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Ehemaliges Restaurant wird zur Eventlocation für Kunst und KreativitätGebündelte Kreativität im alten „Gambrinus“

ALSFELD (kiri). Ein Stück Alsfelder Geschichte wird zu Weihnachten wiederbelebt: Das alte Gasthaus „Gambrinus“ – bereits 1925/26 geschlossen – öffnet wieder seine Türen. Allerdings nicht als Restaurant, sondern als Eventlocation. Gestartet wird mit einem Kurzprogramm: Traditionelle Handwerkskunst für all diejenigen, die Unikate lieben und echte Handarbeit zu schätzen wissen.

Es herrscht noch ein wenig Baustellenflair, als Silke Gischler, Sabine Klohk und Barbara Lenckowski-Schulze sich mit Reinhard Klingelhöffer in der Obergasse 4 treffen – in seinem alten Elternhaus. Auf Leitern, alten Sesseln und Hockern sitzend, werden die letzten Vorbereitungen besprochen, Ideen ausgetauscht und ein paar Anekdoten aus der Vergangenheit erzählt.

Reinhard Klingelhöffer, bekannt als ehemaliger Alsfelder Zahnarzt, gehört das wunderschöne Haus in der Obergasse, in dem früher ein interessantes Restaurant namens „Gambrinus“ beheimatet war. 1884 wurde das Haus gebaut. Geschichtsbücher Alsfelder Historiker sprechen von einem A. Hoffmann, andere von Heinrichs Kaisers Witwe, die dort das Restaurant eröffnet hätten. Wer es genau war, weiß Klingelhöffer nicht mehr, nur, dass es irgendwie in Familienbesitz kam und seitdem noch heute ist. Verschiedene Biersorten – daher auch der Name Gambrinus, der als König und Erfinder des Bieres gilt und zum Schutzherr der Bierbrauer und -trinker ernannt wurde – warme und kalte Speisen, ein kleiner Saal für Festivitäten sowie ein französisches Billard waren im Programm.

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So sieht das alte Gambrinus heute von außen aus.

Nebenan – heute das „Haus der Mode“ in der Obergasse 2 – befand sich später das Café und die Konditorei Klingelhöffer, in der Reinhards Oma Torten, Dessert und Teekuchen, Wein-Konfekt, Gefrorenes, Eisfiguren und Bonbons selbst kreierte und für Diner, Soireen, Hochzeiten, Kaffee- und Teegesellschaften warb.

Aus dem Café Klingelhöffer wurde 1962 das „Brunnen-Café“ von Hans und Herta Günther, das erste Straßencafé Alsfelds. 1979 zogen sie um und eröffneten das „Marktcafé“ im Hochzeitshaus. Ungefähr zu dieser Zeit verkaufte die Familie Klingelhöffer auch das Haus in der Obergasse 2, in dem heute die Familie Eisenach ihr Modegeschäft betreibt.

Nun, fast ein Jahrhundert nach der Schließung des „Gambrinus“, möchte der Hauseigentümer das Ladenlokal im Erdgeschoss wiederbeleben – als Eventlocation unter dem alten Namen „Gambrinus“. „Ich möchte jungen Leuten eine Bühne geben, sich selbst darzustellen, etwas auszuprobieren, etwas zu bewegen“, umschreibt Klingelhöffer seine Vision. Lesungen, Musik, Ausstellungen und vieles mehr – Künstlerisches und Kreatives sollen hier künftig ihren Platz finden. Den Laden fest zu vermieten, kommt für den 73-Jährigen nicht mehr in Frage: „Noch so reizvolle Dessous interessieren mich nicht“, nennt er ein Beispiel für eine Mietanfrage. „Das echte Leben soll hier passieren!“

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Alte Postkarten zeigen, wie die Fassade vom Restaurant Gambrinus und Café Klingelhöffer früher aussahen.

Rechtzeitig zur Adventszeit nimmt sein Vorhaben feste Konturen an. Drei Kunsthandwerkerinnen – Goldschmiedin Sabine Klohk sowie die Taschen- und Lederdesignerinnen Barbara Lenckowski-Schulze und Silke Gischler – eröffnen am 1. Dezember bis Weihnachten dort vorübergehend ein Geschäft für Handwerkkunst.

Die Idee stammt von Silke Gischler. Die gebürtige Neukirchnerin ist gelernte Lederwarenstepperin und hat sich in ihrem Heimatort – nach 18 Jahren in Portugal – eine Änderungsschneiderei aufgebaut. Dort fertigt sie auch Unikate an Taschen an, die sie unter dem Label „Querschnitt“ führt. Die Stoffe für ihre einmaligen Kunstwerke – von der Kosmetiktasche bis zum Weekender – bringt sie von ihren Urlauben und Städtereisen mit. „Ich verwende gerne außergewöhnliche Muster und Materialien – so ist auch jedes Produkt ein Einzelstück“, verrät die heute 49-Jährige.

Um Unikate handelt es sich auch bei den Schmuckstücken, die Sabine Klohk in mühevoller, filigraner Handarbeit schmiedet. Erst mit Anfang 40 hat sich die Alsfelderin als Goldschmiedin selbstständig gemacht, setzt dabei ihre eigenen Ideen um oder fertigt Auftragsarbeiten an. Mit Silke Gischler ist ihr gemein, dass auch sie neben klassischem Gold und Silber besondere Materialien – in dem Fall Steine – für ihre Designs verwendet. Dabei entstehen wunderschöne Ketten, Anhänger, Ohrringe, Ringe und Armbänder, die inzwischen schon einige Vogelsberger Damen und Herren schmücken.

Die dritte im Bunde ist Barbara Lenckowski-Schulze. In Liederbach hat die Rentnerin eine Lederwerkstatt, in der sie schon seit Jahren aktiv ist. Gürtel, Portemonnaies, Taschen und Lederschmuck fertigt sie dort an – und stimmt es individuell auf die entsprechende Größe und Passform des Käufers an. Ebenfalls in ihrem Portfolio sind beliebte Schafsfellprodukte. Ein paar Häuser weiter oben in der Obergasse, hatte sie vor Jahren mal ein Geschäft – das war vor ihrer Zeit als „ruhelose“ Rentnerin.

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Der Stadtarchivar Dr. Norbert Hansen hat folgendes gefunden: Zu einer Oberhessischen Gewerbeschau wurde ein Adressverzeichnis herauszugeben, dort ist zu lesen, dass 1895 ein Elektrogeschäft von Karl und Richard Listmann in der Obergasse 4 beheimatet war. Dies muss also noch vor der Restauranteröffnung dort ansässig gewesen sein.

Es ist das erste Mal, dass die drei Kunsthandwerkerinnen sich zusammenschließen, um gemeinsam ein Projekt zu starten. „Wir haben uns in der Vergangenheit oft auf Märkten getroffen, aber selbst etwas veranstaltet haben wir bisher nicht – das ist die Premiere!“

Den ganzen Dezember über bieten die Drei ihre „gebündelte Kreativität“ im wiedererwachten „Gambrinus“ zum Kauf an – nur Eigenprodukte, keine eingekauften Waren. Reinhard Klingelhöffer ist begeistert, und hätte sich keinen besseren Start für seine „Eventlocation“ vorstellen können: „Traditionelles Handwerk auf hohem Niveau in den Händen attraktiver Damen – was will man mehr!“

Wer neugierig ist – auf Gambrinus, die Kunsthandwerkerinnen oder bestenfalls auf beides – hat vom 1. bis 24. Dezember 2016 Zeit, sich jeweils donnerstags bis samstags von 10 bis 18 Uhr bzw. samstags bis 16 Uhr in dem Kunsthandwerkladen umzuschauen und bei einer Tasse Tee, sich auch etwas über Haus, Handwerk und Geschichte erzählen zu lassen.

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Ein Gedanke zu “Gebündelte Kreativität im alten „Gambrinus“

  1. Man muß beachten, das früher die Nummerierung der Alsfelder Häuser anders war, die Hausnummern der Obergasse gingen z.B. bis in den 180er Bereich.
    Falls es damals schon die Nr. 4. war, wären die Nachbarhäuser 1906 folgende gewesen:
    Willy Obermann Konditor Obergasse 5
    Karl Duchardt Metzger Obergasse 6
    Im Alsfelder Adressbuch 1906 konnte ich bislang keinen Eintrag für die Obergasse 4 finden,

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