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"Der Vulkan lässt lesen": Beeindruckende Hella von Sinnen und Cornelia ScheelLiebevolle Erinnerungen an eine großartige First Lady

LAUTERBACH (kiri). Hella von Sinnen! Die Ulknudel aus dem Fernsehen war Mittwochabend mit ihrer Ex-Frau Cornelia Scheel in Lauterbach, um dort im Rahmen der Reihe „Der Vulkan lässt lesen…“ Scheels Buch über ihre Mutter Mildred vorzustellen. Zwei sympathische Frauen, trotz Trennung voller Wertschätzung füreinander, die ohne Promiallüren den direkten Dialog mit dem Publikum suchten. Und Hella – wie gewohnt auffällig gekleidet, gestikulierend und reich an ausdrucksstarker Mimik – las großartig die Zeilen Scheels, mal bewegend traurig, mal gelöst lachend.

Hellas Mitwirken – gerne duzten sich alle an diesem Abend – war sicherlich mit ein Grund dafür, dass die Aula der Lauterbacher Sparkassen-Hauptgeschäftsstelle mit rund 300 Besuchern bis auf den letzten Platz gefüllt war. Eine andere, nachhaltig beeindruckende Frau gab aber eigentlich den Anlass: Ärztin, alleinerziehende Mutter im konservativen Bayern der 1960er Jahre, Ehefrau des deutschen Außenministers Walter Scheel, später dann First Lady und Gründerin der Deutschen Krebshilfe – Mildred Scheel, Jahrgang 1932, war eine der einflussreichsten Frauen der deutschen Nachkriegszeit und genoss national und international hohes Ansehen. Ihr setzte ihre Tochter 30 Jahre nach ihrem viel zu frühen Krebstod ein „Denkmal zwischen zwei Buchdeckeln“.

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Cornelia Scheel (l.) und Hella von Sinnen verstehen sich prächtig… und sind mit „Mildred Scheel – Erinnerungen an meine Mutter“ gemeinsam auf Lesereise. Fotos: Anja Kierblewski

Hella und Cornelia betraten zunächst gemeinsam die Bühne, Hella ergriff – ganz Entertainment – das Wort, fragte nach, was es mit dem „Lauterbacher Strumpf“ am Stadteingang auf sich habe und ließ sich vom Plenum erstmal das entsprechende Heimatlied vorsingen. Liebevoll bezeichnete sie in ihrer Anmoderation Cornelia Scheel noch als ihre Ehefrau, auch wenn bereits seit längerem getrennt. Kein Wunder – beide verband jahrelang eine innige Liebe, Freundschaft und auch berufliche Beziehung. Hella im Mittelpunkt des Scheinwerferlichtes, Cornelia eher im Hintergrund – schreibend. So hat sie seit der Kündigung bei der Deutschen Krebshilfe nach ihrem Outing mit Hella von Sinnen für selbige die Gags geschrieben. Klar, dass auch an diesem Abend Hella vortrug, was aus Cornelias Feder kam.

Cornelia Scheel war nicht unbedingt scharf darauf, im Rampenlicht zu stehen. Ähnlich wie ihre Mutter, die sich einst fest vornahm, niemals im Fernsehen aufzutreten, für ihr viertes Kind – die Deutsche Krebshilfe – überwand sie aber ihr bis endlos steigerungsfähiges Lampenfieber. Ähnlich wie ihre Tochter am gestrigen Abend.

Zwei Jahre hat Cornelia Scheel an diesem Buch gearbeitet. „Ich bin meiner Mutter dadurch noch mal viel näher gekommen und bin heute so von Dank erfüllt“, beschreibt die Autorin ihr Gefühl auf der Bühne in Lauterbach. Und sie spricht aus ihren Erinnerungen das aus, was sie empfand als ihre Mutter erkrankte – viele Angehörige werden den Gedankengang nachvollziehen können: „Meine Mutter hat eine todbringende Krankheit und hier draußen geht das Leben normal weiter. Die Angst war ab sofort mein treuer Begleiter!“

Der Entschluss über ihre Mutter ein Buch zu schreiben, auch damit „diese tolle Frau bitte niemals in Vergessenheit gerät“, benötigte zwei „Anstupser“. Eine Begegnung mit einer ihr unbekannten Passantin, die mehr von ihrer Mutter wissen wollte, sowie eine Kiste, die eines Tages per Post von einer um fünf Ecken verwandten Person ins Haus eintrudelte und eine bebilderte Reise in die Vergangenheit Mildreds beinhaltete.

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Zwischendurch mal „Posen“ für die Presse – Hella von Sinnen war ganz entspannt und gewohnt, im Scheinwerferlicht zu stehen. Ganz anders, als ihre Ex-Frau Cornelia Scheel.

Das Buch „Mildred Scheel – Erinnerungen an meine Mutter“ skizziert das Leben einer sympathischen, willensstarken und selbstbewussten Frau, die gerade durch ihr Engagement in der Krebshilfe polarisierte – allerdings mit zunehmender Popularität auf der Seite ihrer Befürworter, die sie heute zu einer bedeutenden Frau haben werden lassen: Und zwar wegen ihres persönliches Engagements als Gründerin der Deutschen Krebshilfe und nicht als die Frau des ehemaligen Bundespräsidenten Walter Scheel.

Niemals hätte Mildred Scheel sich als Feministin bezeichnet, und doch war sie vielen Frauen Vorbild: klug, unabhängig, meinungsstark und tatkräftig. Bis heute wirkt ihre Arbeit nach. So enttabuisierte Mildred Scheel das Thema Krebs und etablierte unter anderem als Erste eine Palliativstation in Deutschland. Ihre Arbeit für die Krebshilfe war unermüdlich – umso tragischer, dass sie selbst 1985 an dieser tückischen Krankheit starb. Aber selbst, als sie mit dem eigenen Krebs-Befund konfrontiert war, bewies Mildred Scheel noch Haltung – auch das erfuhren die Zuhörer aus diesem sehr persönlichen Buch, das von Hella von Sinnen fesselnd, amüsant und mit spürbarer Zuneigung zu dieser großartigen Frau vorgetragen wurde.

Hella von Sinnen gab an diesem Abend auf ihre einzigartige Weise Szenen aus dem spannenden Leben der dreifachen „Frau des Jahres“ wieder. Alleine durch ihre Vortragsweise – die auch Cornelia Scheel, zwischendurch mitten im Publikum sitzend, immer wieder zum Schmunzeln brachte – lies sie Mildred Scheel wieder aufleben. Passend: Denn Mildred Scheel hatte einen Sinn für außergewöhnlichen Humor, wie hätte dann eine andere besser einen literarischen Rückblick auf sie geben können, wie die große Liebe ihrer Tochter, die ebenso wie sie für ihren außergewöhnlichen Kleidungsstil und Humor deutschlandweit bekannt ist.

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Stille herrschte im Saal, wenn Hella las. Konzentriert lauschte das Publikum ihrer Worte.

Hella – nicht so provokant wie aus dem Fernsehen gewohnt, dennoch scharfzüngig, schlagfertig und wortgewandt – las sich quer durch das Buch. Szenen von gemeinsamen Familienausflügen, bei der Cornelia, nicht diszipliniert genug die Übelkeit auf der kurvenreichen Stecke unterdrückte und dem Adoptiv-Vater Walter warm in den Nacken spuckte, von Kinobesuchen, die durch übergriffige Securitybeamte harsch beendet wurden oder von dem Momenten, als Mildred Scheel ihrer Tochter schöne Erinnerungen aus ihrer eigenen Kindheit anvertraute.

Beeindruckend, in welch‘ liebevollem Elternhaus laut den Erzählungen ihrer Tochter Mildred Scheel als wissbegieriges Nesthäkchen eines Arztes aufgewachsen war. Die geborene Mildred Wirtz fand schon früh Bestätigung, selbst dann, wenn sie die neue Käte-Kruse-Puppe mit Kulleraugen einer offenen Hirnoperation unterzog, um bereits als Sechsjährige ihrem Wunsch Medizinerin zu werden näher zu kommen: »Du bist nicht so wie die anderen, aber so, wie du bist, bist du perfekt«, hatte der Vater einmal zu ihr gesagt und ihr Mut gemacht, »erhobenen Hauptes« durchs Leben zu gehen. Das tat sie dann auch. Sie war eine Ausnahmeerscheinung – nicht nur aufgrund ihrer Körpergröße von 1,82 Metern, sondern auch wegen ihres extravaganten Kleidungstils, den sie immer gegen das so strenge Protokoll verteidigte. Hella lässt grüßen!

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Mildred Scheel hatte auch ihre Macken: Sie war abergläubisch und klopfte jeden Tag kleinen Figuren mehrfach auf festen Untergrund – wie hier Hella von Sinnen.

Einen kleinen „Macken“ hatte sie allerdings – verrät Cornelia Schell in ihrem Buch: Die immer so nüchtern und zupackend wirkende Präsidentengattin war nämlich abergläubisch bis ins Mark – und praktizierte ein an dem Abend in Lauterbach gründlich vorgeführtes Klopfritual mit kleinen Figuren  neben anderen, ebenso abergläubischen Gewohnheiten mehrmals täglich. Sie weigerte sich beispielsweise unter Baugerüsten hindurchzugehen und ertrug es nicht, wenn in einem geschlossenen Raum ein Schirm geöffnet wurde. Wer hätte das gedacht von dieser bemerkenswerten Frau. Wer hätte das gedacht von Cornelia Scheel, die inzwischen ihren eigenen Freundeskreis soweit hat, ebenfalls dreimal in die Luft zu spucken, bevor sie durch Baugerüste gehen?!

Fazit: Beeindruckend, dieser Auftritt von Cornelia Scheel und Hella von Sinnen – zwei berühmte Frauen, die die Erinnerung an eine große »First Lady wider Willen« durch warmherzig erzählte Anekdoten lebendig halten.

Und ganz im Sinne Mildred als auch Cornelia Scheels, die so mit einem Brief an ihre Mutter und einem angehängten „PS“ das Buch beendet, endet auch dieser Artikel.„Ja, ja Mama, ich weiß, das findest du die beste Idee am ganzen Buch“ (Zitat Cornelia Schell):

Stiftung Deutsche Krebshilfe
Kreisparkasse Köln
Konto 91 91 91
BLZ 370 502 99
IBAN: DE65370502990000919191
BIC: COKSDE 33XXX

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Nach der Lesung bestand die Möglichkeit, sich Bücher oder die Eintrittskarten signieren zu lassen.

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Cornelia Scheel redete voller Liebe von ihrer Mutter…. und ist froh, durch das Buchprojekt sie noch mal neu kennengelernt zu haben.

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Ohne Berührungsängste: Publikumsnah und humorvoll, Hella von Sinnen.

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Gerne erzählte Cornelia Scheel, wie sie ihre Mutter in Erinnerung hat.

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2 Gedanken zu “Liebevolle Erinnerungen an eine großartige First Lady

  1. Schön, dass sich die zwei Frauen auch nach ihrer Trennung noch so gut verstehen und zusammen arbeiten. Da können sich so einige Promis mal ein Beispiel dran nehmen.

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