“ Die 300 Euro sollen keine wirtschaftliche Unterstützung darstellen, sondern von Würde zeugen.

Schierl überreichte Gabriel den Scheck und eine Rose – diese stellt das Symbol der Stiftung dar, nach einer Geschichte von Rainer Maria Wilke. Schierls Vater war das Vorbild für die Gründung der Stiftung. „Eigentlich gibt es diese schon seit dessen Tod, eine besondere Geschichte bewegte mich aber zur Gründung Anfang des Jahres.“ Mit der Stiftung möchte sie ihre Dankbarkeit gegenüber so vielen Frauen ausdrücken, die sich ihrer Hilfe teils gar nicht bewusst sind.

„Ich will, dass Sie leben.“

Vor 14 Jahren lernten sich die Frauen in der Edertal Klinik in Bad Wildungen kennen, wo Gabriel zu der Zeit als Ergotherapeutin praktizierte. „Frau Gabriel erkannte meine Situation. Ich war völlig ausgebrannt und sie erkannte mein ‚Nicht-mehr-Können‘.“ Gabriel setzte sich dafür ein, dass Schierl eine Rente bekam und sich erholen und gesund werden konnte. „Wäre ich dem Arbeits- und Existenzdruck weiterhin ausgesetzt geblieben, wäre ich damals psychisch zerbrochen.“

Zwei Frauen, die sich gesucht und gefunden haben. Brunhilde Schierl (rechts) überreicht Christel Gabriel die Ehrenurkunde und einen Scheck über 300 Euro.

Zwei Frauen, die sich gesucht und gefunden haben. Brunhilde Schierl (r.) überreicht Christel Gabriel die Ehrenurkunde und einen Scheck über 300 Euro.

Die Runde ist gerührt von Schierls emotionaler Rede. Es wird gemeinsam gesungen und das Lied vom Königskind abgespielt. Gabriel sei eine Frau, die mit dem Herzen sieht und andere stärkt sowie ermutigt. Damit rette sie Leben. Auch sie ist sichtlich gerührt von der Ehrung. „Ich bin wirklich so glücklich, dass wir uns wiedergefunden haben.“

„Auch Männer können Opfer sein.“

In Gabriels leben spielen interessanterweise gerade die männlichen Figuren eine große Rolle in ihrem Leben. „Mein Vater und mein Großvater haben mir beigebracht, dass jeder Mensch gleich ist.“ Für Gabriel ist es egal, ob es der Nachbar, ein Obdachloser oder gar ein Vergewaltiger ist, der Hilfe braucht. „In dem Moment, wo der Mensch bereut, ist er wieder.“ Der Sinn nach Gerechtigkeit sei ihr seit ihrer Kindheit ins Herz eingepflanzt worden und hat sie durch das Leben getragen. Jeder Mensch hat eine Geschichte. Und auch der Vergewaltiger kann letztendlich Opfer eines Missbrauchs gewesen sein. Es gilt, die Geschichte jedes Einzelnen zu ergründen und daran zu arbeiten.

Im Umgang mit Menschen ist Gabriel geübt. „Erst wollte ich Goldschmiedin werden, dann Töpferin, allerdings wurde mir nahegelegt diese Arbeit nicht auszuführen, da ich doch sehr dünn war.“ Daraufhin machte sie die Ausbildung zur Kinderpflegerin. Oft half sie Familien im Haushalt. „Aus privaten Gründen musste ich dann aber Geld verdienen“, und so arbeitete sie vorerst in der Kosmetik Abteilung des Alsfelder Kerbers.

„Wenn man es selbst nicht tut, zwingt einen das Leben sich weiterzuentwickeln“

Gabriels Leben änderte sich schlagartig, als sie auf die psychische Belastung, die auf ihr lastete, mit psychosomatischen Symptomen reagierte. „Ich bekam Allergien, Asthma und Depression.“ Gleichzeitig war es für die damals 34-Jährige ein Weg in den Neuanfang. „Innerhalb meiner Therapie habe ich autogenes Training gelernt. Meine Therapeutin hat mich dann dabei unterstützt, eine Umschulung genehmigt zu bekommen.“ Ähnlich half sie Jahre später dann Schierl.

Aufgrund ihrer eigenen Erfahrungswerte entschloss sich Gabriel zu einer Umschulung zur Ergotherapeutin. In Fritzlar fand sie die passende Schule zu ihrer Lebensphilosophie und bestand ihre Abschlussprüfung 1989. „Während unserer Ausbildung hatten wir die Möglichkeit Patienten zu interviewen und komplexe Krankheiten, wie die Schizophrenie, besser kennenzulernen aus nächster Perspektive“, erzählte Gabriel. Ihr letztes Praktikum absolvierte sie in der Edertal-Klinik in Bad Wildungen und dort blieb sie auch für den Rest ihrer beruflichen Laufbahn.

Über die Nikolaus-Einkraft Stiftung
Die Nikolaus-Einkraft Stiftung wurde im Februar 2016 offiziell gegründet, besteht allerdings als Idee bereits seit 1972, dem Todesjahr von Nikolaus Kraus, Vater von Gründerin Brunhilde Schierl. Kraus lebte Ehrlichkeit, Selbstachtung und innere Freiheit vor. Für ihn hatte Würde nichts mit dem Besitz von Titeln, Bildung oder Geld zu tun. Die Stiftung soll an seine Werte und Ideale erinnern und würdigt vor allem Frauen, da diese weltweit zu wenig Achtung und Wertschätzung erfahren. Die Stiftung möchte Frauen ehren, die das Herz am richtigen Platz haben und Großes leisten, oft ohne dafür Beachtung zu erfahren.

„Ich hatte viel Glück mit meinen Chefs. Wir durften viele alternative Therapien ausprobieren. Es ist nicht selbstverständlich, dass man als Ergotherapeutin so viel tun darf.“ Zudem stieg Gabriel zur Abteilungsleiterin auf. Während ihrer Laufbahn machte sie weitere Ausbildungen im Bereich der Gestaltungstherapie sowie eine schamanische Ausbildung.

„Ohne unsere Ahnen wären wir nichts“

In ihrem Elternhaus in Schwabenrod bietet sie nun, gemeinsam mit ihrer Tochter Vicky, verschiedene Seminare im Bereich der Naturheilpädagogik und Schamanismus an. „Schamanismus bedeutet im Prinzip, mit der Natur und dem Körper im Einklang zu leben. Wir möchten zurück zu unseren Ahnen finden und sie verstehen. Alle Religionen sind bei uns herzlich willkommen. Jeder darf hier sein, wer er will.“ Auch Tanztherapie oder eine Schwitzhüttentherapie bieten die Frauen an. Bereits ihr Großvater sei stark schamanisch orientiert gewesen, sagt Gabriel. „Der wusste es nur eben nicht.“

Für die ausgezeichnete Herzensfrau ist vor allem die Selbsterfahrung ein wichtiger Teil der Therapeutenausbildung. Schon ihre eigene Erkrankung bewegte sie zur Hilfe anderer mit demselben Leiden. Während ihrer Schamanenausbildung unterzog sie sich vielen Praktiken selbst, bevor sie diese an andere weitergab. „Anfangs habe ich nicht an die Wirkung der Schwitzhütte geglaubt, jetzt liebe ich sie.“ Die Schwitzhütte stellt symbolisch den Schoß der Mutter Erde dar und man bittet für andere Menschen. Auch hier darf jeder sein, wie er will und die Hütte betreten, wie er will.

Christel Gabriel zeigt und erklärt das Medizinrad, das Teil ihrer therapeutischen Maßnahmen darstellt.

Christel Gabriel zeigt und erklärt das Medizinrad, das Teil ihrer therapeutischen Maßnahmen darstellt.

Gabriel bedauert die heutige Negativität der Gesellschaft. „Man bekommt nur noch negatives Feedback, dabei ist es so wichtig den Menschen zu vermitteln, wie kostbar sie sind.“ Die Frau, die die Menschen von einer sehr natürlichen uns seelischen Seite betrachtet, schätzt aber auch die Arbeit jener, die distanziert vom Menschen arbeiten. „Auch Ärzte muss es geben. Ich könnte einen Menschen niemals aufschneiden, da ich ihnen viel zu nahe stehe.“ Gabriel lebt ihre Philosophie durch und durch. Jeder Mensch ist für sie gleich und erfüllt eine Aufgabe in seinem Dasein.

Aber auch für sie gab es nicht immer einfache Zeiten. Ein Fall, der ihr schwer zugetan habe, war eine Frau, die bereits Anzeichen für einen Suizid aufzeigte. „Ich bereute so sehr, damals nicht den Chefarzt aus seinem Wochenende zu rufen.“ Die Patientin war am darauffolgenden Montag tot. Doch auch aus dieser kopfzerbrechenden Erfahrung zieht Gabriel ihre Schlüsse. „Nie wieder spielte ich meine Intuition runter und handele nun sofort.“ Auf der anderen Seite räumt sie der Frau aber auch ihr Recht ein, sich das Leben nehmen zu dürfen.

„Auch die Würde des Mannes ist unantastbar.“

Sie hatte viele schwierige Fälle in ihrer beruflichen Laufbahn. So auch eine Frau, die sich und ihren Kindern das Leben nehmen wollte, um sich und diese vor dem missbrauchenden Vater zu schützen. Bei dem Versuch kamen ihre Kinder um – sie überlebte. „Ich habe dieser Frau neuen Lebensmut gegeben und sie hat mit ihrer Erfahrung einen neuen Lebensweg eingeschlagen und ebenfalls anderen Menschen geholfen.“

Aber auch einen Vergewaltiger hat Gabriel bereits therapiert. „Niemand wollte diesen Patienten damals haben, also habe ich mich dieser Aufgabe gestellt.“ Selbstverständlich sei es auch für sie ein ‚komisches‘ Gefühl gewesen, einen Frauenschänder zu therapieren. „Aber ich habe erkannt, dieser Mann war krank und ihm fehlten simple Formen der Sozialisation.“ Im Endeffekt war es eine Frau, die bei der Erziehung dieses Mannes Fehler begangen hatte und für Gabriel steht einmal mehr fest: Alle Menschen sind gleich und deren Würde ist unantastbar – obgleich Mann oder Frau. Auch Männer können Opfer von Gewalt werden und so manche Frau missbraucht ihre Kinder.

Für Gabriel ist, obgleich die Ehrung der Nikolaus-Einkraft Stiftung vor allem die Würde der Frau hervorheben möchte, auch die des Mannes unantastbar. Jeder Mensch ist für sie kostbar und jeder hat seine eigene Geschichte, die es zu erfahren gibt. Selbstreflexion ist ein wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit und manchmal sei es auch wichtig die Fehler anderer Menschen in seinem eigenen Verhalten wiederzufinden und begründen zu können sowie sich am Ende einzugestehen, dass es gar nicht der aufrechte Gang des Nachbarn ist, der einen stört, sondern die eigene Unfähigkeit stolz durchs Leben zu laufen.

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