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IN EIGENER SACHE: Hass- und Hetzpostings auf Oberhessen-liveWelche Kommentare wir löschen – und welche nicht

REGION. Hasspostings und Hetze im Netz sind ein mediales Dauerthema. Auch in den Kommentarspalten von Oberhessen-Live brodelt es oftmals gewaltig. Unsere Redaktion erreichen immer wieder mal Beschwerden und Fragen dazu, wie wir mit Kommentaren umgehen. Zeit, einmal für Klarheit zu sorgen. Ein journalistischer Werkstattsbericht von Juri Auel.Ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung zum Thema „richtig streiten“ begann vor einigen Tagen mit folgendem Satz: „Ein kurzer Besuch in den sozialen Medien reicht, um den Glauben an die geistige Gesundheit der Menschheit endgültig zu verlieren.“ Besser hätte ich es nicht formulieren können.

Hetze, Hass und Verschwörungstheorien gibt es nicht erst seit dem Flüchtlingssommer 2015 oder dem Wahlkampf Donald Trumps im Netz. Das Problem ist schon wesentlich länger bekannt. Manchmal frage ich mich, wer diese Menschen sind, die wahllos in die Tasten zu hauen scheinen, die überschäumen vor Wut und Engstirnigkeit, die in Kommentaren Journalistinnen wünschen, sie würden vergewaltigt, weil sie deren Meinung nicht teilen, die anderen Menschen wegen ihrer Herkunft, Religion oder Weltanschauung den Tod herbeisehnen. Die britische Zeitung The Guardian ist mit einem Team um die Welt gereist und hat solche Leute besucht – herausgekommen ist eine sehenswerte Videoreportage.

Doch man muss sich nicht in ferne Länder aufmachen, um solche Leute zu finden. Die gibt es auch hier bei uns, in unserer Region – in Alsfeld, Lauterbach oder Schwalmstadt.

Dutzende Kommentare am Tag bei OL

Auf verschiedenen Kanälen erreichen Oberhessen-live täglich Dutzende Kommentare. Die Anzahl variiert nach Nachrichtenlage und Art der Themen, die wir auf der Seite haben. Geht es in einem Artikel um Flüchtlinge (wer hätte das gedacht?), ist die Anzahl der Kommentare besonders hoch. Doch manchmal wird unter einem Artikel über Flüchtlinge diskutiert, in dem es nicht im geringsten um dieses Thema geht. Einige Kommentatoren schaffen es dennoch, die Diskussion auf diese Schiene zu lenken.

Kommentare, die direkt auf Oberhessen-live getätigt werden, laufen bei uns in der Redaktion ein und müssen freigegeben werden. Das ist presserechtlich wichtig – denn wir können als Betreiber der Seite für Kommentare Dritter haftbar gemacht werden.

Deswegen schauen wir jeden Kommentar genau an. Längst nicht jeden geben wir frei. Posts, in denen offen und erkennbar zu Gewalt aufgerufen wird, andere mit Klarnamen zu identifizierende Personen bedroht werden oder aus unserer Sicht Kritik in Beleidigung umschlägt, wandern in den Papierkorb. Genauso wie Kommentare, bei dem der Autor allein durch seinen provokanten Nutzernamen die gesamte Diskussion vergiften könnte. Besonders auf letzteres wollen wir in Zukunft noch mehr achten.

Gewettert und ausgeteilt wird nicht nur in den Kommentarspalten der großen Nachrichtenseiten, sondern auch bei OL. Screenshot: jal

Gewettert und ausgeteilt wird nicht nur in den Kommentarspalten der großen Nachrichtenseiten, sondern auch bei OL. Screenshot: jal

Das Sortieren kostet Zeit, ist aber notwendig – und hat rechtlich gesehen überhaupt gar nichts mit Zensur zu tun. Genauso wie es keine Zensur ist, wenn ein Hausbesitzer eine Botschaft überstreicht, die jemand an seine Hauswand geschmiert hat. „Unsere digitale Wand, unsere Regeln“, könnte man salopp sagen. Wer seine Beleidigungen herausschreien möchte, kann das trotzdem tun, der Alsfelder Marktplatz ist groß genug.

Unter alten Artikeln wird die Kommentarfunktion nach einer gewissen Zeit automatisch deaktiviert, damit unser System nicht mit Nachrichten zu Texten überlastet wird, die eh kaum noch Leute lesen. Wir behalten uns aber auch das Recht vor, die Kommentarfunktion von Anfang an unter einem Artikel zu sperren. Das tun wir beispielsweise dann, wenn wir damit rechnen, dass besonders viele justiziable oder unangebrachte Einträge zu erwarten sind.

Obwohl wir also schon darauf achten, welche „Debattenbeiträge“ wir zulassen, erreichen uns von Zeit zu Zeit immer wieder mal Beschwerden von Nutzern, die sich über einzelne Kommentare beschweren. Klar, manchmal rutscht uns ein grenzwertiger Post auch durch. Und oftmals ist es auch Ansichtssache, ob ein Kommentar nur Meinung oder schon Beleidigung ist. Witziger Weise kommen die Beschwerden dazu aus unterschiedlichsten Lagern. OL wurde in den knapp vier Jahren seines Bestehens wegen seiner Leserkommentare schon sinngemäß als links-grün-versifftes Schmierblatt, genauso wie als braunes AfD-Propaganda-Organ bezeichnet. Beides ist natürlich Humbug – wobei uns als Redaktion die zweite Behauptung schon mehr getroffen hat als die erste. #RefugeesStillWelcome!

„Ich bin zwar anderer Meinung als Sie, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie Ihre Meinung frei aussprechen dürfen.“ Evelyn Beatrice Hall

„Warum macht Ihr euch die Mühe und lasst Kommentare überhaupt zu?“, werden sich einige vielleicht fragen. Das hat einen einfachen Grund: Für uns als Journalisten ist die Meinungsfreiheit ein verdammt hohes Gut. „Ich bin zwar anderer Meinung als Sie, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie Ihre Meinung frei aussprechen dürfen“ – dieses Zitat von Evelyn Beatrice Hall, das fälschlicherweise oft dem französischen Aufklärer Voltaire zugeschrieben wird, ist zwar etwas abgenutzt, aber dennoch prägnant.

Meinungsfreiheit ist essenziell für eine Demokratie. Und Meinungsfreiheit heißt nicht nur, dass ich das Recht auf meine eigene Meinung habe, sondern auch, dass ich die Pflicht habe, Meinungen auszuhalten, die ich nicht nur ablehne, sondern sogar verabscheue. Dass es dennoch in Deutschland verboten ist den Holocaust zu leugnen oder ganzen Volksgruppen mit Auslöschung zu drohen, ist mit Blick auf unsere Vergangenheit eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, die nicht nur verkraftbar, sondern auch logisch, geboten und symbolisch bedeutsam ist.

Kontroverse Meinungen sind willkommen, genauso wie Zeugenberichte

Alles, was nicht unter diese Grenzen fällt, muss aber gesagt werden können – und kann es auch werden, anders, als einige „Zensur!“-Rufer immer wieder gerne behaupten. Deswegen lassen wir sehr viel durchgehen. Wir wollen den Austausch mit den Lesern als Redaktion – und wir wollen den Austausch der Leser untereinander. Dabei geht es nicht nur um Meinung, sondern auch um Fakten. Manche Onlineportale schließen bei tödlichen Unfällen aus Pietätsgründen die Kommentarspalten. Wir lassen sie offen, weil sich ähnlich wie bei anderen Polizeimeldungen so relativ simpel Zeugen zu Wort melden können, die vielleicht etwas wichtiges gesehen haben.

Wir selbst bringen potenziell strafrechtlich relevante Kommentare in der Regel nicht zur Anzeige. Doch uns ist bekannt, dass einige OL-Leser andere bereits angezeigt haben. An Privatpersonen oder Anwälte geben wir IP-Adresse, Klarnamen oder E-Mailadresse von anderen Kommentatoren aus Datenschutzgründen grundsätzlich nicht raus. Wohl aber an die Staatsanwaltschaft, wenn sie uns darum bittet. Ausgenommen sind davon Nutzer, die über die Kommentarfunktion den Kontakt zu uns suchen, um uns mit brisanten Informationen zu versorgen, für deren Weitergabe sie bestraft werden könnten. Dann machen wir von unserem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, welches wir als Journalisten haben, um unsere Quellen zu schützen.

Schlussendlich wollen wir einfach, dass sich die großen Themen und Debatten unserer Region auf unserer Seite wiederfinden. Es darf gestritten werden – aber bitte zivilisiert. (Wobei der oben verlinkte SZ-Text verrät, warum es einigen so schwer fällt, bei Diskussion im Netz die Contenance zu wahren. Es hat etwas mit der fehlenden Stimme des Gegenübers zu tun.) Doch trotz dieser Schwierigkeiten sollte man bedenken: auch in digitalen, polarisierten Zeiten ist nicht miteinander zu reden, keine gute Lösung.

15 Gedanken zu “Welche Kommentare wir löschen – und welche nicht

  1. Ich verstehe nicht, warum die Kommentatoren, die mit der Berichterstattung von „Oberhessen-Live“ nicht zufrieden sind, sich nicht auf andere Portale begeben. Kein Mensch zwingt Euch doch, hier das „einseitige“ und „grün-links-versiffte“ Nachrichtenportal zu besuchen. Warum soviel Hass und Wut?
    Dann gründet eben Eure eigenen Medien oder besucht Webseiten wie RT-Deutsch, PI oder ähnliches, wo sich die Leute ständig mit Schaum vor dem Mund auskotzen und dauerschimpfen.
    Wer immer nur laut schreit, wird vielleicht anfangs stärker wahrgenommen, erzeugt aber letztendlich nur Ablehnung und Genervtheit.

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  2. Herr Hamel: Sie merken aber schon, dass Sie die These von T.Greb mit Ihrem Beitrag eben untermauert haben? :-) Sobald man nicht auch rechtsaußen ist MUSS man ja automatisch LINKS sein und btw. zum Glück sind Menschen wie Sie NICHT in der Mehrheit! Beweiten nicht! Werden Sie auch nie mehr. 33-45 waren mehr als genug! Und welche Lösungen bitte bieten die Rechten? WELCHE? Das ist nur populistisches Gequatsche was z.B. von Rechtsaußen kommt. WENN mal welche der Herrschaften in einem Landtag sind kommt was? NIX! Dümmliche Anfragen, falls doch mal Ausnahmnsweise was kommt ist es von den Grünen oder Linken ABGESCHRIEBEN. Von dem ganzen Postengeschacher und Intrigantenstadln in den Verbänden ganz zu schweigen. Was sollten die denn besser machen? Lachhaft.

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  3. @ T. Greb

    Sauer, wenn Kommentator/Innen wie Frau oder Herr Greb, so langsam am linken Rand herunterfallen und dafür auch noch Franz Josef Strauß in den Dreck ziehen möchten. Politiker wie Herrn Strauß gibt es leider heute nicht mehr, das gleiche gilt für Willy Brandt, Helmut Schmidt, Herbert Wehner, Konrad Adenauer, Ludwig Erhard usw. Wenn es solche Politiker heute noch gäbe hätten wir die Probleme der letzen Jahre erst garnicht bekommen. Diese Menschen hatten ein Ohr für die Probleme ihrer Bevölkerung und haben wenigstens versucht diese zu lösen. Unsere heutigen Regierenden können stundenlang reden ohne etwas zu sagen.
    Gutmenschen, Bahnhofsklatscher, Bärchenwerfer, werden werden erst dann aufgewertet werden, wenn sie nicht nur Forderungen stellen, sondern wenigstens Lösungsansätze bieten können. Dieser Gemeinschaft, die glaubt, daß Menschen ohne Hochschulabschluss oder Doktortitel jegliches Mitspracherecht in der Politik verwehrt werden sollte, dieser Gemeinschaft rate ich, sich mal bei Wikipedia zu informieren, was Demokratie bedeutet. In der Demokratie entscheidet die Mehrheit und nicht allein eine Bundeskanzlerin. Auch Journalisten sollten versuchen, sich an demokratische Prinzipien zu halten.

  4. Süß, wenn sich User mit Rechts-am-Rand-Ideologie darüber beschweren, dass die Redakteure „Links“ sind. Wer so weit Rechts ist, wie manche Kommmtare hier befürchten lassen, für Den ist auch F.-J. Strauß ein links-versiffter Hippie. Die breite, Links-Rechts ausgewogene, Mitte wird doch schon von den Extremisten als Gutmenschen, Realitätsbild oder Bahnhofsklatscher tituliert, sobald man nicht deren Meinung ist. Einfach nur traurig. Soetwas wie Disskutieren ist hier nicht möglich. Leider!

  5. Leider wird bei Oberhessen Live schon jegliche kritische und nicht ins Weltbild der Redakteure passende Meinung unterbunden. Ich habe mich aufgrund des Artikels zum 09. November sachlich und kritisch zur einseitigen Erinnerungskultur in Deutschland geäußert. Das in Alsfeld auch Kleinkinder und Zivilisten durch den Bombenterror der Siegermächte umgekommen sind, findet keine Erwähnung. Die Kriegsverbrechen der Amerikaner und Briten, die mit unerlaubten Waffen (Phosphorbomben z.B.) deutsche Zivilbevölkerung auf grausamste Weise ausgelöscht haben, die gehen offensichtlich voll in Ordnung. Aber vermutlich wird auch dieser Leserbrief wieder nicht veröffentlicht, weil er der Redaktion nicht in den Kram passt.

  6. Also ich schreibe immer mit meinem richtigen Namen. Ich habe nichts zu verbergen und stehe in jeder Hinsicht zu meiner Meinung!

  7. Warum regt Ihr Euch über „linksgrün versifft“ auf?
    Ist denn der große Dreckhaufen, welcher von den „rechtsschwarzgelb verfilzten Amigos“ (um mal das Gegenteil beim Namen zu nennen) in den letzten 80-90 Jahren (und gerade auch in der „jüngeren Vergangenheit“) produziert wurde, schon vergessen?

  8. Oh je, gelernt bei Spiegel und Süddeutsche! Als Mensch mit Vorurteilen muß ich mir politische Artikel erst gar nicht durchlesen und kenne den Tenor des Inhalts

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  9. Lieber Herr Auel,

    daß manche Mitbürger von Ihnen und mir „ Wut und Engstirnigkeit“ zeigen, wenn es um das Thema Flüchtlinge geht ist für mich erklärbar. Es ist eben ein gewaltiger Unterschied ob man sich mit dem Thema nur von seinem wohltemperierten Büro aus beschäftigt oder als Nachbar oder Arbeitskollege mit den Eigenheiten dieser Menschen klarkommen muss.
    Hetze und Hass begegnet doch vor allem denen, die den politischen mainstream nur im geringsten anzweifeln.
    Daß es Ihnen lieber, ist als linksgrün versifftes Schmierblatt bezeichnet zu werden, statt als braunes AfD Propaganda Organ zeigt doch, daß Sie als Journalist einseitig politisch beeinflusst sind.
    Bei den Diskussionen um Europa, Zuwanderung, usw. sollte die Politik wirklich dazu übergehen direkte Demokratie zuzulassen.

  10. Ich persönlich poste immer mit demselben Nick und ich kann guten Gewissens hinter meinen Äußerungen stehen.
    Ich habe aber keine Lust, zum Ziel irgendwelcher Racheakte zu werden, denn m.E. sind wir schon wieder soweit gekommen, daß diesbezüglich Vorsicht geboten ist.

  11. …wobei das Löschen von Kommentaren auch immer von beiden Seiten gesehen werden muss und auch gefährlich sein kann. Daher sollten wir als Bürgerinnen und Bürger auf die Pressefreiheit viel Wert legen.

  12. Ich gebe immer Klarname an, aber trotzdem finde ich, dass andere auch anonyme Kommentare schreiben dürfen sollten. Die Redaktion löscht die „bösen“ Kommentare und damit sollte ein gewisses Maß an Anstand in den Diskussionen vorhanden sein.

  13. @Burkhard Weck

    An sich eine schöne Idee.

    Aber niemand garantiert mir, daß Sie wirklich Burkhard Weck sind. Jeder kann sich hier anmelden – unter welchem Namen auch immer.

  14. Ich denke mal, dass man nur Kommentare unter Angabe des vollständigen Klarnamens einstellen sollte . Anonyme Pseudonyme lassen die Hemmschwellen zu einfach sinken
    Burkhard Weck

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