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Orange Days setzen starkes Zeichen gegen GewaltGemeinsam in Orange für ein Leben ohne Gewalt an Mädchen und Frauen

LAUTERBACH (ol). Mit einer kraftvollen Mischung aus Information, Austausch und Filmvorführung haben Soroptimist International Lauterbach-Vogelsberg und die Bezirkslandfrauen Hessen den Internationalen Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen im Lichtspielhaus Lauterbach begangen. Umfangreiche Aktionen im gesamten Vogelsberg – von 15.000 Awareness-Tüten über Infoflyer in 35 Einrichtungen bis hin zu persönlichen Gesprächen vor Supermärkten – machten deutlich, wie präsent häusliche Gewalt ist und wie wichtig Prävention, Aufklärung und niedrigschwellige Unterstützung sind.

Mit einem Veranstaltungsmix aus Information und Filmvorführung wurde der 25. November, der internationale Tag zur Beseitigung der Gewalt gegen Frauen, im Lichtspielhaus Lauterbach begangen. Eingeladen hatten Soroptimist International (SI) Lauterbach-Vogelsberg und die Bezirkslandfrauen Hessen. Deren Vorsitzende, Claudia Weller und SI-Präsidentin Imke Grünewald begrüßten das interessierte Publikum, das sich zahlreich eingefunden hatte, wie es in der Pressemitteilung von SI heißt.

Grünewald und Weller machten in ihrer Begrüßung dringlich, die „Orange Days“ als Aufruf zum Handeln zu sehen, um die Stimmen für diejenigen zu erheben, die in Stille unter Gewalt leiden. Dass dies nicht nur engagierte Worte, sondern von den Aktiven selbst in großflächig angelegte Aktionen umgesetzt wurde, stellten Grünewald und Weller mit beeindruckenden Zahlen dar:

In 28 Bäckereien und Metzgereien im Vogelsberg werden seit dem 22. November insgesamt 15.000 Tüten mit der Aufschrift „Gewalt kommt nicht in die Tüte“ an alle Kundinnen und Kunden ausgegeben. Zusätzlich wurden in 35 Gaststätten, Arztpraxen und Schulen Flyer mit Abreißzetteln und der Hilfetelefonnummer 116016 und Internetadresse www.hilfetelefon.de gut sichtbar an den Türen der Damentoiletten angebracht.

Mit einer persönlichen Informationsaktion, ebenfalls am 22. November vor zahlreichen Lebensmittelmärkten in Lauterbach und Umgebung, kamen die an der Aktionsgruppe Beteiligten direkt ins Gespräch. Dabei wurde nicht nur Informationsmaterial verteilt, sondern auch zahlreiche, wichtige Rückmeldungen gesammelt.
Viele ältere Frauen seien an den Info-Tischen stehen geblieben und sagten: „Gut, dass ihr das macht. Wir hatten früher keine Hilfe.“ Wenn heute mehr Fälle von häuslicher Gewalt angezeigt würden, bedeute das nicht nur, dass Gewalt zunimmt., sondern auch, dass Frauen heute eher den Mut haben, sich Hilfe zu holen, weil die Gesellschaft ihnen dafür Räume schaffe.

Aussagen wie: „In meinem Bekanntenkreis passiert das nicht. Das würde ich sehen.“ seien auch zu hören gewesen, doch diese seien mit dem Hinweis beantwortet worden, dass häusliche Gewalt viel mehr als „ein blaues Auge“ ist. Sie ist psychische Gewalt, Kontrolle, ökonomische Abhängigkeit, Bedrohung, Demütigung, sexuelle Gewalt, bis hin zur Vergewaltigung. Und viele Betroffene verbergen ihr Leid aus Scham und Angst.

Ein weiterer Irrtum, der oft zu hören gewesen sei, war „Gebildete Frauen lassen sich so etwas doch nicht gefallen.“ Dem ist nicht so. Eine Besucherin der Informationsstände erinnerte an einen Femizid in Fulda vor einigen Jahren – die Betroffene war Ärztin. Gewalt an Frauen mache vor Bildung und sozialem Status nicht Halt.

Gerade der Kontakt mit der Öffentlichkeit während der „Orange Days“ würde zu Aufklärung und Bewusstseinsbildung beitragen. Irrtümern und falschen Vorstellungen könne direkt begegnet werden, so Grünewald, und nannte ein weiteres Vorurteil, das kommuniziert wurde: Der Anstieg der Zahlen von Gewalttaten an Frauen sei eine Folge der Migration, eine Art „Import-Problem“. Doch unabhängige Studien, darunter Analysen des ifo-Instituts und aktueller Auswertungen der Kriminalstatistik zeigten klar, dass es keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen einem höheren Anteil von Migranten und Migrantinnen und mehr Gewalt an Frauen gäbe. Häusliche Gewalt sei ein gesamtgesellschaftliches Problem – sie passiere in allen Familien, unabhängig von Kultur, Religion oder Nationalität.

Grünewald stellte nun die Mitarbeiterinnen der Fachstelle gegen häusliche Gewalt im Vogelsbergkreis vor, die in einem kurzen Gespräch einen Einblick in ihre wichtige Arbeit gaben. Zur individuellen Beratungsarbeit betroffener Frauen zählt auch Hilfe bei Behördengängen, das Aufzeigen von Möglichkeiten, sich der Gewaltlage zu entziehen sowie Schutzangebote im Notfall. Die Beratung wird individuell auf die Bedürfnisse der hilfesuchenden Frauen eingestellt, ist kostenlos, vertraulich und auf Wunsch auch anonym. Die Fachstelle ist unter den Telefonnummern 06641-977201 und 06641-977232 zu erreichen. Das bundesweite Hilfetelefon 116016 sogar rund um die Uhr in 17 Sprachen. In Sachen Prävention sammelt die Fachstelle gegen häusliche Gewalt im Vogelsbergkreis bereits gute Erfahrungen in der Arbeit an Schulen, wie z.B. in der Vogelsbergschule. Die Vernetzung mit diversen Institutionen, aber auch die Zusammenarbeit mit SI Lauterbach-Vogelsberg und den Landfrauen führte zu vermehrter und positiver Response in Sachen Bekanntheit der Fachstelle, was für betroffene Frauen sehr wichtig sei.

Im Anschluss stellte das Frauenhaus Vogelsberg in Trägerschaft des Vereins Hilfe für das verlassene Kind e. V. – Haus am Kirschberg – seine Arbeit vor. Es handelt sich um eine wichtige Errungenschaft, die eine fast 20-jährige Lücke ohne Frauenhaus im Kreis nun schließt. Frauen in akuten oder belastenden Gewaltsituationen finden hier zeitnah einen geschützten, anonymen und ruhigen Ort, um zur Ruhe zu kommen und Sicherheit zu erhalten.

Bevor eine Aufnahme erfolgt, prüft das Team gemeinsam mit den Betroffenen, ob innerfamiliäre oder freundschaftliche Ressourcen unterstützend wirken können: Gibt es Menschen im Umfeld, die stärken, helfen oder den Übergang in das Frauenhaus begleiten können?

Wenn Frauen sich jedoch in einer scheinbar ausweglosen häuslichen Gewaltlage befinden, unterstützt das Team des Frauenhauses Vogelsberg dabei, einen „Notausstieg“ vorzubereiten. Dazu gehören Schritte wie das Zusammenstellen wichtiger persönlicher Dokumente oder das Packen einer Notfalltasche – für sich selbst und gegebenenfalls auch für Kinder.

Im Mittelpunkt des gesamten Prozesses steht stets die Selbstbestimmung: Die Frauen bestimmen den weiteren Weg eigenständig und in ihrem eigenen Tempo. Die nächsten Schritte werden in psychosozialen Beratungsgesprächen gemeinsam erarbeitet.

Die während der „Orange Days“ gesammelten Spenden leisten dafür einen wertvollen Beitrag. Sie ermöglichen Angebote und Anschaffungen, die nicht gegenfinanziert sind – etwa Freizeitaktionen wie Schwimmbadbesuche für Mütter mit Kindern und für Frauen oder weitere unterstützende Maßnahmen.

Grünewald und Weller bedankten sich bei den Sponsorinnen und Sponsoren der diesjährigen „Orange Days“, darunter die Bankhäuser in Lauterbach, das designbüro Ute Kirst, 3dGrafik Volker Stephan, Stefanie Dörr vom Lichtspielhaus und auch dem Lauterbacher Anzeiger. Besonders hob Grünewald aber das Engagement der „Arbeitsgruppe Orange Days 2025“ hervor: In ihr haben sich die Kräfte der Soroptimistinnen des Clubs Lauterbach Vogelsberg, der Landfrauenvereine Maar, Freiensteinau und Rebgeshain, des Frauenkreises Frischborn, der Mitarbeiterinnen des „Haus am Kirschberg“, des Frauenhauses Vogelsberg und der Fachstelle gegen häusliche Gewalt gebündelt. Nur durch das vernetzte Engagement der Akteurinnen sei diese Aktion sichtbar, kraftvoll und wirksam geworden.

Im Anschluss wurde der Film „She said“ gezeigt. Regisseurin Maria Schrader erzählt die wahre Geschichte der beiden Investigativ-Journalistinnen Megan Twohey und Jodi Kantor. Deren 2017 in der New York Times veröffentlichter Artikel über den Missbrauchsskandal um Harvey Weinstein ermöglichte es betroffenen Frauen erstmals, ihre Stimme zu erheben. Dieser Artikel wurde zum Ausgangspunkt der #MeToo-Bewegung, die weltweit das jahrzehntelange Schweigen über sexuelle Übergriffe durchbrach.

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