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Vogelsberglamas entwickelten sich ungeplant zur Besucherattraktion - kommen aber auch bei der Tierpädagogik zum EinsatzSeit elf Jahren mit Lamas und Eseln unterwegs

LINGELBACH (cdl). In der Sendung „50 Dinge, die ein Hesse getan haben muss“ vom Hessischen Rundfunk landeten sie auf Platz 14. Einer ihrer Esel war der Star im Sommernachtstraum bei den Festspielen in Bad Hersfeld und auch der Bischof aus der südindischen Diözese East Kerala war bereits mit seinem Gefolge bei ihnen zu Gast. Die Familie Odermatt betreibt ein äußerst ungewöhnliches Geschäft und bietet Trekkingtouren mit Lamas und Eseln an.

Vor elf Jahren machte die Familie aus Reichlos in der Gemeinde Freiensteinau ihr Hobby zum Beruf. Geplant war das eigentlich nicht und hat sich damals im Laufe der Jahre so ergeben. Seit sechs Jahren haben sie ihren Hof in Lingelbach, weil der Platz in Reichlos nicht mehr ausreichte. Insgesamt 18 Lamas, drei Alpakas und sieben Esel haben die Odermatts derzeit. Silke Odermatt erzählt, wie alles anfing. Sie hatte damals ein sehr eigenwilliges Pferd, das immer wieder aus der Koppel ausbrach, seine Streifzüge unternahm und dann entlang der Hauptstraße mitten durch das Dorf abends zurückkehrte. Weil es sich nicht mit anderen Pferden vertrug, bekamen die Odermatts den Tipp Lamas als Gesellen für das Pferd anzuschaffen. Und tatsächlich entpuppten sich die Lamas als ideale Gefährten für das Pferd.

Mit dem damals eintretenden Nebeneffekt hatte die Familie allerdings nicht gerechnet. Touristen und Tagesausflügler aus dem Rhein-Main-Gebiet machten plötzlich Halt in Reichlos, sobald sie die Andentiere auf der Weide entdeckten und wollten mehr über die Lamas erfahren. Schon bald sollten die in Frankfurt arbeitstätigen Odermatts ihre Wochenenden damit verbringen, sich um die sich selbst einladenden Gäste zu kümmern. Irgendwann nahm das Ganze überhand, weil sich die Lamas ungewollt zu einer Besucherattraktion entwickelt hatten. Da reifte in den Odermatts der Entschluss, ein Gewerbe anzumelden und künftig kommerzielle Trekkingtouren anzubieten. Grundidee war damals aber noch, dass die Tagesausflügler lediglich für die Futterkosten der Tiere aufkommen sollten und sie die Gäste nicht mehr kostenlos bewirten wollten.

Aber auch die jetzt eingeführte „Bezahlschranke“ stoppte den Lama-Hype bei den Besuchern nicht, sodass nach und nach weitere Tiere Einzug hielten, ihr Mann seinen Job kündigte und die Lamatouren zu seinem Beruf machte. Außerdem reduzierte seine Frau Silke ihren Job auf eine Halbtagsstelle.

Berührungsängste kannten die neugierigen Vierbeiner beim Besuch in Lingelbach nicht.

Fortbildungen zur Lamahaltung und stetiger Ausbau des Angebots

Es folgten Besuche von Seminaren und Fortbildungen zur artgerechten Tierhaltung und weitere Angebote für unterschiedliche Besucher. Das gängige Vorurteil, das Lamas spucken, hätten die Odermatts vor dem Erwerb ihre ersten Tiere auch gehabt. Das stimme aber nicht. Es gebe zwar spuckende Lamas, die seien aber falsch großgezogen worden und das sei eine reine Abwehrhaltung. Früher seien die Tiere oft am Hals gepackt worden und in die Ecke gedrängt worden. Heute wisse man, dass das auch ganz anders geht. Mittlerweile gibt Odermatt selbst Kurse für Anfänger. Sie selbst habe sich bei der Erziehung der Lamas zunächst auf ihre Ausbildung zur Erziehung von Pferden (nach Linda Tellington Jones) verlassen. Vor einigen Jahren habe sie sich dann weiter fortgebildet und Kurse bei Marty McGee Bennett, einer amerikanischen Expertin für Lamas, belegt.

Viele Touristen kämen aus ganz Deutschland sowie aus den Niederlanden. Hinzu kommen Betriebsausflüge, Managerkurse und Kindergeburtstage. Des Weiteren ist Silke Odermatt seit vielen Jahren geprüfte psychologische Beraterin. Außerdem fängt sie dieser Tage eine weitere Ausbildung als Kinder- und Jugendcoach an. Innerhalb des in den letzten Jahren breit aufgebauten Angebots bezeichnet sie die tierpädagogische Arbeit als Steckenpferd des kleinen Unternehmens. „Insbesondere die Arbeit mit Förderschulen, gehandicapten Kindern und Integrationsklassen macht uns am meisten Spaß“, so Silke Odermatt.

Daher hätte die Familie gerne mehr Schulklassen bei sich zu Gast. Wie die Arbeit mit Tieren und Kindern genau funktioniert, erklärte sie ausführlich. Was ihr bei den Ausflügen mit Kindern und Jugendlichen ebenso am Herzen liegt, sind Erklärungen zu Flora und Fauna. Selbst bei ganz gewöhnlichen Klassen habe sie da schon einiges erlebt. Viele Kinder würden heute die verschiedenen Bäume und Pflanzenarten nicht mehr kennen. Beispielsweise habe sie Kindern einen Kartoffelacker gezeigt und die Kinder hätten sich darüber gewundert, dass gar keine Kartoffeln an den Pflanzen hängen.

Lamas

Ihre dicke Wolle schützt sie vor Kälte.

Familie und Lamas in Lingelbach beheimatet aber immer Reichlos im Blick

In der neuen Heimat in Lingelbach ist der Hof der Familie fast schon wieder zu klein geworden. Hinzu kommt, dass die Gemeinde Freiensteinau den Kontakt zu den Odermatts nie hat abreisen lassen. Sogar auf die Suche nach einem größeren geeigneten Hof habe sich die Gemeinde gemacht. Die Wunschvorstellung der Familie einen Hof mit direkt daran angrenzenden Wiesen für die Tiere zu finden, stellt sich aber als nicht einfach zu realisieren dar. Mit Reichlos fühlt sich die Familie ohnehin noch stark verbunden, hat dort ein Ferienhaus, ist dort mit einigen Tieren auf dem Weihnachtsmarkt vertreten und veranstaltet dort seit vergangenem Jahr auch wieder Touren. Wenn sich die Möglichkeit ergeben sollte, wären die Odermatts nicht abgeneigt.

Am Beispiel einer Karnevalsgruppe aus Köln, die sich unlängst angekündigt hat, zeigte Silke Odermatter aber auch den Zusammenhalt in Lingelbach auf. Die Gruppe werde in Lingelbach übernachten, an einer Kutschfahrt teilnehmen und ein Brotbackseminar im Ort besuchen. Wenn es bei ihr Anfragen nach Übernachtungsmöglichkeiten gebe, würde sie immer die Angebote im Ort empfehlen sowie auf die touristischen Angebote in naher Umgebung hinweisen. „Das gehört sich einfach so“, findet Silke Odermatt.

Sowohl im Theater als auch auf Trekkingtouren durch den Vogelsberg erfreuen sich die Esel großer Beliebtheit.

Mit Lamas und Eseln lebt es sich glücklich

Stolz ist Silke Odermatt darauf, dass man die Beschwerden von Besuchern in elf Jahren an zwei Händen abzählen könne. Trotzdem müsse man sich immer fragen, wo kann man noch was ändern, um sich zu verbessern. Die Esel habe sich die Familie vor vielen Jahren angeschafft, um auch im Hochsommer Trekkingtouren anbieten zu können. Denn Lamas mögen aufgrund ihrer Herkunft keine Hitze und suchen sich im Sommer lieber ein schattiges Plätzchen. Bei Temperaturen über 30 Grad könne man den Andentieren keinerlei Strapazen zumuten. Mittlerweile seien die Esel genauso beliebt wie die Lamas und das Verhältnis bei den Touren liege bei 50/50. „Im letzten Jahr war ein richtiger Esel-Hype. Da hatten wir sogar erstmals mehr Touren mit den Eseln“, berichtet Silke Odermatt.

Seit zwei Jahren ist der Esel Jakob sogar zu einem „Theater-Star“ geworden. Die Bad Hersfelder Festspiele hatten angefragt, ob sie sich einen Esel für den Sommernachtstraum leihen können. Nachdem alles mit dem Amtsveterinär geklärt war, ging es mit großem Erfolg auf die Bühne.

Ihr neues Leben gegen das Alte eintauschen möchte die Familie auf gar keinen Fall. Auch wenn es einige Entbehrungen mit sich bringt. Einfach mal Urlaub machen oder nur ein paar Tage wegfahren ist ähnlich wie auf einem Bauernhof nicht möglich. Dreimal am Tag müssen Lamas und Esel gefüttert werden, daran führt kein Weg vorbei. Eine Woche im Jahr geht es dann doch in den Urlaub, da die Familie jemanden gefunden hat, der sich so lange um die Tiere kümmert. „Wer kann schon von sich behaupten, dass er einen Traumjob hat? Wir sind da aber sehr nahe dran. Trotz der vielen Arbeit haben wir uns das ausgesucht und sind damit sehr glücklich“, resümiert Silke Odermatt.

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