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Gonterhausen ein Jahr nach dem Abschied von Öl und GasEin Dorf hat mehr Wärme als es braucht

GONTERSHAUSEN (aep). Wenn Jochen Köhler sehen will, wie die Wärme fließt, dann schaut er auf zwei Temperatur-Anzeigen: 79 Grad zeigt die eine, 58 Grad zugleich die andere, nur 30 Zentimeter entfernt. Aber eigentlich sind sie 4,6 Kilometer voneinander getrennt: Anfang und Ende eines Rohrleitungssystem, mit dem ein kleines Vogelsberger Dorf auf der Öko-Landkarte ganz groß geworden ist: Gontershausen. In dem Stadtteil von Homberg/Ohm versorgt ein Nahwärmenetz die meisten Einwohner: Kein Öl, kein Gas werden mehr verbraucht – Unabhängigkeit von fossilen Rohstoffen, das wünschen sich auch andere Ortschaften, das gilt als vorbildlich. Ortsvorsteher Jochen Köhler zeigt sich nach dem ersten Jahr Betrieb zufrieden: Die Anlage läuft problemlos und für die Kunden kostengünstig – Ergebnis guter Planung, meint er. Ein Modell für künftige Energieversorgung?

Zweimal 2,3 Kilometer, so lang ist die Rohrleitung, die das Dorf seit einem Jahr mit Wärme versorgt – genau: mit der Abwärme der Biogas-Anlage am Ortsrand. Dort produziert der Bauernhof Koch Strom mit Hilfe eines 220 Kilowatt starken Gasmotors – und nebenbei kräftig Hitze. Genug, dass das ganze Dorf davon warme Wohnzimmer haben kann. Die Heizenergie kommt in Form von heißem Wasser in einem Kreislaufsystem: 79 Grad hat das Wasser gerade, das den Weg ins Dorf antritt. Mit 58 Grad, so erklärt Ortsvorsteher Köhler bei einem OL-Besuch, kehrt es zurück. Die 21 Grad Unterschied haben 39 Haushalten Wärme gespendet: für die Heizung, für Wasch- und Duschwasser. Klingt einfach – aber dahinter steckt ein technisch anspruchsvolles System, und Jochen Köhler zieht nach einem Jahr einen Schluss: Es lohnt sich, auf erfahrene Fachfirmen zu setzen, damit das Ganze effektiv funktioniert und wenig Arbeit bereitet.

Das Ortsausgangschild von Gonterhausen, dahinter die Kuppeln einer Biogasanlage

Foto: aep

Mit etwas Stolz verweist er auf einen Wert: Der Wasserkreislauf versorgte die Verbraucher im Ersten Jahr zu 85 bis 90 Prozent – die beiden für Spitzenzeiten auf Standby stehenden Pelletsheizungen mussten nur selten eingreifen. „Das ist ein sehr guter Wert!“ Als gut gelte auch ein anderer Wert: 20 Prozent der erzeugten Wärmeenergie versickern auf dem Weg im Boden. Das ist bei manch anderen Anlagen deutlich mehr. „Eine Frage der Dämmung“, erklärt der Ortsvorsteher, der auf technische Erfahrung im Beruf als Leiter eines Betriebs mit 45 Mitarbeitern zurückgreifen kann. In Gontershausen setzte man auf eine Dämmschicht mittlerer Dicke. Das reicht. Köhler zuckt mit den Schultern: „So what? Die Wärme entsteht in jedem Fall.“

Und man setzte darauf, alle Komponenten, die einfach gestaltet werden können, auch einfach zu belassen. Das Gebäude zum Beispiel, in dem die Steuerung samt Pelletsöfen untergebracht wurden, besteht aus drei Fertigbau-Garagen – günstig in der Anschaffung. Der Grund, auf dem die stehen, ist gepachtet, das Abrechnungssystem mit dem Landwirtsbetrieb Koch so einfach wie möglich: Die Wärme gibt es gratis. Dem Biogas-Hersteller, dem es um die Stromproduktion geht, bekommt lediglich für die Wärmenutzung einen Bonus bei der Einspeisevergütung. Geradzu verblüffend effizient umgesetzt erscheint das ganze Projekt, wenn man den Zeitraum von Idee bis Inbetriebnahme zusammenfasst:

Mai 2011: Die Biogas-Betreiber bringen die Idee beim noch frischen Ortsvorsteher Köhler vor. „Das Ganze war mir noch völlig fremd.“ Danach begann eine monatelange Werbephase im Dorf: Wer würde mitmachen? „Wir sind von Haus zu Haus gezogen.“ Januar 2012: Gründung der Genossenschaft mit zunächst 38 Mitgliedern. „Das war das Schwierigste: Die Leute sollten 3000 Euro Einlage zahlen.“ Juli 2012: Baubeginn auf dem Hof Koch. Oktober 2012: Fertigstellung und erste Wärmelieferung an die Haushalte.

Gut 800 000 Euro hat die ganze Anlage gekostet, 400 000 davon muss die Genossenschaft aufbringen, in der die beteiligten Einwohner sich unter dem Vorsitz von Jochen Köhler zusammenschlossen – für den Rest gab es Zuschüsse aus verschiedenen Quellen. Die Finanzierung führt in Gontershausen zu einem gänzlich ungewohnten Gefühl. Wieviel Wärme die Haushalte abziehen, spielt bei der jährlichen Rechnung kaum eine Rolle: Die Energie selbst ist extrem billig. Allerdings zahlen die Genossen eine sehr hohe Grundgebühr: 99 Euro pro Kilowatt installierter Abnahme. „Damit werden die Investition in die Anlage und der laufende Betrieb finanziert.“ Wer also 15 Kilowatt Abnahmeleistung einbauen ließ, ist mit fast 1500 Euro jährlicher Grundgebühr dabei: „Die Leute mussten verstehen, sie zahlen das Netz ab. Das ist aber häufig weniger als früher, und es ist eine feste Größe, mit der man gut rechnen kann.“ Egal, wie weit man die Heizungen aufgedreht hat. Die Investition in ausgereifte Technik und die Wahl von Pellets statt billigerer Holzhackschnitzel für die Zusatzheizung macht sich inzwischen im Betrieb sparend bemerkbar: Die Anlage kann ehrenamtlich betreut werden.

Es gab manche Überraschung über das Jahr. Zum Beispiel für jene Abnehmer, die feststellten, dass ihr Haus endlich richtig warm wurde. Köhler: „Die hatten vorher eine zu kleine Heizung.“ Nach dem Anschluss an das Wärmenetz hatten sie gar keine mehr: Im Keller gibt es nur einen Wärmetauscher. In jedem Fall, so betont Köhler: „Die Sorge, dass es zu wenig Wärme geben könnte, war unbegründet.“ Das galt auch für Spitzenzeiten im langen Winter: Vollautomatisch schaltete sich die Pelletsheizung bei Bedarf zu – in der Praxis aber nur sporadisch. 20 Tonnen Pellets seien in der Zeit verbraucht worden – Kosten: 5000 Euro – für 39 Haushalte.

Technisch aussehende Gebäude: ein Container in der Mitte, flankiert von Silos.

Foto: aep

Der 39-Jährige erlebte eine Überraschung, als er mitten im Winter Pellets nachbestellen wollte: Es gab keine. Zehn Telefonate und 20 E-Mails später hatte er aber Nachschub organisiert: aus Polen. Heute sorgt ein zusätzlicher Pelletsilo mit 26 Tonnen Kapazität dafür, dass dieser Engpass nicht mehr auftreten sollte.

Fürs neue Jahr seien bereits bereits weitere Mitglieder in Sicht, die den Anschluss wagen, wobei der Ortsvorsteher mit zwei Argumenten wirbt: günstigere, berechenbarere Kosten und der ökologische Gedanke. „Der spielt auch eine Rolle. Viele Abnehmer betonten bewusst, dass sie keine Öl- oder Gasheizung als Puffer wollten.“ Man nutzt halt Wärme, die ohnehin entsteht – im Sommer derart überreichlich, dass man im Dorf geradezu etwas „zum Energievernichten“ sucht. Vielleicht ein Schwimmbad? Köhler lacht: „Da könnten wir 40 Grad warmes Wasser anbieten!“

 

 

 

 

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