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An der Uni Student - zu Hause Mutter und Vater. Wie meistert man ein Studium mit Kind?„Das Studium ist mein Ausgleich zum Mutterdasein“

VOGELSBERGKREIS (fg). In der Frühe aufstehen, das Kind für den Kindergarten fertig machen und los geht es. Wieder zu Hause: Wäsche waschen, einkaufen, kochen – und zwischendurch für die Prüfung kommenden Monat lernen. Viel zu schnell ist der Mittag vorbei. Das Kind vom Kindergarten abholen. Spielen. Lachen. Kuscheln. Und abends: Todmüde ins Bett fallen. Während für einige Studenten die vorlesungsfreie Zeit bedeutet, entspannt lernen und die Ferien genießen zu können, sind ein paar ihrer Kommilitonen Tag und Nacht auf Trab. Der Grund: Sie sind Eltern.

„Kind oder Karriere?“ – es ist noch gar nicht so lange her, da wurde diese Frage heiß debattiert: Man müsse sich entscheiden, ob man eine Familie gründen oder die Karriereleiter hinauf klettern wolle, so hieß es. Vor allem die Rolle der Frau als Mutter auf der einen und erfolgreiche Arbeitnehmerin auf der anderen Seite sorgte nicht selten für Gesprächsstoff: Kann man sowohl im familiären Leben als auch im Beruf erfolgreich sein? Darf man sich bezüglich hohe Ziele stecken und ist trotzdem eine „gute Mutter“? Und: Kann man ein jahrelanges Studium verantworten, wenn man trotzdem Kinder haben möchte? Aller Unkenrufe zum Trotz haben inzwischen fünf Prozent der deutschen Studenten ein Kind oder mehrere Kinder. Sie widerstehen den Vorurteilen und beweisen: Es geht auch anders.

An der Universität mehr Flexibilität als im Job

Ein Studium ist eine aufwendige Sache, eine Vollzeittätigkeit die viel Zeit in Anspruch nimmt: Ganz egal, für welches Fach man sich entscheidet, an Engagement und Arbeit kommt man nicht vorbei. Nicht wenige der Studierenden sind bei Beginn des neuen Lebensabschnittes gerade frisch aus dem Elternhaus ausgezogen: Das erste Mal für sich selbst sorgen, den Alltag managen und zusätzlich im Studium erfolgreich sein, lässt viele an ihre Grenzen stoßen. Die Idee, eine eigene Familie zu gründen, steht für die meisten zu dieser Zeit noch in den Sternen. Dennoch gibt es junge Menschen, die sich dafür entscheiden vor oder während ihres Studiums ein Kind zu bekommen. Eine große Herausforderung, die jedoch zeigt: Familie und Karriere sind zu vereinbaren – und das mit Erfolg.

Theresa S. aus dem Vogelsbergkreis: „Die Kinder sind nur einmal klein!“ Foto: Silke B.

Die 22-jährige Theresa S. aus dem Vogelsbergkreis, bekam bereits vor Beginn ihres Studiums ihr erstes Kind: „Meine Tochter kam kurz nach meinem Abitur zur Welt, da war ich 19.“ Einige Monate später begann die junge Frau ein Ethnologiestudium. Als sie nach drei Semestern ihren Sohn zur Welt brachte, verließ sie die Universität zunächst. „Zu Beginn meines Studiums war meine Tochter ein Jahr alt. Nach der Geburt meines zweiten Kindes habe ich mir zwei Urlaubssemester genommen, war dementsprechend wieder ein Jahr zu Hause.“ Ein Hauptgrund für die Unterbrechungen war vor allem der zeitliche Aspekt, wie die junge Mutter angibt. „Das zweite Urlaubssemester hätte nicht zwingend sein müssen, dennoch wollte ich mir die Zeit nehmen – die Kinder sind nur einmal klein!“

Auch für die 23 Jahre alte Medizinstudentin Ann-Kathrin C. aus Gießen war ein Kind keinesfalls ein Ausschlusskriterium vom Studium, eher im Gegenteil: Um mehr Zeit mit ihrem Sohn haben zu können, legte sie ihren Studienstart nach vorne. „Eigentlich hatte ich noch arbeiten wollen und erst später eventuell studieren“, gibt sie an. An der Universität sei sie jedoch flexibler als in einem festen Job, weshalb sie sich dagegen entschied.

Für das Studium lernen, wenn die Kinder noch schlafen

Dieses Argument spielt bei vielen studierenden Frauen und Männern eine große Rolle: Ist man an einem Arbeitsplatz oft an einen festen Zeitplan gebunden, hat man während eines Studiums gute Möglichkeiten den Stundenplan abzuändern, Kurse zu verschieben oder Klausuren nachzuholen. Auch Theresa hat das Studium an ihr Privatleben angepasst, um beides unter einen Hut zu bekommen: „Ich besuche nur Veranstaltungen bis 14 Uhr, zusätzlich lasse ich genug Luft für andere Erledigungen, wie den Haushalt und Kinderarztbesuche“, erzählt sie. Dadurch habe sie nicht mehr als circa sechs Veranstaltungen pro Woche.

Auch Wiola S. handhabt ihren Alltag ähnlich: Die 35-jährige Lehramtsstudentin ist Mutter von drei Kindern und berichtet, dass sie zwei bis drei Mal in der Woche an der Universität anwesend sei. Beide bestätigen, dass sich ihr Studium im Vergleich zu dem ihrer Kommilitonen in Länge ziehe. „Mir fehlt am Wochenende meistens die Zeit zum Lernen, da meine Kinder natürlich zuhause sind. Meistens lese ich deshalb im Bus oder stehe noch vor den Kindern auf, wenn ich beispielsweise ein Essay schreiben muss“, so Theresa.

„Ich bin in einem anderen Lebensabschnitt als meine Kommilitonen“

Unbestreitbar ist, dass Verantwortung für Kinder und Familie, Studenten mehr Durchhaltevermögen und Flexibilität abverlangt, als dies ohnehin der Fall ist. Doch gerade das kann auch dazu beitragen, dass die Betroffenen bereits früh lernen, ihr Leben erfolgreich zu managen. Eine Erfahrung, die vor allem in der Arbeitswelt von Vorteil ist. Dieser Meinung ist auch Ann-Kathrin: „Ich bin in einem ganz anderen Lebensabschnitt als meine Kommilitonen. Ich habe durch meinen Sohn und das Leben mit ihm schon einiges gelernt, was mich stressresistenter und belastbarer gemacht hat.“

Ann-Kathrin C. aus Gießen: „Die meisten leben noch ein ganz anderes Leben, als man es als Mutter tut.“ Foto: fg.

Um sich auf das spätere Berufsleben vorbereiten zu können und um diese Verantwortung zu schultern, ist oftmals die Unterstützung von anderen nötig: Die Hilfe der Familie, wie etwa in Form von Kinderbetreuung, ist eine große Entlastung. Auch eine Partnerschaft oder Ehe kann Studierenden in finanzieller, zeitlicher und emotionaler Hinsicht unter die Arme greifen. Für die Medizinstudentin Ann-Kathrin ist dies von großer Bedeutung: „Mein Mann steht voll hinter mir. Er sieht, wie ich auch, vor allem die Vorteile der Zeiteinteilung und persönlichen Betreuung unseres Sohnes.“ Ihre Familie sei zunächst skeptisch gewesen, unterstütze sie jedoch ebenfalls tatkräftig.

Auch Theresa ist auf Hilfe angewiesen und dankbar darüber: „Meine Tochter geht in einen Kindergarten und mein Sohn hat einen Platz bei einer Tagesmutter, diese wird vom Jugendamt bezuschusst.“ Auch an ihrer Universität gäbe es einen Kindergarten sowie eine Notfallbetreuung, die sie beispielsweise für Klausuren in der Nachmittagszeit in Anspruch nehmen würde.

Unterstützung seitens der Hochschulen ausbaufähig

Die Unterstützung seitens der Hochschulen sei zunehmen von Nöten, so die Meinung vieler. Laut Angaben des deutschen Studentenwerks betreiben inzwischen 55 Werke in ganz Deutschland rund 222 Kindertagesstätten, mit insgesamt 8.750 Plätzen, Tendenz steigend. Auch Ann-Kathrin profitiert von dieser Hilfe: „Besonders positiv zu erwähnen ist die Familienservicestelle des Studentenwerks die neben der finanziellen Unterstützung, dem kostenlosen Kinderteller in der Mensa und einem tollen Begrüßungspaket, auch immer ein offenes Ohr hat“, erzählt die 23-Jährige.

An der Gießener Justus-Liebig-Universität gäbe es neben einer Kita auch Informationsveranstaltungen und Studienberatungen, um den Müttern und Vätern den Alltag zu erleichtern. „Man erhält finanzielle Unterstützung für einen Babysitter. Außerdem gibt es Eltern-Kind-Räume, die liebevoll und praktisch gestaltet sind, wo das Kind eine Möglichkeit hat, in Ruhe zu spielen oder zu schlafen. Gerade dieses Angebot kommt mir sehr entgegen, da ich mein Baby oft mit in die Uni nehme“, so die junge Mutter, die die Bemühungen der Hochschule und Dozenten sehr schätzt.

Dennoch ist Unterstützung in Form von etwa psychologischer Hilfe, Kinderbetreuung und weiteren Maßnahmen noch nicht an allen Universitäten die Regel. In finanzieller Hinsicht sind die jungen Eltern oftmals auf sich allein gestellt. Ein zusätzlicher Nebenjob ist meist nicht möglich, vor allem Alleinerziehende leben oft unter schwierigen Bedingungen. Hinzu kommt, dass neben den Ausgaben für den Unterhalt des Kindes und der Eltern, auch Kosten für das Studium anfallen. Um Letzteres zu entschärfen, gibt es an einigen Hochschulen bereits Projekte, wie etwa Gutscheine und Startpakete für Kinder, welche Eltern zumindest in der Anfangszeit ein Stück weit entlasten können.

„Zeit um Freundschaften zu schließen hat man kaum“

Doch nicht nur finanzielle Hilfe, auch soziale Unterstützung besitzt eine große Relevanz. Für alle Studenten ist ein soziales Netzwerk enorm wichtig, wenn sie in eine neue Stadt ziehen und einen neuen Lebensabschnitt beginnen. Doch auf regelmäßige Treffen nach den Vorlesungen, abendliche Unternehmungen oder Trips am Wochenende, müssen Studierende mit Kindern meistens verzichten. Die dreifache Mutter Wiola berichtet, dass es schwer sei, andere kennenzulernen: „Oft habe ich schon zu wenig Zeit, um beispielsweise ein gemeinsames Referat vorzubereiten. Zeit um Freundschaften zu schließen hat man kaum, es ist sehr schwer.“

Auch Ann-Kathrin erlebt dies ähnlich: „Die Kommilitonen haben nach der Vorlesung Zeit zum Lernen, sich zu treffen oder Freizeitaktivitäten nachzugehen. Sie sind freier in ihrer Zeiteinteilung, ich bin nicht mehr so flexibel.“ Einen stabilen Freundeskreis zu finden und sich zu integrieren fällt oftmals schwer, zu unterschiedlich sind die Lebensumstände und der Alltag. „Meine Kommilitonen reagieren oft bewundernd und betonen immer wieder, dass sie das nicht könnten, und haben fast Mitleid mit mir. Ich denke, weil sie sich oft selbst nicht vorstellen können, schon ein Kind zu haben. Die meisten leben einfach noch ein ganz anderes Leben, als man es als Mutter tut“, berichtet die junge Frau aus Gießen.

Es bleibt zu hoffen, dass sich sowohl gesellschaftlich, als auch seitens der Hochschulen und öffentlichen Zuständigen, die Situation für Studierende mit Familie bessert. Die drei jungen Mütter wird dies auf längere Sicht vermutlich nicht mehr betreffen. Sie sind jedoch trotz der teils schwierigen Umstände zufrieden mit ihrer Entscheidung und glücklich, sowohl in familiärer, als auch in beruflicher Hinsicht ihrem Wunsch folgen zu können. Doch anders als sie, sind viele junge Männer und Frauen durch die Vorurteile und erschwerten Bedingungen verunsichert. „Die Sorge darüber, ob ein Studium mit Kindern zu schaffen ist, ist nicht immer so leicht abzuwenden“, weiß auch die 22-Jährige Theresa. Die junge Vogelsbergerin hat den Spagat zwischen Universität und Zuhause trotzdem erfolgreich gemeistert und es nicht nur geschafft beides zu vereinbaren, sondern auch in einen positiven Einklang zu bringen: „Die Anforderungen, die das Studium an mich stellt, sind mein Ausgleich zum Mutterdasein.“

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