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Vectoring als Überganglösung akzeptabel - aber bei weitem nicht zukunftsweisendWas Politik und Telekom jetzt versprechen

ALSFELD (cdl). Nach langem Hin und Her übernimmt die Telekom jetzt doch den Breitbandausbau im Vogelsbergkreis. In den Jahren zuvor lehnte die Firma das noch als unwirtschaftlich ab. Woher kommt jetzt der Sinneswandel des ehemaligen Staatskonzerns? Die Geschichte eines langen Hickhacks um das schnelle Internet.

Landrat Manfred Görig bestätigte heute, was ihm Romrods Bürgermeisterin Dr. Birgit Richtberg schon vorweg genommen hatte: Die Telekom wird doch einen Großteil des Netzausbaus im Vogelsbergkreis übernehmen. In 24 Monaten soll der Kreis mit schnellen Internet versorgt sein.

Jetzt also doch. Der plötzliche Entschluss des Telefonriesen, nun doch in der Region den Ausbau zu übernehmen, kommt überraschend. Rückblick: Den Plan, die hessische Provinz mit schnellem Internet zu versorgen, gibt es schon länger. Doch weil sich alle privaten Kommunikationsunternehmen – einschließlich der Telekom – Mangels wirtschaftlicher Attraktivität gegen die Finanzierung des Netzausbaus sträubten, wurde Ende 2013 die Breitbandinfrastrukturgesesllschaft Oberhessen – kurz Bigo – gegründet.

Die Bigo ist ein Zusammenschluss aus Vogelsbergkreis, Wetteraukreis, dem Zweckverband Oberhessische Versorgungsbetriebe (VGO) sowie nahezu allen Städten und Gemeinden in den beiden Landkreisen. Die Bigo wurde erst durch die klare Ablehnung der Privaten, den Ausbau der Netze zu übernehmen, rechtlich möglich. Denn erst in diesem Fall ist es vom Gesetzgeber erlaubt, dass die öffentliche Hand in der Sache tätig wird.

Der Starttermin Anfang 2016 für den Ausbaubeginn platzte zwar, dennoch schien das Projekt auf einem guten Weg: Das Land Hessen sicherte eine Bürgschaft von 43,4 Millionen Euro zu. Im Februar 2016 übergab der hessische Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir die Bewilligung des Kredites der WI-Bank an die beiden Landräte Manfred Görig (Vogelsbergkreis) und Joachim Arnold (Wetteraukreis)

Spätestens am 19. Juli schien der Ausbau durch die Bigo finalisiert. Auf einer Pressekonferenz wurden die konkreten Ausbaupläne offiziell verkündet.

Breitbandausbau

Al-Wazir und Görig betonten beide die Wichtigkeit des Projektes für den ländlichen Raum. Foto: aep/archiv

Nur wenige Tage danach gab es bereits die nächsten Fragezeichen. Offenbar hatte sich die Deutsche Telekom an die attraktivsten Standorte im Wetteraukreis gewandt, um dort den Netzausbau zu übernehmen. Dadurch geriet die komplette Finanzierung der Bigo ins Wanken und es folgten ein Sommer und Herbst mit zähen Verhandlungen. Bigo-Geschäftsführer Manfred Görig reiste gleich mehrfach nach Berlin, um gemeinsam mit der Bundespolitik nach einer Lösung zu suchen.

Am Dienstagabend die Nachricht des Ausbaus durch die Telekom

Diese Lösung wurde jetzt offenbar gefunden. Die Telekom übernimmt den Ausbau des Netzes, bekommt dabei aber Unterstützung durch die Kommunen. „Damit hat, nach dem Wetteraukreis, nun auch der Vogelsbergkreis die Gewissheit“, erklärt Frank Bothe, Leiter der für den Ausbau zuständigen Technik-Niederlassung der Telekom, „dass schnelle Internetanschlüsse verfügbar sein werden.

Konkret heißt das: die Telekom verspricht eine Breitbandversorgung von 95 Prozent mit mindestens 30 Mbit/s im Download und für 85 Prozent der Anschlüsse sogar mindestens 50 Mbit/s im Download aufzubauen – und investiert dafür auch erheblich Eigenkapital. Schulen, Gewerbegebiete und Rathäuser sollen bei der Anbindung an das schnelle Netz im Fokus stehen.

Von beiden Seiten heißt es, dass in zähen Verhandlungen ein „guter Kompromiss“ gefunden wurde. „Eine frohe Weihnachtsbotschaft“, „Mehr als erwartet“, „Ein Super-Ergebnis“ – das seien die Kommentare von Bürgermeistern in der Gesellschafterversammlung in Lauterbach gewesen, die einstimmig den neuen Weg befürwortet hätten.

Eine gute Nachricht für alle

„Das ist eine wirklich gute Nachricht für alle Unternehmen und für alle Bürgerinnen und Bürger. Der Einsatz – auch jener der 37 Gesellschafter – hat sich klar gelohnt. Ohne die Bigo wäre der nun erzielte Kompromiss nicht möglich gewesen“, betonte Görig. Er sei froh über die deutlichen Impulse des Berliner Infrastrukturministeriums, die zu der nun gefundenen Lösung maßgeblich beigetragen hätten.

Telekom Pressesprecher George McKinney gab auf Oberhessen-live Anfrage zu Protokoll, dass es wirklich sehr harte Verhandlungen gewesen wären. Man sei zu dem Schluss gekommen, dass sich für das Unternehmen der Netzausbau im Vogelsbergkreis unter bestimmten Voraussetzungen rechnen werde. Beispielswiese müssten die Kommunen beim Ausbau mithelfen und etwa Leerrohre verlegen, „damit die enormen Investitionen sich für die Telekom rechnen“. Detailfragen sollten aber bitte auf der Pressekonferenz geklärt werden.

Das bedeutet: Die Bigo bleibt vor allem als Service-Unternehmen für die Kommunen weiter bestehen und wird mit der Telekom beim Ausbau zusammenarbeiten.

Vectoring nur als Übergangslösung?

Außerdem wurde im Sommer bereits deutlich, dass die Telekom auf die Genehmigung der Bundesnetzagentur und das Okay aus Brüssel für das sogenannte Vectoring wartete. Mit dieser Technik ist es möglich, das vorhandene Kupferkabel durch Fehlerbeseitigung auf eine Geschwindigkeit von 100 Mbit/s zu beschleunigen. Die Krux bei der Sache ist jedoch, dass dafür ab dem Verzweiger die Kupferkabel in der Hand eines einzigen Betreibers sein müssen. Die Bundesnetzagentur erteilte am 1. September 2016 ihre Zustimmung mit der sogenannten Vectoring-II-Entscheidung.

Breitbandausbau

Im Februar waren sich Arnold, Al-Wazir und Görig noch sicher, den Breitbandausbau selbst in die Hand nehmen zu müssen.

Die Wettbewerber der Telekom, wie deutschlandweit 271 Firmen, die sich im Bundesverband Breitbandkommunikation (Breko) organisieren, reichten Ende September Klage gegen den Beschluss der Bundesnetzagentur ein. Breko-Präsident Norbert Westfal betonte: „Das Fatale ist: Unterm Strich behindert die Entscheidung der Bundesnetzagentur den Glasfaserausbau in Deutschland.“ Nach Auffassung der Breko werde eine veraltete Technik eingesetzt und durch das Urteil komme es zu einer „Re-Monopolisierung“ der Telekom.

Die Bundestagsfraktion von Bündnis90/die Grünen sieht sogar die Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur nicht als gegeben, weil der Bund immer noch 14,5 Prozent der Anteile am ehemaligen Staatskonzern hält. Daher müsse man immer mit einem Auge auf den Aktienkurs der Telekom schauen. Ihr Vorschlag lautet daher die letzten 14,5 Prozent an die KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) zu veräußern.

Schnelles Internet entscheidend für den ländlichen Raum

Seit Landrat Görig am 7. Oktober 2014 zum Geschäftsführer der Bigo wurde, wiederholte er seither stetig, dass es das wichtigste Infrastrukturprojekt in den kommenden Jahren für den ländlichen Raum sei. Insbesondere der Ausbau mit Glasfaser sei alternativlos. Viele Experten geben dabei dem Vogelsberger Landrat recht und gehen sogar ein Stück weiter. Während beim sogenannten Vectoring die Technik schnell an seine Grenzen stoße, seien beim Glasfaserausbau problemlos Übertragungsraten von Gigabits möglich. Vor dem Hintergrund, dass das Datenvolumen derzeit exponentiell wachse, müsse man auf flächendeckendes Glasfaser setzen, ist beispielsweise auch Breitband-Forscher Roland Freund vom Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut überzeugt.

Bei der Telekom hieß es im Sommer dagegen auf Anfrage, dass man im Feldtest mit dem Einsatz von Vectoring schon 250 Mbit/s erreicht habe. Bis zu 400 Mbit/s seien mit dieser Technik nach heutigem Wissensstand zu erreichen.

Bei Stichworten, wie Video-Steaming in 4k, Internet der Dinge, oder Industrie 4.0 kann man sich das rasant anwachsende Datenvolumen bildhaft vorstellen. Hinzu kommt ebenso die mobile Kommunikation. Schon in wenigen Jahren wird es den Mobilfunkstandard 5G geben, der die Datenmenge weiter in die Höhe schnellen lassen wird. Dafür ist flächendeckendes Glasfaser ebenso unerlässlich, prophezeien verschiedene Experten.

Daher ist Görig auch froh darüber, dass die Telekom wie es bei der Bigo vorgesehen war, den Ausbau mit Glasfaser übernimmt. Jedoch zunächst nur bis zu den Verteilerkästen und von dort aus weiter über die Kupferleitung mit Vectoring. Somit ist zumindest ein Grundstein gelegt und es fehlen zum späteren Nachrüsten nur noch wenige Meter bis in die Häuser. Einige Kommunen haben sogar schon die Anschlüsse bis ins Wohnhaus. Denn überall dort, wo derzeit Straßen und Kanäle saniert werden, werden die Kabel bereits mitverlegt und somit Synergieeffekte geschaffen, wie beispielsweise vor Kurzem in Blitzenrod.

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Bei Straßenneubau kommt das Kabel gleich mit direkt unter die Erde, wie in Blitzenrod bereits geschehen. Foto: cdl/archiv

Fehler wurden in der Vergangenheit gemacht

In der Lokalpolitik sieht man die Versäumnisse in der Bundespolitik in der Vergangenheit. Das wurde in einigen Sommergesprächen deutlich. Grebenaus Bürgermeister Lars Wicke verglich im Gespräch mit dem Bundestagsabgeordneten Michael Brand die Situation wie zu Zeiten, als der damalige Staatskonzern eine Telefonleitung in jedes Haus habe bringen müssen. Das könne ein marktwirtschaftlich orientiertes Unternehmen nicht leisten.

Ähnlich argumentierte auch Alsfelds Bürgermeister Stephan Paule im Sommergespräch. „Vor zehn bis 15 Jahren ist der Bundespolitik ein Fehler unterlaufen“, so Paule. Damals habe man geglaubt, dass der Breitbandausbau durch den freien Markt geregelt werde. Man hätte damals bei den Ausschreibungen der Konzessionen andere Lizenzbedingungen formulieren müssen. „Ein paralleler Ausbau von Ballungszentren und ländlichem Raum hätte Bedingung sein müssen, um überhaupt eine Lizenz zu bekommen“, erklärte Paule.

Michael Brand MdB

Internetausbau sollte ablaufen wie einst die Einrichtung von Telefonen. Das erklärte im Sommer Lars Wicke (l.) beim Besuch von Michael Brand (MdB).

Was wird aus den fehlenden fünf Prozent?

Seit gestern Abend ist klar, dass 95 Prozent ausgebaut werden und schon tauchten die ersten Fragen auf, was mit den restlichen fünf Prozent geschehen werde. Darauf blieb die Telekom bisher eine Antwort schuldig. Vielleicht wird auf der angekündigten Pressekonferenz in der kommenden Woche ein Vertreter dazu Stellung nehmen. Positive Signale für abgelegene Dörfer oder einzelne Gehöfte kommen seit vergangenem Sommer aus Berlin. Dort findet gerade ein Umdenken statt und es soll in bestimmten Fällen möglich werden deutlich kostengünstiger Kabel über Land zu verlegen, anstatt sie 80 Zentimeter tief in die Erde verbuddeln zu müssen.

Für alle anderen Bürger wird der zukünftige Anschluss voraussichtlich deutlich günstiger als er es bei der Bigo gewesen wäre. Denn Bigo-Geschäftsführer Görig hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass die Anschlüsse der Bigo verhältnismäßig teuer geworden wären.

Eine Serie zum Breitbandausbau in Deutschland im Deutschlandfunk
Im Deutschlandfunk gab es im vergangenen Sommer eine Serie über den Breitbandausbau. Dort gibt es zahlreiche Informationen als Podcast oder auch in schriftlicher Form. Einige Inhalte sind in den Artikel eingeflossen. Ausgiebig mit dem Thema Breitband und Zukunft hat sich Jan Rähm beschäftigt.

 

7 Gedanken zu “Was Politik und Telekom jetzt versprechen

  1. ob es wirklich bei den 24 Monaten bleibt ist fraglich, mal gespannt was es dann wieder für Ausreden von der Telekom/ BIGO gibt wenn es länger dauert!!! Aber Hauptsache die Telekom hat schon mal das Netz und kein billigerer Mitbewerber.

  2. Hallo ohne Worte,

    unser Landrat war Jahre lang bei der Telekom und bei der Regulierungsbehörde!

    Abfindung? Bestimmt nicht!

    Wenn den Kommunen Schaden entstanden ist, müssen Landrat und Bürgermeister bzw. die jeweiligen Parlamente dies zurückerstatten!

    Es gibt genügend Abfindungen in der Wirtschaft für Fehlentscheidungen, dass das jetzt ein Ende haben muss.

  3. Die Bigo sofort auflösen. Ich schlage eine Abfindung der Geschäftsführer vor. An alle VB èr ,was meint ihr, wie hoch könnte die Abfindung (Aufwandsentschädigung) sein?

  4. Fehler in der Vergangenheit, Fehler der Politik. Ach ja!

    Bahn, Post und Telekom gehören in Bundeshand.

    Obwohl, Autobahn, naja? Ok, stimmt hängt ja auch immer ein kompetenter Minister dran! Kompetenz? Minister? Stimmt passt nicht zusammen! Sorry, Kompetenz und Politik passt nicht zusammen! BSP: Maut, Stuttgart 21, Flughafen Berlin und Kassel,Elbe Philharmonie,G36, Wehrpflicht, MEADS, Drohne, U-BOOT, A400M, dafür werden jetzt c130 gekauft. In den meisten Schulen im Land besteht Handlungsbedarf aber in New York werden 25 Mio für ein Gebäude ausgegebwn, was keiner braucht. Nicht zu vergessen, die unüberlegte und unstrucktierte Millionen fressende Willkommenspolitik.

    Wir gehen nächstes Jahr alle Wählen, machen das Ding aber ungültig, was würde passieren? Keiner ist verantwortlich, die jeweilige andere Partei ist schuld oder die Rechten ne die Linken, is auch egal, noch mal und wieder die gleichen Gesichter bis der Bürger es versteht! Er wählt, ohne wirklich eine Wahl zu haben!

    Es wird Zeit Es muss sich was ändern aber bitte nicht wie in England, Amerika, Italien, Polen, Russland und Frankreich.

  5. Der Ausbau der Telekom ist gut.Die Bigo hat nur Steuergelder gekostet. Aber natürlich den Geschäftsführer Geld gebracht. So funktioniert die Geldvermehrung in Deutschland. Bist du was, bekommst du was. Arbeitest du Tag und Nacht, sei froh dass du Arbeit hasst! Ist die Bigo jetzt überflüssig?

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