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Sparkasse Oberhessen blickt auf das Jahr zurückGute Zahlen in schwierigen Zeiten

VOGELSBERG (ol). Das Jahr 2020 wird als Jahr der Extreme in die Geschichte eingehen: eine extreme Pandemie, Lockdowns des öffentlichen Lebens, extreme Kursbewegungen und Konjunktureinbrüche, extreme Rettungsmaßnahmen durch Notenbanken und Regierungen – dennoch kann die Sparkasse Oberhessen eine positive Bilanz ziehen.

Die vollen Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft werden schrittweise spürbar, aber erst in den nächsten Jahren ihren vollen Umfang erreichen, schreibt die Sparkasse Oberhessen in ihrer Pressemitteilung. „Wir freuen uns, dass wir auch – oder gerade – für dieses besondere Jahr 2020 gute und solide Zahlen vorlegen können“, brachte Vorstandsvorsitzender Frank Dehnke zusammen mit seinen beiden Vorstandskollegen Thomas Falk und Roman Kubla das Ergebnis der Sparkasse Oberhessen auf den Punkt. „Als gute Kaufleute wissen wir aber auch: Wir müssen rechtzeitig vorsorgen und unser Geschäftsmodell an die neuen Gegebenheiten stetig anpassen: Stichworte sind hier die Digitalisierung und aber auch die Niedrigzinspolitik, die beide durch die Corona-Krise weiter Fahrt aufnahmen.“

Zu Beginn der Pandemie stand für die Sparkasse Oberhessen als systemrelevantes Unternehmen zunächst die Liquiditätsversorgung und die Sicherstellung des Zahlungsverkehrs im Vordergrund. Schnell wurden aber die Nöte und Sorgen der Menschen zum Hauptthema: Es galt, individuelle Lösungen zur Sicherung der Liquidität oder Kompensation der Umsatzeinbußen zu finden. Allein mit den gewerblichen Kunden wurden über 3.000 Beratungsgespräche geführt. Neben der Vermittlung von Soforthilfen des Bundes und der KfW half die Sparkasse in den meisten Fällen mit eigenen Mitteln, heißt es weiter.

„Ohne großen bürokratischen Aufwand erweiterten wir Kreditlinien, stellten zusätzliche Liquidität bereit oder pausierten die Tilgung für bestehende Kredite. Zusätzlich haben wir zur Unterstützung ein eigenes Kreditprogramm aufgelegt, mit dem Firmen schnell bis zu 50.000 Euro erhielten“, erläuterte Thomas Falk, stellvertretender Vorstandsvorsitzender. Auch innerhalb der Sparkasse wurde einiges neu organisiert: Um die volle Funktionsfähigkeit auch bei pandemiebedingten Personalausfällen gewährleisten zu können, wurden die Teams räumlich getrennt und flexible Homeoffice-Lösungen geschaffen. 1/3 der Belegschaft arbeitet aktuell ganz oder teilweise von zu Hause aus.

Positive Bilanz trotz Pandemie

Erstmals steht laut Pressemitteilung bei der Sparkasse Oberhessen bei der Bilanzsumme eine „fünf“ vor dem Komma. Sie stieg um 12,46 Prozenz auf ein neues Rekordniveau von 5,49 Milliarden Euro. „In vielen Geschäftsfeldern sind wir signifikant gewachsen. Andere bewegen sich auf dem guten Vorjahresniveau“, so Dehnke. Besonders das gewerbliche Kreditgeschäft boomte. Aber: Der Bilanzgewinn nach Steuern ging um 20 Prozent auf jetzt acht Millionen Euro zurück. „Das ist immer noch sehr gut, wenn man bedenkt, dass allein der Zinsüberschuss, unsere Haupteinnahmequelle, um 3,6 Millionen Euro auf 72,5 Millionen Euro zurückging“, fasste der Sparkassen-Chef zusammen.

„Im gewerblichen Bereich haben wir noch keinen einzigen coronabedingten Kreditausfall bzw. eine Insolvenz verzeichnet“, berichtete Vorstandsmitglied Roman Kubla. Insgesamt wurden 2020 rund 26,4 Millionen Euro staatlicher Corona-Förderprogramme der KfW und WI-Bank an heimische Unternehmen ausgezahlt. Weitere staatliche Hilfen wurde unkompliziert und schnell durchgeleitet. Zudem gab es ein eigenes Corona-Sonderkreditprogramm. Bei insgesamt 2.181 Krediten (1.719 Privatkredite und 462 gewerbliche Kredite) mit einer Gesamtdarlehnssumme von über 244 Millionen Euro wurde unbürokratisch die Aussetzung der Zins- und Tilgungszahlungen gewährt.

Kreditnachfrage weiterhin hoch

Das Neugeschäft bei gewerblichen Krediten sei mit 32 Prozent Zuwachs auf 341,7 Millionen Euro deutlich gestiegen. Insgesamt nutzen mit 1,656 Milliarden Euro die heimischen Firmen rund 134 Millionen Euro mehr, um ihre Unternehmensentwicklung zu finanzieren. „Ein neuer Höchststand“, resümierte Kubla. Einen wahren Boom verzeichnete die Sparkasse bei Krediten zu Erneuerbaren Energien. Diese stiegen insgesamt um 560 Prozent.

Die Auswirkungen und Konsequenzen der Niedrigzinsen seien in den Köpfen der Sparer und Anleger mittlerweile fest verankert. Aufgrund der pandemiebedingten Unsicherheiten stieg die Sparquote im vergangenen Jahr auf 16,2 Prozent. Insgesamt 7,1 Billionen Euro, so viel wie nie zuvor, haben die Bundesbürger auf der hohen Kante. Dementsprechend sind die Kundeneinlagen bei der Sparkasse Oberhessen nach dem Spitzenwert 2019 nochmals um rund 500 Millionen Euro oder 13 Prozent mehr auf über 4,3 Milliarden Euro angewachsen.

In digitalen Ansprüchen ausgezeichnet

Trotz der Fülle an neuen Herausforderungen hat die Corona-Krise auch einige Chancen eröffnet: Vor allem das Thema Digitalisierung hat einen Schub in allen Facetten bekommen. Die Sparkasse Oberhessen hatte hier in den letzten Jahren bereits viele Anstrengungen unternommen und als Überall-Finanzdienstleister intensiv in digitale Lösungen investiert. Daher ist der gesamte Sparkassen-Vorstand besonders stolz auf gleich drei Auszeichnungen:

Erstmals testierte das renommierte Deutsche Institut für Bankentests in Zusammenarbeit mit „Die Welt“ die besten Banken und Sparkassen auf dem Gebiet des digitalen Bankings, heißt es weiter. „Wir schnitten hier mit der Bestnote „sehr gut“ ab. Zudem testete Finanztest die Banking-Apps: Testsieger wurde die Sparkassen-App in der iOS-Version. Die Android-Version gehört ebenfalls zu den Besten und belegte den zweiten Platz. 43.461 Kunden der Sparkasse Oberhessen haben die Apps auf ihrem Smartphone, ein Plus von 20 Prozent“, so Thomas Falk.

Digitale Bezahllösungen, Banking von zu Hause aus per Online-Banking, Sparkassen-App, Telefon, Berater-Chat, Mail oder WhatsApp waren bedingt durch die verschiedenen Corona-Maßnahmen enorm gefragt. Falk nannte hier Beispiele: Zu Beginn der Corona-Krise verdreifachten sich die Neuanmeldungen für das Online-Banking. Die Online-Banking Quote bei Privatkonten stieg auf 66,2 Prozent die Quote im gewerblichen Bereich stieg auf über 90 Prozent.

Trend zum bargeldlosen Bezahlen nimmt zu

Bereits seit einigen Jahren steigt der Trend zum bargeldlosen Bezahlen stetig an. Dieser Trend hat sich durch die Corona-Krise deutlich gesteigert, denn die elektronischen Bezahllösungen sind nicht nur praktisch und sicher, sondern auch gerade beim kontaktlosen Bezahlen hygienischer. 16 Prozent verzichten dafür sogar komplett auf Bargeld. Gegenüber dem Vorcorona-Jahr 2019 ging 2020 die Nutzung der Geldautomaten um 18,7 Prozent zurück – 727.405 weniger Barabhebungen.

Einen besonderen Schub bekam das kontaktlose und damit hygienische Bezahlen mit Karte oder Smartphone. Im Juli 2019 waren es bei der Sparkasse Oberhessen 270.000 kontaktlose Bezahlvorgänge mit der Sparkassen-Card, im Juli 2020 waren es mehr als doppelt so viele: knapp 570.000 Vorgänge. Als eines der ersten Institute überhaupt bot die Sparkasse das Bezahlen mit Girocard (Sparkassen-Card) und Apple Pay an. Hier versechsfachten sich die Nutzungszahlen nahezu in 2020.

Besonders gefragt waren letztes Jahr die kontaktlosen und digitalen Zugangswege zur Sparkasse per Telefon zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des KundenServiceCenters und digitaler Beratung im OnlineBeratungsCenter: Über 250.000 Telefonate – dies entspricht einem Plus von gut zehn Prozent – wurden in 2020 hier geführt. Thomas Falk betonte: „Unser KundenServiceCenter gibt es bereits seit vielen Jahren. Demnach konnten wir auf eine fundierte Expertise zurückgreifen, um unseren Kundinnen und Kunden auch telefonisch, per Text-Chat und über WhatsApp während des schwierigen und ungewissen Pandemieverlaufs kompetent zur Seite zu stehen. 27 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stehen hier für Anfragen von montags bis freitags zwischen 8 und 20 Uhr zur Verfügung.“

Auch die digitale Rundumberatung im OnlineBeratungsCenter, die wie eine persönliche Beratung vor Ort, eben nur digital stattfindet, wurde stark nachgefragt: Durchschnittlich zehn Beratungen täglich per Screen-Sharing, Co-Browsing und Videoberatung wurden hier von drei festen Mitarbeiten durchgeführt. „Diesen Bereich werden wir zukünftig weiter ausbauen, da immer mehr Kunden nach dieser komfortablen und ortsunabhängigen Beratung nachfragen“, so Falk.

Fachkräfte und Auszubildende gesucht

Nach wie vor sucht die Sparkasse Oberhessen qualifizierte Berater und Auszubildende. Zwar arbeiten mit 864 Menschen (inklusive 69 Auszubildenden und dualen Studenten) 10 Personen weniger als noch vor einem Jahr bei der Sparkasse, dies ist jedoch auf Altersteilzeitregelungen zurückzuführen. „Wir bieten für den Nachwuchs gute Zukunftsperspektiven und suchen aktuell 25 Auszubildende und duale Studenten, die bei guter Leistung ein garantiertes Übernahmeangebot erhalten – die aber auch bereit sein müssen sich regelmäßig fortzubilden“, warb Frank Dehnke um neue Auszubildende. In Fortbildungen investierte die Sparkasse viel Zeit: 18.432 Stunden waren es 2020.

Auch in der Corona-Krise ist sich die Sparkasse Oberhessen ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst: Mit einem Gesamtbetrag von 506.106 Euro wurden 963 Projekte gemeinnütziger Vereine und Einrichtungen durch Spenden und Sponsoring unterstützt und ermöglicht. „Für Vereine und Institutionen, die besonders von den Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffen sind, haben wir ein Sonderförder-Programm aufgelegt“, betont Dehnke: 50.000 Euro gab es bei „Ein Herz für Helfer“ für soziale Projekte in der Krise. „Hier haben wir an 100 Vereine ausgeschüttet. 50.000 Euro gingen über die Stiftung der Sparkasse Oberhessen an die Tafeln im Wetteraukreis und im Vogelsbergkreis. Die Corona-Sonderförderungsprogramme werden dieses Jahr weiter ausgeweitet.“

Ausblick 2021

„Die Corona-Pandemie hat unsere Gesellschaft schlagartig verändert und spürbare wirtschaftliche sowie gesundheitliche Auswirkungen hinterlassen, dadurch aber auch neue Chancen eröffnet. Die Sparkasse Oberhessen hat sich im vergangenen Jahr einmal mehr als krisenfester Partner für die Kundinnen und Kunden, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und für die ganze Region erwiesen“, Frank Dehnkes Dank ging an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für ihr Engagement in diesen schwierigen Zeiten und an alle Kundinnen und Kunden für das Vertrauen.

„Wir alle wissen: Vor uns liegt ein weiteres Jahr voller Herausforderungen und offener Fragen. Auch 2021 werden die Corona-Pandemie, die weiter anhaltenden Einschränkungen und die damit verbundenen wirtschaftlichen Einbußen im Leben der Privat- und Firmenkunden der Sparkasse den Takt vorgeben“, meinte Dehnke. Die Stabilität vieler Wirtschaftszweige werde leider weiter auf die Probe gestellt.

Weiter heißt es, die Sparkasse hat lange gewartet und die negativen Zinsen für ihre Kunden getragen. „Nun haben wir als verantwortungsbewusste Kaufleute nochmals alle Alternativen geprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass wir die uns in Rechnung gestellten negativen Zinsen für bestimmte Kunden nicht mehr in unbegrenzter Höhe übernehmen können. Wir führen daher zum 1. März 2021 hohe Freibeträge von 100.000 Euro pro Person für Sichteinlagen (Girokonto, Tagesgeld) und weiteren 10.000 Euro für Spareinlagen (Sparbuch) ein. Für juristische Personen (Firmen) haben wir den Freibetrag auf 250.000 Euro erhöht“, erläuterte Dehnke und betonte, dass diese Einführung 95 Prozent der Kunden gar nicht betreffen werde. Für Einlagen über diesen Freibeträgen werden zukünftig die Negativzinsen der EZB in Höhe von derzeit -0,5 Prozent berechnet.

Als Vertreter der beiden Eigentümer, der Landkreise Wetterau und Vogelsberg, zeigten sich der Vogelsberger Landrat Manfred Görig und der Wetterauer Landrat Jan Weckler zufrieden mit den Zahlen und der Stärke der Sparkasse in der Corona-Pandemie: „Seit Jahren ist die Sparkasse Oberhessen ein verlässlicher Partner für die Menschen in der Region und die heimische Wirtschaft. Das hat sie in der Corona-Pandemie wieder unter Beweis gestellt: Ich bin froh, eine wirtschaftlich starke und gesunde Sparkasse zu haben, die sicher durch die Untiefen der Corona-Pandemie steuert und die Menschen und Unternehmen vor Ort mitnimmt“, so Landrat Görig, der Verwaltungsratsvorsitzender ist.

Auch Landrat Jan Weckler zeigt sich zufrieden und lobte das Förderengagement der Sparkasse Oberhessen mit ihrem 100.000 Euro Corona-Sonderförderprogramm 2020. „Ich freue mich besonders, dass diese Hilfen auch 2021 wieder fließen werden und sogar ausgebaut werden“. Derzeit können sich heimische Schulen auf Mittel aus einem 50.000 Euro starkem Förderprogramm bewerben. Zusätzlich wird die Sparkasse weitere 60.000 Euro aus Mitteln der Stiftung und der allgemeinen Förderung für Vereine im Rahmen einer weiteren Corona-Sonderförderung mobilisieren. Das Programm starte in Kürze für Vereine, die durch Corona auch dieses Jahr besonders betroffen sind. „Es gehen also 2021 nochmals 110.000 Euro an Corona-Sondermitteln in die Region. Das ist eine gute Sache“, so Weckler.

Ein Gedanke zu “Gute Zahlen in schwierigen Zeiten

  1. Anbei ein interssantes Interview mit dem Finanzexperten Tenhagen

    Als sei es nicht genug gewesen, dass etliche Banken nach Ausbruch der Finanzkrise durch Steuergelder gerettet werden mussten, ohne die Schuldigen zu Rechenschaft zu ziehen, müssen die Steuerzahler, diesmal als Bankkunden, immer mehr Nebenkosten berappen, und das selbst für die grundlegendsten Dienstleistungen.
    Die Berichte über das Vorgehen der Post, die Kunden zum Web Banking drängen will, sowie der (berechtigte) Aufschrei über die Benachteiligung der älteren Kunden, bilden allerdings nur die Spitze des Eisbergs. Sicherlich kann man die Digitalisierung nicht stoppen, und sie hat auch Vorteile. Nur geht es in diesem Fall den Banken (und nicht nur der Post) um simple Profitmaximierung auf Kosten der Bürger, insbesondere der Ärmeren. Grundsätzlich ist das eine absolute Frechheit. Nicht nur können Banken durch Web Banking Ausgaben sparen (das den Betroffenen nicht einmal zugutekommt), sondern muss man nun immer mehr für vorher kostenfreie Dienstleistungen bezahlen, die ja sonst nie den Banken angebliche finanzielle Schwierigkeiten bereitet haben. Zusätzlich entsteht das Risiko, dass der Kunde doppelt bezahlen muss: für die schriftliche Überweisung, zuzüglich weiterer Unkosten für die Transaktion selbst. Gut betuchten Kunden mag dies ja schnurzpiepegal sein, für jene mit einem bescheidenen Vermögen schmerzt es allerdings umso mehr. Längerfristig geht es den Banken auch darum, Arbeitsplätze abzubauen und Filialen zu schließen.
    Wann wird es ein Ende dieser dreisten Praxis der Banken geben. Hier muss auch der Staat und die Europäische Union klare Regeln setzen: Kunden, die kein Web Banking benutzen, dürfen nicht benachteiligt und diskriminiert werden. Zumindest sollten kleine Transaktionen oder Kunden mit einem geringeren Vermögen von den Kosten befreit werden. Und anstatt dass die Banken ihre Klientel bestrafen, weil sie etwas nicht tut, sollten sie umgekehrt den Nutzern des Web Banking die gesparten Unkosten (weniger Papier, damit auch umweltfreundlicher) gutschreiben. Aber den profitgeilen Finanzinstitutionen würde das ja im Traum nicht einfallen.

    Anbei ein interssantes Gespräch mit dem Finanzexperten Tenhagen

    Verwahrentgelte sind ein Armutszeugnis“

    Stand: 13. Oktober 2020, 12:31 Uhr

    Für Sparer sind es harte Zeiten: Manche Banken haben bereits Negativzinsen erhoben, viele diskutieren darüber. Wir haben Finanzexperten Hermann-Josef Tenhagen gefragt, was er davon hält und zu welchen Sparanlagen er rät.
    Brennende Geldscheine
    Negativzinsen lassen das Ersparte schrumpfen. Bildrechte: imago/Christian Ohde

    Etwa 140 Banken in Deutschland erheben Negativzinsen, wie bewerten Sie das?

    Hermann-Josef Tenhagen: Für den Normalkunden kann es sowas wie Verwahrentgelte eigentlich nicht geben. Das ist ja der Sinn der Bank: Ich trage mein Geld zur Bank und die Bank findet dann jemanden, der dieses Geld gut brauchen kann – es wirtschaftlich einsetzt, eine Rendite damit macht. Derjenige zahlt der Bank Zinsen und ich kriege etwas von den Zinsen ab.

    Dann kann man immer noch Verständnis dafür haben, dass die eine oder andere Bank sagt: ‚Da kommt jetzt einer mit 500.000 Euro, der nicht weiß, wohin damit. Der könnte ja auch eine Entscheidung treffen, selber etwas zu investieren. Der will die jetzt bei uns abladen – und das können wir als kleine Volksbank oder Sparkasse nicht leisten.‘
    Centstücke auf Geldkarten.
    Verivox: Diese Banken erheben Negativzinsen

    Das ist für Sie ein Armutszeugnis?

    Ja, Verwahrentgelte sind ein Armutszeugnis, weil sie sagen: Die Bank kommt ihrer Kernfunktion – nämlich: das Geld von Leuten, die gespart haben, da hinzubringen, wo das Geld vernünftig eingesetzt wird – nicht nach.

    Es werden ja trotzdem die Argumente wiederholt: Die Banken können kein Geld mehr verdienen. Was halten Sie davon?

    Also, nein, wenn die kein Geld mehr verdienen könnten, dann hätten sie in ihren Jahresbilanzen 2018 und 2019 ordentlich geschummelt. Die sagen nämlich: ‚Wir haben ziemlich viel Geld verdient‘. Das Zweite ist, wenn man sich dann die Gehälter, insbesondere die Gehaltsstruktur, in den Spitzen dieser Banken anguckt, da verdient ja keiner weniger als die Bundeskanzlerin. Die können Geld verdienen, die sollen sich darum kümmern, wie man dieses Geld vernünftig einsetzt. Und sie sind auch dazu da, dass die Kunden etwas davon haben. Im Übrigen: Bei der Europäischen Zentralbank (EZB) müssen die Banken dieses Jahr weniger Strafzinsen zahlen als letztes Jahr. Warum sie jetzt auf einmal mehr Strafzinsen von ihren Kunden wollen, erklärt sich dadurch auch nicht.

    Geht es ums Abkassieren der Kunden oder ist das eher eine Abwehrhaltung?

    Es ist vor allen Dingen ein Stück Fantasielosigkeit: Weil man den Kunden offenbar nicht Produkte verkaufen kann, mit denen sie vernünftig ihr Geld investieren. Ich verstehe nicht, warum wir in Deutschland keine Bank oder Bankengruppe, die etwa den norwegischen Staatsfonds nachbaut. Die Norweger legen seit 20 Jahren ihr Geld in einem Staatsfonds an – für die Altersvorsorge, für ihre Bewohner. Das machen sie sehr erfolgreich mit sehr niedrigen Kosten für die Kunden.

    Hermann-Josef Tenhagen von Finanztip
    Hermann-Josef Tenhagen ist der Chefredakteur des Geld-Ratgebers Finanztip. Bildrechte: Finanztip

    Stattdessen werden in Deutschland häufig immer noch Fonds verkauft, die sehr viele Gebühren haben und für den Kunden unattraktiv sind. Und häufig noch in einer Konstellation, wo der Kunde feststellt: ‚Ich habe gar keine Rendite bekommen. Da ist die Börse um 30 Prozent raufgegangen, bei mir ist nichts angekommen‘. Und dann sagt man den Leuten auch nicht: ‚Börse ist nicht etwas für drei Tage oder drei Wochen oder drei Monate, Börse ist etwas für 15 Jahre‘. Wenn man über lange Jahre an der Börse Geld anlegt, dann ist das Geldanlage. Wenn ich das für drei Wochen mache, dann ist das Glücksspiel.

    Die meisten Banken erheben Negativzinsen erst ab hohen Freibeträgen.

    Das ist natürlich schon ein Problem, insbesondere für Unternehmen, kleine Mittelständler, die tatsächlich so viel Geld verfügbar haben und das irgendwo lagern und möglichst keine Strafzinsen dafür zahlen wollen. Nun fragen Sie mal einen Klempnerbetrieb, der 20 Leute hat oder einen kleinen Verlag – die haben solche Probleme.

    Für den Einzelnen: 100.000 Euro auf dem Tagesgeldkonto sollte man nicht haben. Da ist auch schon wieder etwas falsch gelaufen bei der Beratung. Eigentlich müsste einem die Bank sagen: ‚Hör mal – beim Tagesgeldkonto, da gehören drei, vier Monatseinkommen drauf, damit du nie wieder den Dispo brauchst, wenn es mal enger wird. Was du mehr hast, das musst du investieren, das musst du anlegen mit einer Perspektive. Ein bis fünf Jahre, vielleicht mit einem Festgeld oder sonst über längere Zeit auch gerne über einen Aktienindexfonds vom Aktienmarkt.‘ Das wäre eigentlich vernünftig, und das würde man auch erwarten, dass Bankangestellte das ihren Kunden sagen.
    Kleingeld in einem Glas, darauf wächst eine Pflanze.
    Wie Sie Zank um Zinsen bei Sparverträgen vermeiden

    Inwieweit wird sich das Thema Negativzinsen aus Ihrer Sicht noch verschärfen?

    Es kann durchaus sein, dass sich das noch weiter ausbreitet: Weil man jetzt schon sehen kann, mit Corona und der Situation, die wir im Augenblick haben, dass diese Negativzinsen von der EZB oder die niedrigen Zinsen, die Nullzinsen, vorläufig bleiben werden. Wer also jetzt glaubt, dass diese Nullzinsen über die nächsten zwei bis fünf Jahre einfach so weggehen – das wird nicht so sein.

    Du kannst dein Geld einfach anlegen. Du hast ein Tagesgeldkonto, das bringt wenige Zinsen – aber es bringt noch Zinsen. Du hast ein Festgeldkonto, das bringt wenige Zinsen – aber es bringt Zinsen. Und den Rest trägst du in den Indexfonds. In den letzten 40 Jahren brachte im Schnitt das sieben Prozent. Und wenn es mal ganz schlecht läuft, mit zwei Börsenkrisen in 15 Jahren, dann habe ich nach 15 Jahren mein Geld wieder herausgekriegt. Das war das Schlechteste, was passiert ist. Es ist nie unter Null gegangen nach 15 Jahren. Es gab auch 15-Jahres-Zeiträume, da waren es deutlich über zehn Prozent im Jahr.
    Hermann-Josef Tenhagen
    13 min
    Sparverträge unter der Lupe

    Welche Alternativen empfehlen Sie Sparern bei höheren Beträgen? Und was ist genau ein Indexfonds?

    Normalerweise sollte die Bank dem Kunden das erklären. Also. Du brauchst ein Tagesgeldkonto, damit du nie in den Dispo rutschst. Da kriegst du wenig Zinsen, aber 0,3 Prozent sind drin. Für ein Festgeldkonto mit einer Laufzeit von fünf Jahren, etwa für das nächste Auto, sind ein Prozent Zinsen drin.

    Das Geld, das du länger übrig hast, zahlst du auf einen Indexfonds ein. Das ist ein Fonds, der sich genauso verhält wie der Markt, der dahinter liegt. Deswegen legst du weltweit an. So ein weltweiter Indexfonds ist gleichzeitig beteiligt an 1.600 Firmen. Das heißt, wenn es einer Firma mal schlecht geht, macht das nichts. Die hatten sogar Wirecard dabei mit 0,01 Prozent. Das ist eine gute Geldanlage – wie gesagt, in den vergangenen 40 Jahren gab es im Schnitt sieben Prozent.

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