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INTERVIEW Falk Stirkat über sein spannendes Leben als Notarzt, Buchautor und Entertainer„Der Hit von AC/DC kann Leben retten“

ALSFELD (ls). Falk Stirkat ist ein Lebensretter. Der Notarzt aus dem Vogelsberg hat bereits mehrere Bücher geschrieben, in denen er aus seinem spannenden und durchaus witzigen Alltag berichtet.

Im Interview mit Oberhessen-live erzählt er, warum Schlaftabletten manchmal für ziemliche Aufregung sorgen – und weshalb Sie sich den Rockklassiker „Highway to Hell“ nochmal ganz genau anhören sollten.

Oberhessen-live: Herr Stirkat, haben Sie heute schon ein Leben gerettet?

Falk Stirkat: (lacht) Nein, heute noch nicht – aber gestern. Nicht alle Einsätze, zu denen wir gerufen werden, sind lebensrettende Einsätze. Wir hatten zwar heute schon zwei Einsätze (Anmerkung der Redaktion: Zum Zeitpunkt des Interviews war es gerade einmal 11 Uhr), aber ich würde nicht behaupten, dass wir dabei jemanden gerettet haben. Es war eher ein Krankentransport mit einer Einweisung, die dann gebraucht wird. Und manchmal werden Situationen kritischer wahrgenommen, als sie wirklich sind.

Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Das kann ich so genau gar nicht sagen. Zum einen hat natürlich jeder ein anderes Notfallverständnis. Wo uns mancher erst Stunden nach Beginn des Herzinfarktes ruft, werden wir von anderen schon zu Beginn der Grippe herbeigeholt. Ein anderer Punkt ist aber auch, dass der Rettungsdienst zunehmend als „Taxi“ missbraucht wird. Natürlich sind diese Fälle immer noch eine Minderheit und die meisten Notfälle, zu denen wir gerufen werden, sind medizinische Probleme, aber es kommt immer öfter vor, dass wir Sätze hören wie: „Ich hatte einfach keine Zeit zum Hausarzt zu gehen!“ Das ist dann nicht nur ärgerlich, sondern meiner Meinung nach ein Stück weit Missbrauch. Denn in der Zeit, in der wir uns um solche „Notfälle“ kümmern, stehen wir anderen, ernsthaft erkrankten Menschen natürlich nicht zur Verfügung.

Wie kamen Sie dazu Medizin, zu studieren?

Oh, das ist eine schwere Frage. Irgendwie wollte ich das schon immer. Ich glaube, „Klinik unter Palmen“ hat mich damals inspiriert. Das ist oder war eine Fernsehserie mit Klausjürgen Wussow – den fand ich super, aber da war ich auch erst fünf oder sechs. Und ja, seitdem wollte ich eigentlich schon immer Arzt werden. Daraufhin habe ich dann irgendwann wirklich Medizin an der Karlsuniversität in Prag studiert und bin seit 2010 als Notarzt tätig.

Wieso Notarzt? Wieso nicht Chirurg oder Internist in einem Krankenhaus?

Ich habe tatsächlich mit der Chirurgie angefangen, aber relativ schnell gemerkt, dass das nichts für mich ist. Man macht oftmals das Gleiche und als Notarzt werde ich mit vielen verschiedenen Krankheitsbildern, Menschen und Notfällen konfrontiert. Chirurgie ist zwar spannend, aber es war irgendwie nicht so meins.

Zusammen mit seinem Team vom Rettungsdienst verbringt Stirkat meist den Tag. Foto: ls

Wie kann man sich Ihren Alltag als Notarzt vorstellen?

Eigentlich ist der Alltag ganz normal, so wie in jedem anderen Beruf. Wir arbeiten in Schichten. Und wenn ein Einsatz kommt, dann fahren wir los – das ist der Unterschied zu anderen Berufen. Es besteht immer die Gefahr, dass der Melder losgeht und wir raus müssen – ganz egal was wir gerade machen. Ob ich lese, esse, schlafe oder sonst etwas, das ist egal.

Aber neben Ihrer Tätigkeit als Notarzt sind Sie außerdem noch Autor. Erzählen Sie doch mal. Wie kamen Sie zu der Idee, Bücher zu schreiben?

Ähnlich wie zum Arztsein. Ich habe schon immer geschrieben, mir Geschichten ausgedacht. Aber die Geschichten, die wir hier alltäglich beim Rettungsdienst erleben, die sind von ihrer Dramatik und Brisanz kaum zu erfinden. Natürlich haben wir auch welche, die nicht so dramatisch sind, aber es gibt schon immer mal welche, an denen man die Allgemeinheit teilhaben lassen sollte, weil sie lehrreich und spannend sind.

Wie viele Bücher haben Sie denn bereits verfasst?

Oh, das ist ein bisschen kompliziert. Ich habe bei einem Fachbuch als Co-Autor mitgeschrieben, dann habe ich zwei Fachbücher geschrieben und zwei populäre Bücher. Das dritte dieser Art, „Was uns Krank macht“, kommt jetzt.

Krankheiten so erklären, dass normale Menschen sie verstehen

Was erwartet uns dabei?

Da lege ich den Fokus darauf, Krankheiten unterhaltsam und leicht verständlich zu erklären, sodass der normale medizinische Laie es nicht nur versteht, sondern auch Lust hat es zu lesen. Ich will jetzt nicht sagen, dass es sich dabei um Volksaufklärung handelt, aber man merkt in unserem Beruf schon, dass viele Menschen keine Ahnung über die Medikamente haben, die sie nehmen oder über die Krankheit, die sie haben. Wenn man die Leute fragt: „Was ist ein Herzinfarkt?“, dann können das nur wenige erklären. Darum soll es gehen: die Dinge so erklären, dass man dran bleibt und es versteht.

Im Sommer kommt außerdem noch der Nachfolger von „Ich kam, sah und intubierte“ und schon im Winter kommt dann der Nachfolger von „Was uns krank macht“. Der wird heißen: „Was uns umbringt“. Da erkläre ich dann Notfälle so, dass sie normale Menschen verstehen und was man als Ersthelfermaßnahmen machen kann. Außerdem sitz ich auch noch an einem ganz anderen Genre, da ist aber noch nicht sicher, wann es raus kommt. Das ist eher politische Fiktion oder auch Analyse. Das ist einfach was ganz anderes, aber auch etwas, wofür ich mich sehr interessiere.

Wow, vier bereits veröffentlichte und vier die im Laufe des Jahres erscheinen, an denen Sie bereits sitzen – also acht Bücher insgesamt. Das ist eine ganze Menge. Sie schreiben die nicht nur alle selbst, sondern Sie lesen auch daraus vor.

Genau, ich veranstalte Lesungen – oder wie ich sie nenne „Meditainment-Veranstaltungen“. Ich unterhalte mit Medizin und versuche gleichzeitig dem Publikum etwas näher zu bringen. Beispielsweise: Wie funktioniert eine Reanimation? Das ist so wichtig und die meisten Leute haben Angst davor, weil sie denken: „Dann muss ich vom Brustbein und dann runter und dann zwei Querfinger und dann …“ – ist der Patient auch schon tot. Das ist viel zu kompliziert, das geht viel einfacher zu merken.

Nämlich?

Mit „Highway to Hell“.

Bitte was?

„Highway to Hell“ ist der Takt, in dem man bei einer Reanimation drücken muss. Der Hit von AC/DC kann also Leben retten. Ich glaube, Humor ist ganz wichtig – ob auf der Bühne oder im täglichen Einsatz. Ich finde es immer ganz furchtbar, wenn der Patient von oben bis unten verkabelt ist und alles piept und eigentlich spricht niemand mit ihm. Das macht Angst und viele Kabel sind meistens gar nicht nötig. Man muss dem Patienten die Angst nehmen. Einige Blutdruckentgleisungen kann man so schon ganz gut in den Griff bekommen – ganz ohne Medikamente.

Über Aufregung und Kritik

Mal was anderes: Ist man als Notarzt vor einem Einsatz noch aufgeregt?

Nein, das sollte man auch nicht sein. Das ist meine Aufgabe und das sollte ich routiniert machen. Ich sollte nicht nass geschwitzter sein als der Patient. Wo man immer ein bisschen Unbehagen empfindet, sind Kindernotfälle. Die kommen zum Glück nicht häufig vor, so kann man sich aber schlechter Routine finden. Kinder können einem nicht sagen, wo genau es wehtut. Sie schreien, weinen und werden laut. Und dann sind da noch die Eltern, die sich Sorgen machen.

Als Notarzt ist man vor viele Herausforderungen gestellt. Auch mit Kritik muss man rechnen, wie es beispielsweise bei dem Todesunglück im Alsfelder Schwimmbad im letzten Jahr der Fall war. „Es hat viel zu lange gedauert“, „Die Rettungskräfte sind noch ganz gemütlich durchs Schwimmbad gelaufen“ waren nur ein paar wenige dieser Vorwürfe. Was würden Sie solchen Aussagen entgegnen?

Ja, da war ich sogar dabei. Ich glaube auch der Herr Dickel vom Roten Kreuz hat da letztes Jahr schon alles gesagt, was es zu sagen gibt. Diese Aussagen, die dort getätigt wurden, waren einfach eine Unverschämtheit. Jeder darf seine Meinung haben, aber das war zu viel. Da waren 800 Leute im Schwimmbad. Die Hauptkritik wurde gegenüber dem Ersthelfer getätigt. Von diesen 800 Leuten hat nur einer wirklich geholfen. Ein Ersthelfer – ein Laienhelfer, ein junger Mann, der nicht einmal 18 Jahre alt war. Er hat den Mann aus dem Wasser gezogen und Erste Hilfe geleistet. Niemand anderes hat geholfen.

Diese Aussagen, die dort getätigt wurden, waren einfach eine Unverschämtheit.Falk Stirkat

Hinzu kam, dass wir während der Arbeit noch die Feuerwehr rufen mussten, die uns vor den gaffenden Massen schützen musste. Sie musste einen Sichtschutz aufbauen, weil die Leute hingekommen sind – sogar mit ihren kleinen Kindern – und haben gegafft und geguckt, was da passiert. Geholfen hat kein einziger. Und der zweite Punkt ist, also die Kritik am Rettungsdienst, wo gesagt wurde, sie seien zum Einsatzort geschlürft und langsam gekommen. Wir haben uns die Zeiten angeguckt. Wir waren mehr als deutlich in der vorgegebenen Zeit (Anmerkung der Redaktion: Stirkat erzählt, dass der Rettungsdienst vom Anruf bis zum Eintreffen am Einsatzort zehn Minuten Zeit hat). In diesem Fall waren es sogar nur knapp vier bis fünf Minuten.

Auch er war im letzten Jahr dabei und ärgert sich über die Unverschämtheit der Menschen. Foto: ls

Es gab auch Kritik, dass Sie nicht direkt durch das Wasserbecken gesprintet sind.

Wir arbeiten im Rahmen dieser Wiederbelebungsmaßnahmen mit Strom. Und Strom und Wasser sind nie eine gute Kombination. Ich habe selbst bei diesem Einsatz aufgrund des vielen Wassers dort einen Stromschlag bekommen und hätte eigentlich im Krankenhaus 24 Stunden überwacht werden müssen. Das ist wirklich extrem gefährlich. Es wäre sogar grob fahrlässiges Verhalten gewesen, wenn die Kollegen durch das Wasser gelaufen wären.

Nun sind aber auch Lebensretter nicht unfehlbar. Wehren Sie sich generell gegen Kritik von Laien?

Natürlich nicht. Aber wenn jemand wirklich einen Fehler macht, dann ist die Öffentlichkeit nicht der richtige Ort, um das zu erörtern. Für so was stehen wir als Ansprechpartner zur Verfügung oder es gibt Berufskammern, in denen das dann besprochen wird. Aber der Ablauf bei diesem Fall war wirklich völlig unangemessen und pietätlos der Familie des Opfers gegenüber.

Mangelnder Respekt gegenüber Rettungskräften

Immer wieder hört man davon, dass Rettungskräfte von Patienten oder auch Angehörigen nicht nur verbal, sondern auch körperlich attackiert werden. Mussten Sie diese Erfahrung auch schon machen?

Ja, das ist ein Problem. Deswegen wurde ja gerade das „Jahr des Respekts“ ausgerufen. Im ländlichen Bereich ist es immer noch etwas anderes. Hier sind die Leute nicht ganz so enthemmt wie in der Stadt. Manchmal kommen wir auch in Situationen, wo es ein bisschen gefährlich wird, aber wir haben da auch unsere internen Verfahrensanweisungen und versuchen uns zurückzuziehen.

Ein Beispiel?

Auf der Autobahn sind die Menschen manchmal sehr ungehalten und zum Teil auch ein bisschen unverschämt. Es kommt vor, dass wir beschimpft werden, wenn wir die Straße wegen eines schweren Unfalls komplett sperren müssen. Die Leute wollen zum Flughafen beispielsweise und wollen, dass wir eine Spur öffnen, und motzen deshalb. Aber jede Rettungskraft setzt dabei natürlich auch ein bisschen ihr eigenes Leben aufs Spiel, und wenn wir etwas sperren, dann hat das einen Grund.

Ärgert Sie das?

Das würde ich schon sagen. So ein Verhalten ist nicht angemessen. Jeder, der im Stau hinter uns steht, kann froh sein, dass er auf dieser Seite der Absperrung steht und nicht selbst unsere Hilfe braucht.

Aber man erwartet doch wenigstens, dass die Leute in problematischen Situationen ein bisschen Respekt zeigen. Auch vor demjenigen, der verunfallt ist.Falk Stirkat

Hat das Verhalten der Menschen Ihrer Meinung nach mit mangelndem Respekt zu tun?

Natürlich. Das hat sehr, sehr viel mit mangelndem Respekt zu tun. Der gegenseitige Respekt hat stark abgenommen. Es geht ja nicht darum, dass man dafür, dass man Rettungskraft ist, gefeiert wird. Aber man erwartet doch wenigstens, dass die Leute in problematischen Situationen ein bisschen Respekt zeigen. Auch vor demjenigen, der verunfallt ist.

Falk Stirkat: „Es gibt auch witzige Einsätze“

Neben den ganzen unglücklichen Dingen in ihrem Beruf: Gibt es auch etwas, das Ihnen als besonders witzig in Erinnerung geblieben ist?

Ja, auf jeden Fall. Da habe ich auch viel drüber geschrieben. Wir erleben immer wieder Geschichten, über die wir schmunzeln, oder lachen. Erst mal ist jeder Notruf etwas Dramatisches, denn irgendwo fühlt sich ein Mensch in Not – oder denkt es zumindest es zu sein. Aber es kommt auch manchmal anders, als man zunächst gedacht hat. Wenn zum Beispiel der schlecht ansprechbare Patient in der Nacht einfach nur eine Schlaftablette genommen hat, dann ist das schon lustig. Oder, wenn man zu einer Wiederbelebung gerufen wird, bei der sich später rausstellt, dass der Betroffene gar nicht bewusstlos, sondern quicklebendig ist und der Ersthelfer die Sache mit der Herzdruckmassage etwas zu ernst genommen hat.

Manchmal ist auch der Umgang mit den Patienten einfach witzig. Ich versuche immer, mit Patienten ernsthaft und respektvoll zu sprechen, aber auch ein bisschen humorvoll zu sein. Wenn er nicht gerade in einer Extremsituation ist, muss man nicht den bierernsten Herrn Doktor spielen. Humor ist bekanntlich die beste Medizin und wirkt beruhigend.

Stirkats Werdegang in Kurzform
Falk Stirkat wurde 1984 in der ehemaligen DDR als Sohn eines Zahnärztepaares geboren. Seine Kindheit verbrachte er in der thüringischen Kleinstadt Greiz. Er absolvierte das Abitur an der „Carl-Zeiss Spezialschule für mathematisch-naturwissenschaftlich begabte Schüler“ in Jena. An der medizinischen Fakultät Pilsen der Karls-Universität Prag schloss er 2010 sein Medizinstudium als Jahrgangsbester mit einer Note von 1,0 ab. Nach dem Abschluss zog Stirkat nach Erlangen, um eine Stelle als Assistenzarzt anzutreten. Es folgten Ausbildungszeiten in Notaufnahme und Intensivstation. 2013 legte Stirkat seine Prüfung zum Notarzt ab und arbeitet seitdem als selbstständiger Notfallmediziner. Zu seiner Tätigkeit gehört auch die Repatriierung von im Ausland verunglückten Personen. 2015 ließ sich Stirkat zum Leitenden Notarzt fortbilden. Stirkat ist verheiratet und lebt in Erlangen. Seine Tätigkeit als Notarzt führt er in Mittelhessen durch.

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