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Weihnachtsmarkt: Alte Beschicker mussten gehenStreit unterm Weihnachtsbaum

ALSFELD (aep). Wenn am Freitag, 6. Dezember, Bürgermeister Stephan Paule auf dem Marktplatz den Alsfelder Weihnachtsmarkt eröffnet, werden Posaunen die Herzen wärmen und Kerzen mit Kindergesichtern um die Wette strahlen. Doch der schöne Schein trügt. Der Weihnachtsmarkt 2013 hat eine Vorgeschichte mit Streit und Geschmäckle, könnte gar ein Gerichtsverfahren nach sich ziehen. Anlass: Die Stadt Alsfeld hat sich der Verantwortung für dieses Stückes Tradition entledigt – und dabei angestammte Beschicker derart brüskiert, dass die den Aufstand proben. Das Ganze ist längst Gerücht in allen Gassen – manchmal auch abwegig – und gewitzelt wird sogar über einen „Antiweihnachtsmarkt“ auf dem Kerber-Gelände.

 Trocken gesagt: Die Stadt, die den Weihnachtsmarkt seit den Anfängen vor 30 Jahren unter ihrer Fittiche hatte, hat diese Aufgabe „outsourcen“ lassen, in fremde Verantwortung gegeben, um Kosten zu sparen. Man schrieb die Veranstaltung aus und vergab sie an einen von zwei privaten Bewerbern – jenen, der den geringeren Zuschussbedarf errechnet hat. Das Verfahren verlief aber holprig genug, dass Fragen nach der Fairness auftauchen, ergeben Recherchen von Oberhessen-live.

Verantwortlich für diesen und mindestens die nächsten beiden Weihnachtsmärkte ist jedenfalls nun die Veranstalter-Gemeinschaft „Weihnachtsmarkt Alsfeld“ Markus Kirchheim/Dirk Hornig. Beide machten bislang mit dem Ehrlich&-Laut-Festival von sich reden; Geschäftsführer Kirchheim wohnt in Schwalmtal. Und Teile des Weihnachtsmarktes haben sie noch weiter vergeben: Untermieter für die Bewirtschaftung mit Speisen ist nach Informationen von Oberhessen-Live ein Caterer aus Kassel, während vor allem die lukrativen Getränkestände beim Veranstalter-Duo verblieben. Genau darum geht es beim Alsfelder Weihnachtsstreit: um die Glühweinstände, die viel Geld abwerfen. Angestammte Anbieter bleiben außen vor. Es geht um Zehntausende Euro.

Diese Beschicker, die zum Teil über Jahrzehnte den roten Herzenswärmer in Alsfeld ausschenkten, und sich vergeblich an der Ausschreibung beteiligten, fühlen sich ausgebootet, protestieren lautstark. Ursula Koch – seit über 15 Jahren in Alsfeld mit Wein und Glühwein präsent – bekundete gegenüber Oberhessen-Live, dass sie als Ergebnis einer rechtlichen Prüfung nun gegen das Vergabe-Ergebnis klagen werde: „Ich ziehe das durch!“ Sie könnte sogar damit durchkommen: Bei einem ähnlichen Fall in Offenbach ist das einem Bratwurstverkäufer gelungen.

So fing alles an: Um die 20 000 Euro Zuschuss jedes Jahr, das erschien dem Magistrat noch unter dem Vorsitz von Alt-Bürgermeister Ralf Becker zu viel. Ein externer, privater Veranstalter, so die Vorstellung, sollte das besser machen können – getreu den Vorgaben der Haushaltskonsolidierung. Die Ausschreibung erschien unter anderem auf der stadteigenen Website im Internet. „Ich habe davon in der Zeitung gelesen“, erzählt Klaus Korell gegenüber Oberhessen-live. Er ist seit vielen Jahren einer der vier Speise- und Glühweinbeschicker auf dem Markt – und nun ebenfalls nicht mehr dabei. Er sei überrascht und irritiert gewesen, sei er doch kurz zuvor noch seitens des TCA gebeten worden, für kommende Weihnachtsmärkte eine historische Bühne zu besorgen. Überhaupt: Wozu habe es die vielen Besprechungen gegeben? „Wir hatten schon unheimlich viel vorbereitet.“

Die Ausschreibung beendete solche Planungen erst einmal. Stattdessen bemühte sich die eilends aus bewährten Beschickern gebildete Bietergemeinschaft Zimmer, Korell, Koch, Eifler, wie in den Vorgaben gefordert, um ein Konzept – und vor allem eine Kalkulation, um der Stadt bis zum Fristtag 25. Februar etwas anbieten zu können. Sie hätten knapp und knallhart kalkuliert, meint Klaus Korell – und dennoch sei ein Zuschussbedarf herausgekommen. Ärger sei aufgekommen, als mit nahendem Ende der Frist „von Seiten der Stadt immer neue Bedingungen gestellt wurden“. Heraus kam: Diese Bieter-Gemeinschaft würde mit 9000 Euro Zuschussbedarf auskommen. Ohnehin misstrauisch, erboste diese Wettbewerber noch eine Änderung: Die Frist für die Abgabe wurde kurzfristig verlängert. Außerdem: Die Chance zur mündlichen Erläuterung des Konzeptes gab es auch nicht. Korell: „Es hieß, wenn sich mehrere Bewerber melden, soll es eine Vorstellung geben. Das ist nie passiert.“

Stattdessen entschied sich der Magistrat am 9. April ohne weitere Rückfragen für die Gemeinschaft Kirchheim/Hornig als Veranstalter der nächsten drei Weihnachtsmärkte. Nur die Ausrichtung der Märchengasse verblieb in der Obhut des stadteigenen TCA. Die neuen Herren über den Marktplatz vermieteten die Speisebewirtschaftung gleich weiter. Die Internetseite Schausteller.de zeigte, wie ein Herr Baumgarten bundesweit um Marktbeschicker für einen „gut besuchten“ Weihnachtsmarkt „im Herzen der historischen Fachwerkstadt Alsfeld“ suchte. Darauf angesprochen, verweist Baumgarten, der zugleich nach Beschickern für den Weihnachtsmarkt in Wetzlar suchte, gegenüber Oberhessen-live auf einen Kasseler namens Thomas Reinelt als Untermieter, der bereits bei großen Rock-Konzerten für das Catering gesorgt haben soll. Als die früheren Alsfelder Marktbeschicker sich dann um ihren angestammten Plätze bei Kirchheim/Hornig bewarben, erhielten sie freundliche Ablehnungsschreiben: Man wolle dem Weihnachtsmarkt „frischen Wind“ einhauchen und die Qualität noch ausbauen.

Der Ärger war groß: „Viele Dinge sind nicht korrekt gelaufen!“, schimpft Klaus Korell. „Es sieht nicht nach Chancengleichheit in einem transparenten, fairen Verfahren aus“, fasst der Rechtsanwalt Joachim Krump aus Wiesbaden seinen Eindruck zusammen. Er nahm im November im Auftrag der unterlegenen Bieter Einsicht bei den Akten – bei jenen Akten zumindest, die ihm gezeigt worden seien, erklärt er Oberhessen-Live. Denn er mutmaßt, dass das nur eine Auswahl war. Aber auch die sei aufschlussreich gewesen. Zum Beispiel bei der Angebotsöffnung: „Da gibt es vorgeschriebene Verfahren, es gibt normalerweise ein Protokoll. Das ist hier nicht ersichtlich.“

Seiner Hauptmandantin in Sachen Weihnachtsmarkt, der Winzerin Urusla Koch, rät er anschließend in einem abwägenden Schreiben, tatsächlich den Klageweg zu riskieren – so wie ein Offenbacher Bratwurststandbetreiber es erfolgreich getan hat, nachdem die Stadt den Weihnachtsmarkt outsourcen ließ. Denn, so beschied das Bundesverwaltungsgericht 2009 in letzter Instanz, eine Kommune dürfe nicht einfach eine Tradtionsveranstaltung komplett aus der Hand geben, sondern müsse konkrete Mitsprache halten. Solch einen Passus gibt es auch im Vertrag mit den privaten Betreibern, doch den hält der Rechtsanwalt für reines Lippenbekenntnis: „Es ist nur eine diffuse Einwirkung vorgesehen“.

Tatsächlich ist die städtische Einwirkungsmöglichkeit beschränkt, bestätigt Bürgermeister Stephan Paule in einem Gespräch, an dem auch die Alsfelder Wirtschaftsbeauftragte Monika Kauer teilnahm. Bei der Vergabe habe die Stadt mit dem Glühweinverkauf locken wollen und deshalb konsequenterweise für diesen Part eine Alleinstellung mit dem Veranstalter ausgehandelt, gewissermaßen ein Glühweinmonopol – während man sich andererseits ein Mitspracherecht für alle anderen Stände gesichert habe. Das sei, so Kauer, in Absprache mit dem Städte- und Gemeindebund und mit Blick auf das Offenbach-Urteil geschehen. Die Getränkevergabe an einen externen Betreiber sei möglich, „Wir haben das Letztentscheidungsrecht behalten, außer bei der Getränkevergabe“. Dieses Recht werde in Form von Absprachen mit den Anbietern auch ausgeübt. Absprachen geschehen allerdings offenbar nicht mit dem Untermieter, denn der, so stellt sich heraus, ist bei der Stadt nur als Name auf einer Internetseite bekannt.

Monika Kauer bestätigt zugleich die umstrittene kurzfristige Verlängerung der Abgabefrist um einige Tage: Das sei wegen einer Erkrankung beim anderen Anbieter am letzten Tag geschehen und möglich, da dieses Verfahren weniger formalisiert sei als andere Ausschreibungen. Den Ausschlag gegeben habe, dass die Bieter Kirchheim/Hornig zwar im ersten Jahr einen höhen Zuschussbedarf errechnet hätten als die Mitbewerber, aber über alle drei Jahre insgesamt günstiger seien. „Es war eine wirtschaftliche Entscheidung.“

Gänzlich verständnislos zeigt sich Dirk Hornig, einer der neuen Veranstalter, angesichts der Aufregung. Davon habe er gar nichts mitbekommen, versichert er im Gespräch mit Oberhessen-live. Und die Aufregung um verlorene Tradition sei nicht nötig: „Der Weihnachtsmarkt hat eine ähnliche Form wie gehabt.“ Es werde die gleichen Buden geben – teilweise sogar die selben Betreiber. Die Bühne werde an anderer Stelle stehen als üblich, aber das Programm darauf nach traditionellem Muster gestaltet: von Vereinen und Schülern. Auch Frau Holle soll bleiben, das TCA weiter Führungen veranstalten. Und was die Qualität des Glühweinausschanks angeht: Man beziehe den Wein von zwei Quellen – darunter auch einem Winzerbetrieb. Man habe dazu übrigens auch das Weingut Koch angeschrieben, erklärt Hornig. Die E-Mail sei allerdings unbeantwortet geblieben.

Ursula Koch, die ihren Willen zum Klageweg gegenüber Oberhessen-live bekräftigt, ist von Alsfeld inzwischen gänzlich enttäuscht. Sie habe doch nicht nur über viele Jahre in der Stadt Wein verkauft, sondern aus Verbundenheit auch vieles in der Stadt gekauft – etwa ihr Auto. „Das mache ich nun nicht mehr!“

 

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