Gesellschaft0

Kolumne "Rike's Report" am Samstag: Konditionierung á la Pawlow - das Bonuspunkte-SammelsystemBlenden Gaben weiser Leute Augen?

Ich bin abhängig. Von Kaffee. Und Büchern. Und leider auch von Schokolade. Jeder Mensch hat Dinge, die er braucht, die ihn in den Bann ziehen, von denen er nicht loskommt. Dinge, auf die er nicht verzichten möchte, die er sich nicht schlechtmachen oder ausreden lässt. Manchmal ist das Ding ein Mensch. Manchmal ist das Ding nur ein Ding. Und manchmal äußert sich dieses Ding, in zwei Dutzend verschiedenen Möglichkeiten zum Bonuspunkte sammeln.

Seit Ewigkeiten weiß ich: Ich liebe Sachen, die gratis sind. Socken von Oma, Süßes vom Opa, Bonbons aus der Apotheke, Taschentücher an der Supermarktkasse, Kondome aus dem Krankenhaus – ich nehme immer alles mit, sacke ein, was geht. Bereits getragene Klamotten von meinen Schwestern, Bücher, die mit der Aufschrift „Zum Mitnehmen“ vor Buchläden einsam ihr Dasein fristen, kleine Hautcremepröbchen aus dem Drogeriemarkt. Einzige Voraussetzung: Ich könnte es eventuell irgendwann möglicherweise mal gebrauchen. Oder jemand den ich kenne. Denn einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul, richtig?

Eine besondere Leidenschaft habe ich inzwischen für Gratis-Kaffee entwickelt, den ich gerne mit einem Gratis-Apfelstrudel oder einer Gratis-Zimtschnecke genieße. Ich habe nämlich herausgefunden: Wenn man nichts bezahlen muss, schmeckt es besser. Und wie es der Himmel so will, haben sich schlaue Menschen etwas ganz Tolles für Leute für mich einfallen lassen: das Bonuspunkte-Sammelsystem. Hurra!

Um ein besseres Bild meiner Passion zu schaffen, habe ich mein Portemonnaie geplündert: Das Kleingeld ab in das pinke, ewig hungrige Sparschwein mit silberner Prinzessinnenkrone auf dem Kopf und die Karten auf den Tisch. Und siehe da: Acht Stempelkarten von Bäckereien in der Nähe für Kaffee und Backwaren sowie drei für verschiedene Restaurants und Imbissstände. Eine Bonuskarte für meinen Lieblingsbuchladen und eine für das Kinocenter vor Ort. Außerdem zwei Kundenkarten von Friseursalons, eine für das Tattoo-Studio meines Vertrauens und drei für verschiedenste Modeläden.

Hinzu kommt natürlich die Königin der Bonuspunkte: die ‚PayBack-Karte‘. Macht summa summarum zwanzig Plastikkarten und Papierkärtchen in meiner Geldbörse, mit denen ich Bonuspunkte sammle. Plus vier Apps auf meinem Handy, die demselben Zweck dienen. So genau hatte ich bisher dann doch noch nicht hingeschaut. Und ich gebe zu: Ich war schockiert! Allerdings nur für wenige Sekunden.

Ich kann mir vorstellen, dass jetzt viele denken: Um Himmels willen, was ist denn bei der guten Frau los? Das ist doch nur Kundenhascherei, Konditionierung, Kontrolle des Kaufverhaltens. Und das stimmt: Ein Haufen Umfragen und Studien diesbezüglich haben ergeben: Die Menschheit lässt sich manipulieren. Nichts Neues, oder? Und ich gehöre dazu. Brauche ich eine neue Handcreme, was bei dem Wetter fast wöchentlich der Fall ist, schaue ich erst einmal: Gibt es bei dm vielleicht zur Zeit ‚Extra-PayBack-Punkte‘ auf hauseigene Produkte? Bin ich in der Stadt unterwegs und benötige Koffein, steuere ich garantiert die Bäckerei meines Vertrauens an. Die passende Stempelkarte stets im Gepäck, das geschenkte Rosinenbrötchen lasse ich mir bei der Gelegenheit gerne mit eintüten. Schreien Geist und Körper am Abend nach mehr Schokolade, dann bezahle ich statt einer Tafel gerne drei, wenn ich dafür vier mitnehmen darf.

Bild Kolumne Punktesammeln

Der Grund, wieso mich dieses System so begeistert, ist nicht nur, dass es mir einfach Spaß macht etwas zu sammeln. Im Mittelpunkt steht der eigene Nutzen: Ins Kino gehe ich leidenschaftlich gerne und sooft es mein Geldbeutel zulässt. Parallel sammle ich bei jedem Besuch Punkte. Die kann ich dann einlösen: für Gutscheine, für Hörspiele, für einen Bausatz der U.S.S. Enterprise NCC-1701 aus „Star Trek“. Nie würde ich auf die Idee kommen, mich mit Popcorn in den roten Plüschsessel zu kuscheln und einen Film zu schauen, den ich nicht sehen will, nur um zu punkten. Aber wenn ich schon mal da bin?

Ähnlich verhält es sich mit meiner Exzessiven, nicht enden wollenden, alles verzehrenden Liebe zu Büchern. Obwohl ich meistens aus umwelttechnischen und geldbeutelschonenden Gründen gebrauchte Schmöker kaufe, gibt es für mich nichts Schöneres, als in einem Buchladen zu stehen. Mit Kugelschreiber und Zettel bewaffnet kämpfe ich mich durch unzählige Regalreihen, inspiziere die Klappentexte und erweitere meine ellenlange Liste von Romanen, Klassikern und Geschichten, die ich unbedingt haben muss. Und auch hier heißt es: Punkten, punkten, punkten. Inzwischen habe ich als Prämie für mein fleißiges Leserattendasein einen 20-Euro-Gutschein auf meinem Kundenkonto. Was will ich mehr?

Und falls ich Sie immer noch nicht überzeugt habe und um nun auch die letzten quakenden „Ist doch alles Kunden für dumm verkaufen“-Kröten zum Schweigen zu bringen: Ich weiß, dass ich manipuliert werde. Statt zwei kaufe ich drei und aus fünf wird sechs. Aber der springende Punkt ist: Ich weiß, dass ich mich manipulieren lasse. Was meiner Meinung nach im Umkehrschluss gar keine Manipulation ist. Im Gegenteil: Ich kaufe, was ich möchte, und bekomme dafür etwas geschenkt. Und was ich ohnehin nicht brauche, kommt mit erst gar nicht in die Tüte.

Ein deutsches Sprichwort sagt „Durch Geschenke kommt so manches Weib zu Schand‘ an ihrem eignen Leib“. Oder auch sehr beliebt: „An einem geschenkten Gaul ist immer etwas faul.“ Ich für meinen Teil berufe mich aber lieber auf den Satz „Gaben blenden weiser Leute Augen“ und auf Euripides Zitat „Geschenke locken, heißt´s, die Götter selbst“. Denn solange ich eine weise Göttin bin, die am Ende des Jahres beim Kaffeetrinken aufs Haus in ihrem Buch für umme blättern darf, bin ich rundum zufrieden.

Gutes Punkten!

Ihre Rike

Schreibe einen Kommentar

Bitte logge Dich ein, um als registrierter Leser zu kommentieren.

Einloggen Anonym kommentieren