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Im Live-Ticker: Prozessauftakt gegen den Alsfelder DoppelbrandstifterZeugin: eine Detonation wie damals im Krieg

LIVE-TICKER GIESSEN/ALSFELD. Um kurz nach 9 Uhr hat das Schöffengericht am Landgericht Giessen Freitagmorgen das Verfahren gegen den Mann eröffnet, der am 16. Januar in Alsfeld gleich zwei Brände gelegt und das Leben zahlreicher Menschen aufs Spiel gesetzt hat.

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++9.12 Uhr++ Zweifache Brandstiftung und versuchte Tötung aus Heimtücke – also versuchten Mord – wirft Staatsanwalt Klaus Bender dem 63-jährigen Alsfelder vor. Ein psychiatrisches Gutachten habe derweil ergeben, dass S. an einer krankhaften seelischen Störung leide, die eine dauerhafte Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus notwendig machen könnte – zumal de Angeklagte von seinem Wahn nicht abrücke.

++9.22 Uhr++ Dann nahm der Verlauf des Prozesses eine unerwartete Wende, indem der Verteidiger des Angeklagten einen Ausschluss der Öffentlichkeit beantragte, über den das Gericht derzeit berät. Der Verteidiger macht dabei die Krankheit seines Mandanten geltend.

++10.00 Uhr++ Die Vorsitzende Richterin Dr. Exler verkündet das Eregbnis eines kurzen Verfahrens zum Verteidigerantrag, die Öffentlichkeit von dem gesamten Prozess, mindestens jedoch von der Vernehmung des Angeklagten auszuschließen. Der „weitergehende Antrag“ wird abgelehnt, aber die Öffentilichkeit doch von der Vernehmung ausgeschlossen. Das bedeutet: Das Publikum – vor allem Vertreter der Medien – müssen auf dem Flur auf den Fortgang des Verfahrens warten. Die Vernehmung dürfte wenigstens eine Stunde dauern.

++10.47 Uhr++ Der Prozess geht weiter. Ein Beamter der Alsfelder Polizei schildert gerade, wie er die Lage in Altenburg am Tattag vorfand: „massive Rauchentwicklung“, Glassplitter bis auf die andere Straßenseite, ein verletzter Hausbewohner, der bereits von Sanitätern versorgt wird, eine herausgebrochene Hauswand, umherfliegende Geldscheine. Da habe er auch bereits über Funk gehört, dass es einen zweiten Brand auf dem Marktplatz gibt.

++10.55 Uhr++ Das Gericht nimmt gerade die Polizeifotos der Tatorte in Augenschein. Der Angeklagte bleibt ruhig auf seinem Platz sitzen und schaut auf den Boden, während sich die anderen Prozessbeteiligten um die Richterin versammeln. Der Polizist berichtet von Augenzeugen, die ausgesagt hätten, die ersten Flammen seien unten am Haus in Altenburg aufgetreten.

„Er wollte nur sich mit der Tat umbringen“

++11.06 Uhr++ Ein zweiter Polizist kommt in den Zeugenstand. Er sei gerade mit einem Kollegen in anderer Sache unterwegs gewesen und habe über Funk von einem Autobrand gehört. Weil sie über Altenburg Rauchschwaden sahen, vermuteten die Polizisten dort das brennende Auto. Ein Bewohner habe ihm berichtet, wie er den Brand erlebte: Er habe im Treppenhaus Rauch gesehen, einen Feuerlöscher geholt, und als er vor der Tür stand, habe es die Explosion gegeben. Der Zeuge sei von Splittern verletzt worden. Außerdem sei  der Angeklagte dabei gesehen worden, wie er an dem fraglichen Tag von dem brennenden Haus wegfuhr. Der Mann soll sich in den Tagen zuvor darüber hinaus geärgert haben, dass das Haus an einen Investor verkauft werden sollte. Er habe Angst gehabt, die Mieten würden steigen. In den Vortagen soll er vermehrt Gegenstände aus dem Haus getragen haben. Der Beamter berichtete weiter: Der Angeklagte habe der Polizei gesagt, er wollte sich mit der Tat umbringen, aber keinen anderen dabei schädigen.

++11.15 Uhr++ Ein dritter Polizist sagt aus. Er war mit einer Streife als erstes vor Ort, sagt er. In Absprache mit dem Bürgermeister sei damals das Dorfgemeinschaftshaus als Evakuierungsort für die Bewohner des Hauses gewählt worden.

++11.22Uhr++ Kurze Sitzungsunterbrechung bis 11.45 Uhr. Danach, so kündigt die Richterin an, werde „noch etwas verlesen“. Um 12 Uhr seien die nächsten dran. Dann ist der Prozesstag beendet – Korrektur: Dann wird die Reihe der Zeugenauftritte fortgesetzt.

Erinnerung an Berliner Bombennächte

++11.51 Uhr++ „Wie Dynamit!“ So schildert eine Zeugin den Moment, in dem es die Explosion in dem Altenburger Haus gab. Sie ist die 91-jährige Bewohnerin, die aus dem brennenden Haus gerettet werden konnte. An dem Morgen war sie noch im Morgenrock. Sie, die die Bombennächte in Berlin erlebt hat, schildert, sie sei höchst erschrocken gewesen und habe Glück gehabt, dass sie gerade nicht in der Nähe der Tür war, die durch die Explosion aus den Angeln flog. „Das war eine Detonation!“, erzählt die Frau, und erinnert sich an die Luftangriffe auf Berlin im Zweiten Weltkrieg. Was ihr auffiel: Schon zwei Tage vorher habe er sein Auto anders geparkt – so, dass man es schnell wegfahren kann. „Er muss etwas im Schilde geführt haben.“ Er habe am Tag vorher bereits immer wieder Gegenstände ins Haus und in den Keller getragen.

Der Angeklagte habe sich in den Tagen vorher immer wieder über eine kalte Wohnung beschwert und ihr gegenüber geäußert: „Die hören noch von mir.“ Auf die Frage des Gutachters, „Was ist er für ein Mensch?“, antwortet die Zeugin: „Unauffällig“. Frage des Verteidigers: Das Verhältnis habe sie als gutnachbarschaftlich beschrieben? „Ja“. Neue Frage: Hat er mal sein Herz ausgeschüttet – auch über Frauen? „Nö, er war wirklich unauffällig.“

+++12.13 Uhr++ Auf Nachfragen des Verteidigers erzählt die 91-Jährige von ihrem Zusammenleben mit dem Nachbarn, dem Angeklagten. Sie habe ihm einmal eine Schirmmütze geschenkt – weil er doch immer nicht gesehen werden wolle.

„Da sind Sie so ein kleines Licht.“

++12.15 Uhr++ Der Angeklagte spricht die Zeugin an: „Frau P. Es tut mir wirklich leid!“ Sie antwortet kühl: „Wissen Sie. Ich habe so viel gesehen von der Welt. Da sind Sie so ein kleines Licht.“ Sie erzählt von ihrem Leben, in dem sie auch in Argentinien war, weil ihr Ehemann Marinesoldat im Zweiten Weltkrieg war.

++12.20 Uhr++ Nächster Zeuge, der Neffe der Zeugin P.. Auch er erinnert sich, dass der Angeklagte sein Auto in den Tagen zuvor „verkehrt herum“ geparkt habe. Er sei bei der Arbeit von der Polizei angerufen worden: „Ihr Haus brennt lichterloh!“

Den Angeklagten schildert der Zeuge als schüchtern – jemand, der mit gesenktem Kopf vom Auto zum Haus geht. Er habe auch stets eine Basecap getragen: eine Schirmmütze. Und S: habe sich offenbar verfolgt gefühlt. Auf seine Bitte hin habe er einmal im Internet recherchiert, ob es über ihn Angaben oder von ihm ein Phantombild gibt. Er habe nichts gefunden und das dem Mann auch erzählt. Der Nachbar sei wohl ein einsamer Mensch gewesen.

++12.32 Uhr++ Das Brandgutachten des Landeskriminalamts wird vorgelesen. Die Schäden, die an dem Haus vorgefunden worden, kamen nicht nur vom Feuer, sondern auch von einer Explosion im oberen Teil des Gebäudes, haben die Experten festgestellt. Die Explosion war wohlmöglich nicht gewollt, sondern hat sich auf natürliche Weise, zum Beispiel auf Grund einer Rauchgasdurchzündung, ergeben. Das Feuer aber wurde gelegt – und zwar mit Benzin. Es soll mehrere Brandherde im oberen Stockwerk gegeben haben. Im Keller soll ein eigenes Feuer gelegt worden sein.

++14.10 Uhr++ Der nächste Zeuge sagt aus, ein Polizist, der nach der Fahrt gegen das Tchibo-Geschäft vor Ort eintraf. Er beschreibt den Ort des Aufpralls: „schwer beschädigtes Mauerwerk“, ein 30 Zentimeter hohe Mauersockel, ein Auto, das 2,6 Meter entfernt vom Haus steht und schwer beschädigt ist, drinnen liegt eine Gasflasche.

Im Geschäft befanden sind eine Angestellte und ein Kunde etwa drei Meter vom Schaufenster entfernt, Dekorationsmaterial wurde durch den Aufprall durch den Raum geschleudert. Die Prozessbeteiligten sind um den Richtertisch versammelte, über eine Anzahl Bilder gebeugt.

„Es gab kurz nach 9 einen großen Schlag.“

++14.30 Uhr++ Nächster Zeuge, ein Bewohner des Hauses in Altenburg. Er erinnert sich an den Tag, als „er seine Heimat verloren hat“. Erinnerung: „Es gab kurz nach 9 einen großen Schlag.“ Er habe erst an einen Lastwagen gedacht, der gegen die Hauswand gefahren sei. Beim Blick aus dem Fenster sah er einen Flammenstoß aus dem Kellerschacht kommen und nahm sofort seinen Feuerlöscher. Dann habe es einen zweiten Schlag gegeben, und von der Druckwelle flogen ihm Scherben entgegen, durch die er „am ganzen Körper“ getroffen worden sei. Den Angeklagten habe er nach der ersten Explosion aus dem Haus gehen sehen. „Herr S. kam und stieg in sein Auto. Ich dachte, er würde sein Auto in Sicherheit bringen“ Zu ihm habe er „kein schönes Verhältnis gehabt.“ Der Angeklagter habe sich als Müllinspektor betätigt.

++14.43 Uhr++ Eine Zeugin aus der Nachbarschaft bestätigt die Aussage des Zeugen vor ihr: Sie erlebte die erste Druckwelle – „Die war so stark, dass es das Geschirr angehoben hat.“ – sah den Angeklagten aus dem Haus kommen, und dann folgte die zweite Explosion. Danach platzten Eternitplatten von der Fassade durch die Hitze ab. „Es gab einen Riesenlärm.“ Sie und ihr Ehemann sorgten sich sofort um die alte Frau im Haus. Auf die Frage der Richterin, wie der Angeklagte aus dem Haus kam, antwortet die Zeugin: „Er ist zügig gegangen, ins Auto gestiegen und weggefahren.“ Sie habe noch gedacht: Wie kann man wegfahren, wenn die Frau P. noch im Haus ist?

Der Nachbar, der vor ihr ausgesagt hatte, sei bei der zweiten Explosion von den Scherben voll getroffen worden und blutete stark. „Der stand völlig unter Schock.“ Auch diese Zeugin erinnert sich, dass der Angeklagte in den Tagen zuvor sein Auto mit dem Heck zum Haus parkte und immer Sachen getragen habe. Außerdem sei ihr aufgefallen, dass er offenbar früher als sonst aufgestanden ist.

++15 Uhr++ Die Sitzung ist für heute fertig. Fortsetzung am Freitag, 23. Mai, 9 Uhr.

Lesen Sie hier, wie Oberhessen-live im Januar über die Geschehnisse berichtete. 

Von Juri Auel und Axel Pries 

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