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Sebastian Decher und Steffen Heinecke gehen - "verschiedene Auffassungen" zur StrategieHartmann tauscht beide Geschäftsführer aus

EXKLUSIV| ALSFELD (jal). Führungswechsel bei Hartmann Spezialkarosserien: Die Alsfelder Firma tauscht ihre beiden Geschäftsführer aus. Wie das Unternehmen Oberhessen-live bestätigte, hat Steffen Heinecke die Firma bereits durch einen Rücktritt verlassen. Der Vertrag von Sebastian Decher wird nicht verlängert, er läuft am 31. Dezember diesen Jahres aus. Aber warum? 

Die Firma Hartmann gehört zu 70 Prozent der Frankfurter Friedrichs-Stiftung, die ebenso 100 Prozent der Anteile der Carl Friedrichs GmbH hält – eine Firma, die wie Hartmann auch im Karosseriebau tätig ist. Deren Prokurist, Christian Tuscher und der Geschäftsführer, Henrik Schepler, bilden zusammen zunächst zeitlich begrenzt das neue Geschäftsführer-Duo bei Hartmann in Alsfeld. Das sagte Tuscher auf Anfrage gegenüber Oberhessen-live. Da Decher bis zum Ausscheiden auf seinem Posten bleibt, den er seit fünf Jahren inne hat, gibt es also bis zum 31. Dezember ein Dreiergespann an der Firmenspitze.

Für Tuscher ist der Austausch der beiden Chefs von Hartmann ein normaler Vorgang. „Das kann ganz allgemein gesprochen immer wieder mal vorkommen, wenn die Ausrichtung nicht so ist, wie es der Gesellschafter wünscht“, sagt der 43-Jährige.

Gefragt, was denn die genauen Gründe waren, weshalb man in Frankfurt mit der Ausrichtung bei Hartmann nicht zufrieden war, wird Tuscher konkreter. Hartmann habe unter der alten Geschäftsführung die Ausrichtung der Produktpalette verlagert. So seien Produktionskapazitäten im Stammgeschäft zugunsten anderer Geschäftsfelder zurückgefahren worden. Doch obwohl man seitens der Firma viel Arbeit in die Planung und Umsetzung der Projekte gesteckt habe, sei es am Ende nicht im gewünschten Maße zu Auftragsabschlüssen gekommen.

„Die Stiftung wollte, dass das Kerngeschäft auf jeden Fall erhalten bleibt“

Erich Schneider, Vorstandsmitglied der Stiftung, spricht von „verschiedenen Auffassungen“, über die Ansicht, auf welche Geschäftsfelder sich die Firma wie stark konzentrieren sollte. „Die Stiftung wollte, dass das Kerngeschäft auf jeden Fall erhalten bleibt“, sagt er. Es gehe darum, eine „vernünftige Balance“ zwischen dem Stammgeschäft und neuen Geschäftsfeldern zu finden, die als „sinnvolle Ergänzungen“ hinzukommen könnten. Es gehe der Stiftung nicht darum, „den letzten Prozentpunkt bei der Rendite herauszuholen“, sondern sicherzustellen, dass es der Belegschaft gut gehe. Im gleichen Atemzug betonte Schneider, dass die Stiftung Vertrauen in die Firma Hartmann habe und das Unternehmen wirtschaftlich uneingeschränkt gut dastehe. Das letzte Geschäftsjahr sei „auf jeden Fall eines der besten“ gewesen.

Der Mann, der die Veränderungen bei Hartmann maßgeblich anstieß, war Steffen Heinecke, der November 2015 über einen Headhunter als Geschäftsführer in das Unternehmen kam. Heinecke zeichnet dasselbe Bild über sich, wie Leute, die ihn kennen. Der 50-Jährige ist demnach ein Macher, ein Visionär, der nicht davor zurückschreckt, alte, auf lange Zeit gewachsene Strukturen in einer Firma einzureißen, Machtgefüge neu zu ordnen und mehr Leistung zu verlangen. Wer länger im Unternehmen ist, hat auch mehr zu sagen – davon hielt der neue Chef wenig. Warum nicht mal dem jungen Mitarbeiter eine Chance geben und ihn auf die Messe schicken? Solche Ideen gefielen nicht jedem.

Heinecke lebte lange Jahre in den USA und war dort in der Automobilbranche tätig. Bei Hartmann heißt es, von dort habe er Ideen und Konzepte mitgebracht, von denen man so in Alsfeld noch nichts gehört hatte.

Ein Blick auf das Firmengelände von Hartmann. Foto: ls

Von beiden Seiten wird geschildert, dass somit zwei völlig unterschiedliche Unternehmenskulturen aufeinandergeprallt seien. Das fängt schon beim Beschaffen der Aufträge an. „Bei Hartmann war man es gewohnt, dass die Aufträge per Fax kommen“, sagt Heinecke. Will heißen, bei dem Karosseriebauer habe man sich nicht intensiv darum bemühen müssen, Aufträge an Land zu ziehen. Ähnliches sagt Decher. Die Kunden wandten sich selbst an die Firma und sagten genau, was sie haben wollten. Hauptsächlich, aber nicht nur, waren das bislang Geldtransporter und Luxus-Wohnmobile. Damit ist Hartmann bekannt und erfolgreich geworden. Das Geschäft läuft immer noch, aber eben anders.

Denn der Export wird immer schwieriger, da sich immer mehr Länder darum bemühen, die Produkte selbst herzustellen. In den Augen von Heinecke bedeutete das, Hartmann müsse selbst kreativer werden. Weg vom reinen Dienstleister, der genau die Geldtransporter baut, die gerade bestellt sind, hin zu einem Unternehmen, das selbst Produkte entwickelt, die Kunden mit hoher Wahrscheinlichkeit gebrauchen können – und sich dann wie ein klassischer Händler auf die Suche nach genau diesen Kunden macht. Je komplexer und schwieriger nachzumachen das Fahrzeug, desto besser, war Heineckes Devise.

Einige der selbsterdachten Geräte kamen nicht über einen ersten Planungsstatus hinaus, wie etwa eine mobile, unbemannte Polizeistation, schildert Decher. Andere Fahrzeuge, wie ein Gefährt für die Falkenjagd, was für den arabischen Raum gedacht war, wurde bereits produziert und der Öffentlichkeit vorgestellt. Zu dieser Kategorie zählt auch eine mobile Körper- und Gepäckscan-Station, ähnlich der Sicherheitstechnik am Flughafen – nur eben verpackt in einem Van.

Das Scanfahrzeug von der Seitenansicht.

Das Scanfahrzeug von der Seitenansicht.

Im Januar 2017 stellte die Firma das Gerät auf einer großen Sicherheitsmesse in Abu Dhabi vor. „Die Resonanz war sehr gut und wir haben aktuell auch viele Anfragen und Angebote weltweit laufen. Leider konnten wir jedoch bisher nur wenige Fahrzeuge verkaufen“, sagt der Noch-Geschäftsführer Sebastian Decher – und fügt an: „Ich bin aber weiterhin von dem Fahrzeugkonzept überzeugt und es braucht meiner Ansicht nach mindestens drei Jahre, bis ein neues Produkt wirklich im Markt angekommen ist. Wir hatten uns in diesem Bereich auch schnellere Erfolge erhofft.“

Wie bei Unternehmen mit mehreren Geschäftsführern üblich, waren auch bei Hartmann die Chefs in zwei Rollen unterteilt. Heinecke kümmert sich eher um das operative Geschäft, während Decher für die administrativen Aufgaben zuständig war. Doch auch Decher, so sagt der 37-Jährige selbst, war davon überzeugt, dass es „unbedingt notwendig“ sei, „über eigene Produkte und neue Vertriebswege neue Geschäftsfelder zu erschließen“. In den Augen der Stiftung ist Decher für den neuangestrebten Kurs genauso verantwortlich wie Heinecke. „Wir gehen davon aus, dass eine Geschäftsführung die Entscheidungen gemeinsam trifft“, sagte Stiftungsvorstand Schneider auf die Frage, warum man sich von beiden Geschäftsführern trenne.

Betriebsrat hält sich bedeckt

Der Betriebsrat hält sich offiziell bedeckt zu dem Führungswechsel in der Firma. Ein Austausch der Geschäftsführung sei nicht das Ansinnen des Beschäftigten gewesen. Gleichwohl habe man den Kontakt mit Frankfurt gesucht, weil es eine „Missstimmung“ in der Belegschaft gegeben habe. Der Grund dafür: „Zukunftsorientierte Geschäftsfelder, die noch nicht zum Tragen kommen konnten, wurden dem Kerngeschäft vorgezogen“, heißt es knapp in einer schriftlichen Stellungnahme. Auf anderen Wegen war zu hören, dass die Belegschaft zumindest Decher gerne als Chef behalten hätte. Der Betriebsrat wollte derartige Äußerungen nicht kommentieren. Die Nachricht vom Führungswechsel habe die Belegschaft überrascht, jetzt aber blicke man „erwartungsvoll in die Zukunft“. Hartmann ist mit mehr als 100 Mitarbeitern einer der größten Arbeitgeber in der Region.

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