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Besuch in der Greifvogelwarte Ermenrod – Inzwischen 70 Tiere und regelmäßige Flugschauen – Von der Freude an der Pflege bedrohter GreifvogelartenDie Freundschaft zum Vogel ist eher einseitig

ERMENROD. Man könnte meinen, wenn Michael Simon Unterhaltung möchte, dann braucht er sich nur vor die Volieren zu stellen: Vielstimmiges Krächzen, Pfeifen und Uhuuen der gefiederten Bewohner empfängt ihn; zu jedem Vogel fällt ihm ein Kommentar ein. Michael Simon ist Falkner der Greifvogelwarte in Ermenrod und mit den Vögeln in seiner Obhut sichtlich vertraut. Dennoch ist das Verhältnis zwischen Mensch und Federvieh ein brüchiges, wie gerade der Steppenadler „Griffin“ beweist: Der flog davon, und ob er wiederkommt, ist ungewiss. Der Falkner bedauert: „So etwas kommt leider vor.“

„Griffin“ ist einer von über 70 Greifvögeln in der Greifvogelwarte in Ermenrod. Seit der Berufsfalkner Michael Simon die Anlage vor fast fünf Jahren eröffnete, sind die Bauten entlang der B49 in dem Feldataler Dorf jedes Jahr ein Stück gewachsen: Neue Volieren entstanden an dem Hang am Rande des Dorfes, Wege und Verpflegungsstände für die zahlreichen Besucher bei Vorführungen und Flugschauen.

Und siehe da: Weder die Adler „Susi“ und „Polly“ noch der Schopfkarakara „Punky“, der Star jeder Show, nutzen die Gelegenheit der Flugvorführungen, sich mit weiten Flügelschwüngen kurzerhand aus dem Staub zu machen. Das ist das Ergebnis intensiver Arbeit mit den Vögeln, erklärt Michael Simon. Dabei entsteht ein  gewisses Maß an Vertrautheit. Der 27-Jährige relativiert aber selbst die Vorstellung von Freundschaft: „Die geht also eher von uns Menschen aus.“

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Gemeinsam Bewohner einer der Volieren: Der Kanada-Uhu „Frodo“ (unten) lebt mit acht Flecken-Uhus zusammen. Er gibt gerne Töne von sich – die kleineren Vögel sind eher still.

Eine Uhu-Dame namens „Grimhilde“

Freundschaft mit dem zum Teil mächtigen Federvieh fängt bei Michael Simon offenbar mit der Namensgebung an. Ob majestätischer Steinadler, wuchtiger Uhu oder weise Eule: In der Warte bekommen sie eher Namen, die nach lustig klingen – dabei oft gar nicht soweit her geholt erscheinen. Bei der großen Uhu-Dame „Grimhilde“ zum Beispiel weiß der Besucher recht schnell, woher der Name kommt: Ihre grimmige Miene ruht zentnerschwer auf dem Betrachter. Kein  Wunder, dass ihr männlicher Partner in spe, genannt „Bärchen“, sich mit geblähtem Kehlsack und Serien von „Uhu-Rufen“ mächtig ins Zeug legen muss, um sie zu becircen. In die Voliere kann er jetzt nicht rein, weiß der Falkner: „Bärchen“ ist gestresst und würde ihn wahrscheinlich attackieren.

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Die Anlage am Rande von Ermenrod ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen.

Da ist auch der junge, fast ausgewachsene und somit imposant erscheinende Steinadler, dessen Augen höchst wachsam jede Bewegung jenseits des Maschendrahts verfolgen. Nach majestätischem Gleiten über steinernen Abgründen sieht er aus, aber sein Rufname „Polly“ hat etwas von Küchenklatsch unter Kassiererinnen. Und ob sein Nachbar aus der asiatischen Weite weiß, dass sein Name eine Persiflage auf ruhmreiche Geschichte ist?  „Dsching pieps kahn“ nennt Michael Simon den Steppenadler. „Meistens sage ich nur ‚Pieps‘!“ So klinge er nämlich. Der 3,5 Kilogramm schwere Kanada-Uhu „Frodo“ nebenan hat seinen Namen auch nicht, weil er den verhängnisvollen Ring vernichtet hat – sondern wegen der großen buschigen Füße. „Da dachte ich an die Hobbits.“ Michael Simon ist ein Freund des trockenen Humors.

Den Vögeln scheint es nichts auzumachen, dass sie auf die Weise ein wenig verulkt werden. Bei den regelmäßigen Flugschauen drehen sie luftige bis rasante Runden über dem Gelände und landen doch am Ende wieder auf dem Handschuh von Michael Simon – über seltsame Namen kichert dann eher das zweibeinige Publikum. Wohl, weil der Chef sich genug um seine Stars kümmert, dass alle nach ihren Bedürfnissen versorgt werden. Das merkt auch der Adler: Der Menschen da unten tut mir gut, da gibt es Futter und Sicherheit, dahin kehre ich zurück. Und die Käfige, in denen die Vögel ihre Freizeit verbringen, sind auch noch doppelt so groß wie vom Gesetzgeber gefordert – wozu flüchten? Längst ist bekannt: Die Vögel werden in Gefangenschaft doppelt so alt wie in freier Wildbahn.

Greifvogelwarten als Genpool für bedrohte Arten

Längst haben Greifvogelwarten wie jene in Ermenrod, die rechtlich gesehen übrigens als Zoo eingeordnet ist, auch die Funktion, den Genpool dieser so großen wie manchmal seltenen Vögel zu erweitern. Mensch und seine Ausbreitung haben viele große Greifvögel ihn der freien Wildbahn bis an die Ausrottung dezimiert: „Ohne die menschliche Haltung würde es viele Arten nicht mehr geben!“, stellt Michael Simon fest. Für ihn gibt es einen deutlichen Zufriedenheitsindikator unter seinen Vögeln: Sie pflanzen sich fort. „Dafür müssen sie sich schon wohlfühlen. Einfach ein  Männchen und ein Weibchen zusammen zu stecken, das funkioniert nicht“.

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Auch das gehört zur Einwohnerschaft der Greifvogelwarte: das Frettchen „Franz“, das zusammen mit „Sissi“ Kaninchen aus dem Bau treibt – vor die Fänge der großen Greifvögel. Dass diese domestizierten Räuber Albinos sind, ist kein Zufall: So unterscheiden sie sich von der Beute.

Werden befruchtete Eier bebrütet, herrscht Ausnahmezustand in Teilen der Warte – vor allem bei den Adlern. Die sind eher störungsempfindlich und brüten in einer abgeschiedenen Ecke. Wirkliche Feinde brauchen sie in ihrer Greifvogelkolonie ja gar nicht zu fürchten. Füchse müssten eher selbst Angst ums Leben haben, wenn sie zur falschen Zeit die Wege der Adler und Uhus kreuzen. Aber Waschbären können mächtig Unruhe stiften. Weil sie klettern können, und auch weil sie es schaffen, auf der Suche nach Fressbarem die Zäune aufzuknacken. Fliegt ein erschrockener Adler dann gegen die Wand, kann er sich schwer verletzen, erzählt Michael Simon.

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Miteinander vertraut: der Falkner und die Adler-Dame „Susi“.

Er ärgert sich nun über den „Unfall“ mit dem verschwundenen „Griffin“. Da zeige sich dann doch die Distanz zum Vogel, erklärt er: „Für ihn bin ich eben nützlich!“ Wahrscheinlich hat eine Windböe den Vogel gerade so über die Kuppe des Hügels gepustet – und dann galt: Aus den Augen aus dem Sinn. Manchmal reicht eine kleine Störung – wie in einem anderen Fall ein hupendes Auto –  und ein Adler ist auf Nimmerwiedersehen weg. „Da ist dann viel Arbeit umsonst gewesen, die man in so einen Vogel gesteckt hat“, meint der Falkner. 100 Euro Belohnung hat er deshalb für Hinweise auf den Verbleib des Tieres ausgesetzt. Er weiß immerhin: „Griffin“ kann in der deutschen Wildnis überleben. Der Vogel ist nämlich größer und schwerer als örtliche Greifer. Dann macht er es wie „zuhause“ in der Natur: Er lässt jagen und stiehlt das Futter.

Von Axel Pries

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