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Kirchenpräsidentin Prof. Dr. Christiane Tietz besucht erstmals das Dekanat VogelsbergHerzliche Begegnungen, ernste Themen und positive Pläne

ALSFELD (ol). Bei ihrem ersten offiziellen Besuch im Evangelischen Dekanat Vogelsberg erhielt Kirchenpräsidentin Prof. Dr. Christiane Tietz intensive Einblicke in die kirchliche Arbeit auf dem Land. Stationen in Lauterbach, Schlitz, Stockhausen und Homberg/Ohm zeigten die engagierte Zusammenarbeit zwischen Kirche, Kommune und Ehrenamtlichen. Tietz zeigte sich beeindruckt von der Vielfalt und Tiefe der Arbeit im ländlichen Raum.

Seit Januar dieses Jahres ist sie im Amt: Prof. Dr. Christiane Tietz ist Kirchenpräsidentin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau. Damit steht sie nicht nur an der Spitze einer großen deutschen Landeskirche, sondern ist auch in die Fußstapfen eines Vogelsbergers getreten: Ihr Vorgänger ist Dr. Volker Jung, den es in seinem Ruhestand zurück in die Heimat gezogen hat. Nach und nach bereist Tietz die Regionen ihrer Kirche, nun hatte sie sich im Vogelsberg angesagt, wie das Dekanat in einer Pressemitteilung berichtet.

Dekanin Dr. Dorette Seibert und ihre Stellvertreterin Luise Berroth hatten eine veritable „Tour de Vogelsberg“ für sie vorbereitet, denn: Das Evangelische Dekanat Vogelsberg ist das flächengrößte der EKHN, schon einzelne Nachbarschaftsräume sind größer als beispielsweise die Dekanate Mainz oder Kronberg. Dünn besiedelt zwar, aber mit über hundert historischen Kirchen, 19 Kommunen und 150 Orten eine Herausforderung. Genau das wollten die Dekanatsleiterinnen der Kirchenpräsidentin nahebringen – nicht nur, aber auch, weil die ländlichen Gebiete gerade in letzter Zeit sehr unter synodalen Beschlüssen aus Darmstadt leiden: „Die Entfernungen werden von Menschen, die städtische Gebiete als Maßstab nehmen, nicht gesehen“, beklagte die Dekanin, dabei seien im Vogelsberg die Menschen der Kirche nach wie vor sehr verbunden. Im Verlauf des Besuchs wurde deutlich: „Hier macht es einen Unterschied, ob eine Vikarin da ist, hier wird sie gesehen und erkannt, hier hat sie tun.“

Doch zurück zum Anfang: Den Start machte ein kleiner Empfangsimbiss im Dekanatsgebäude in Alsfeld mit einem Infoteil zu Region und Menschen: „Hier sind noch fünfzig Prozent der Bewohner evangelisch“; gab die Dekanin erfreut kund und ergänzte, dass es derzeit auch wieder viele Taufen gebe. Nach wie vor seien die Dörfer sehr individuell, Kooperationen gebe es inzwischen zwar auf vielen Gebieten, doch ihren eigenen Kirchturm liebten sie schon sehr, teilte Seibert mit. Sie hatte vier Schwerpunktthemen für die Reise durch den Vogelsberg vorgesehen, das erste: Sozialräumliches Arbeiten in Kooperationen mit dem Landkreis und den Kommunen.

Den ersten Stopp gab es daher im Lauterbacher Landratsamt. Hier wurden die drei Besucherinnen vom stellvertretenden Landrat und Erstem Kreisbeigeordneten Patrick Krug, vom Jugendamtsleiter Helmut Benner und Sachgebietsleiterin Silvia Lucas begrüßt. Die Kirchenpräsidentin lernte hier die anhaltende, vertrauensvolle und fruchtbare Zusammenarbeit der Kreisverwaltung und der Dekanatsleitung kennen: Besonders im Bereich der Schulbezogenen Jugendsozialarbeit, der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen sowie der Demokratieförderung haben die beiden Organisationen Berührungspunkte. Krug lobte den regelmäßigen Austausch und die Kooperation mit dem Dekanat. „Ländliche Räume kennenlernen erweitert den Blick“, freute sich der stellvertretende Landrat über die Initiative der Kirchenpräsidentin, sich den Themen des Vogelsbergs zu stellen. Silvia Lucas blickte zurück auf die Anfänger der jahrzehntelangen Kooperation und berichtete von aktuellen gemeinsamen Demokratie-Projekten. Helmut Benner ging spezifischer u.a. auf die inklusive Arbeit in den Kitas ein, die gerade im Vogelsberg sehr entbürokratisiert wurde – zur Freue aller Beteiligten. Alle evangelischen Kitas im Kreis (und zwei von außerhalb) werden ab dem nächsten Jahr aller Voraussicht nach in der GüT verwaltet – eine bisher einzigartige Entwicklung in der EKHN, die auch zeigt, wie gut die Vernetzung zwischen Kirche und Kommunen ist.

Die Fahrten zwischen den einzelnen Orten nutzten die Reisenden zu intensiven Gesprächen, die zum einen Bezug zu den Stopps hatten, aber auch allgemeine Fragen beinhalteten: Der Tag stand somit ganz im Zeichen des Austauschs und ließ auch Raum für ungeplante Fragen und Antworten.

In der Burgenstadt Schlitz wartete eine ganz Abordnung von Pfarrpersonen und Ehrenamtlichen, die sich bei einem Mittagessen in der Vorderburg insbesondere über das Thema Kirche auf dem Land austauschten. Viele Ehrenamtliche, u.a. aus dem Kindergottesdienst, verschiedenen Gruppen und dem Lektorendienst, sowie die Pfarrpersonen vor Ort – Pfarrer Gerrit Boomgaarden, Pfarrerin Melanie Pflanz und Pfarrerin Hannah Schnegelberger – freuten sich, mit der neuen Kirchenpräsidentin sehr angeregt und interessiert ins Gespräch zu kommen. Sie lernte verschiedene Gottesdienstformate kennen und erfuhr, wie sehr das Engagement der Gemeindeglieder eine Gemeinde tragen kann. „Wir sind da, wo die Menschen sind“; fasste Prädikant Hagen Köckeritz einen Ansatz zusammen, der – wie die Gottesdienstzahlen belegen – im Schlitzerland durchaus vielversprechend ist. Sehr beeindruckt zeigte sich die Kirchenpräsidentin von dem Miteinander der Haupt- und Ehrenamtlichen, das auf „Wertschätzung und Vertrauen“ beruhe, wie Pfarrerin Pflanz sagte. Das Lektoren-Ehepaar Stephan Möller und Ute Spöhrer-Möller sprach über seine Motivation, verschiedene Formate – wie etwa das wöchentliche Friedensgebet – anzubieten: Die Kraft komme aus guten Nachrichten, aus der Idee, dass Beten helfe. Es gab noch weitere inhaltliche Themen, z.B. den Status als alte Grafschaft, der heute noch für Zusammenhalt sorge.

Was es damit auf sich hat, erfuhr Tietz auch an einem weiteren Stopp. Auf der langen Reise durch den Hohen Vogelsberg und die angrenzenden Nachbarschaftsräume bis zur letzten Station in Homberg/Ohm gab es einen kleinen Halt in Stockhausen: Dort steht die vergleichsweise riesige Kirche symbolisch für die Verbundenheit der Menschen mit ihrer Kirche, für die kirchliche Bedeutung des Patronatswesens und für die Herausforderungen, die Denkmalschutz, Einsparungen und Mitgliederschwund für die Gebäudeplanung bereithalten. Hier stieg Pfarrer Wolfgang Kratz zu. Er ist Pfarrer im Ruhestand, hat aber noch einen Dienstauftrag in Herchenhain – dem „höchsten Pfarrhaus in der EKHN“, wie er gerne selbst sagt – und ist ehrenamtlich in der Gehörlosenseelsorge aktiv. Auch er hatte viele Themen für die Kirchenpräsidentin mitgebracht, kennt er doch die Aufgaben eins Gemeindepfarrers auf dem Land genau. Hier wurde u.a. deutlich, dass die Nähe der Pfarrperson zu den Menschen ein großes Pfund ist. Auch die ausgeprägte Identität der einzelnen Dörfer, die Kooperationen oft erschwere, war ein Thema, das Tietz mit nach Darmstadt nehmen wird. Die Dekanin ging anlässlich der langen Fahrt noch einmal explizit auf die Einsparungen ein, die insbesondere den ländlichen Raum treffen. Auch der Klimaschutzplan, der im Herbst von der Synode beschlossen werden solle, ist angesichts der Realität auf dem Land schwer umzusetzen. Nach vielen Kilometern, zahlreichen Gesprächen und mehreren großen und kleinen Umleitungen kam die Reisegruppe in Homberg/Ohm an. Hier konnte sich die Kirchenpräsidentin von Pfarrer Michael Koch und Gemeindesekretärin Viola Euler viel zu der gelungenen Verwaltungskooperation erzählen lassen und hören, wie eine erfolgreiche Gebäudeplanung – die auch vor Verkäufen nicht haltmacht – zu guten Ergebnissen – nämlich dem Bau eines modernen Gemeindezentrums – führen kann. Nach den vielen Fahrten ging es für Christiane Tietz und die anderen Anwesenden – darunter auch die Vorsitzende der Dekanatssynode Sylvia Bräuning – noch auf einen kleinen Anstieg zum Schloss. Hier konnte sie sich über eine musikalische Darbietung des Posaunenchors erfreuen und gleich über ein im Vogelsberg derzeit sehr virulentes Thema, die Posaunenchorarbeit, sprechen. Im Schloss gab es bei Kaffee und Kuchen noch viele weitere Gesprächsmöglichkeiten, die Tietz gerne nutzte.

Die Kirchenpräsidentin hatte es nicht eilig, den Vogelsberg wieder zu verlassen. Im Gegenteil: Sie komme gerne zurück, sagte sie zum Abschied. Der Tag sei angefüllt gewesen mit einem vielfältigen Einblick in die Besonderheiten, in die Stärken und die Schwierigkeiten des Dekanats, die Begegnung mit so vielen Menschen habe sie sehr erfüllt. „Das, was bei Ihnen so gut gelingt, nehme ich genauso mit wie das, wo Sie besondere Herausforderungen haben“, sagte Tietz. „Sie machen großartige Arbeit, mit viel Hingabe, mit Augenmaß und einem weiten Herzen. Genau solche Menschen wie Sie brauchen wir, damit es gut mit unserer Kirche weitergeht.“

Fotos: Traudi Schlitt

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