INTERVIEW – Lauterbachs Bürgermeister Rainer-Hans Vollmöller im RückblickWie der Anspruch der Gesellschaft das Regieren schwieriger macht
LAUTERBACH (-) Geboren wurde Rainer-Hans Vollmöller 1957 in Lauterbach, und seit 1996 ist er Bürgermeister dort. Im kommenden Jahr soll nach drei Jahrzehnten aber Schluss sein, dann geht Hessens dienstältestes Stadtoberhaupt in Ruhestand. Ein halbes Jahr früher als vorgesehen. Warum‘? Nicht nur diese Frage beantwortet Rainer-Hans Vollmöller im Gespräch mit OL-Mitarbeiter Axel Pries. Auch, was das Regieren heute schwieriger macht als früher.
Frage: Sie wollen im kommenden Jahr aufhören, ein halbes Jahr, bevor Sie ehe regulär aus dem Amt ausscheiden. Warum ein halbes Jahr vorher und nicht eineinhalb Jahre vorher? Verdient hätten Sie es doch mit so vielen Jahren als Bürgermeister.
Vollmöller: Das erste Mal Bürgermeister geworden bin ich am 22. Juni 1987, das war in Gemünden/Wohra. Aber heute bin ich gesundheitlich schon längere Zeit angeschlagen, und ich habe den ärztlichen Rat bekommen, dass ich aufhören sollte. Wer mich kennt, weiß aber auch, dass ich das nicht aus dem Handgelenk mache, sondern auch eine geordnete Übergabe organisieren möchte. Zwei Punkte sind mir wichtig. Zum Einen sind im kommenden Jahr am 15. März die Kommunalwahlen, und da könnte man die Bürgermeisterwahl damit verbinden. Und zweitens: Damit spart man auch die Kosten für eine eigene Wahl im September.
Sie waren zwischenzeitlich zwar ein paar Jahre auch mal woanders tätig, aber hauptsächlich haben Sie ihre berufliche Laufbahn in der Lauterbacher Verwaltung getätigt. War Ihnen das nie langweilig, immer die selben Wege zu gehen?
Vollmöller: Nein! Man muss dazu vielleicht wissen, dass meine Familie auch schon über 400 Jahren in Lauterbach verwurzelt ist. Das ist kein Job, den ich tagsüber erledige und abends an der Garderobe abgebe. Sondern dieses Amt lebe ich. Das Amt ist mein Leben gewesen, und dafür habe ich auch viele persönliche Interessen hintenan gestellt.
Langer Atem hilft im Amt: Rainer-Hans Vollmöller: Foto: Stadt Lauterbach
Wenn Sie kommendes Jahr aufhören, haben Sie 30 Jahre in Lauterbach als Bürgermeister gewirkt. Wie hat die Stadt sich in den Jahrzehnten – oder auch seit Ihren Kindheitstagen – entwickelt?
Vollmöller: Die Stadt hat sich durch vielfache bauliche Neuerungen, durch neue Gestaltungen sichtbar verändert. Da muss man auch die Infrastruktur einbeziehen, die man nicht gleich sieht. Nehmen wir mal den großen Wasser- und Abwasserbereich als ein Thema. Zur Infrastruktur gehört ja auch noch viel mehr dazu, was sich verändert hat – der Ausbau von Kindertagesplätzen zum Beispiel. Die Gesellschaft wandelt sich und schafft neue Notwendigkeiten.
Wie hat sich Lauterbach außerdem verändert? Ist die Stadt größer, vielfältiger, flexibler geworden oder schwieriger und heterogener?
Auch da gilt: Die Gesellschaft wandelt sich, und der Anspruch der Gesellschaft an die Verwaltung wandelt sich. Auch der Austausch miteinander hat sich verändert. Wenn früher die Stadtverordnetenversammlung Beschlüsse gefasst hat, dann galten die einfach. Heute muss man die Leute im Vorfeld bereits mitnehmen oder mit einbinden. Das erwartet die Politik, das erwarten die Bürger. Ob das immer so gut ist, alles auf dem Marktplatz der Eitelkeiten zu diskutieren, lasse ich jetzt mal offen. Ich bin eher auch ein Arbeiter im Stillen. Ich brauche nicht jeden Tag die Reflexion mit jedem. Und wenn Vertraulichkeit vereinbart ist, hat das für mich großen Wert. Für mich gilt: Alles, was ich sage ist wahr. Aber ich kann nicht immer alles sagen, was wahr ist. In der heutigen Zeit wird vieles auch einfach zerredet.
Hat Lauterbach auch davon profitiert, dass offener diskutiert und entschieden wird? Die Stadt war ja immer sehr traditionsbewusst.
Da muss man gegenseitig miteinander offen umgehen. Die Art und Weise der Verwaltung hat sich verändert. Als ich 1973 meine Lehre begonnen habe, da gab es schon eine Schuldenstatistik, eine Personalstatistik, eine Finanzstatistik und so weiter. Aber heute heute muss man zu praktisch jedem Vorgang administrative Werte vorweisen. Das kostet Kraft und Geld. Auch die Geschwindigkeit, mit der Verwaltung handelt, hat sich verändert. Als ich angefangen habe, hatten wir eine elektrische Schreibmaschine, das war schon ein Novum in der Verwaltung. Heute macht man manches mit dem Handy. da geht alles viel, viel schneller.
Die Nachrichten untereinander sind heute schneller unterwegs?
Ja, dafür haben wir mal Stromausfälle, und dann geht gar nichts mehr. Was mir auffällt: Früher kannte man sich in den Verwaltungen persönlich besser, war die Arbeit viel persönlicher als heute.
Wie hat sich in der Zeit die Rolle des Bürgermeisters verändert? Der Bürgermeister war immer schon der Takt- und Impulsgeber im Parlament, weil der Mann oder die Frau an der Spitze der Verwaltung diejenige Person ist, die sich am besten auskennt. Ist das in Internet-Zeiten anders geworden?
Der Anspruch an den Bürgermeister ist jedenfalls nicht weniger geworden. Ich halte es da mit Udo Lindenberg, der mal einen richtig schlauen Satz gesagt hat: Viele Leute denken nach, ich denke vor! Man braucht ja oft einen langen Atem, auch wenn man sich um Fördertöpfe bemüht. Fliegt man aus der einen Kiste raus, muss man sofort an der anderen aktiv sein. Da ist auch Ideenreichtum gefragt, und das ist auch in der heutigen Zeit ganz wichtig.
Was war denn die schwierigste Zeit, die Sie als Bürgermeister erlebt haben? War das vielleicht die Zeit, als Lauterbach auf Bedarfszuweisungen angewiesen war?
Die Zeiten haben sich im Grunde nicht verändert. Lauterbach hat immer wieder finanziell Sorgen gehabt. Das Geld war immer ein Hauptthema in der Politik.
Zum Beispiel im Jahr 2014, als die Stadt irgendwie von Millionenschulden runterkommen musste. Das Land wollte einspringen, stellte aber harte Bedingungen. War das so ein schwieriges Jahr?
Ja, das war der sogenannte Schutzschirm, den das Land anbot. Ich weiß es nicht mehr genau auswendig, aber ich meine, wir haben 14,8 Millionen Euro bekommen. Und wir mussten erhebliche Konsolidierungsmaßnahmen erstellen, die wir auch durchgeführt haben. Der Witz ist: Danach und parallel haben wir neben den Einsparungen auch überproportionale Einnahmen verzeichnen können. Das lag an der schwankenden Konjunktur, in der wir die Spitze erreicht haben. Dadurch gab es viel Gewerbesteuer, und das führte dazu, dass wir Rücklagen ansammeln konnten – und Schulden abbauen! Also: Von 2010 bis 2023 haben wir rund 13 Millionen Euro Schulden abgebaut. Gerade kehrt sich der Trend wieder um, das sind so Wellenbewegungen in der Wirtschaft.
Was haben sie den als größte Infrastrukturaufgabe für Lauterbach verstanden? Ein paar Stichworte: Kita-Bau, Umgehungsstraße, ÖPNV, Innenstadtgestaltung oder auch der Kanalbau.
Das hat für mich alles eine gleichrangige Bedeutung, weil das wie bei einem Mosaikbild ist. Wenn Sie an nur einer Ecke ziehen, ist das ganze Bild verzerrt. Deshalb ist es wichtig, dass Sie das alles im Gleichklang behandeln. Was im Moment immens wichtig ist: der Glasfaserausbau, den wir mit den Stadtwerken machen. Das werden über 25 Millionen Euro investiert.
Hätten Sie das damals gedacht, als Sie als Stift in der Verwaltung anfingen und es gerade mal eine elektrische Schreibmaschine gab: dass Sie sich als Bürgermeister einmal mit Datenübertragung per Glasfaser befassen würden?
Nein! Damals habe ich als Science Fiction das Raumschiff Enterprise gesehen. Und wenn Captain Kirk dann zu Scotti sagte: Beam mich hoch! Dann war das für mich genau so weit wie die Vorstellung von Glasfaser. An so etwas habe ich damals gar nicht zu denken gewagt.
Zur Einordnung: Eine Website der Stadt Lauterbach listet auf, welche Bürgermeister am längsten im Amt waren.
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